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2007-06-13

jochen stay in jungle world: Die Faust öffnen!

Nummer 24 vom 13. Juni 2007

Die Militanten verdienen keine Solidarität. Ein Plädoyer für den gewaltfreien Widerstand. von jochen stay

Ist es politisch zielführend, aus einer Bündnisdemonstration heraus Verkehrspolizisten anzugreifen, ein Mittelklasse-Auto abzufackeln, sich dann hinter Familien mit Kindern zu verstecken und aus der 23. Reihe Flaschen und Gehwegplatten so zu werfen, dass mehr Demonstranten durch »friendly fire« verletzt werden als gut gepolsterte Beamte? Michael Kronawitter von der Antifaschistischen Linken Berlin konnte sich in der jungen Welt vom 4. Juni darüber freuen, »Berliner Polizisten auch mal rennen zu sehen«, auch weil angeblich »in den letzten Jahren die Polizei den Ablauf von Protesten bestimmt« habe. Aber was ist daran politisch? Was ist daran solidarisch? Und wieso meinen Leute, die sich auf einer Demonstration so verhalten, hinterher müssten alle mit ihnen solidarisch sein?

Ich gebe zu: Mich macht das auch deshalb so ärgerlich, weil mir diese Erfahrungen nicht neu sind. Ich fand es schon in Wackersdorf unerträglich, dass mir, während ich am Zaun sägte, von hinten mit der Zwille Stahlkugeln um die Ohren geschossen und Leute neben mir von Mollis getroffen wurden. Und das Lachen mancher über die ach so militanten Oberpfälzer Bauern blieb dann doch im Halse stecken, als man erfuhr, dass die auch ganz selbstverständlich zu Hause ihre Frauen schlugen.

Massenmilitanz ist zu dynamisch, als dass sie kontrollierbar wäre. Das gilt genauso für Aktionen Einzelner, siehe den Mord an zwei Polizisten an der Startbahn West 1987. Leider sind diese Desaster anscheinend schon zu lange her, um heute noch eine Rolle zu spielen.

In der in den Anti-G8-Camps geführten Debatte um die Gewaltfrage kamen viele der Anhänger von Militanz mit Argumenten, die stark an diejenigen erinnern, mit denen früher für die Prügelstrafe in der Kindererziehung geworben wurde. Wer sich aber die bessere Welt mit der Verbreitung von Angst und Schrecken schaffen will, der muss wahrscheinlich lange auf sie warten. Revolutionen werden meist dadurch gewonnen, dass die Regierungstruppen zur Opposition überlaufen, weil sie deren Argumente nachvollziehen können, und nicht, weil sie Angst vor ihr haben.

Glücklicherweise wurde die Diskussion nach dem Rostocker 2. Juni auf überzeugende Weise mit den Blockadeaktionen am 6. Juni abgeschlossen. Kronawitter hatte noch kurz davor spekuliert: »Militanz heißt, nicht noch die andere Wange hinzuhalten, sondern auch mal zurückzuschlagen. Das wird in den kommenden Tagen sicher passieren.« Da hat er sich gründlich getäuscht.

Gelernt haben also viele was in den Tagen rund um Heiligendamm, einerseits über die politisch vernichtende Wirkung von Massenmilitanz – hatten wir doch vor der Ros­tocker Demonstration die Auseinandersetzung um den Gipfel quasi schon gewonnen. Und andererseits über die politisch erfolgreiche Wirkung offensiver gewaltfreier Aktion – hatten wir die Sache nach der Demons­tration doch quasi schon verloren. Eine Rostocker Zeitung schrieb: »6 000 gelangten am Mittwoch nahezu ungehindert am Kontrollpunkt Galopprennbahn an den Zaun. Ein Durchbruch bis in den Tagungsort wäre kein Problem gewesen. Es ist vor allem den Demonstranten zu verdanken, dass es keinen Angriff gab, der vermutlich in einer Katastrophe geendet hätte.« Diesen Ablauf hat nicht die Polizei bestimmt, sondern wir selbst, und das macht uns stark.

Viele haben beim Training der Kampagne »Block G8« in den vergangenen Monaten gelernt, wie ein entspannterer Umgang mit der Polizei nicht weniger, sondern mehr Erfolg ermöglicht. Die Gipfel-Blockaden und die zum dort Ankommen angewandte flexible »Fünf-Finger-Methode«, mit der man Polizeiketten auseinanderzieht, haben es gezeigt.

Gewaltfreies Handeln wird häufig falsch verstanden als passives Stillhalten. Das Gegenteil ist der Fall: Gewaltfreies Handeln ist ein aktives Prinzip, das ermutigt und befähigt, Unrecht und Gewalt gezielt entgegenzutreten. Gewaltfreie Aktion kann also durchaus als Angriff auf das staatliche Gewaltmonopol verstanden werden. Viele gewaltfreie Aktivistinnen und Aktivisten gestehen dem Staat nämlich gerade nicht zu, Gewalt auszuüben. Sie sehen aber auch nicht ein, nur weil der Staat Gewalt anwendet, dies auch machen zu müssen, sondern suchen intelligentere Wege – die dann manchmal bis nach Heiligendamm führen.

Der Autor ist aktiv bei X-tausendmal quer, der Gruppe, die das Fünf-Finger-System in die Kampagne »Block G8« eingebracht hat.

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