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2007-09-18

Swing - autonomes Rhein-Main-Info: The Empire Strikes Back

Nachspielzeit in Sachen G8 und “mg” – Repressionsorgane unter Fahndungsdruck treten nach/ Verfassungsschutz quatscht bundesweite Linke an/ §129a in Berlin wegen “mg”

Nach dem planlosen Zuschlagen der Bundesanwaltschaft am 9.5. kurz vorm G8-Gipfel, das ja ungewollt die lang erhoffte Mobilisierungswelle nach Heiligendamm losgetreten hatte, hatten wir den Bericht über die Durchsuchungen in der Swing mit der Überschrift: ”Sind wir nicht alle §129a?” getitelt. Die Bundesanwaltschaft nimmt diese Losung weiterhin offensichtlich sehr ernst. Seit dem G8-Gipfel scheint der sogenannte ”Linksextremismus” wieder verstärkt ins Blickfeld der Repressionsorgane gerückt zu sein. Wir gehen davon aus, dass ihnen die Refokussierung auf den alten Lieblingsfeind nicht schwer gefallen sein wird.


Der G8-Gipfel und die Aktionstage in Heiligendamm sind jetzt seit kaum 3 Monaten Vergangenheit. Nun beginnt die juristische Maschinerie den Versuch die Aktionen während des Gipfelgeschehens abzustrafen. So wurden jüngst in Rostock rund 300 Vorladungen wegen des Krawalls am 2.Juni versendet. Gleichzeitig versuchen linke AnwältInnen und AktivistInnen die zahlreichen Maßnahmen der Sonderbehörde Kavala zumindest nachträglich anzukratzen. Dies betrifft vor allem den unverblümten Einsatz der Bundeswehr im Inneren, die dreiste Desinformationspolitik der Kavala-Sonderbehörde und die umstrittenen Gerichtsentscheidungen zum verbotenen Sternmarsch, die mit den bewussten Falschmeldungen der Bullen vom 2. Juni begründet wurden.
Eine momentan noch regional beschränkte Posse stellt eine Hausdurchsuchung in Bonn bei einem Betreiber einer Anti-Atom Webseite dar. Dieser hatte auf seiner Seite den Aufruf zu den "BlockG8"-Blockaden hochgeladen – laut richterlichem Beschluss ein gefährlicher Aufruf zu Straftaten.

Bundesweit dreiste Auftritte hingelegt haben auch die Schlapphüte des Bundesamts für Verfassungsschutz. In Potsdam, Leverkusen und auch hier im Rhein-Main-Gebiet sind seit Anfang August Anquatschversuche öffentlich bekannt geworden. (siehe Kasten Verfassungsschutz aktiv in Frankfurt)

Generalangriff auf linke Politik

Der große Hammer erfolgte aber schon am 31.7.: Sieben Menschen beschuldigt die Bundesanwaltschaft (BAW) mal wieder Mitglieder der "militanten gruppe" (mg) zu sein; vier wurden verhaftet, drei blieben vorerst draußen. Zu den zuletzt in Sachen “mg” Beschuldigten, die am 9.5. noch als Begründung für die Durchsuchung nach §129a herhalten mussten, stellt die BAW momentan keine Bezüge her.
Im folgenden zitieren wir einen Absatz aus dem bemerkenswerten Aufruf ”Solidarität organisieren. §129a abschaffen” der Berliner Gruppe FelS (Den ganzen Aufruf findet ihr unter www.nadir.org/nadir/initiativ/fels/):
”Axel, Florian und Oliver wurden in der Nacht zum 31. Juli erst observiert und dann verhaftet, nachdem sie versucht haben sollen, vier Fahrzeuge der Bundeswehr auf dem Gelände der Firma MAN in Brandenburg/Havel in Brand zu setzen. Ihre Festnahmen markieren das Ende einer gut gemeinten antimilitaristischen Aktion. Gleichzeitig stellen sie auch einen Generalangriff auf militante linke Politik dar, indem sie für die jahrelange Jagd auf die "mg" herhalten müssen. Kurz nach den Festnahmen, am Morgen des 31. Juli wurden die Wohnungen und teilweise Arbeitsplätze von Andrej und drei weiteren Beschuldigten, gegen die kein Haftbefehl vorliegt, durchsucht. Allen vier wird "intellektuelle Täterschaft" zur Last gelegt. Diese begründen die Ermittlungsbehörden damit, dass Bibliotheken benutzt und bestimmte Begriffe wie "Gentrifizierung" in Texten verwendet wurden. Zudem hätten sich die vier zu Schulden kommen lassen, im Studium oder der Promotion die intellektuellen Fähigkeiten angeeignet zu haben, ´die vergleichsweise anspruchsvollen´ Texte der "mg" zu verfassen. Die einzige Verbindung, die es zwischen Axel, Florian und Oliver und jenen vier Personen gibt, sind zwei angeblich konspirative Treffen zwischen Florian und Andrej.”
Von den konspirativen Treffen gibt es angeblich keine Mitschnitte, sondern allein die Tatsache, dass den Ermittlungsbehörden nicht bekannt ist, was geredet wurde, wird als Begründung für den terroristischen Gehalt des Kontaktes gewertet.

Empörung nur für den Unschuldigen?

Auf die Festnahme von Andrej entwickelte sich sehr zügig auf breiter Basis eine allgemeine Empörung und Solidarisierung. Vor allem in sozial-wissenschaftlichen Bereichen wurde Andrejs Festnahme sehr richtig als Angriff auf die Beschäftigung mit gesellschaftskritischen Themen erkannt. Eine breite Solidarisierungskampagne entfaltete sich an seinem Fall. Der öffentliche Druck in Kombination mit der scheinbar zu gewagten Begründung für seine Festnahme hat offensichtlich dazu geführt, dass Andrej gegen Kaution vorerst rausgekommen ist. Der §129a ist damit natürlich noch nicht vom Tisch, abgesehen davon, dass die BAW Revision gegen die Haftentlassung beantragt hat.
Die Kampagne um Andrej war/ist im Gesamtkontext der Verhaftungen des 31.7. eine widersprüchliche Sache. Auf der einen Seite hätte ohne die Verhaftung von Andrej die BAW wahrscheinlich überhaupt keine relevante kritische Resonanz zu ihrer Aktion bekommen. Andererseits macht sich eine empörte kritische Solidarität nur an seinem Fall fest. Nämlich an seiner Rolle als Wissenschaftler, an der Dreistigkeit des konstruierten Zusammenhangs, der die juristische Beweisführung selbstbewusst gegen den Strich bürstet, und der vorrausgesetzten ”Unschuld”svermutung der Liberalen gegenüber Andrej. Über Axel, Florian und Oliver wird statt dessen lieber geschwiegen. Viele die Andrejs Verhaftung unglaublich finden, denken das angesichts dessen, dass die Bullen behaupten die drei anderen in flagranti ertappt zu haben, die Bullen ihren Job gemacht haben, indem sie die Gewalttäter aka Terroristen eingefangen haben. Die tatsächlichen Terroristen in Verbindung zum unschuldigen Wissenschaftler zu bringen, stört in einer solchen Logik eher die Solidaritätskampagne. Eine solche Position ist von einem staatsräsonistischen Gewaltbegriff geprägt, die die illegitime Gewalt im Brandsatz und nicht im Bundeswehrauto sieht.
Das Abfackeln von Militärfahrzeugen ist und bleibt aber die Vernichtung von Kriegsmaterial! Im Falle von Fahrzeugen der Bundeswehr erweitert um eine Widerstandshandlung gegen eine Armee die Angriffskriege zur Gewährleistung des ungehinderten Zugangs ihrer Regierung und Konzerne zu den weltweiten Ressourcen durchführt.

Solidarität auch mit der “mg”?!

Funkstille aber auch großteils bei den Linksradikalen. Hier dürfte das Schweigen ja kaum mit der fehlgeschlagenen Aktion zusammenhängen. Möglicherweise hängt das eher mit dem Unbehagen und der Kritik an den Aktionen und Papieren der “mg” zusammen. Das Nichteinverstanden sein mit den Konzepten der “mg” und der maßgeblich von ihnen voran getriebenen Berliner Militanzdebatte kann aber nicht der Ausgangspunkt für die Frage der Solidarität sein. (Die Vermutung, dass jeder militanter Zusammenhang der nachts im Berliner Raum auf der Straße erwischt wird, angesichts des Fahndungsdrucks der auf Bullen und BAW lastete, als terroristische Vereinigung “mg” verkauft wird, dabei mal ganz außer acht gelassen!) Ein repressiver Angriff gegen militante Strukturen – “mg” hin oder her - ist prinzipiell immer auch ein Angriff gegen die gesamte radikale Linke. Die Verhaftungen vom 31.7. müssen in einen Kontext mit den weitreichenden Ermittlungen im Zusammenhang mit den G8-Strukturen gesehen werden. Die BAW hat das mit den überschneidenden Begründungen für die Durchsuchungen im Vorfeld des G8-Gipfels bewiesen. Es wird Zeit das wir das selbst auch kapieren, trotz aller wichtigen und richtigen Kritik an der “mg”.

Militarisierung ist Krieg nach Außen wie nach Innen

Die Begründungen und der Verlauf sowohl der Observation als auch der Festnahme und der Haftbedingungen, sagen einiges über die Entwicklung eines deutschen Staates aus, der seit einigen Jahren Kriegseinsätze im Rahmen des War on Terrorism führt und die Konzepte der assymetrischen Kriegsführung verinnerlicht hat.
Die drei Aktivisten wurden, von einem quergestellten Einsatzfahrzeug abrupt gestoppt. Anschließend wurden die Scheiben eingeschlagen und die drei von den Festnahmebeamten in ihren angeschnallten Sitzen verprügelt. Statt die Türen zu öffnen, wurde die drei durch die zerschlagenen Fensterscheiben aus dem Auto gezerrt, wobei sie – logischerweise - zahlreiche Schnittwunden erlitten. Ihnen wurden dann weiße Anzüge angezogen und ein Sack über den Kopf gestülpt. Die drei und der später festgenommene Andrej wurden am nächsten Tag mit großer medialer Inszenierung im Helikopter nach Karlsruhe zum Haftrichter geflogen. Bei der Vorführung vor dem Haftrichter, steckten sie immer noch in den mittlerweile zerschlissenen und zerrissenen Anzügen. Die Haftbedingungen sind das volle Terrorismusprogramm, also Isolationshaft. 23 Stunden auf der Einzelzelle, eine Stunde isolierter Hofgang. Familienbesuche nur unter erdrückender BKA-Aufsicht.
Wer immer noch geglaubt hat, der Krieg den Terrorismus würde nur gegen völlig abgedrehte islamische Gotteskrieger geführt werden und würde nur in den USA zum entfesselten Sicherheitsstaat führen, sei bitte spätestens hier eines besseren belehrt. Im September wird der Bundestag die Verlängerung des Mandats für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan verabschieden, obwohl es überhaupt gar keinen Friedensplan für gibt – und es auch noch nie einen gab. Tatsächlich hat sich die Bundeswehr als imperialistische Armee normalisiert, die im Dauereinsatz den Zugang zu Ressourcen und Machträumen sichert. Dazu gehört der unkontrollierte Einsatz des Killerkommandos KSK genauso wie die Folterübungen in deutschen Kasernen, den ausgeführten Folterungen deutscher Geheimdienste und des ausufernden präventiven Sicherheitsstaats, wie ihn die jeweiligen Innenminister mit allen Mittel versuchen durchzusetzen. Die Logik des sich im Krieg befindlichen Sicherheitsstaates drückt sich auch in den Begründungen des §129a-Verfahrens aus: Aus einer versuchten Brandstiftung wird ein terroristischer Akt. Aus einem bewusst unter vier Ohren geführtes Gespräch, muss angesichts der politischen Linie der Beteiligten, ein terroristisches Treffen sein. Der präventive Sicherheitsstaat muss hier zugreifen.
Diese Aktion geht nicht von wenigen paranoiden, eigenmächtigen Staatsschützern aus, sondern muss als realer und präventiver Angriff auf die Linke an sich, wie sie als Bewegung nach dem G8-Gipfel 2007 da steht, begriffen werden. Der Staatsapparat produziert Ängste, Bedrohungen und Einschüchterung weit über das angebliche terroristische oder militante Spektrum hinweg. Es dient auch als ein Schuss vor den Bug für alle jene die sich kritisch und widerständig äußern und verhalten. Das es so wenig Gegenwind gegen diese Einschränkung unserer persönlicher und politischer Spielräume gibt, ist auch Ausdruck unserer Schwäche und Versäumnisse.

Don´t panic, be responsible

Wichtig bleibt aber festzuhalten, dass trotz des enormen geheimdienstlichen Aufwandes Bullen und Bundesanwaltschaft die ganze Repressionskeule nach dem bekannten Muster des Ermittlungsparagraphen §129a aufgezogen haben. Es wird wild konstruiert, unbewiesene Zusammenhänge behauptet und auf Spekulationen ganz eigener Logik folgender Bullenhirne ganze Netzwerke ausgeforscht, beschuldigt und einzelne auf Verdacht weggehaftet. Der §129a macht´s möglich. Gesinnungshaft und Spitzelei in guter deutscher Tradition. So beschissen das für die Betroffenen ist, stellt das ganze dennoch kaum eine neue Qualität geheimdienstlicher Mittel gegen uns dar. Wie die Bullen selbst zugeben, ist es trotz Observation, Kommunikationsmittelüberwachung und Raumüberwachung durch Mobiltelefone möglich, Gespräche zu führen, die von den Schergen nicht mitgelauscht werden können. Dafür musst du nicht das Gras wachsen hören und nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren. Entscheidend ist es, ob es uns gelingt, einige linke Grundregeln in unsere alltäglichen politischen Arbeit zu integrieren: Anna und Arthur halten´s Maul am Telefon, in geschlossen Räumen und auf Demos und Veranstaltungen. Verschlüsselte e-mails und Festplatten sind heute ja auch relativ einfach und effektiv zu gewährleisten. Zum Quatschen trefft sich Anna und Arthur zufällig beim Sparziergehen. Dabei lassen sie ihre Handys natürlich zu Hause. Bei spontanen Gesprächen schaltet Arthur sein Handy im Zweifelsfalle ab und nimmt den Akku raus - und Anna hat ihres sowieso lieber wieder weggeworfen!

Deutsche Waffen, deutsche Cops ...

Ach ja, und während wir uns gerade mit den schlechten Verlierer des diesjährigen Gipfels rumschlagen müssen, reist BKA-Präsident Ziercke gerade nach Japan, dem Austragungsland für den G8-Gipfel 2008. Warum? Nach offiziellen japanischen Aussagen, um sich über die ”latest trends regarding anti-globalization organisations and other extremist groups” auszutauschen. Nach dem Gipfel ist ja schließlich vor dem Gipfel, nicht?

Webseiten zu den aktuellen Verfahren:
http://einstellung.so36.net/
http://gipfelsoli.org/Repression/129a

Source: Swing