I
Lieber Vittorio,
Die Geschehnisse am Ende der Anti-G8-Demonstration am 2.Juni in Rostock, als es zu einem Ausbruch anhaltender und gewaltsamer Kämpfe zwischen einigen DemonstrantInnen (dem sogenannten Black Block) und der Polizei kam, haben mich beunruhigt und herausgefordert. Ich hatte Kritik an der Gewalt des Schwarzen Blocks, verspürte aber auch das Bedürfnis zu diskutieren und zu verstehen. Ich denke, eine Menge Leute auf der Demo empfanden das Gleiche – Kritik, aber eher den Wunsch darüber zu sprechen und zu verstehen als zu verurteilen (es gab natürlich auch andere, die die Aktion einfach verurteilten, aber das ist nicht meine Position).
Ich wollte speziell mit Dir darüber diskutieren, denn ich weiß, dass Du mittendrin warst in der Schlacht und weil ich sehr großen Respekt vor Dir habe und ich denke, dass wir aufrichtig und ohne Disqualifizierungen miteinander diskutieren können.
1) Laß mich Dir erklären, wie ich die Demo erlebt habe:
Meine FreundInnen und ich hatten uns vorher keine Stelle ausgemacht, an der wir uns der Demo bevorzugt anschließen wollten. Vor Beginn liefen wir an der Demo entlang, um uns einen attraktiven Ort auszusuchen und uns einzureihen. Wir liefen an dem großen Block von Leuten entlang (im Allgemeinen jung, meistens Männer), die schwarz angezogen, vielfach Kapuzen trugen und von denen viele maskiert waren. Letztendlich reihten wir uns in der Nähe der Demospitze ein, direkt hinter der Samba Gruppe mit ihren Trommeln und ihren Tänzen. Aus unserer Perspektive war die Demo sehr groß, bunt und fröhlich. Es gab eine massive, aber zu diesem Zeitpunkt inaktive Polizeipräsenz am Rand der Straße. Insbesondere waren wir von den Clowns beeindruckt, von ihrer Art auf die Trupps der Polizei zuzugehen, sie auf die Schippe zu nehmen, sie nachzumachen, sie mit Seifenblasen zu bepusten, um ihre Autos herum zu tanzen, usw.
Als die Demo ihren End-Punkt erreichte, den Hafen, hatte ich das Gefühl, dass die Demo erfolgreich, erfreulich und bunt gewesen war. Kurz darauf kam der “Black Block” an, und ein Freund, mit dem ich unterwegs war, bemerkte, dass es danach aussehe als ob sie bereit seien für einen Kampf. Eine Minute später brachen die Kämpfe los, schwer gepanzerte Trupps von PolizistInnen liefen hin und her und wurden von einer Menge schwarz gekleideter junger Leute mit Steinen beworfen. Dies war das erste was ich von der Gewalt sah, die sowohl die Medienberichte als auch die Diskussionen in Rostock in den nächsten Tagen dominieren würde.
2) Ich denke, es gibt drei Gründe, warum ich die Gewalt beunruhigend fand:
Zum ersten hatte ich das Gefühl, dass es sich von beiden Seiten um ein berechenbares Ritual handelte. Beide Seiten waren für die Schlacht vorbereitet, beide Seiten wußten, dass es zum offenen gewaltsamen Konflikt kommen würde, sobald das Vorspiel der Demo vollendet sein würde, und bei dem die Mehrheit der auf der Demonstration anwesenden Leute nurmehr ZusauerInnen sein würden. Was ich beunruhigend fand, war die Brechenbarkeit und Symmetrie des Konflikts. Darin gab es einen scharfen Gegensatz zu den Clowns, die der Polizei in unberechenbarer und absolut asymmetrischer Weise entgegentraten: Was ihre Sexualität betrifft, ihre Bewegungen, Kleidung, Verhalten, Feierlichkeit, usw. waren die Clowns das Gegenteil der Polizei, während der Black Block in Uniformierung, sexueller Zusammensetzung, Disposition zur Gewalt, Feierlichkeit sehr stark der Polizei ähnelte.
Zweitend war ich vom Macho-Ton des Black Block beunruhigt. Auch wenn es einige Frauen und vielleicht einige ältere Leute gab, wurde der Block von jungen Männern dominiert, und es wurde eine Atmosphäre geschaffen, wie sie häufig mit größeren Treffen junger Männer assoziiert wird: aggressiv, prahlerisch, unsensibel gegenüber den Gefühlen der sie umgebenden Leute.
Drittens spaltete die Aktion. Mir schien es, dass sie sich gegen der Wünsche der großen Mehrheit der Anwesenden richtete, und beträchtlichen Unmut bei vielen verursachte. Die TeilnehmerInnen der Aktionen schienen die Gefühle der anderen DemonstrantInnen als irrelevant abzutun. Ich hatte das Gefühl, dass die anderen DemonstrantInnen auf eine Art als reformistisch oder nicht-revolutionär abgestempelt wurden. In anderen Worten: Die Aktion war identitär, verpasste den anderen ein Label und tat ihre Gefühle als unwichtig ab. Eine nicht-identitäre Herangehensweise würde die Selbstwidersprüche anderer Leute erkennen und versuchen einen Weg zu finden, die Widersprüche in ihnen in Bewegung zu bringen.
Eine ganz andere und sympatisierende Sicht auf die Aktion wäre es zu sagen, dass darin genau das Ziel der Gewalt lag: Den Hass der Polizei auf sich zu ziehen und so Leute zum Handeln zu bewegen. In einer der Diskussionen verglich jemand das Werfen von Steinen auf die Polizei mit der Besetzung eines Hauses: In beiden Fällen hilfst Du den Leuten, ihre Angst vor den Autoritäten zu überwinden. Ich kann dieses Argument verstehen, aber ich denke es ist wahrscheinlich in dem Sinne nicht wahr, dass ich denke, dass die Aktion wahrscheinlich nicht diesen Effekt hatte. Ich denke, dass das Verulken der Polizei durch die Clowns wahrscheinlich viel wirksamer darin war, die Autorität des Staates zu demystifizieren.
Vielleicht will ich damit sagen, dass die Frage der Resonanz in jeder Aktion sehr wichtig ist: Nicht, dass die Aktion einfach nur nach ihrer Resonanz beurteilt werden sollte, aber dass ihre Resonanz mit der in denen meisten Leuten in unterdrückter Form existierenden rebellischen Haltung von sehr großer Wichtigkeit ist. Und nicht nur dass, diese Resonanz ist eine Frage der A-symmetrie. Das, was wir in den Leuten in Bewegung bringen wollen, ist ihr Anti-Kapitalismus, und der einzige Weg, wie wir das tun können ist durch Aktionen, die in ihrer Form anti-kapitalistisch sind, Aktionen, die Vorschläge machen, wie wir uns auf Arten verhalten und aufeinander beziehen können, die ganz anders sind als die kapitalistischen. Die Resonanz der Asymmetrie scheint mir der Schlüssel im Denken über anti-kapitalistische Aktionsformen zu sein.
3) Wenn ich erkläre, warum mich die Ereignisse des 2.Juni beunruhigten und herausforderten, verurteile ich die Gewalt nicht einfach. Es ist klar, dass die von den DemonstrantInnen ausgeübte Gewalt nahezu nichts war im Vergleich mit der Gewalt, die das Kapital an jedem Tag gegen uns ausübt. Ich akzeptiere es auch, dass es Umstände geben kann, in denen die Anwendung gewaltsamer Methoden die Bewegung gegen das Kapital stärkt. Aber das ist das Problem: In diesem Fall schien die Aktion getrennt von allen Überlegungen über ihre Effekte auf die Bewegung als Ganze. Ich kann mich damit irren und ich mag recht unfair in vielem gewesen sein, was ich sagte, aber dann wäre ich froh, wenn Du es mir erklären könntest (und allen anderen, die dies vielleicht lesen).
Beste Grüße,
John
II
Werter John,
Dein Brief, in dem Du Deine Kritik an den gewaltsamen Auseinandersetzungen am 2.Juni in Rostock zu Ausdruck bringst, erschienen mir als exzellente Gelegenheit, eine aufrichtige und notwendige Diskussion zu beginnen. Ich werde versuchen, all Deine zentralen Fragen zu beantworten. Meine Antwort ist nicht von dem abstrakten Bedürfnis motiviert, eine Entschuldigung für die Gewalt oder den “black block” vorzubringen, sondern als Teilnehmer von der Dringlichkeit der Gründe, Probleme und dem Stand der Dinge in einem offenen Prozesses der Rebellion zu erklären. Die Demonstration am 2.Juni hatte in all ihren Aspekten einen rituellen und berechenbaren Charakter. Die Tatsache, dass sie vor Beginn des Gipfels stattfinden sollte warf einen Schatten auf die folgenden Tage, an denen sich radikalere Gruppen einer langen Aktionswoche gegenübersahen, ohne den Schutz einer Großveranstaltung während der Gipfeltage zu haben. Auch stellte die Demo eine Anstrengung dar, eine trotz Unterschieden geeinte Bewegung zu repräsentieren. Dieser Aspekt ist eng mit der üblichen Dynamik von Gipfeln und Gegen-Gipfeln verbunden, die zumindest in den letzten 10 Jahren einen zentralen öffentlichen Ausdruck der anti-kapitalistischen Bewegungen überall auf der Welt ausmachten.
Auf der anderen Seite lag bei der Demo am 2.Juni, den Verhältnissen in der BRD und im Rest Europas geschuldet, etwas anderes in der Luft: Die Energie und Hoffnung auf neuen Schwung für soziale Bewegungen, was auch die große Zahl der TeilnehmerInnen und ihren starken militanten Geist erklärt.
Alle organisierten politischen Subjekte, von den Clowns, die du erwähnst über ATTAC bis hin zum “black block” hatten den Wunsch nach Repräsentation und wollten auf der großen Bühne vertreten sein. Tatsächlich wollte das auch die Polizei…sie hatte mit einem Kontingent von 17.000 Beamten die größte Sicherheitsoperation ihrer Geschichte angekündigt, es konnte nicht schief gehen…
Der sogenannte Schwarze Block bildete sich als große, sich aufeinander beziehende Gruppe, die sich aus verschiedenen kleineren Gruppen zusammensetzte, unterschiedlich in Zusammensetzung und geographischer Herkunft. Die Etikette (schwarze Kleidung, bedeckte Gesichter) sollte niemanden in die Irre führen, was die Vielfalt der anwesenden Subjekte betrifft.
Dissent! übernahm die Funktion eines “Hub”, stellte einen Knotenpunkt für das Knüpfen von Beziehungen und die Verteilung von Informationen für diejenigen zur Verfügung, die mehr zu direkten Aktionen neigen und es nicht als geeignet erachten, sich am Block G8 Bündnis zu beteiligen, in dem – seinem breiten und pluralen Charakter entsprechend – unter anderem viele wichtige reformistische Gruppen wie ATTAC und die deutsche Sektion der Europäischen Linkspartei, heute bakannt als "Die Linke, beteiligt waren.
So beteiligten sich am Block unter anderem anarchistische Gruppen aus vielen verschiedenen Orten (Polen, BRD, Dänemark, Niederlande, England, USA, Griechenland, Katalonien), sowie autonome Gruppen aus Italien, Schweden, Frankreich, dem Baskenland, der Schweiz und der BRD.
Auch viele antifaschistische Gruppen, die in der BRD keine einzelne Organisation haben, aber stark von der Antifaschistischen Linken Berlin beeinflusst sind (Teil der Interventionistischen Linke, damit z.B auch Teil des Block G8 Bündnisses), nahmen aus dem Bus mit der Parole “Make Capitalism History” heraus an dem Block teil.
Der Block beinhaltete damit 3000-5000 Leute, die sich über das Vermummungsverbot hinwegsetzten und Stöcke und andere Instrumente der Selbstverteidigung in der Demo mitführten. Die gemeinsame Absicht der TeilnehmerInnen des Blocks war es, das Privateigentum von Banken und Konzernen, wie auch die Polizei direkt anzugreifen. Es gab auch Diskussionen darüber, in welchem Maße Gewalt ausgeübt werden sollte, bezüglich der Antwort der restlichen Demonstration; nahezu die Mehrheit einigte sich darauf in einer Art und Weise zu Handeln, die ihnen nicht schaden würde.
Ich glaube also nicht, dass diese Wahl in völligem Widerspruch zum Geist und den Absichten der restlichen Demonstration stand. Vielleicht eines Teils, aber dann wiederum gibt es immer eine große Menge Unterschiede auf dieser Art internationaler Demonstrationen. Wie auch immer, in all diesen Jahren hat sich etabliert, dass alle Formen des Protestes ein Recht auf “Bürgerschaft” haben sollten, solange sie andere respektieren. Der Block wollte auch aus politischen Gründen nicht im Hintergrund oder am Rand der Demonstration bleiben. Radikale Formen direkter Aktion sind auch ein Teil der Bewegung und militante Gruppen, die an solchen Aktionen beteiligt sind, oder einfach die, welche sie unterstützen oder individuell daran teilnehmen, respektieren andere Formen des Kampfes, es würde keinen Sinn machen sie abzutrennen.
Die Taktik des Blocks war eine Eskalation der Aktionen, was zu einer direkten Konfrontation führen würde, sobald der Hafen erreicht wird, wo die meisten Polizeikräfte konzentriert waren.
Es ist wahr, wie Du erwähnst, dass der Block auch darauf zielte, den Rest der Demo zu motivieren, am Widerstand gegen die Polizei teilzunehmen und Konzerne und ihre Fassaden anzugreifen. Tatsächlich geschah das, als die Polizei, frustriert darüber, dass sie zu Beginn unfähig war sich zur Wehr zu setzen, die gesamte Demo, wie auch die Leute, die sich das Konzert ansahen, zu attackieren. Die Anwesenden reagierten auf viele Arten als das geschah, sie warfen Steine oder bildeten Ketten und gingen mit erhobenen Händen auf die Beamten zu, es gelang ihnen die Offensive der Polizei im Zaum zu halten, trotz der gepanzerten Fahrzeuge und Wasserwerfer.
Es ist wahr, dass der Block aus meist jungen Leuten bestand, und die Tatsache, dass dort nicht so viele Frauen wie Männer waren ist ein Aspekt einer Arbeitsteilung in Aktionen und Initiativen; wie auch immer, dies taucht in vielen Communities und Organisationen auf und hängt mit einem umfassenderen Problem zusammen, das um die Formen und Sprachen politischer Aktion kreist. Nichts desto trotz war ich von der Menge der Frauen überrascht, die an den Auseinandersetzungen teilnahmen, sehr viel mehr als in Italien beobachtet werden könnten.
Du nimmst die Mehrheit junger Radikaler auch als einen Mangel an Einbeziehung anderer Lebensformen und Lebensalter. Ich sehe es hingegen als einen Anfang, wie auch als eine notwendige Form des Aufbaus einer gemeinsamen Bewegung, die – wie immer – bei den Jungen beginnt, infolge der Dringlichkeit, Wut und Leidenschaft, mit der die Negation des Existierenden geübt wird, “die Negation der Negation” in Praxis.
Wenn wir den Blick nach Mexiko wenden, nach Oaxaca zum Beispiel, beobachten wir eine sehr unterschiedliche Zusammensetzung an den Barrikaden, aber das ist einer politisch und sozial “populären” Form geschuldet, die es in Europa nur zu wenigen Gelegenheiten und an wenigen Orten gibt. Die Trennung zwischen der jungen Generation und dem Rest ist tiefer und hängt mit komplexen Ursachen zusammen, die auch politische Implikationen haben; wie dem auch sei, diese Angelegenheit kann nicht in einer einzigen Demonstration gelöst werden.
Gegen die, die von einer depressiven und apathischen Generation sprechen, habe ich im Gegenteil eine Menge positive Energie und Leidenschaft bei diesen Leuten gespürt. Viele verschiedene Lebensweisen, und eine Menge Entschlossenheit, und den Willen miteinander zu konspirieren und zu kooperieren, um eine radikale soziale Veränderung zu erreichen.
Die Aktion ist im Fall der Demonstration nicht rein symbolisch; sie sucht nach direkter Wirksamkeit. Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass die Polizei nicht unbesiegbar ist, wenn sie mit einer Vielzahl von Leuten konfrontiert ist, die die Initiative ergreifen und kooperieren. Es hat sich ebenfalls gezeigt, dass sich der Kampf gegen ein ökonomisches, soziales und militärisches System nicht auf Ereignisse oder Momente öffentlicher Repräsentation (und Vermittlung) beschränken kann, sondern dass er überfließt und die Initiative ergreift, die Zeit, den Ort und die Form der Konfrontation bestimmt, die man auch Klassenkampf nennen kann – dass er sich nicht darauf begrenzen darf, die wenigen kollektiven Reichtümer zu verteidigen, die noch in Händen der Menschen geblieben sind.
Aus diesem Grund hänge ich ein Dokument an, das aus der Diskussion verschiedener, an den Auseinandersetzungen auf der Demo des 2.Juni beteiligter Gruppen hervorging, und das auf der Dissent! Webseite veröffentlicht ist.
Plan B hat bereits begonnen – Schließ Dich an – dem Kampf unserer Leidenschaft
4.Juni 2007 – International Brigades
In gewissen Momenten ist es angebracht, seine Stimme zu erheben und ohne Umschweife so einfach wie möglich und direkt zu Allen zu sprechen. Einer dieser Momente ist gekommen.
Wir werden uns kurz zu den Ereignissen des 2.Juni 2007 in Rostock im Zusammenhang mit der Demonstration gegen den G8-Gipfel äußern. Selbstverständlich werden wir uns aus parteilicher Perspektive zu Wort melden – mit einer Stimme, die aus vielen verschiedenen Stimmen besteht, die es aber in bestimmten Situationen versteht, zu einer zu werden. Einer dieser Momente ist gekommen.
An diesem 2. Juni warteten Tausende von Menschen nicht mehr auf ein Protestritual, dessen Aufführung wir in dieser Bewegung so oft unterworfen waren: Mobilisierungen, Demonstrationen, Aktionen mit oft weniger als symbolischem Gehalt und Konferenzen, die gekrönt sind von lang vorbereiteten Erklärungen einiger obskurer BürokratInnen. Sie akzeptierten auch die abgenutzte Haltung derjenigen nicht mehr, die vorgeben über den Zustand der Welt besorgt zu sein und sich einem pietätvollen Mitgefühl mit den am meisten Benachteiligten hingeben.
Diese Tausenden haben sich nicht mehr damit zufrieden gegeben, nur zu reagieren oder sich zu verteidigen, sondern haben selbst die Initiative ergriffen und mit vollem Bewusstsein an den Orten angegriffen, an denen die kapitalistische Ausbeutung und die materielle Wirksamkeit des globalen zivilen Krieges tagtäglich ausgeweitet wird. Die G8 sind nicht nur der symbolische Ausdruck der Herrschaft des Kapitals über die Welt, ein Theater von zweifelhafter Qualität, auf dessen Bühne ihre AnführerInnen ein weiteres Ritual aufführen, um ihre Herrschaft über das Leben der Menschen festzuschreiben. Die G8 sind das Symbol des Leids, das sie an jedem Tag Millionen Menschen zufügen. Dafür, dass uns unsere Gewalt vorgeworfen wird, während sie es sind, an deren Händen Blut klebt.
Letztendlich passierte einfach folgendes: Freie Lebewesen haben sich kollektiv dazu entschieden, den Symbolen des Kapitalismus und dem bösartigen Gesicht des Staates, verkörpert von allen Polizeien der Welt, in praktischer Weise entgegenzutreten. Versammlungen und lange Reden, denen kein lautes Krachen und Donnern in den Strassen unserer Metropolen folgt, produzieren nur Argwohn und Resignation.
Wir wollen noch eine andere Wahrheit der Kämpfenden von Rostock in Erinnerung rufen: Sie sind Frauen und Männer, die aus allen Gegenden dieser Welt kommen und die keine Ausweise brauchen, um sich zu erkennen, Banden zu bilden und neue Formen des Lebens auszuprobieren. Wir sind die Nationslosen, die alle Grenzen niederzureißen suchen, die unsere Leben, Gedanken und Körper trennen – materiell so sehr wie symbolisch. Wir setzen uns aus vielfältigen Subjektivitäten zusammen, die ein Verlangen danach haben, die Bedingungen für ein ekstatischeres Leben zu schaffen. Wir kommen von überall – deshalb sind wir überall. Diejenigen, die das Gegenteil behaupten, sind unverschämte Lügner.
Es gibt eine andere Wahrheit: Unter jeder schwarzen Maske war ein Lächeln, in jedem geworfenen Stein gegen den gemeinsamen Feind war Freude, und in jedem Körper, der gegen die Unterdrückung revoltierte war ein Verlangen. Wir hegen keine trübsinnigen Leidenschaften und keine Ressentiments: Wäre das der Fall, hätten wir nicht so lange gekämpft und Widerstand geleistet. Darum lasst euch nicht täuschen, schaut jene an, denen ihr euch verbunden fühlt, oder die ihr liebt, vielleicht findet ihr einen dieser Körper, eines dieser lächelnden Gesichter, eine dieser Hände, die für den Kampf arbeiten. Freudige Leidenschaften aus der Gemeinsamkeit haraus, die sich auf Kommando zum Angriff zusammenfinden – dies ist das Geheimnis der Kämpfe, die im Herzen des asymmetrischen Konflikts geführt werden, das ist was uns unterscheidet von der Traurigkeit der Waffen und Körper der Macht. Individuell sind wir nichts – gemeinsam sind wir eine Kraft. Zusammen sind wir eine Kommune: die Kommune von Rostock.
Wir alle sind hergekommen mit einer persönlichen und kollektiven Geschichte, einer Geschichte von Kämpfen und Schlachten in jeder Ecke der Welt. Wir wollen nicht, dass die Ereignisse des 2. Juni als einfache Fortsetzung des alten Kampfzyklus wahrgenommen werden, der nach dem 11. September so viele Enttäuschungen erfahren musste. Wir glauben vielmehr, dass der 2. Juni das Signal war für einen kraftvollen und entschlossenen Bruch mit der Phase der Niederlage und dass diese Schlacht neue Offensiven eröffnet hat. Dass dieser Bruch es uns erlaubt gemeinsam auf die andere Seite des Spiegels zu fliehen, auf die Seite der Freiheit.
Und nun – GenossInnen – blockieren wir die Flüsse…
Lang lebe die Kommune von Rostock und Reddelich!
Internationale Brigaden
Der zweite Juni muss auch in einem größeren zeitlichen Rahmen beurteil werden.Während der folgenden Tage beteiligten sich die gleichen Leute, die die Auseinandersetzungen angeregt hatten am Aufbau und vielen selbstorganisierten Camp-Aktivitäten: von den Küchen zu den kollektiven Bars, Workshops, alternativen Medien, Parties, politischen und künstlerischen Arbeitsgruppen, die Multitude (ja, überwiegend jung…) kehrte zu ihren alltäglichen positiven Aktionsformen zurück.
Die massiven Blockaden des 6., 7. und 8. Juni profitierten von der Vielfalt der Aktions- und Kampfformen; keine was entschlossener als die anderen. Dissent! nahm, wie Block G8 und andere unorganisierte Gruppen und Individuen auch, an den Demos, Blockaden und anderen Formen des Schwarms teil…Alle, von den radikalsten PazifistInnen bis zu den toughesten anarchistischen Gruppen kooperierten, um eine gewalttätige Eskalation zu vermeiden und die Blockaden wirksam werden zu lassen.
Das führt mich zu dem Schluss, dass der Schwarze Block in den Köpfen der meisten TeilnehmerInnen der Demo des 2.Juni eine zeitweilige Form ist, ein Schwarm, und nicht die “Armee der Bewegung”. Er übernimmt eine ästhetische Form, die eng verbunden ist mit Einflüssen der autonomen Bewegung in der BRD der 80er Jahre, sowie der angelsächsischen anarchistischen Bewegung, die besonders in Kämpfen um die Umwelt aktiv ist. Er ist demnach eine zeitweilige Form, eine Art intelligenter Mob mit einer langen Geschichte radikalen Widerspruchs in Europa und den USA. Das Tragen schwarzer Kleidung und das Verhüllen der Gesichter ist von praktischem Nutzen in Zeiten verallgemeinerter Videokontrolle. Darin spiegelt sich auch die Resonanz kraftvoller Symbole des Widerstands wieder, wie es die Balaklava ist. Von den ZapatistInnen 1994 bis Carlo Giuliani in Genua 2001 verhüllen die RebellInnen ihre Gesichter, um gesehen zu werden.
Die Auseinandersetzungen des 2.Juni und der folgenden Tage stellen die dringende Frage danach, wie dem repressiven Apperat zu reagieren ist. Pazifismus und seine Ethik kann kein Alibi für Ohnmacht sein, oder schlimmstenfalls, wie im Fall von ATTAC, für die Kollaboration mit dem repressiven militärischen Apperat. Wie dem auch sei, es gab konsequente PazifistInnen, die ich sah, als sie für den Versuch eine Polizeikette zu durchbrechen Schläge und Gasladungen ins Gesicht bekamen, als sie sich in einer Blockade widersetzten von Hunden gebissen und mit Knüppeln malträtiert wurden. Nichts desto trotz müssen wir in einem weiter gefassten und koordinierteren Sinne zusammenarbeiten, um dazu in der Lage zu sein autonome Räume zu verteidigen – in der Stadt wie auf dem Land – Streiks zu verteidigen, Straßen- und Schienenblockaden, Demos und Treffen, in einem zunehmned militarisierten Belagerungszustand, in Mexiko ebenso wie in Europa.
Deshalb denke ich, dass die Clowns, die Du so bewunderst, auch keine angemessene Antwort auf diese Dinge sind. Sie haben eine sehr positive Rolle in der Verwirrung und Delegitimierung der Autorität und Aggression der Polizei, aber wir können nicht alle Clowns werden, genausowenig werden wir Panzer nicht immer mit Blumen aufhalten können. Wir brauchen alle, wir können niemanden in dieser Bewegung und diesem ungleichen Kräfteverhältnis ausschließen.
Nebenbei gesagt, wir werden die Blumen immer lieben, aber die Tage, in denen Blumen in Gewehrläufe gesteckt wurden sind vorbei. Die Bilder von Militärhubschraubern, die über die Köpfe tausender unbewaffneter DemonstrantInnen flogen, Kampfeinheiten der Polizei absetzten, Tränengas, Wasserwerfer und Pferde gegen eine wehrlose Menge sprechen vom Irrsinn und der Gefährlichkeit des Polizeiapperats unserer Tage.
Das ist nicht unbedeutend. Verglichen mit diesem Phänomen reagieren die meisten radikalen Gruppen nicht mit Militarisierung; im Gegenteil gibt es ein Bewußtsein und die Zurückweisung symmetrischer Gewalt, hierarchischer Organisation und Autorität. Dennoch heißt dies nicht, dass es keine Suche nach Formen der Macht gibt, nach Wegen die Kräfteverhältnisse durch asymmetrische Formen des Widerstands und des Angriffs zu verändern.
Ich hoffe, ich habe ein paar Fragen beantwortet und vielleicht einige Zweifel ausgeräumt. Wie dem auch sei, alles befindet sich in einem offenen Diskussions- und Schaffensprozess; das ist der positive Aspekt der heutigen Bewegung. Rostock war ein partieller, aber ermutigender Sieg. Wir werden weitergehen und diskutieren.
Grüße,
Vittorio
III
Werter Vittorio,
Wir sind uns in vielem einig, aber nicht in allem. Die Frage der Zusammensetzung des “black block” (oder vielleicht “black non-block”) ist nicht so wichtig – auch wenn ich weiterhin allen Gruppen gegenüber misstrauisch bleibe, die sich hauptsächlich aus jungen Männern zusammensetzen, und ich wäre noch misstrauischer gegen solche, die aus alten Männern bestünden. Ich stimme zu, dass es wichtig ist die Demo im Zusammenhang der Aktionswoche zu sehen, wo die Atmosphäre mit Sicherheit eine sehr gut war, eine respektvolle Einheit-in-Vielfalt. Ich stimme ebenfalls zu, dass Gewalt nicht der zentrale Punkt ist: mein Argument ist kein pazifistisches. Und doch hört dieses ganze Ding mit dem Steineschmeissen nicht auf, mich umzutreiben.
Lass mich noch einmal betonen, dass ich diejenigen respektiere, die Steine auf die Polizei werfen. Aber für mich kann Respekt nicht einfach eine Seite-an-Seite Ko-Existenz bedeuten: es bedeutet zu sagen “Wir sind GenossInnen, deshalb müssen wir offen über unsere Differenzen und Zweifel diskutieren.” Das ist es, worum es in diesen Zeilen geht.
Wir sind im Krieg. Lass uns von dort anfangen. In den letzten 20 Jahren oder so (und besonders den letzten 5 Jahren) haben wir eine enorme Intensivierung kapitalistischer Gewalt gegen die Menschheit erlebt. Wir können dies als Vierten Weltkrieg bezeichnen (wie die ZapatistInnen es nennen) oder als Krieg aller Staaten gegen alle Menschen (wie Eloìna und ich es in einem Artikel vor wenigen Jahren bezeichneten). Die Frage ist dann, wie wir diesen Krieg bekämpfen.
Die Vorstellung des Krieges ist vielleicht unglücklich, weil sie üblicherweise eine Symmetrie suggeriert: eine Armee kämpft gegen eine andere Armee, und es gibt nicht viele Unterschiede zwischen den Organisationen (den sozialen Beziehungen) der beiden Seiten. Im Allgemeinen spielt es keine große Rolle, welche Seite gewinnt: In jedem Fall bedeutet der Krieg und die ihn begleitende Militarisierung eine Niederlage für die Menschheit, für die Art sozialer Beziehungen, die wir aufbauen wollen. Im Allgemeinen ist es die zahlenmäßig größere, besser ausgerüstete, auf schlauere Art aggressive Seite, die gewinnt.
Es gibt zwei Probleme, wenn wir uns den Kampf um eine neue Welt in diesen symmetrischen Begriffen denken. Erstens würden wir voraussichtlich verlieren: Es gibt keinen Weg, wie wir mit der militärischen Macht der kapitalistischen Staaten gleichziehen können. Und zweitens, was noch wichtiger ist: symmetrische Organisierung bedeuted, dass wir die sozialen Beziehungen reproduzieren, gegen die wir kämpfen.
Die Frage ist, wie wir es uns vorstellen, diesen Krieg auf asymmetrische Art zu bekämpfen. Die enorme Stärke der Blumen in den Gewehren und der Clowns, die der Polizei gegenübertreten ist, dass sie diese Asymmetrie betonen. Sie sagen klar: “Unsere Stärke ist es, dass wir nicht sind wie ihr, und dass wir niemals wie ihr sein sollten”.
Du weist darauf hin, dass Clowns und Blumen wichtig sein mögen, dass sie aber nicht genug sind. Du sagst “wir müssen in einem weiter gefassten und koordinierteren Sinne zusammenarbeiten, um dazu in der Lage zu sein autonome Räume zu verteidigen – in der Stadt wie auf dem Land – Streiks zu verteidigen, Straßen- und Schienenblockaden, Demos und Treffen, in einem zunehmned militarisierten Belagerungszustand, in Mexiko ebenso wie in Europa. Deshalb denke ich, dass die Clowns, die Du so bewunderst auch keine angemessene Antwort auf diese Dinge sind”. Aber was bedeutet “verteidigen”? Es bedeutet nicht in einem absoluten Sinne “verteidigen”. Die bewaffnete Macht des Staates überwältigt SteinewerferInnen ebenso einfach wie Leute, die Blumen tragen oder Clowns. Tatsächlich muss verteidigen als abbringen verstanden werden. Wie bringen wir den Staat davon ab, die volle Kraft seiner bewaffneten Macht auszuüben? Ist Steine werfen in dieser Hinsicht effektiver als Blumen tragen?
Wahrscheinlich nicht, denn der abbringende Effekt ist keine Frage physischer Stärke sondern eine Frage der Resonanz: der Resonanzen, die die TeilnehmerInnen erfolgreich überall in der Gesellschaft erzeugen können. Vor allem diese Resonanzen sind es, die staatlichem Handeln Grenzen setzen: der Grad, in denen die Resonanzen den Staat die sozialen Reaktionen fürchten lassen, die gewaltsamer Repression folgen könnten. Wenn wir in Begriffen von Resonanzen und Reaktionen denken, müssen wir uns fragen: Ist es für den Staat einfacher einer Gruppe SteinewerferInnen mit Repression zu begegnen oder einer Gruppe BlumenträgerInnen? Gewaltsame Repression ist in beiden Fällen möglich, aber ich denke, im Falle der SteinewerferInnen ist es für den Staat einfacher.
Nimm zum Beispiel die ZapatistInnen. Wie erklären wir uns die Fähigkeit der ZapatistInnen, der gewaltsamen Repression des Staates (bislang) zu widerstehen. Nicht so sehr in Begriffen von “Verteidigung” als in Begriffen des Abbringens. Die ZapatistInnen haben den Staat von gewaltsamer Repression abgebracht, indem sie sich zur Selbstverteidigung bewaffneten, aber vielmehr noch durch ihre Communiqués, die so große Resonsnz überall in der Welt fanden. Vielleicht sollten wir die ZapatistInnen als bewaffnete Clowns sehen: bewaffnet zu sein aber stets auf eine Weise zu handeln, die ihr asymmetrisches Verhältnis zum Staat betont. Ihre Flucht mit marimba und allem, als die Armee am 9.Februar 1995 angriff, ist ein herausragendes Beispiel dafür. Vielleicht ist es die größte Stärke der ZapatistInnen, dass sie Krieg immer als eine Frage der Ästhetik verstanden haben, als Theater. Damit unterscheiden sie sich in Mexiko von der EPR, die eine klassische bewaffnete Organisation darstellt und nie erfolgreich im Erzeugen von Resonanzen war (oder es vielleicht nie versuchte), die eine Verteidigung gegen den Staat darstellen.
Wer ist radikaler, die EZLN oder die ERP? Für mich ist es ohne Zweifel die EZLN, weil sie den Kampf immer wieder überdenken, und vor allem weil sie weitaus asymmetrischer sind in ihrem Verhältnis dem Staat gegenüber. Aber ich kann sehen, dass einigen Leuten Gruppen wie die EPR radikaler erscheinen, weil sie nach einer direkteren und konfrontativeren Auseinandersetzung mit dem Staat aussehen.
In seinem Kampf gegen uns versucht der Staat immer wieder die sozialen Resonanzen auf unsere Bewegung zu schwächen, zum Teil dadurch, dass er uns in direktere, symmetrischere Konfrontationen drängt. Wenn ihm das gelingt, wird die offene Repression für ihn politisch einfacher. Das ist meine Sorge: nicht eine moralische Verurteilung des Steinewerfens, sondern dass das radikaler erscheinende tatsächlich das weniger radikale ist und den Kampf gegen das Kapital schwächt.
Wenn wir über die Sache in Begriffen des Vierten Weltkriegs nachdenken, und wie wir diesen Krieg bekämpfen, dann würde ich als ein Prinzip der Wirksamkeit des Kampfes vorschlagen, dass unser Kampf asymmetrisch sein muss zu dem des Kapitals. Asymmetrie (eine klare Bekundung, dass wir nicht sind wie sie, und niemals sein werden wie sie) ist zentral für die Stärke anti-kapitalistischer Resonanzen. Es sollte Raum für Leute geben, die Steine werfen, aber es muss auch Raum geben für die Leute, die sagen, dass Steinewerfen keine sonderlich wirksame Art ist zu kämpfen (und dass Gewehre sicherlich ein noch weniger effektiver Weg wären).
Grüße
John
IV
Werter John
Durch einen seltsames Aufeinandertreffen lese ich diese Zeilen, während ich von Mexiko nach Italien zurückreise. Ich musste aus persönlichen Gründen zurückreisen, heute, da in der Stadt Oaxaca eine neue Konfrontation befürchtet wird, wo ich letzte Woche war, als tausende Menschen, die das populäre Fest Guelaguetza feiern wollten, sich gewaltsamer Repression der Polizei und der Armee gegenüber sahen, was dazu führte, dass viele Männer und Frauen verhaftet oder verletzt wurden.
Die Realität der Gewalt, ihrer Androhung und Anwendung gegen die NonkonformistInnen, wird immer und immer wieder dargestellt als die Realität der Unterdrückung, der Ungleichheit, der Ausbeutung. Das heißt, als eine soziale Beziehung.
Und ebenso als eine Form der Organisation militärischer und militarisierter Gruppen und Apperate, wie die Armee und die Polizei es sind. Die Geschichte dieser Leute ist voll von dieser Gewalt,in ihrer Erinnerung bewahren sie, in Amerika wie in Europa, eine lange Kette von Übergriffen, Ungerechtigkeiten, ungesühnte Verbrechen, die diese Organisationen begangen haben, die existieren, um Staat und Kapital zu verteidigen.
Nun hat uns unsere Diskussion zu einigen interessanten Punkten geführt, an denen ich nach wie vor nicht mit Dir übereinstimme:
Ich stimme Dir zu, was den Aspruch auf Asymmetrie angeht. Es ist von großer Wichtigkeit und in Bezug auf die gegenwärtige Situation von großer Bedeutung. Wenn man von der Ungleichverteilung der Macht in den gegenwärtigen sozialen Kräfteverhältnissen ausgeht, ist es vernünftig zu denken, dass radikale Veränderung nicht durch eine symmetrische Revolution erreicht werden kann, einer Art auf den Kopf gestellten Welt, sondern vielmehr durch einen diagonalen Wandel, ein Zerreißen, tausende Brüche. Diese Perspektive hat offenkundig einen Einfluss auf die politische Praxis und damit auf Praktiken der Konfrontation mit den etablierten Mächten. wie auch immer, ich glaube nicht, dass sie direkte Konfrontation ausschließt. Ich sehe die Notwendigkeit, verschiedene Aktionsformen in dieser asymmetrischen Konfrontation zusammenzubringen, in gleicher Weise, wie wir die Formen der Überwindung gewaltsamer Unterdrückung zur Herstellung ausbeuterischer Beziehungen stark von kulturellen Unterschieden und unterschiedlichem historischen Erbe abhängt. Zum Beispiel bedeutet die gleiche Praxis der Teilnahme an einer Demonstration gegen den G8 in der BRD etwas ganz anderes als heute Morgen in Oaxaca, gegen das Verbot des Guelaguetza durch die autoritäre PRI Regierung, in Pakistan, Guinea Conacry oder Kolumbien wiederum kann die Teilnahme an einer Demonstration bedeuten, dass man sein Leben riskiert. In diesem Kontext ist die Gewalt, die Menschen zu ihrer Verteidigung anwenden, von verschiedener Form und Natur als die Gewalt, die von den Mächtigen angewendet wird. Sie hat verschiedene politische Ziele, antwortet auf unterschiedliche Kriterien, der Verteidigung der Würde und nicht der Auferlegung einer abstrakten Ordnung und Legalität.
Offensichtlich geht es aus um Aspekte der Symetrie und Formen der Koordination. Wenn wir an eine asymmetrische Konfrontation mit der Macht denken, können wir die Frage der Organisierung nicht ausblenden. Unser Handeln muss spontan und kreativ sein, aber es muss auch mit anderen koordiniert und organisiert sein, und drei grundsätzlichen Aspekte der Entwicklung jedweder recolutionärer Politik bedenken: Zeit, Raum, und, wie Machiavelli hervorhebt, Gelegenheit. In Bezug auf die gewaltsame Konfrontation mit der Staatsmacht sagst Du:
“Erstens würden wir voraussichtlich verlieren: Es gibt keinen Weg, wie wir mit der militärischen Macht der kapitalistischen Staaten gleichziehen können. Und zweitens, was noch wichtiger ist: symmetrische Organisierung bedeuted, dass wir die sozialen Beziehungen reproduzieren, gegen die wir kämpfen.”
Dem stimme ich nicht zu. Wenn wir annehmen, dass wir uns im “Vierten Weltkrieg” befinden und wir davon ausgehen, dass die Gewalt der Macht nicht einfach defensiv ist, d.h. sich nicht verhält wie eine Polizeibeamte, die eine Bank bewachen, sondern als Diebe, die in unser Haus einbrechen, um zu stehlen, dann müssen wir Verteidigung als eine Notwendigkeit nachdenken, und uns auch mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass asymmetrische Formen der Konfrontation auch die militärische Macht kapitalistischer Staaten in eine schwierige Position bringen könnte.
Wenn wir denken, dass es nicht möglich ist, dass es nicht möglich ist die Unterdrückung durch die bewaffneten Gruppen des Staates zu beenden, dann bliebe die symmetrische Konfrontation zum Erringen der Macht (und Kontrolle über die repressiven Körperschaften) wieder einmal als einzige tragische Option für uns, die wir unterhalb sind.
Mein zweiter Kommentar betrifft Deine Erwähnung der EZLN. Ich stimme Deiner Beobachtung über den theaterartigen und rituallen Charakter dieser Armee indigener Bäuerinnen und Bauern zu. Aus ihrem Blickwinkel habe ich gehört, dass sie die Militärs sogar als “Bruder” ansprechen. Die ZapatistInnen entmenschlichen den Feind nicht, sie versuchen sein menschliches Gesicht zu wahren, und, bis zu diesem Moment, konnten sie es trotz zahlloser Verbrechen paramilitärischer Gruppen einen Bruderkrieg vermeiden. Ihre Form des politischen Kampfes war ohne jeden Zweifel etwas Besonderes und die Tatsache, dass der Konflikt im Südosten Mexikos nicht, wie 10 Jahre zuvor in Guatemala, in einem Blutbad endete, ist ohne die Spur eines Zweifels etwaws positives und liegt zu einem Teil an der EZLN selbst.
Dennoch müssen wir sehen, dass die EZLN eine Neigung zum Krieg hatte und noch immer hat. In diesem Sinne, denke ich zum Beispiel nicht, dass diese Organisation als mehr oder weniger radikal als die EPR betrachtet werden solte. Bis heute hat diese Organisation einen Modus Operandi, der viel näher an Formen der Vergangenheit, offener konfrontativ und auf die feindliche Armee fokusiert; dennoch ergreifen sie trotz ihrer klaren marxistisch-leninistischen Positionierung ausgesprochen asymmetrische Formes des Guerillakrieges, wenn diese zu einem taktische Vorteil führen. Aus unsereer Perspektive können wir vielmehr sagen, dass die EZ die Fähigkeit hat ihre Formen der politischen Aktion anzupassen und neue zu erfinden, dass ihre Erfahrungen im “asymetrischen” Kampf eine gute Basis für mgliche Formen revolutionären politischen Kampfes in der nahen Zukunft darstellen.
Trotz unserer Differenzen stimme ich mit Dir darin überein, was die Sorge über die Notwendigkeit betrifft, asymmetrische Kämpfe in der anti-kapitalistischen Bewegung zu einem Wert werden zu lassen, unsere Ablehnung des Systems in einer negativen, nicht-dialektischen Weise auszudrücken.
Den “Vierten Weltkrieg” ernst zu nehmne bedeutet anzuerkennen, dass es ein System der Gewalt gibt, dass gegen uns aufgestellt wurde. Deshalb kann unserer Strategie der Konfrontation nicht vorgeworfen werden, die Repression ausgelöst zu haben; vielleicht kann sie den Medien Elemente zu ihrer Rechtfertigung bereitstellen, aber auch hier wissen wir, dass letztere auch auftreten kann, ohne einer gültigen Entschuldigung zu bedürfen.
Du sagst: “Vor allem diese Resonanzen sind es, die staatlichem Handeln Grenzen setzen: der Grad, in denen die Resonanzen den Staat die sozialen Reaktionen fürchten lassen, die gewaltsamer Repression folgen könnten.” Die Resonanzen auf unsere Aktionen können tatsächlich eine Grenze setzen, den Staat von etwas abbringen, und es wird ohne Zweifel Demonstrationen und Aktionen geben, wo es besser sein wird mit Blumen zu werfen als mit Steinen. Aber wie die jüngste Geschichte von Oaxaca zeigt, gibt es Momente, in denen klar wird, dass die Gewalt von oben kommt, gegen unsere Blumen und unser Tanzen.
Wir haben unsere Diskussion in den Protesten gegen den G8 in der BRD bekonnen und endeten in den Straßen von Oaxaca – wie es aussieht, ohne eine Schlußfolgerung…
Wir wissen, dass es eine anhaltende Konfrontation gibt, die sich aus vielen verschiedenen Konfrontationen zusammensetzt, und dass die Sicherheitsmaschinen aller Staaten gegen den “inneren Feind” militarisiert und organisiert werden.
Wie dem auch sei wissen wir, dass unser Sieg, aus einer revolutionären Perspektive betrachtet, nur in der Niederlage des Feindes und, zur gleichen Zeit, des Krieges bestehen kann.
Es wäre bedeutungslos einen Krieg zu gewinnen und die Würde zu verlieren.
Wie das möglich sein kann, können wir nur in der Praxis herausfinden.
Ciudad de México – Madrid, 23.Juli 2007
Vittorio
V
Werter Vittorio,
Du hast recht damit, dass wir nicht nur über Rostock reden, sondern über viele Situationen in der Welt, die unterschiedliche Antworten benötigen.
Wenn ich an Mexoko denke, so kommt mir in den letzten Tagen immer wieder ein Bild in den Kopf. Das berühmte Foto der zapatistischen Frau, die große bewaffnete Soldaten, die ihr Dorf überfallen wollen, buchstäblich zurückschubst. Dieses Foto wurde überall auf der Welt verbreitet und hatte ohne Zweifel enormen politischen Einfluss. Für mich illustriert es die Kraft der Asymetrie, aber es könnte argumentiert werden, dass es auch ein romantisches, unrealistisches Bild des Konflikts in Chiapas kreiert. Vielleicht wäre es eine Möglichkeit, den Dialog (für den Moment) mit diesem Bild zu beschließen – verstanden als eine Frage.
Ciao
John
Source: cactuz@so36.net