Telepolis, Wolfgang Pomrehn 13.7.2006
Vor dem G-8-Gipfel am Wochenende in St. Petersburg werden im ganzen Land Aktivisten festgenommen und eingeschüchtert
Wenn sich die Mächtigen der Welt treffen, dann am liebsten ungestört von lästigen Protesten. Den allgemeinen Sicherheitswahn lässt man sich nicht nur einiges kosten, auf der Strecke bleiben auch Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht. Während im mecklenburgischen Trinwillershagen selbst Briefkästen an den Wohnhäusern versiegelt werden, damit US-Präsident Bush ungefährdet von heimtückischen Heckenschützen sein Spanferkel verzehren kann, lässt man sich in Russland allerlei einfallen, um Proteste gegen das Treffen der Gruppe der Acht (Frankreich, Großbritannien, Japan, USA, Russland, Kanada, Deutschland und Italien) am kommenden Wochenende klein und unsichtbar zu halten.
Am Dienstagabend haben die Organisatoren der Proteste einen Hilferuf gestartet. Im ganzen Land werden Aktivisten an der Fahrt nach St. Petersburg (ehemals Leningrad) gehindert, wo sie an Gegengipfel und Protesten teilnehmen wollen. Selbst die Zahl der Züge zwischen Moskau und St. Petersburg wurde eingeschränkt. Bereits in der Nacht von Donnerstag auf Freitag letzter Woche war eine Gruppe von sechs Aktivisten der Gruppe “Für die Entwicklung der Region von Nachodka” aus der Transsibirischen Eisenbahn heraus verhaftet worden, heißt es in einem Bericht der Berliner [extern] G-8-Presse- und Informationsgruppe. Nachodka liegt an der russischen Küste in Fernost, etwas nördlich von Wladiwostock. Seit der Festnahme fehlt von den sechs jede Spur. Ähnliches gilt für eine ganze Reihe anderer, die sich aus Fernost oder Sibirien auf den langen Weg in die Hafenstadt am Finnischen Meerbusen gemacht haben. Zum Beispiel Roman Burlak, der in Krasnojarsk in Zentralsibirien in der Jugendorganisation Komsomol aktiv ist. Angeblich hat die Polizei in seinem Zugabteil Dynamit gefunden und ihn daraufhin am Bahnhof Atchinsk (Region Krasnojarsk) zum Verhör aus dem Zug geholt.
In der sibirischen Millionenstadt Nowosibirsk wird Wladim Iwanow, ein anderer junger Aktivist, seit Donnerstag vergangener Woche vermisst. Gemeinsam mit Freunden wollte er den Zug gen Westen besteigen, kam aber nicht zum Treffpunkt. Sein Handy antwortet nicht, berichtet die Berliner Infogruppe, die mit den Organisatoren der Proteste in St. Petersburg im engen Kontakt steht. Selbst im fernen Altaigebirge noch, an der Grenze zu China, werden junge Aktive von der Polizei zum Verhör vorgeladen und die Eltern von Polizisten angerufen, die sich angeblich Sorgen um den Verbleib ihrer Kinder machen. Ähnliche Vorkommnisse gebe es im ganzen Land, berichtet Berit Schröder von der Berliner Infogruppe gegenüber Telepolis. In St. Petersburg seien am Montag zwei Personen allein wegen des Verteilens von Flugblättern verhaftet worden. Dort und in Moskau seien in den letzten Wochen zahlreiche Wohnungen von Personen aus der regen anarchistischen und antifaschistischen Szene durchsucht worden. Trifft die Polizei die Gesuchten nicht zuhause an, werden auch schon mal deren Eltern an ihren Arbeitsplätzen aufgesucht. Das ganze sei eine einzige Einschüchterungskampagne.
Verhaftet wurden auch zwei Deutsche auf dem Weg zu ihrer Unterkunft, wie der deutsche Zweig des globalisierungskritischen Netzwerks [extern] ATTAC mitteilt. Die beiden Bielefelder hatten sich an einer Fahrradkarawane von Berlin nach St. Petersburg beteiligt und wollten diese sowie die Proteste vor Ort fotografisch dokumentieren. Jetzt sitzen sich für zehn Tage in Haft, weil sie, wie ein Schnellrichter befand, in einen Vorgarten gepinkelt haben sollen.
Unterdessen ist die am Rande der St. Petersburger Altstadt geplante Demonstration von der Polizei an den Stadtrand verlegt worden. “Sie wollen den Protest unsichtbar machen”, so Schröder. Die Demo soll nun unmittelbar am Kirow-Stadion stattfinden. Dort, fernab des Medienrampenlichts, trifft sich das zweite russische Sozialforum. Erwartet werden neben Umweltgruppen und unabhängigen Gewerkschaften auch die neuen Mieter- und Rentnerkomitees, die sich im Winter 2004/2005 gebildet haben, als die Regierung die meisten Vergünstigungen für Invalide und Rentner strich. Gleichzeitig wurde auch ein Gesetzespaket verabschiedet, dass die Privatisierung der kommunalen Versorgungsunternehmen eingeleitet hat. Gegen beides gibt es in der russischen Bevölkerung erheblichen Widerstand. Anders als bei vorherigen G-8-Gipfeln, so Berit Schröder, werden die Proteste in St. Petersburg vor allem von nationalen Fragen geprägt sein. Man habe das Sozialforum aber bewusst mit den Protesten gegen den G-8-Gipfel verknüpft, denn schließlich gebe es eine enge Verbindung zwischen diesen sozialen Fragen, die auf der lokalen oder nationalen Ebene umkämpft sind, zu den globalen Entwicklungen.