G8-Kritiker wollen Demonstrationsfreiheit am Zaun von Heiligendamm vor dem Verfassungsgericht durchsetzen / Schäuble verteidigt Sicherheitsvorkehrungen
Sigrid Averesch, Regina Kerner und Daniela Vates
BERLIN. Der Streit um das von der Polizei verhängte Demonstrationsverbot um den G8-Gipfel in Heiligendamm soll kommende Woche vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden. Nachdem das Greifswalder Oberverwaltungsgericht die Polizeientscheidung zur Bannmeile vor dem Sicherheitszaun bestätigt hatte, kündigten die Veranstalter gestern einen Eilantrag in Karlsruhe an. “Wir rechnen uns gute Chancen aus”, sagte Attac-Sprecher Sven Giegold der Berliner Zeitung.
Die Karlsruher Richter hätten 1985 mit ihrem Grundsatzurteil zur Versammlungsfreiheit in Zusammenhang mit einer Großdemonstration gegen das Kernkraftwerk Brokdorf Maßstäbe gesetzt. “Wir hoffen, dass Demonstrationsfreiheit in Deutschland vor außenpolitischen Interessen steht”, sagte Giegold.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verteidigte die Sicherheitsvorkehrungen rund um den G8-Gipfel, kommentierte die Gerichtsentscheidungen zum Demonstrationsverbot aber nicht. Es sei gut, dass polizeiliche Verfügungen überprüft werden, sagte der Minister dieser Zeitung. Er sehe den Polizeieinsatz nicht gefährdet, sollten Gerichte Demonstrationen in weiterem Rahmen zulassen. Die Polizei sei flexibel genug, ihr Konzept kurzfristig anzupassen. “Für uns ist der Schutz des Demonstrationsrechts genauso wichtig wie die Gewährung des störungsfreien Ablaufs des Gipfels”, sagte Schäuble. Der umstrittene Zaun sei in jedem Fall gerechtfertigt. “Soll ein solcher Gipfel nicht auf der Zugspitze stattfinden, muss der ungestörte Ablauf durch einen Zaun gewährleistet werden”, sagte Schäuble. “Es geht der Politik nicht darum, Ängste zu schüren.” Er betonte aber, dass er als Bundesinnenminister nur an zweiter Stelle für die Sicherheitsvorkehrungen in Heiligendamm verantwortlich sei. Auch für die Entnahme von Geruchsproben bei Globalisierungsgegner sei er nicht verantwortlich. Er kritisiere diese Maßnahmen aber auch nicht.
Vom 6. bis zum 8. Juni treffen sich im mecklenburgischen Heiligendamm die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen und Russland sowie mehrerer Schwellenländer. 16 000 Polizisten und 1100 Bundeswehrsoldaten sind im Einsatz. Am Freitag wurde die eigentlich abgeschafften Grenzkontrollen zu Schengen-Staaten wieder aufgenommen. Die ersten Großdemonstrationen werden heute und morgen erwartet.
Die Bundesregierung kündigte an, den Ausschluss einiger Journalisten von der Gipfel-Berichterstattung zu überprüfen. Der Journalistenverband hatte dem Bundespresseamt vorgeworfen, Reportern mit kritischer Haltung die Akkreditierung verweigert zu haben.
Die FDP nannte das Greifswalder Urteil problematisch. “Der Freiraum für Proteste in Hör- und Sichtweite der technischen Sperre gehören zwingend dazu”, erklärten die Vize-Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD) warnte, der immer größere Aufwand an Sicherheitsmaßnahmen lasse sich nicht bis ins Unendliche steigern. Er mahnte, jeder könne zu einem friedlichen Verlauf der Demonstrationen beitragen. Dies gelte für die in der großen Mehrheit friedlichen Demonstranten und für Stellungnahmen von Politikern. Ein Heraufbeschwören von Katastrophenszenarien sei nicht sinnvoll. “Es gibt Grund, gegen Globalisierungsformen zu demonstrieren”, sagte Stegner.
Berliner Zeitung, 02.06.2007
[http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/politik/658458.html]