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2007-06-02

junge Welt: »Polizeimaßnahmen dienen der Einschüchterung«

Linke Rechtshilfeorganisation übt massive Kritik an Repression im Vorfeld des G-8-Gipfels. Ein Gespräch mit Jan Steyer

* Jan Steyer ist Sprecher der Roten Hilfe Greifswald

Im Vorfeld des G-8-Gipfels ist es zu einer Repressionsoffensive bundesdeutscher Sicherheitsorgane gegen Globalisierungskritiker gekommen. Nach Hausdurchsuchungen, der Beschlagnahmung von Arbeitsgeräten und privaten Unterlagen am 9. Mai waren in den vergangenen Tagen Demonstranten verstärkten Schikanen der Polizei ausgesetzt. Inwiefern können G-8-Gegner ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit unter diesen Bedingungen wahrnehmen?

Die bisherigen Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit und die polizeilichen Schikanen dienen eindeutig der Einschüchterung. Ziel der Behörden ist, potentielle Demonstranten davon abzuhalten, ihr Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung in Hör- und Sichtweite des G-8-Tagungsortes wahrzunehmen.

Ist dieses behördliche Ansinnen aufgegangen?

Definitiv: nein. Die spontanen Kundgebungen nach den Hausdurchsuchungen am 9. Mai und auch die Demonstration, die anläßlich des ASEM-Gipfels am Pfingstmontag in Hamburg stattfand, bewiesen eindrucksvoll das Gegenteil. Tausende Gegner des G-8-Spektakels sind trotz dieser polizeilichen Muskelspielchen auf die Straße gegangen. Darunter auch viele Menschen, die bisher nicht in die G-8-Proteste eingebunden waren. Das Auftreten der Polizei hat eindeutig zu Solidarisierungseffekten und einer »Jetzt erst recht!«-Stimmung geführt.

Das dürfte mittlerweile auch der Polizei aufgefallen sein, dennoch forciert sie weiterhin eine repressive Strategie, geht mit physischer Gewalt vor und verletzt Grundrechte. Gerade in den vergangenen Tagen, in denen die Camps rund um Heiligendamm errichtet wurden, kam es immer wieder zu repressivem Vorgehen seitens der Polizei. Aktivisten wurden beispielsweise willkürlich stundenlang festgehalten und ihre Fahrzeuge kontrolliert.

Das sogenannte Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) von Mecklenburg-Vorpommern läßt den Einsatz automatischer Kennzeichenlesesysteme zu. Diese erfassen die Nummernschilder von Fahrzeugen und gleichen sie mit den bei den Behörden vorhandenen Datensätzen ab…
Diese Erfassungssysteme sind bereits jetzt im Einsatz. Sie dienen dazu, Aktivisten in speziellen Polizeidateien zu erfassen und bei Vorkontrollen aus dem Verkehr zu ziehen.

Die Polizei hat außerdem bereits angekündigt, die Mobilfunknetze zeitweise abzuschalten und dadurch die Kommunikation weitgehend zu unterbinden. Juristisch abgesichert wird diese Maßnahme durch Regelungen zur präventiven Telekommunika­tionsüberwachung im SOG. Um eben dieses polizeiliche Vorgehen zu unterlaufen, setzt die Protestbewegung zusätzlich auf alternative Kommunikationsmöglichkeiten. Alle Globalisierungskritiker sollten daher auch Walkie-Talkies sowie tragbare Radios mitbringen.

Aktivisten, die während der Proteste in Gewahrsam genommen werden, droht zudem eine zwangsweise Blutentnahme. Was kann dagegen unternommen werden?

In der Gefangenensammelstelle leider kaum etwas. Auf Grundlage des neuen SOG kann unter bestimmten Umständen Demonstranten mit der Begründung »Gefahr in Verzug« Blut entnommen werden. Bisher war diese einschneidende Maßnahme nur auf richterliche Anordnung hin möglich.

Wir empfehlen allen davon Betroffenen, sofort Widerspruch dagegen einzulegen – auch wenn dieser leider keine aufschiebende Wirkung hat. Vor Gericht dürfte diese Art der zwangsweisen Blutentnahme, die es bisher in keinem anderen Bundesland gibt, jedenfalls keinen Bestand haben. Als Rote Hilfe haben wir daher ein großes Interesse, daß Betroffene gegen diesen Abschnitt des SOG klagen, damit die verfassungswidrige Regelung endlich aus dem Polizeigesetz fliegt und vor allem nicht in andere übernommen wird. Eine solche Musterklage würden wir auch entsprechend finanziell und politisch unterstützen.

Worauf müssen Demonstranten, die fest- oder in Gewahrsam genommen werden, noch achten?

Sie sollten auf jeden Fall auf ihrem Aussageverweigerungsrecht bestehen und keinerlei Aussagen gegenüber der Polizei und Staatsanwaltschaft machen – nur dies schützt wirksam vor unnötiger Kriminalisierung. Wir raten auch dazu, gegen alle Maßnahmen einen formlosen mündlichen Widerspruch einzulegen und diesen von der Polizei protokollieren zu lassen. Weiter empfehlen wir, nichts zu unterschreiben –auch keine Protokolle oder Beschlagnahmelisten.

Wer von der Polizei festgehalten oder festgenommen wird, sollte sich umgehend mit dem Ermittlungsausschuß und dem Anwaltlichen Notdienst unter 03820-4768111 in Verbindung zu setzen, um direkt vor Ort juristischen Beistand zu erhalten.

Auch im Polizeigewahrsam haben Demonstranten Rechte, die sie kennen und geltend machen sollten. Als Vorbereitung auf die Proteste in Heiligendamm legen wir deshalb allen Gipfelgegnern unsere kostenlose Rechtshilfebroschüre »Was tun, wenn’s brennt!?!« ans Herz, die mittlerweile auch in verschiedenen Sprachen erhältlich ist.

Interview: Markus Bernhardt

* Spenden für die Antirepressionsarbeit:
Rote Hilfe e.V., Konto 191 100 462, Postbank Dortmund, BLZ 440 100 46, Stichwort: G-8-Gipfel

http://www.jungewelt.de/2007/06-02/034.php[