“In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod”
Unter diesen Motto haben sich die Revolutionären Zellen 1983 in einem längeren Text mit der Friedensbewegung und den weltweiten ökonomischen und politischen Umbrüchen auseinandergesetzt, die heute auch als Globalisierung verstanden werden. Zur Strategie der radikalen Linken sagten sie damals u.a., "wir müssen aus der fatalen Abhängigkeit von dem Friedensbündnis herauskommen und eigene Fronten aufmachen. Die Anlehnung und Orientierung an Themen und Verlaufsformen des Protest gegen die Stationierung bedeutet eine politische wie praktische Einengung, aufgrund derer sich die erklärten Ziele in ihr Gegenteil zu verkehren drohen. … Solange eine radikale Massenbewegung nicht in Sicht ist, die im Widerstand gegen imperialistische Vernichtungsstrategien zugleich die Machtfrage stellt, bleibt uns keine andere Wahl: Unsere Politik muss weiterhin auf eine Stärkung der Linken, auf ihre Radikalisierung und erweiterte Militanz abzielen. … Die Transformation der “bürgerlichen Demokratien”, die aus dem politökonomischen Umwälzungen resultiert, wird die legalen Handlungsspielräume der Linken weiter einengen, zumal dann, wenn die Bedingungen selbst eine Radikalisierung des Widerstandes erfordern. Dass die neuen sozialen Bewegungen keinen Schutz darstellen, in dessen Schatten sich Militanz organisieren lässt, hat die Friedensbewegung hinlänglich bewiesen. Eine radikale Linke, deren Selbstverständnis darin besteht, Widerstand immer wieder neu zu ermöglichen, muss sich eigene Strukturen von Subversion und Illegalität schaffen, um unberechenbar, unfassbar, unbesiegbar zu bleiben."
24 Jahre später scheint diese Analyse gleichzeitig fern und nah. Einerseits haben die Veränderungen der globalen Kräfteverhältnisse wie auch der politischen Rahmenbedingungen für emanzipative und linksradikale Politik in der BRD völlig neue Ausgangsbedingungen geschaffen. Andererseits hat der Verlauf der Proteste gegen den G8 gezeigt, dass die radikale und militante Linke mehr denn je in der Defensive ist. Und es müßte im erwähnten Zitat lediglich “Friedensbündnis” und “Stationierung” durch “Antiglobalisierungsbündnis” und “G8” ersetzt werden, um der Analyse ihre Aktualität zurückzugeben.
Anfang des Jahres wurde von verschiedenen linksradikalen Gruppen der unmittelbar vor dem G8-Treffen stattfindende ASEM Gipfel (Versammlung der europäischen und asiatischen Aussenminister) in Hamburg zum Anlass genommen, eine überregionale Demonstration zu organisieren, die gleichzeitig Auftakt für die Proteste gegen den G8 sein sollte. Im Unterschied zur Großdemo in Rostock war das Ziel eine linksradikale Mobilisierung, an die sich zwar andere Gruppen anschließen sollten, aber nicht ein breites Bündnis um den Preis der Aufgabe linksradikaler Inhalte. Die Mobilisierung zu dieser Demonstration war nur teilweise erfolgreich. Zwar gab es einen relativ großen linksradikalen Block, er war größer als bei Demos während der letzten Jahre, jedoch kleiner als bei der letzten großen linksradikalen Demo 1995 in Hamburg gegen das Radikal Verfahren. Der linksradikale Block blieb insgesamt weitgehend unter sich und es gelang nicht, nennenswert über die Szene hinaus zu mobilisieren. In der hinteren Hälfte der Demo fand sich dann zwar das politische Spektrum bis zur Linkspartei, doch von der Breite und den Zahlen blieb dieser Teil der Demo weit hinter deren, Möglichkeiten zurück. Die Interventionistische Linke hatte schon zuvor eine Beteiligung an dem Demo-Bündnis abgelehnt und vielmehr auf die Kooperation mit Attac, anderen Reformisten und NGOs in Heiligendamm gesetzt.
Die Stärke der Demo in der ersten Hälfte hat zwar dazu geführt, dass es von den Bullen bis zur Auflösung keine größeren Angriffe gab, ihr Wanderkessel war jedoch insoweit erfolgreich, dass auch wir nicht in die Offensive kamen. Die Demo war aber nicht stark genug, das politische Ziel, das Treffen im Hamburger Rathaus “anzugreifen”, zu erreichen. Daher war es richtig, die Demo am Rödingsmarkt aufzulösen.
Dies war räumlich der Punkt mit der größten Nähe zum Rathaus. So blieb uns wenigstens ein Moment der Unberechenbarkeit. Es uns dann jedoch nicht gelungen direkt, oder später im Anschluss, in die Innenstadt zu kommen. Statt dessen haben sich die Auseinandersetzungen, wie vielfach in den vergangenen Jahren, in das Schanzenviertel und vor die Flora verlagert. Eine reales Infragestellen oder eine Störung des Gipfels war so nicht möglich. Die üblichen kleinen Riots vor der Flora machen nicht nur deutlich, dass wir die Auseinandersetzung nicht an den Ort des Geschehens tragen konnten. Sie zeigen auch, dass es weder erfolgreiche Konzepte für ein Auflösungsszenario gibt, noch tragfähige Strukturen, die die politische Zielsetzung der Mobilisierung, trotz der Demoauflösung, in die Hände nehmen könnten.
Neben ihrer Funktion als (linksradikale) Auftaktveranstaltung zum G8 bekam die ASEM-Demo nach den norddeutschlandweiten Razzien vom 9.5.07 wegen der sogenannten “Militanten Kampagne” zusätzlich den Charakter einer Antirepressionsdemo. Nachdem es noch im Frühjahr nach verschiedenen Brandanschlägen im Zusammenhang mit- den Mobilisierungen nach Heiligendamm zunächst Streit in den Anti-G8 Bündnissen um Distanzierungserklärungen beispielsweise von Attac gegeben hatte, wurden nun die Razzien und das § 129a Verfahren der Bundesanwaltschaft einhellig als Kriminalisierung und Einschüchterung des globalisierungskritischen Widerstands zurückgewiesen.
Eine neue Dimension erreichten die Auseinandersetzungen allerdings nach der Demo gegen den G8 in Rostock am 2.6.. Sprecher von Attac verglichen Militante mit
Nazis und setzen sich für den Ausschluss und die Auslieferung von Militanten an die Bullen ein. Vertreter der Interventionistischen Linken distanzierten sich in ihren Stellungnahmen zwar nicht von militanten Aktionen, lösten sich jedoch nicht aus dem Bündnis mit Attac und anderen reaktionären Kräften. Nach der Demo von Rostock waren die Aktionen vor dem Zaun um Heiligendamm von politischer Selbstentwaffnung geprägt. Militante wurden vielfach behindert oder gar ausgeschlossen. Sich mit erhobenen Händen vor räumende Bullen zu setzen oder zu stellen, gilt der Mehrheit der GlobalisierungskritikerInnen als politisch angemessen. Bei diesem Spektrum handelt es sich überwiegend um ein junges studentisches Mittelklassenmilieu, dass wie die Friedensbewegung vor 25 Jahren keinen Begriff von den Grenzen formaler Demokratie, Systemgegnerschaft oder repressiver Durchsetzung von kapitalistischen Interessen hat. Im Kampf gegen die Castor Transporte im Wendland gab es in den letzten Jahren noch das brüchige Bündnisverständnis eines Neben-EinanderHer, wonach die militante Linke auf ihre Art zum Kampf gegen den Castor beiträgt, während bürgerlich orientierte Gruppen Strategien des zivilen Ungehorsams praktizieren, ohne sich offensiv zu distanzieren. Auch wenn das globalisierungskritische und das Anti-Atom Spektrum nicht deckungsgleich sind, zeichnet sich nun zum ersten’ Mal seit Jahren eine ideologische und praktische Zusammenarbeit der Mehrheit einer Protestbewegung mit den Bullen gegen militante Ansätze ab. Dem konnten die linksradikalen Gruppen, die auf das Konzept breiter Bündnisse gesetzt haben, nichts entgegensetzen. Der militanten Linken ist es nach der Demo in Rostock nicht gelungen, innerhalb der weiteren Linken ihren Begriff von Systemgegnerschaft gegen ein mörderisches Weltregime und einer entsprechende Wahl der Mittel deutlich zu machen. Dabei ist es völlig unerheblich, ob die Auseinandersetzungen auch oder sogar überwiegend von Provokateuren im Bullenauftrag getragen wurden. Von unserer Seite gab es kaum eine inhaltliche Vermittlung, warum sich Systemgegnerschaft die Wahl der Mittel nicht vorschreiben lässt und dass es uns dabei auf die Kräfteverhältnisse in Auseinandersetzungen, den Aufbau von Gegenmacht und unser Ziel von gesellschaftlicher Befreiung ankommt.
Es ist auch nicht gelungen, die Aktion schon aus sich heraus zu vermitteln. Da die Demo in Rostock einerseits von einem sehr heterogenen Bündnis getragen wurde und des weiteren bis zur Abschlusskundgebung überwiegend von einem Deeskalationsstrategie der Bullen geprägt war, stellt sich die Frage, ob es politisch klug war, eine Bullenwanne anzugreifen, die allein am Straßenrand stand. Wenn man jahrelang in Wanderkesseln auf Demos läuft, staut sich einige Wut auf. Diese hätte aber dann im Nachhinein offensiv politisch transportiert werden müssen. Satt dessen wurde das politische Feld der Demoleitung und Nachbereitung dem Spektrum von Attac bis zur Interventionistischen Linken überlassen.
Die Vermittlung linksradikaler Inhalte hat dagegen nach den Anti-G8 Hausdurchsuchungen in Hamburg und nach und vor der ASEM-Demo relativ gut geklappt. Neben Spontandemos und militanten Solidaritätsaktionen gab es Presseerklärungen, Interviews und Pressekonferenzen, bei denen ein Teil unserer Inhalte auch in den bürgerlichen Medien rübergekommen ist. In Fernsehen und Zeitungen wurde die Rechtsgrundlage und auch die taktische Sinnhaftigkeit der Repressionsmaßnahmen in Frage gestellt, weil eher ein Anheizen der Stimmung befürchtet wurde. Im Anschluss an die ASEM-Demo stritten sich SPD, Grüne und CDU, wenn auch auf eine verquere Art, über die demokratische Legitimität von Demo-Wanderkesseln. Die relativ große Demo in Hamburg unmittelbar nach den bundesweiten Haudurchsuchungen hat auch das linksradikale Mobilisierungspotential deutlich gemacht. Es war nicht verschwindend, allerdings auch nicht besonders stark.
Wenn mensch die Demosituation in Hamburg und Rostock vergleicht, dann war es in Rostock im Gegensatz zur ASEM Demo in Hamburg aufgrund der Masse der Leute objektiv möglich, offensiv gegen die Bullen zu agieren. In Hamburg haben wir diese Voraussetzungen nicht schaffen können. Die wenigen AktivistInnen und Gruppen haben sich mit aller Kraft und Konzentration ihrer Kapazitäten dafür eingesetzt dass überhaupt eine einigermaßen organisierte Demo und Aktionswoche gegen den ASEM und die G8 in Hamburg zustande kam. Nach der politischen Zielrichtung wäre es für Hamburg sinnvoll und vermittelbar gewesen, in die Innenstadt zu kommen und in Heiligendamm militant am Zaun zu agieren bzw. den Gipfel sonst materiell zu stören. Beides haben wir kaum realisieren können. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen, sollten wir unsere Kräfte klar einschätzen. Sie reichen für eine symbolisch militante Propaganda, mehr scheinen wir derzeit nicht hin zu bekommen.
Eine teilweise vergleichbare politische Isolierung wird am Beispiel der “Militanten Kampagne” in den letzten Jahren sichtbar. Der Hamburger Verfassungsschutz (VS) war zwar seit seinem Chef Lochte und unter seinem Nachfolger Uhrlau immer etwas weiter vorne als andere Repressionsorgane. Nach dem das Auto des Bildzeitungschefs Diekmann abgefackelt worden war, warb allerdings der jetzige VS-Chef Vahldieck dafür, dass die Militanten doch überlegen sollten, inwieweit ihre Strategie politisch tragfähig ist.
Daraus spricht zum einen, dass den Repressionsorganen zur Zeit nicht mehr besonders viel einfällt, um die erfolgten Anschläge aufzuklären oder weitere Anschläge zu verhindern. Dabei haben sie ihren Apparat in großem Umfang angeschmissen:
Im Rahmen der § 129a Ermittlungsverfahren, die üblicherweise mit umfangreichen Observationen von Verdächtigen und ihrem persönlichen Umfeld, mit Telefonüberwachung und Hausdurchsuchungen verbunden sind, wurden auch spezielle Methoden der “Rasterfahndung” bekannt: In mehreren Hamburger Postzustellungsbezirken wurde die ganze eingehende Post überwacht, um herauszufinden, wo Anschlagserklärungen eingehen. Um dann diese Briefkästen zu überwachen.
Ebenso wurden in Hamburg Filialen einer Drogeriekette, überwacht, aus denen vielleicht Materialien für die Brandanschläge stammen könnten. Gleichzeitig wurden die Sicherheitsbeauftragten von anschlagsrelevanten Unternehmen beauftragt, den eigenen Personen- und Objektschutz auszudehnen. Die Bullen wiederum versuchen, ihr Ringfahndungskonzept nach erfolgten Anschlägen zu verbessern. Die Sicherheitsapparate haben also einiges hochgefahren, was ihnen an Methoden seit der Fahndungsarbeit gegen die RZ oder die RAF zur Verfügung steht (und dabei geht es “nur” um Brandanschläge) scheinen
aber mit den Ermittlungen weitgehend im Dunkeln zu stochern, da es offensichtlich bisher noch keine Ergebnisse gibt, die für Haftbefehle gegen auch nur einen der Beschuldigten ausreichen würden
Zum andern hat der Hamburger VS aber auch ein Körnchen Wahrheit aufgedeckt. Die Anschläge gegen den Finanzstaatssekretär Mirow aus Hamburg, den Chef der Bildzeitung oder die Leiter einer Werbeagentur der Kampagne “Wir sind Deutschland”, sprechen in der radikalen Linken inhaltlich für sich selbst. Politisch haben sie jedoch vor allem den Charakter von Bestrafungs- und Propagandaaktionen: Nach dem Motto, dieser oder jener ist für diese oder jene Schweinerei verantwortlich. Die Aktionen bleiben genauso wie augenblicklich unsere Demos symbolisch, sie verdeutlichen Widerspruch, sind aber nicht in der Lage, zu einem politischen Richtungswechsel beizutragen oder Räume von sozialer Gegenmacht aufzubauen. Weil die radikale Linke und auch die sozialen Basisbewegungen so schwach sind, ergeben sich noch nicht einmal Ansatzpunkte für gemeinsame inhaltliche Kampagnen, die materiellen Druck aufbauen oder ausüben. Außerhalb der militanten Linken besteht die politische Relevanz der Anschläge weder in ihren inhaltlichen Begründungen oder in einer gewissen Quantität, sondern vor allem darin, dass sie von den Ermittlungsbehörden bisher nicht aufgeklärt oder verhindert werden konnten. Insofern sind die Anschläge auch von einer politischen Beliebigkeit getragen. Die Enteignungsaktionen der “Superheidinnen” und “Überflüssigen” haben dagegen zumindest soziale Phantasien ausgelöst. Ihre öffentlichen Aneignungs- und Verteilungsaktionen in Delikatessenläden oder Luxusrestaurants haben aus sich heraus auch nur den Charakter von symbolischen Aktionen, sprechen aber gleichzeitig mit ihrer Kritik ein allgemeines Bewusstsein von wachsender Ungleichheit und Verarmungsprozessen an. Die RZ haben sich Anfang der neunziger Jahre aufgelöst, weil sie keine Perspektive mehr sahen, militant in soziale (Massen)kämpfe zu intervenieren bzw. diese zu unterstützen. Inzwischen sind wir an einem Punkt, an dem es uns noch nicht einmal mehr gelingt, mit Straßenmilitanz politisch zu intervenieren und eine systemkritische Politik nach außen zu vermitteln. Die RZ von 1983 hatten Recht, “solange Massenbewegungen keine Machtfrage stellen können, muss unsere Politik weiterhin auf eine Stärkung der Linken, auf ihre Radikalisierung und erweiterte Militanz abzielen.” Aus unserer Sicht ergeben sich also folgende Fragen für die inhaltliche Klärung und für die Praxis der radikalen Linken:
Wie können wir das praktische Zusammenwirken der verbliebenen Reste der radikalen Linken stärken?
Uns wäre wichtig, dass wir dazu innerhalb der radikalen und militanten Linken eine Debatte hin bekommen. Wobei wir unter Militanz diejenigen Aktionsformen verstehen, die sich dem herrschenden Handlungsrahmen entziehen und inhaltlich danach bemessen, wie wir einer herrschaftsfreien Gesellschaft näher kommen.
Die Debatte der “Militanten Gruppe” um ihre Militante Plattform hat dazu nicht wirklich weiter geholfen. Dort wurde abstrakt zur historischen Ableitung von Widerstands- und Politikformen doziert ohne konkret deutlich zu machen, wie militante und radikale Politik heute zu einer Stärkung von sozialer Widersprüchlichkeit hin zu einem Systembruch beitragen kann. Dabei setzen wir voraus, dass sich die radikale und militante Linke kontinuierlich mit diesen Fragestellungen beschäftigen muss. Das braucht nicht immer in der Öffentlichkeit zu geschehen. Es kann unter Umständen sinnvoller sein, bei der Vorbereitung von konkreten Aktionen und Kampagnen im kleinen Kreis genau zu diskutieren, wie Inhalte und Aktionsformen zur Stärkung von sozialen Widersprüchen bzw. der radikalen Linken beitragen. Ein weiter so wie bisher wird uns nicht weiter helfen. Das wäre für die radikale Linke heute der tödliche Mittelweg.
[zeck 139]