Telepolis 12.7. 2006
Von Gleneagles nach St. Petersburg
Peter Nowak
Beim G8-Gipfel hat Präsident Putin von seinen westlichen Beratern gelernt
Der russische Präsident Putin stellt in den nächsten Tagen im Mittelpunkt des Weltinteresses. Am Wochenende wird er in der Nähe von St. Petersburg den G8-Gipfel eröffnen. Politiker und Wirtschaftsvertreter der 8 führenden Industriestaaten werden sich versammeln. Diese Gipfeldiplomatie ist bereits schon alljährliche Tradition. Experten sehen hierin vor allem einen der Mediengesellschaft geschuldeten Showeffekt. Die wichtigen Beschlüsse werden auf den Gipfel garantiert nicht verabschiedet, sondern wurden schon lange vorbereitet und werden nur noch verkündet oder vertagt.
Die drei Schwerpunkte des Gipfels sind in diesem Jahr die Energiesicherheit, der Kampf gegen Infektionskrankheiten und der weltweite Zugang zu Bildung. Diese Themen bergen natürlich abseits der Kameras eine Menge Konfliktstoff. So ist mit dem Thema Energiesicherung der Wunsch vieler führender Politiker verbunden, verstärkt auf fossile Energie und Atomkraft zu setzen. Die Frage der weiteren Privatisierung von Gesundheit und Bildung wird bei den beiden anderen Schwerpunkten keine unwesentliche Rolle spielen. Natürlich dürften auch aktuelle politische Themen wie der Streit um das iranische Atomprogramm und die neue Krise im Nahen Osten mit auf der Agenda in Petersburg stehen.
Bei aller alljährlichen Gipfelroutine sollte man die spezifische Situation in diesem Jahr nicht vergessen. Das wird schon am Ort deutlich. Denn die Erweiterung der G7-Treffen um Russland war in den Kreis der anderen Globalplayer durchaus nicht unumstritten. Es gibt nicht zuletzt in den USA genügend Stimmen, die Russland eher als Konkurrenten, vielleicht sogar als Gegner nicht aber als gleichberechtigten Partner betrachten.
Diese Gemengelage schlägt sich auch bei den Gipfelprotesten nieder. Verschiedene russische Menschenrechtler nutzten das Medieninteresse des Gipfels, um ihre Kritik an der russischen Regierung noch einmal vorzutragen. Von der Klage über die Verletzung der Pressefreiheit bis zu Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien fehlt kaum ein Thema auf der Protestagenda. Die Kritiker werden von kremltreuen Medien und Politikern schnell als Handlanger des Westens beschimpft. Doch auch die Kritisierten beherrschen das Geschäft des Verdächtigens. So werden Nichtregierungsorganisationen, die angeblich einen Schmusekurs mit der russischen Regierung fahren, auch schon mal als vom Kreml bezahlt bezeichnet.
Guter Zar …
Putin hat durchaus auf seine Berater gehört, die die letzten G7- bzw. G8-Treffen genau analysiert hatten. Die Regierungen haben gegenüber den Protesten völlig unterschiedlich reagiert. Für die unterschiedlichen Konzepte stehen Berlusconi und Blair. Der ehemalige konservative italienische Ministerpräsident legte auf Dialog mit den Gipfelgegnern keinen Wert. Für ihn waren es im Zweifel eher Unruhestifter und Linke, auf jeden Fall nur ein Thema für die Sicherheitskräfte. Die Folgen dieser Taktik waren im Juli 2001 beim Gipfel in Genua weltweit zu beobachten. Nicht nur der junge Carlo Guiliani starb unter Polizeikugeln. Auch gestandene Mitglieder von christlichen Dritte-Welt-Gruppen waren staatlicher Repression, Polizeiknüppeln und Tränengas ausgesetzt. Die Folge war eine massive weltweite Kritik am Gipfelmanagement der italienischen Regierung.
Die Taktik der britischen Labourregierung im Juli 2005 im britischen Gleneagles (Entschulden und Aufrüsten) war hingegen eine andere. Teile der Gipfelkritiker wurden zur Zivilgesellschaft erklärt. Premierminister Blair hörte sich ihre Vorstellungen an und versicherte, sie in vielen Fragen zu unterstützen. Der größte Coup gelang ihm mit der Einbeziehung bekannter Künstler in die Kampagne Make Poverty History (Stimmen gegen die Armut). Die britische Regierung sonnte sich in ungewohntem Lob. Der weniger dialogbereite Teil der Gipfelgegner bekam seine Grenzen gezeigt. Doch für Weltöffentlichkeit war es kein großes Thema, zumal der Gipfel im Schatten des Terroramschlags in London am 7.7. stand (Angriff auf London, New York, Madrid, London …)
Die russische Regierung scheint einen Mittelweg gehen zu wollen. Präsident Putin hat sich schon Anfang Juli die Sorgen und Bedenken der internationalen Zivilgesellschaft angehört. Mehr als tausend NGO-Vertreter hatten sich 3 Tage in Moskau zum Civil-G-8-Forum versammelt. Eine deutsche NGO-Vertreterin bestätigte gegenüber Telepolis, dass sowohl die Reisekosten als auch die Unterkunft sämtlicher Teilnehmer von der russischen Regierung übernommen worden seien. Sie sah Putin in der Rolle des “guten Zaren”, der sich die Kritik der Zivilgesellschaft anhörte und versprach, sie beim G8-Treffen mit einzubringen.
Sämtliche führenden NGOs von Greenpeace über Amnesty International bis zur Heinrich-Böll-Stiftung waren dort vertreten. Das politische Spektrum der Zivilgesellschaft reichte vom National Endowment for Democracy bis zur aus dem ökoanarchistischen Spektrum kommenden Gruppe Eco-Defense. Sie sorgen auch für einen kleinen Eklat, als sie während Putins Rede ihre T-Shirts mit der Aufschrift “Keine Atomanlagen” präsentierten. Doch bevor Ordnungskräfte eingreifen konnten, bedankte sich der russische Präsident für den Kurzprotest. Allerdings fügte er gleich hinzu, dass es auf dem Gipfel nicht um die Frage der Atomkraftnutzung, sondern um die Sicherheit der Reaktoren gehen werde. Zumindest vor der internationalen Zivilgesellschaft hat Putin also gelernt, wie man im modernen Westen auf Proteste reagiert. In diesen Tagen kann die aktivistische Protestszene mit soviel Toleranz allerdings nicht rechnen.
…böse Demonstranten
Schon vor Gipfelbeginn gab es zahlreiche Festnahmen in verschiedenen russischen Städten. Laut Indymedia-Russland sind bereits über 100 Personen verhaftet worden. Darunter sollen sich auch Teilnehmer des Legal-Teams befinden, die Proteste beobachten wollten. Auch zwei Berliner Gipfelgegner sind darunter. Sie werden unter der Beschuldigung festgehalten, in einen Garten gepinkelt zu haben. Während einige russische Teilnehmer in Schnellverfahren zu kürzeren Haftstrafen verurteilt wurden, die sie während der Zeit des Gipfels aus dem Verkehr ziehen, wurde das Verfahren gegen die beiden Berliner vertagt.
Russische Aktivisten haben mittlerweile an die internationale Zivilgesellschaft appelliert und um Unterstützung gebeten. In Berlin wurde die Bitte aufgenommen. Eine Pressegruppe sammelt alle Informationen, die in den nächsten Tagen aus Russland eingehen. Sollte es zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen kommen, sind Demonstrationen vor russischen Botschaften und Konsulaten geplant. Die Aufmerksamkeit wird sich auf den kommenden Samstag richten. Seit langem wird an diesem Tag in Petersburg eine Großdemonstration gegen den Gipfel geplant. Die russischen Behörden erklären allerdings das Stadtzentrum zur protestfreien Zone und wollen die Demonstration lediglich am Stadtrand genehmigen. Auch das ist eine von Gipfeln in anderen europäischen Städten bekannte Taktik.
Auch am Globalen Aktionstag, den Globalisierungskritiker weltweit für den 14.Juli ausgerufen haben, wird die Menschenrechtssituation in Russland eine wichtige Rolle spielen. Daneben sprechen sich die Aufrufe, mit denen auch in zahlreichen deutschen Städten am Freitag zu Aktionen aufgerufen wird, gegen die weitere Nutzung der Atomkraft und die zunehmende Kommerzialisierung von Gesundheit und Bildung aus. So soll auch an die gegenwärtigen Proteste gegen Studiengebühren in verschiedenen Ländern angeknüpft werden. Bisher ist die Protestbereitschaft aber gering. Das liegt neben der Flaute der globalisierungskritischen Bewegung auch an den spezifischen Bedingungen in Russland. Neben den Sprachproblemen und der Angst vor Repression verweisen Russlandexperten auch die unübersichtliche politische Situation in Russland. So hat sich erst kürzlich ein bekannter linker Globalisierungskritiker der Partei Rodina angeschlossen, die auch schon die Schließung jüdischer Einrichtungen im Land gefordert hat. Allerdings warnen russische Linke auch, die hiesigen Debatten allzu schematisch auf die russischen Verhältnisse zu übertragen.