Der Angriff der Killer-Blasen
Die Dramatisierung des G8-Protestes zum großen Katastrophen-Event, zur Rechtfertigung einer „wehrhaften" Demokratie misslang. Die virtuelle Realität der Bloger-Szene setzte der medialen Realität des Mainstreams Grenzen.
von El Patio
Die Wortabsonderungsmaschinerie der Schlagzeilenlieferanten geriet diesmal ins Schleudern. Die Brahmanen der journalistischen Zunft, diese hohen Priester der publizierten Wahrheit, konnten ihre Katastrophenrezeption nicht mehr unkorrigiert als Frühstückslektüre in das gläubige Konsumentenbewusstsein implementieren. Der Kontrollverlust traf die kommentierende Kaste in ihrem Selbstverständnis, ihre Deutungshoheit der Ereignisse brach in der offenen Medienlandschaft zusammen, getroffen von einer Bloger-Szene, die per SMS die Lügen schon enttarnte, bevor sie auf den Pressekonferenzen verkündet wurden.
Dabei hatte der Mainstream sich schon lange vorher auf den Protest der Globalisierungsgegner eingeschossen, da wurde der Mythos der RAF wieder rausgekramt, um jede Art von Kapitalismus-Kritik mit dem Odem des Terrors umgeben zu können, da wurde der Festungswahnsinn mit immer neuen Terrordrohungen gerechtfertigt und da wurde alles versucht, die bunt zusammengewürfelte Protest-Szene schon im Vorfeld zu kriminalisieren und zu spalten. Aber der Einbruch des kreativen Chaos der Bloger-Szene, in die wohlgeordnete Welt der medial verbreiteten Realität, führte zu wachsenden Irritationen im kollektiven Wahrnehmungsraster.
“Clown’s Army” sprüht Gift gegen Polizisten
Bei der Anti-G-8-Demonstration gestern in Rostock haben militante Demonstranten erneut chemische Flüssigkeiten gegen Polizisten versprüht. “Acht Polizisten mussten zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden”, sagte Polizeisprecher Axel Falkenberg in Rostock. Dies sei ein in Deutschland bislang unbekanntes Vorgehen der militanten Szene. Verursacher seien Mitglieder einer Gruppe namens “Clown’s Army”, die aus Spritzpistolen die bisher unbekannte Flüssigkeit versprühten. Bereits am Samstag mussten mehrere Polizisten mit schmerzhaften Hautreizungen medizinisch behandelt werden."
Der “chemischen Anschlag”, der da makaber vom Polizeisprecher inszeniert wurde, die Killer-Blasen, die die Robocops da außer Gefecht gesetzt haben sollen, entpuppten sich als harmlose Seifenblasen. Aber eben erst, nachdem die angeblichen Säure-Anschläge sensationslüstern von den Medien verbreitet wurden, der Spiegelfechter dokumentiert die Wandlungen, die diese Geschichte im Mainstream durchmachte1.
Dieser Pustefix-Anschlag, leitete die Katharsis ein, brachte die reinigende Wirkung in diesen staatlich verordneten Katastrophenfilm, der bis dahin als „Robocops – im heldenhaften Kampf um die Demokratie" die heimischen Mattscheiben zumüllte. Ihre Seifenblasen-Offensive irritierte die staatlichen Kampfmaschinen, ihre Choreographie durchbrach den Marschschritt, ihre Parodien entlarvten die Hohlheit des Machtapparates.
Da verbreitete zwar die Polizeisondereinheit »Kavala« die Eilmeldung, dass an der Kontrollstelle »Galopprennbahn« am Zaun bei Heiligendamm Teilnehmer der Blockade »die Kleidung wechseln, sich vermummen und Schutzkleidung anlegen, sich mit Molotow-Cocktails bewaffnen und Steine aufnehmen«, um ihr Bedrohungsszenarium aufrecht erhalten zu können und dass liest sich das dann im Tagebuch eines Gipfel-Polizisten, veröffentlicht im Stern, so:
„Molotowcocktails, 50 Stück, letzte Meldung aus Heiligendamm: “Eine große Personengruppe mit zirka 50 (!) Molotowcocktails bewegt sich Richtung Kontrollstelle”. – Der Wahnsinn geht weiter. Mein Bericht endet hier für heute. Ich muss nach vorn zu meinen Leuten"
Der Wahnsinn der da weiter gehen sollte, konnte leider nicht in der geplanten Form ablaufen, der in szenetypischer Kleidung, ganz auf gewaltbereiten Autonomen getrimmte Polizeiprovokateur flog mit seinen Kollegen auf, er wurde als Bremer Polizist enttarnt, die große Schlacht musste wieder mal vertagt werden. Dafür wurden dann schon mal “Verletzte Polizisten mit Helikoptern ausgeflogen” obwohl die Demonstranten und die Polizei vor Ort unisono meldeten: „ Die Lage um Heiligendamm ist ruhig"
Das wiederum hielt aber den Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Wolfgang Speck nicht davon ab, von bislang unbekannten “Gewaltexzessen” zu phantasieren und auch seine Unterstellung, dass die Globalisierungsgegner, dass diese “Chaoten den Krieg wollen” wirkte angesichts der lustigen Clowns nur noch lächerlich.
Dass sich die politischen Verteidiger unserer Verfassung zu wahren Feldherren im medial angeheizten Bürgerkriegsszenario aufschwangen und sich berufen fühlten, vor den willig hingestreckten Mikrophonen ihr intellektuelles Wasser abzuschlagen, ist der leidgeprüfte Medienkonsument gewohnt. Und so forderten dann die Politclaqueure von Gummigeschossen, über mehr Härte beim Einsatz, bis zum Eingreifen der Antiterror-Einheit GSG-9 , wirklich alles, was ihre Untertanenseele sich an staatlicher Gewalt ausmalen konnte, natürlich nur um die “potenziellen Mörder” des “Schwarzen Blocks” zu bekämpfen, die eine “Orgie der Gewalt” veranstaltet hätten. Immer mit dabei die SPD-Politiker, wie Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises, der sich in der Forderung verstieg, Steinewerfer wegen versuchten Mordes den Prozess zu machen. “Was diese Typen machen, ist versuchter Mord – und genauso müssen sie vor Gericht behandelt werden”, forderte der Großinquisitor der Sozialdemokraten, Kahrs, in der “Bild”-Zeitung. Aber dann doch bitte zuerst die Mordanklagen gegen die Undercover-Agenten von Polizei und Verfassungsschutz – nicht wahr, Herr Kahrs.
Die Hubschrauber, die auf den Feldern rings um den Zaun landen und ihre Polizeieinheiten in schwarzer Kampfmontur absetzen, – werden, obwohl die Szenerie bedrohlich wirkt, wie das EhNaMag versichert, – leider wieder nur von Kameraleuten und Fotografen eingekesselt und nicht von Molotow-Cocktails schmeißenden Demonstranten.
Die Rede des philippinischen Globalisierungskritiker Walden Bello – Träger des alternativen Nobelpreises, sorgte zuerst für Aufregung in den „alternativen Online-Medien" und der Blogosphere, hatte doch der Spiegel gemeldet, dass auf der Kundgebungsbühne ein Redner die militante Szene aufstachelt: “Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.” Nachdem diese Falschmeldung sofort enttarnt und richtig gestellt wurde, war es vorbei mit dem „Glauben" an die 4. Staatsgewalt. Walden Bello hatte eben nicht die Worte geäußert, die das EhNaMag ihm unterschieben wollte, sondern in einem vernünftigen Ton Kritik an der Vermeidung des Themas Irak-Krieg beim G8-Gipfel geübt: “We have to bring the war right into this meeting – because without peace there can be no justice”2
Die scheinbare Ohnmacht der klassischen Medien, die sich häufenden Falschmeldungen der Kommerzpresse, nicht nur über den G8-Protest beruht, laut Steinberg, entweder auf Dummheit oder auf Bosheit. " Erstens fast immer beides; zweitens völlig wurscht!" beantwortet er seine rhetorische Frage selbst.
Es handelt sich auch nicht um eine systemimmanente Fehlfunktion, die darauf zurückzuführen ist, dass die Presseagenturen das „Faktenmonopol" besitzen und man ihnen seitens der weiterverarbeitenden Medien blind glaubt. Denn die Fehler in den Agenturberichten wurden bereits bevor sie ihren Weg in den Mainstream fanden, enttarnt. Der Spiegelfechter glaubt, hierbei eine Art von Betriebsblindheit und Scheuklappenbewusstsein ausgemacht zu haben, besonders, weil auf die Hinweise von Lesern oder aus der Welt des Bürgerjournalismus – der Blogosphere – nicht reagiert wurde.
Im der taz bringt es eine Schreiber auf den Punkt: „Sie können das Bild nicht bestimmen – angesichts tausender friedlich untergehakt sitzender Menschen. Augenzeugen vermuten, einige der frühen Steinewerfer in Rostock seien Zivilbeamte der Sicherheitsdienste gewesen. Es ist blauäugig, anzunehmen, dass der Staat 100 Millionen Euro für einen G-8-Gipfel ausgibt und nicht all seine Register zieht. Wer dann aber ebenfalls Steine gegen den vielgeschmähten “Bullenstaat” wirft, läuft genau diesem ins Messer. Die gestrigen Blockaden boten für alle ein Beispiel, wie es friedlicher und wirksamer geht"3
Im taz-blog findet sich dieser Augenzeugenbericht einer Aktivistin: „Dabei hatte die Polizei den Ort des Stops taktisch gut gewählt. Wasserwerfer hatten sich vor einer Unterführung postiert, lange Reihen von Polizisten (Spaliere) schirmten die Demonstration zu den Seiten ab. Merkwürdigerweise war es jederzeit möglich ungestört in das Gleisbett der Straßenbahn neben der Straße auf der die Demonstration sich befand, zu gelangen. Im Gleisbett befinden sich jede Menge potentielle Wurfgeschosse. Offensichtlich, dass eine Eskalation von den Ordnungskräften und wer weiß wem noch gerne gesehen worden wäre"4
Wohingegen BLÖD gleich auf altbewährte Feindbilder ausweicht, nachdem sich die Demonstranten dem Katastrophen-Journalismus einfach verweigern:
„Höchste Alarmstufe herrschte aber auch deshalb, weil es im Vorfeld des Gipfels Hinweise auf mögliche Anschlagspläne islamistischer Terroristen gegeben hatte."
Meldete BLÖD und entdeckte deshalb auch gleich die Löcher im Zaun.
“Sicherheitskreise halten es für wahrscheinlich, dass Taucher an dem 4,5 Kilometer langen Unterwassernetz, das den Tagungsort von See her absichert, manipuliert haben. Polizeitaucher hatten am Morgen zwei größere Löcher entdeckt! Außerdem war ein Straff-Seil zwischen zwei Verankerungen auf einer Länge von 15 Meter beschädigt. Sofort sicherten rund 50 Polizeiboote das Leck in der Netzsperre. Versuche, die beiden Löcher zu reparieren, schlugen fehl.”
Osama als Froschmann im Spezial-Auftrag, exklusiv für BLÖD, da kommt Spannung auf.
„Aus höchsten Sicherheitskreisen erfuhr BILD: Es sei nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass Unbekannte in der Nacht durch das an dieser Stelle bis zu elf Meter tiefe Unterwassernetz getaucht seien und sich im Hotelgelände versteckten! Ein Top-Sicherheitsmann zu BILD: „Wir sind in größter Sorge!" Rätselraten bei den Sicherheitsbehörden: Waren Terroristen am Werke oder Umwelt-Aktivisten? Vorsorglich enterten Beamte der Bundespolizei von fünf Schiffen aus die auf der Ostsee kreuzende „Arctic Sunrise". Das sturmerprobte Schiff, ein ehemaliger Eisbrecher, gehört sei 1996 zur „Greenpeace"-Flotte. Nach BILD-Informationen machten die Beamten alle Schlauchboote an Bord – bis auf eines – unbrauchbar und stellten außerdem einen Heißluftballon sicher."
Wow, darauf muss man erst mal kommen, die Arctic Sunrise als Terroristen-Jacht, gechartert von bösen Islamisten und dabei war doch der Klimastreit zwischen Merkel & Bush schon so gut wie beendet, denn BLÖD fragte sich: „Schmilzt dieser Blick das Eis?" Natürlich war die ganze Story ein einziges Phantasieprodukt, die Polizei dementierte dann auch umgehend den „Bericht“ der “Bild”-Zeitung. Nur das Lächeln und der schmelzende Blick unseres uckermarkschen Imperator-Liebchens blieben undementiert
Den allgemeinen Zustand des Mainstreams soll John Swinton, der ehemalige Stabschef der New York Times, zum Ausdruck gebracht haben, als er während eines Abschiedsbanketts zu seinen Ehren im New Yorker Presseklub diesenToast ausgebracht haben soll:
»Es gibt – zu diesem Zeitpunkt der Weltgeschichte und in Amerika – nichts, das eine unabhängige Presse wäre. Das Geschäft des Journalisten ist darauf aus, Wahrheit zu zerstören, umstandslos zu lügen, zu verdrehen, zu verleumden und vor den Füßen des Mammons zu kuschen… Wir sind die Werkzeuge und die Vasallen von reichen Männern im Hintergrund. Wir sind die Marionetten, sie ziehen die Fäden, wir tanzen. Unsere Talente, unsere Möglichkeiten und unser Leben sind allesamt das Eigentum anderer Männer. Wir sind intellektuelle Prostituierte«
Dem ist nun wirklich nichts mehr hinzuzufügen.
En vivo y directo, desde el barrio La Puya
El Patio
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