10. Juni 2007
Es waren die über 200 Reihen in Ketten laufender Leute, jeweils 8 bis 12 in einer Reihe und eine Genossin aus Berlin, die mir zuflüsterte "wegen der Greiftrupps", die meine schlafenden Gedanken über den 'black bloc' wieder erweckten. Der schwarze Block ist sehr lebendig in Europa. Den recht erfolgreichen Fähigkeiten dieser AntikapitalistInnen zusammenzukommen und wütend zu werden ist es zu verdanken, dass es während der letzten Jahre überall auf dem "alten Kontinent" Riots gab. Viele. Und bei den Anti-G8-Protesten der vergangenen Woche waren Riots das Gesprächsthema bei einer ganzen Menge Leute. Die verschiedenen communities, Kollektive, Föderationen und Gruppen von Autonomen und AnarchistInnen, die sich in Reddelich versammelten und trafen - dem 'radikalen' Camp wenige Kilometer entfernt von dem Ort, an dem sich die Oligarchen der G8 trafen - brachten ihre Erfahrungen und Gedanken zum Thema ein, Nationalitäten wurden zum strategischen Aspekt.
Voller Stolz teilten die "totos" aus Frankreich ihre Erlebnisse darüber mit den anderen, wie es losging mit dem spontanen Widerstand nach der Wahl Sarkozys, der zum Abfackeln von mehr als 100 Autos führte, über die Riots in den Banlieus und über die Kämpfe gegen die CPE. Leute aus Griechenland erzählten ihre Geschichte über die grimmigen Schlachten um die Universitäten in Athen und die verschidenen Blockaden, die sie gegen den Staat errichteten. Scharen von KämpferInnen, die gerade aus Kopenhagen gekommen waren erinnerten die Leute daran, dass die Straßenschlachten auch zwei Monate nach Räumung des Ungdomshuset weitergehen und nach Samstag, dem 2. Juni in Rostock konnten die Deutschen einen weiteren Riot in ihren Kanon aufnehmen, sowie einen fast stattgefundenen Plan B(erlin) Riot am Freitag, den 8. Leider konnten wir von den kleinen nordamerikanischen Brigaden nur sehr wenige Erfahrungen beitragen.
Die Gelegenheit an der Schocktherapie eines Aufruhrs teilzunehmen war offenkundig Anreiz genug, um in der vergangenen Woche gegen den G8 zusammen zu kommen, was aber vor dem Hintergrund geschieht, dass AnarchistInnen dazu in der Lage sind, kollektive Berichte über ihre Erfahrungen des letzten Jahres zu geben. Daraus vorsichtig Schlüsse daraus zu ziehen und zugleich unmittelbar zur Tat zu schreiten. Die ersten Demonstrationen und 'Ausbrüche' kamen aus der Überlegung, welche Methoden gegen die deutschen Cops angewendet werden können, aber vor allem welche Strategien von den verschiedenen Stämmen verwendet werden - den Briten, ItalienerInnen, FranzösInnen, Deutschen, usw. Die Debatte kreiste nicht länger um abstrakte Szenarien, sondern kamen aus absolut realen Erfahrungen.
Für einige beendete der Riot den Mythos, dass die deutschen 'Autonomen' verschwunden seien, jene behelmten Rebellen der 80er, während für andere bereits die beeindruckende Geschlossenheit des 'deutschen' Blocks mit seiner eindrucksvollen defensiven Formation ausreichte (die in vielen der anderen wilden Teams fehlte, und die daher über die Lücken und Löcher in ihren Reihen einfach aufgebrochen werden könnte). Wie auch immer, die vielen hunderte unserer deutschen GenossInnen hatten ein so großes maskiertes Kontingent für viele Jahre nicht gesehen. Es ist kein Zweifel daran, dass sich einiges getan hat an der internationalen Front zwischen dem black bloc und den verschiedenen Polizeiapparaten samt jenen, die sie beschützen.
Was könnte solche Veränderungen bewirkt haben? Wenn die Repression nach dem 11.September in der ein oder anderen Form zu einer Ablehnung offensiver Taktiken in den letzten Jahren geführt haben könnte, wie verstehen wir dann das plötzliche und entschlossene Wiederaufleben dieser Praxen? Werden nicht auch in Europa Methoden der Kontrolle auf historisch noch nie dagewesene Weise angewendet? Es scheint wichtig zu fragen, weshalb Nordamerika wieder einmal nicht dazu fähig ist, sich dieser wiedergewonnenen Begeisterung für Riots anzuschließen.
Es ist eine Weile her, dass wir in Kanada zu einer 'black bloc' Demo gefahren sind, sei es eine die explizit dazu aufgerufen hatte, wie die "Take the Capital" Demo 2002 oder solche, in denen implizit nahegelegt wurde sich in schwarz zu kleiden und sich mit den wütenden Brüdern und Schwestern zusammenzutun, wie es 2004 bei der von Clac Logement organisierten West mount Demontration der Fall war (möge Euer Revival flott und nutzbringend vonstatten gehen!). Sicherlich hat es überall in Kanada umherwirbelnder Krümel von Riot und Widerstand gegeben in den letzten 6 Jahren - einige Punks zerschlugen am letzten 15 März nach der alljährlichen COBP Demo gegen Polizeigewalt einige Scheiben, aber es gab da sicher nicht die unausgesprochene Übereinkunft in den Köpfen der AnarchistInnen zusammen zu kommen, wütend zu werden und die Taktik zu benutzen "im Herzen des Kapitalismus zuzuschlagen und ihnen gehörig Angst einzujagen", wie ein leidenschaftlicher Italiener es auf einem der häufigen 100-Leute+ Plena autonomer Bezugsgruppen formulierte. Diese Zeit scheint an uns vorbei gegangen zu sein, keine Ahnng warum. Ein Grund dafür liegt, so nehmen wir an darin, dass der Diskurs ein so strenger geworden ist, und dass die Gespräche darüber nicht stattfinden, weil die Leute nicht wirklich daran glauben, dass die Möglichkeit besteht. Selbst beim StudentInnenstreik 2005 mit den nächtlichen Barrikaden vor CEGEP Vieux Montréal und den verschiedenen Blockaden und Besetzungen können wir uns nicht an Überlegungen erinnern, einen Riot zu beginnen. Brennende Autos und Kämpfe mit den Bullen in Kanada? Nun, da hat es Queens Park und Quebec City gegeben (die freilich niemand von uns je als Plan Q bezeichnete) aber diese Ereignisse scheinen uns zu weit entfernt in der Erinnerung zu liegen, um darauf aufbauen zu können. Wie können wir, kollektiv oder individuell, klar machen, dass der Kapitalismus und das ganze System, dass ihn am Leben erhält unsere Seelen auffrisst und Millionen Menschen auf der Welt umbringt? Der nationale Mythos der moralischen, freundlichen und vor allem friedfertigen Kanadier lässt sehr wenig Raum, um Zorn und Wut zu artikulieren.
Nach Genua schien die Perspektive Riot für die meisten Anti-KapitalistInnen auf der Welt außer Reichweite zu liegen. Aber voilà! Nur einige Jahre später, und trotz einer bis dahin ungekannt erdrückenden Polizeipräsenz, scheint die Bewegung ihre Fähigkeit, den Riot als eine Taktik zu nutzen wiedergefunden zu haben. Der Gedanke drängt sich auf, dass die verschiedenen Dispositionen im Umgang mit dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima unmittelbar mit der Repression zu tun haben, die verschiedene Organisationsformen auf sich ziehen. Es gilt, eine Verbindung herszustellen zwischen den verschiedenen Formen, in denen wir uns organisieren, den Arten von Beziehungen, die wir leben und unserer Disposition zu Riots.
Ein Riot führt uns zu bestimmten Typen von Verbindungen, die von grundlegender Bedeutung für seine Durchführung sind. Der Modus der spontanen Organisierung in kleinen Bezugsgruppen - und da ist der black bloc nur eine der möglichen Manifestationen - können wir im Herzen einer jeden stürmischen Straßeneroberung finden, sei es vor kurzem in Algerien oder in den Banlieus von Frankreich. One Zweifel haben Bezugsgruppen (wie eine Bande von FreundInnen) nie aufgehört, das zentrale Mittel der Organisierung im Alltag der Mehrheit der AnarchistInnen in Nordamerika zu sein. Aber sie scheinen ihren Inhalt verloren zu haben, nämlich eine organisatorische Form zum Starten und Weiterentwickeln einer revolutionären Perspektive zu sein. Wann sind wir soweit uns mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass Bezuggruppen nicht wirklich über kollektives Leben, Freizeit und - wenn mensch Glück hat - emotionale Unterstützung hinausreichen? Vielleicht wurde dieser Oganisationsform ihre Stärke mit den scharfen Repressionsschlägen genommen, die viele Radikale zu spüren bekamen, und die Bedingungen schufen, die viele Leute dazu brachten Modelle zu bevorzugen, die weniger auf direkte Konfrontation ausgerichtet sind. Mehr hin zu Organisationen und Modellen, die formaler und 'offener' sind, geschaffen nach dem Vorbild der Strukturen "anti glob-Militanten" - in der Hoffnung nicht verprügelt zu werden. Auch die häufig existierende Idealisierung von Plenumsstrukturen schafft keine Voraussetzungen dafür, die Taktiken des Riots weiterzuentwickeln. Diese Entwicklungen innerhalb des "Aktivismus" scheinen auf dem Kontinent im Osten des Atlantik nicht gleichermaßen auf Resonanz gestoßen zu sein. Vielleicht liegt es an der längeren Tradition autonomer Bewegungen, der verbreiteteren Kritik an radikaler Demokratie und daran, dass es mehr Gruppen gibt, die als Kooperativen zur gegenseitigen Hilfe geschaffen wurden (extreme Linke, Situationalisten). Das schnelle Wiederaufleben des Schwarzen Blocks auf diesem jüngsten G8 Gipfel ist das Ergebnis starker Bemühungen jene Art von Beziehungen wieder zu etablieren, die nötig sind, damit er funktioniert, und diese Beziehungen wieder stark zu machen. Bezogen auf Riots verwirklicht sich in diesen Beziehungen der Krieg, in dem wir uns befinden ebenso wie die Form des Kampfes. Diese Positionierung erfordert eine Organisierung um eine Offensive auf die Straße zu bringen, die nicht länger nur symbolisch ist, damit wir nicht in der standartisierten Form der 'Demonstration' steckenbleiben.
Wie die Liebe kann uns ein Riot manchmal überraschen, wenn wir denken, dass wir nicht darauf vorbereitet sind. Aber mit einer Disposition zur Liebe, wie zum Riot, wird es immer möglich sein Gelegenheiten und Situationen zu nutzen. Es wäre vergeblich zu sagen, dass wir einen Riot vorbereiten, aber wir können uns zumindest auf Riots vorbereiten: tun was nötig ist um das Feuer zu entzünden.
Wenn das Picknick der globalen Eliten uns weiterhin der Vorwand für Treffen, Grüße und Konfrontationen bleibt, scheint Ambivalenz irgend einer Art nicht länger möglich: einfacher Antiglobalisierungsaktivismus ist nicht länger akzeptabel. Mensch kann nicht länger dabei stehen bleiben, dass eine andere Welt möglich ist sondern muss Ideen und Aktionen weiterentwickeln für eine "Welt, die antagonistisch ist, weill sie nichts mit diesem destruktiven System zu tun haben will". Keine leeren, empört linken Forderungen mehr sondern reale Zusagen. Wir haben das Gefühl, dass die Unklarheiten in der anarchistischen Bewegung Quebecs abnehmen. Wir berühren das Ende eines Zyklus, und wir müssen Formen finden oder wiederentdecken, neue Verbuíndungen schaffen. Wir können nicht länger die Fragen vermeiden, die sich darum drehen eine offensive Position einzunehmen.
Als jüngst bei Blockaden der 6 Nations, in Tandenagah und Grassy Narrows [indigener Nationenverbund und First Nations Gemeinden] Forderungen gestellt wurden, die allen, die über ein grundlegendes Verständnis der Kolonialisierung der Schildkröteninsel verfügen als legitim erachten, wurde dies in einer rassistischen, unsensiblen, a-historischen und barbarischen Weise von den korporierten Medien dargestellt. Die Mainstream-Linke blieb im großen und ganzen bei ihrem Schweigen über diese ernsthaften Versuche, die unaufhörliche Gier des Kapitalismus zu kritisieren und zu zügeln. Von anti-kapitalistischer, radikaler und anarchistischer Seite gab es konzertierte Anstrengungen Verbindungen und Beziehungen aufzubauen, in Solidarität mit diesen Gemeinden zu arbeiten, aber ich habe keine Soli-Aktion besucht, wo es die zugrundeliegende Absicht gewesen wäre, es zurück zu nehmen und das Establishment mehr als nur ein bißchen zu verunsichern.
Plan B(erlin) war die Entscheidung verdammt noch mal aus den demobilisierenden Feldern und Wäldern rauszukommen und den Kampf in die Stadt zu tragen. Während der Zeit des G8 flogen permanent 9 Hubschrauber über uns, hunderte Panzer, Hunde, Pferde, tausende PolizistInnenm, ein Kampfjet und eine unbekannte Menge an Polizeispitzeln kamen hinzu zum massiven Zaun, der die Mauer von QC im Vergleich zu einem Architekturprojekt in der Unterstufe degradiert. Plan B führte nicht zu einem Riot am Hackeschen Markt. Aber er führte dazu, dass sich die reichen TouristInnen, Locals und HändlerInnen in dieser nouveau ultra yuppie area in Ostberlin äußerst unwohl fühlten, einer Gegend, wo noch vor 17 Jahren Squats und Couches zum Ausruhen bei nächtlichen Straßenparties einluden. Dank Gentrifikation ist diese reiche Geschichte des Kiezes kaum mehr zu finden zwischen dem heutigen Häagen-Daaz Shop, dem Mercedes Benz Showroom und glitzernden Klamottenläden. Statt eines Riots hatten wir einen über uns in der Luft stehenden Helicopter und hunderte PolizistInnen aus Stadt und Land. Bei einem Verhältnis von 1:1 von Black Blockers und Cops wäre es eine Selbstmord-Mission gewesen, den Riot zu beginnen. Und sie sind es, die die Waffen haben. Aber von 9 Uhr abends bis 3 Uhr am Morgen herrschte in diesem Teil der Stadt nicht das ignorante Leben dieses wunderschönen Gefühls von Bling-Bling und Konsum bis zum Erbrechen so vieler vergleichbarer upper class Bezirke rund um die Welt. Nein. Es gab dort den beissenden Geruch des Widerstands; dass dieses System nicht funktioniert und die Menschen nicht still sein werden. Vielleicht war Plan B nicht der utopische totale Riot, wo die AnwohnerInnen und ArbeiterInnen herauskommen und 'die Massen' auf die Straße strömen, aber als ich gestern ein wenig im alten TV den italienischen Brüdern uns Schwestern beim Entzünden des Streichholzes beim Bush-Besuch in ihrer Stadt zusah (bravo!), erzählte mir ein Genosse aus Polen, dass, ja, 14 am Freitag abgefackelte Autos besser sind als keins, was mir eine willkommene Überraschung war.
Bald wird es in Quebec einen weiteren StudentInnenstreik geben. 2010 wird es in Kanada einen weiteren G8 geben, im gleichen Jahr sind die Olympischen Spiele in British Columbia. Werden Radikale und AnarchistInnen darüber reden Riots zu organisieren? Werden wir schwarz tragen und Ketten bilden, um sicherzugehen, dass die Polizei nicht in unsere Reihen bricht und einen von uns mitnimmt?
Noch ist Zeit darüber nachzudenken, aber wir können uns nicht auf alle Ewigkeit raushalten. Die Situation ist viel zu kritisch. Neue Methoden halten Einzug in unsere Praktiken, und es gibt Theorien und Studien, die uns schon mal in die Sprünge hineinlugen lassen, die sich bald auftun werden. Was sich in Frankreich aufgeheizt hat uns kürzlich überkochte war in geringerem Ausmaß schon vorher in verschiedenen Texten und Aktionen zu spüren. Man muss nicht jede Publikation ansehen, es braucht keine Hirnoperation um festzustellen, dass es ein zunehmendes Interesse an lang vergessenen Personen wie Blanqui gibt, einem Agaitator und befürworter des Riots aus dem 19.Jahrhundert, der vor kurzem mit einem neuen Vorwort wieder veröffentlicht wurde, was seine Ideen in einem neuen Licht erscheinen lässt. Auch gibt es den Bestseller, den die Leute vielleicht wegen seines sexy Titels "Der kommende Aufstand" [The insurrection to come] kaufen und auch darüber reden. In Québec wurde gerade die neueste erweiterte Ausgabe von "Les Black Blocs" von Francis Dupuis-Déri von der Lux Edition herausgegeben, und in Toronto wird A.K. Thompson bald "Black Bloc, White Riot: Anti Globalization and the Genealogy of Dissent" veröffentichen, beides Bücher, in denen die Diskussion von Taktiken im kanadischen Kontext im Mittelpunkt steht. Wir hoffen sehr, dass dies eine Debatte und Diskussion über Strategie und Taktiken anregen wird. Wir sagen es oft, wir leben in the belly of the beast, im Herzen der Bestie. Wir müssen uns fragen, was es dazu braucht, dass wir wütend werden und kämpfen? Wen es nicht der Riot in den Straßen ist, was ist es dann? Wenn die Zeit des Black Bloc in Kanada tot ist, was wird an seine Stelle treten? Oder sehen wir zu, wie unsere Schwestern und Brüder in Europa die Reichen und das Establishment nervös machen, ohne uns?
Herzlichst,
zwei companer@s aus der Calisse Brigade
10. Juni 2007
Zum Weiterlesen:
‘Maintenant, If faut des armes’, Auguste Blanqui,
Réédité par la Fabrique Éditions, Paris, Févririer 2007
L’insurrection qui vient, par Le Comité Invisible,
La Fabrique Éditions, Paris, Mars 2007
Les Black Blocs’ par Francis Dupuis-Déri
Lux Edition, Montréal, May 2007
‘Black Bloc, White riot: Anti Globalization and the genealogy of dissent’, by AK Thompson
To be published, Toronto, September 2007