Die umstrittene Bannmeile rund um Heiligendamm bleibt – die Organisatoren des geplanten Sternmarsches sprechen von einem „schwarzen Tag“.
Greifswald/Schwerin (OZ) Die Entscheidung fiel spät. Um 22.37 Uhr drang am Donnerstagabend erstmals die Meldung nach außen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Greifswald hatte entschieden. Eine Entscheidung wie ein kleines Erdbeben. Die umstrittene Bannmeile rund um Heiligendamm bleibt zum Sternmarsch am 7. Juni bestehen. G8-Kritiker dürfen nun doch nicht näher an den Sicherheitszaun heran. Zerstört der Traum der Demonstranten, wenigstens ein leises Unmutssäuseln möge durch die dicken Mauern des Kempinski Grand Hotels an die Ohren der Mächtigen dringen. Fünf bis zehn Kilometer Abstand sind zu viel. Da kann man schreien, wie man will. Da kann der Wind stehen, wie er will.
Doch noch in der Nacht setzte eine Protestbrise ein. „Ein schwarzer Tag“, sagte ein sichtlich verärgerter Carsten Gericke, Anwalt der Organisatoren des Sternmarsches. Dies sei „ein schwerer Rückschlag für den friedlichen Protest im G8-Umfeld, ein schwarzer Tag für die Versammlungsfreiheit“, erklärte der Jurist, der umgehend ankündigte, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen Eilantrag wegen Grundrechtsverletzung einzulegen. Wieder einmal, wie so oft in den vergangenen Tagen, soll das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit – verankert in Artikel 8 des Grundgesetzes – auf den Prüfstand. Jetzt müssen die höchsten deutschen Richter entscheiden, nachdem Greifswald ein gegenteiliges Urteil des Schweriner Verwaltungsgerichtes aufgehoben hat. Juristen-Pingpong im Schatten des Gipfels.
Im Verlauf des Tages entwickelte sich aus der Brise ein ausgewachsener Sturm. „Überdimensioniert“ seien die Einschränkungen der Proteste in der Nähe des G8-Gipfels, ätzte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz. „Durch einzelne Gewalttäter darf das Recht auf Versammlung und Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt werden“, entrüstete sich Volker Beck, Rechtsexperte der Grünen-Bundestagsfraktion. Aber auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) blies als amtierender Vorsitzender der Innenministerkonferenz ins gleiche Horn. Er befürchte, dass die Sicherheitsvorkehrungen in Heiligendamm zulasten des Grundrechts auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit gehe. Dieses Recht werde „ausgehebelt und muss hinter unverhältnismäßigen Sicherheitsmaßnahmen zurücktreten“, sekundierte Barbara Borchardt, rechtspolitische Sprecherin der Schweriner Fraktion der Linkspartei.PDS. Da war er wieder, der Artikel 8.
Mit der vielbeschworenen Deeskalation zwischen den Demonstranten und der Polizei habe die OVG-Entscheidung übrigens nicht viel zu tun, sagte Borchardt weiter.
Am schärfsten äußerten sich die Liberalen. Noch am Vormittag gab die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gemeinsam mit dem Schweriner FDP-Fraktionschef Michael Roolf eine Presseerklärung heraus. Sie rate den G8-Kritikern dringend, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. „Demonstrationen müssen in Hör- und Sichtweite des Sicherheitszauns um den Gipfelort Heiligendamm möglich sein“, forderte Leutheusser-Schnarrenberger. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe das innenpolitische Klima in den vergangenen Wochen „unnötig aufgeheizt“. Auch angesichts der Bestätigung des Demonstrationsverbots seien die Behörden jetzt klug beraten, zur Deeskalation beizutragen. Schäuble konterte umgehend: Gerichtliche Entscheidungen seien zu akzeptieren, sagte der Innenminister knapp. Ob er dies auch noch im Grundton der Überzeugung von sich geben würde, wenn Karlsruhe das Greifswalder Urteil in Kürze noch einmal kippen sollte, sagte Schäuble nicht.
Unterstützung für das Demonstrationsverbot kam von der Union. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach bezeichnete das Demonstrationsverbot gestern als „notwendig und verhältnismäßig“. Er erinnerte an die gewalttätigen Ausschreitungen im italienischen Genua, bei denen es 2001 einen Toten gab.
Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) bezeichnete die Bannmeile als „einen gewissen Raum“, den auch friedliche Demonstranten bräuchten, wenn es zu Krawallen komme. Laut Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) werden Zehntausende Demonstranten auch in dem vorgeschriebenen Abstand „unüberhörbar und sichtbar“ sein. Zurückhaltend blieb Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD): „Gerichte sind Gerichte, und ich kritisiere keine Urteile von Gerichten.“
JÖRG KÖPKE
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