da war es wieder für einen moment: das erhebende gefühl, dass wir tatsächlich auch mal angreifen können, dass wir doch ganz schön viele sind, zumindest jetzt und hier mutig und entschlossen. ein schwungvoller auftakt, eine vielversprechende ankündigung. nach rostock traf ich neben berechtigter kritik an friendly-fire-steinen aus der 57. reihe (und dem bedauern, es nicht bis in die innenstadt geschafft zu haben) auf viele, die sich über das entschiedene auftreten des schwarzen blocks freuten, ein verschmitztes lächeln blitzte mir aus vielen augen entgegen. niemand würde diese symbolische kampfansage an den kapitalismus umdeuten können zu einem appell an die herrschenden.
für genossInnen, die danach nach hause gefahren sind, und das weitere geschehen vor allem über die medien verfolgten, mag sich daran gar nicht so viel geändert haben. sie konnten die darstellungen nicht mit erlebtem abgleichen, sahen nicht, wie ein fieses kleines paradoxon das licht der welt erblickte. während der riot in rostock in der mainstreampresse immer gewaltigere ausmaße annahm, der schwarze block in aller munde war und noch die letzten hetzblätter über eine renaissance der autonomen spekulierten, fiel unsere organisierung nahezu geräuschlos in sich zusammen. auch wenn es nach außen niemand mitbekommen hat - wer dabei war, weiß das. mein anliegen mit dem folgenden text ist es, dazu beizutragen diesem paradox die kraft zu nehmen und sie für unser künftiges handeln zurückzugewinnen. dazu halte ich es für nötig, zumindest in der auswertung das vielfarbige schweigen zu überwinden, das die autonome bewegung, wie ich sie in den tagen von heiligendamm erlebte, kennzeichnete. kritik ist liebe.
lang, steil und oftmals steinig ist der weg
vielleicht ist es nicht nur von nachteil, den schon etwas muffig riechenden mythos von der stärke der autonomen der brd zerstört zu haben. abgesehen vom erfrischend offensiven vorgehen am 2.juni in rostock lässt sich konstatieren, dass in den folgenden tagen nahezu all unsere praktischen pläne scheiterten. auch organisatorisch haben wir uns nicht gerade mit ruhm bekleckert. die lang diskutierte und allgemein angekündigte 'autonome entscheidungsfindung' innerhalb der gemischten camps fand schlicht nicht statt. viele internationals warteten tagelang vergebens auf genauere informationen und orientierende diskussionen mit genossInnen aus dem deutschen dissent! spektrum. das infosystem konnte nicht wie erhofft dafür sorgen, das wissen einzelner grüppchen zu kollektivieren - in ermangelung eigener plena waren unsere genossInnen nun erst recht auf persönliche kontakte zurückgeworfen. nach der hetze gegen den black block wagten es zudem nur noch einzelne autonome postionen auch öffentlich zu vertreten. nicht zuletzt dadurch wurde die stark unter druck stehende il plötzlich zur einzigen stimme der radikalen linken - ein monopol, das wir ihnen sonst niemals zubilligen würden. statt als autonome, linksradikale und anarchistInnen zu gemeinsamen einschätzungen und handlungen zu kommen haben wir uns in heiligendamm gleich in mehreren dimensionen präventiv verflüchtigt.
davon abgesehen und insgesamt betrachtet sind die proteste nicht erfolglos gewesen, die bullen hatten die situation in vielen momenten nicht im griff. das gilt trotz allem schalen beigeschmack auch für blockg8. viele autonome und anarchistInnen klinkten sich mangels eigener vorhaben dort unterstützend ein. spontan gelang dann doch noch die ein oder andere blockade, die bullen von den sitzblockaden abzog. aktionen wie die mit panzertape eingewickelte und behutsam entlüftete wanne sorgten für gute laune. die schiere masse der menschen, die gleichzeitig auf der strasse saß und durch die wälder huschte hat aus den tagen etwas mehr gemacht, als dem staat lieb sein kann. gleichwohl stößt der "stimmungsumschwung" in der bullenstrategie sauer auf, der nach dem schroffen vorgehen zu wochenbeginn pünktlich zum anflug der g8 erfolgte - die fotos mit den über die felder ziehenden menschenmassen samt pace-fahnen sind mir dann doch um einiges zu kompatibel mit der selbstgefälligen darstellung der brd als oh so demokratisches land. die freiräume allerdings, die durch das bestreben der regierung entstanden, vor der weltöffentlichkeit nicht als polizeistaats dazustehen, hätten wir wiederum weitaus effektiver nutzen können. obwohl von einigen vorausgesehen gelang es uns nicht, gemeinsam zu besprechen, was wir in diesem fall tun wollen. die möglichkeit, das eintreten dieser situation selbstbewußt einzukalkulieren und die staatsmacht mit eigenen aktionen in eine legitimatorische zwickmühle zu bugsieren, war schon gar nicht mehr im horizont. was den autonomen teil der bewegung angeht kam der protest zwischenzeitlich fast gänzlich zu erliegen, mensch lief halt so mit ... oder wartete auf den nächsten plan, der scheitern sollte.
das hab ich mir anders vorgestellt
wie ihr diesem genörgel entnehmen könnt, denke ich, dass uns die nächste zeit vor weitreichende fragen stellt. dabei geht es mir keinesfalls um das brandmarken persönlicher unzulänglichkeiten, sondern darum, das verständnis von unserem eigenen handeln und nicht-handeln zu politisieren. darum, überhaupt erst mal zu kapieren, was passiert ist: wie all das, was nicht gelaufen ist in zusammenhang steht mit entwicklungen, die wir vielleicht noch nicht so ganz verstanden haben, mit herrschafts- und befriedungsstrategien, auf die wir offenbar bislang noch keine antworten gefunden haben. weniger abstrakt gesprochen heißt das zum beispiel: wie kontern wir eine bullenstrategie, die nicht per se stur auf das verfolgen einer jeden straftat setzt und so versucht einzelne von uns mit ins boot zu holen, für co-management zu gewinnen im dienste der herrschenden vernunft? die vernunft einer herrschaftstechnik, die auf ideologische zustimmung verzichten kann, solange nur der ablauf nicht wirklich gestört wird. eine vernunft, die suggeriert, dass sich kämpferischer antikapitalismus mit einem von den ordnungskräften ungestörten leben im kapitalismus vereinen lässt, solange, ja solange "es" eben im rahmen bleibt. wir hatten wohl alle gespräche in dieser richtung die letzten tage. die schere im kopf - so ganz und gar nichts neues und doch vor dem aktuellen hintergrund der durchsetzung präventiver high-tech kontrollkonzepte und dem beängstigenden ausmaß, das die gesellschaftliche vereinzelung mittlerweile angenommen hat ein riesenproblem.
wie gehen wir um mit einer bullenstrategie, die jedem und jeder von uns stets auf´s neue die alle kollektivität zersetzende furcht aufnötigen will, ob ICH, ICH, ICH gerade von einer kamera erfasst werde, ein mikrophon meine worte aufgezeichnet - einer strategie, die immer wieder die ängstliche frage in unsere herzen einpflanzen will, ob nicht der moment der befreiung, den ich mir gerade erkämpfe in 10 bis 20 minuten mit einer beweissicher dokumentierten festnahme enden wird. eine antwort darauf ist sicher nach wie vor das entschiedene "just do it!" unserer geballten fäuste. und das ist es, was wir in rostock am samstag erlebten: dass es immer wieder situationen geben kann, in denen die bullen vor uns flüchten, in denen sie die feuerwehr instrumentalisieren müssen, um unsere reihen überhaupt aufzubrechen, in denen wir den kollektiven sprung über ihre vereinzelungs- und einschüchterungstricks hinweg schaffen.
scheiß britische verhältnisse
leider gab es aber in den folgenden tagen auf den camps auch viele momente in denen unsere kommunikation nicht zustandekam, in denen wir selbst es uns im vorgriff auf mögliche repression versagten, uns über unsere kleinen kreise hinaus als internationaler black block zu verbünden. wieviel mehr an kollektiver schlagkraft hätte entstehen können, hätten wir es besser verstanden, die zeit zu nutzen, um unsere verschiedenen ideen in diskussionen auszutauschen und so zu aktionen zu kommen, die tatsächlich zum anliegen aller geworden sind, statt uns nur schnell mal gegenseitig zu diesem oder jenem treffpunkt zu bestellen? an dieser stelle sollten wir echt mal nachdenken, wie wir der paranoia, die uns schon auf der diskussionsebene lähmt, den kampf ansagen können. die in diesem lande aus gutem grunde herrschende vorsicht darf nicht zu einsamer beklemmung und kollektiver sprachlosigkeit führen, sonst hat die gegenseite gewonnen. um gemeinsam handeln zu können, müssen wir uns auf irgendeine art als militante erkennen, hier und da real zusammen kommen und uns austauschen. und mal so nebenbei gesagt: es ging um straßenblockaden. niemand hatte vor, den amerikanischen präsidenten zu erschiessen. das risiko hielt sich in grenzen.
das problem setzte sich allgemein in die camps, die bündnisse und nach außen hin fort: außer einer erklärung der international brigades und einem sympathisierenden zeitungsinterview gab es von linksradikaler seite nach samstag nur noch schweigen. den black block schien es nach rostock einfach nicht mehr zu geben. bei sabine christiansen wurde spekuliert, er sei wohl die ganze zeit im wald gewesen... so amüsant es auch ist, sich die expertisen in der bildzeitung darüber durchzulesen "wie der kapuzenmann tickt": letztlich waren wir auch für bislang unorganisierte und potentielle neue genossInnen auf den camps nicht ansprechbar. das am dienstag in reddelich etablierte autonome plenum kam viel zu spät und wurde zudem von deutschen gruppen nicht wirklich angenommen. dissent! schaffte es außer vielleicht in wichmannsdorf nicht, sich ein forum zu schaffen und nahm von einzelpersonen abgesehen auch keinen einfluss mehr auf die debatten in der il und dem größeren bündnis. dafür ist es zu erstaunlich wenig distanzierungen gekommen. offenbar hat das konzept des großen bündnisses der il doch die ein oder andere frucht getragen. zumindest in rostock hielt das gros der demonstrantInnen überraschend gut zusammen.
neben repressionsvermeidung kann eine weitere ursache für die nicht-existenz autonomer strukturen als eine art organisatorische erstarrung beschrieben werden. angesichts der zu erwartetenden menschenscharen ist es sicherlich verständlich, dass wir als tendentiell nervöse gastgeberInnen zunächst in planungssicherheit zuflucht suchten. leider haben wir dabei im laufe der zeit einige wirklich wichtige dinge wie transport und kommunikation aus den augen verloren. in nahezu allen arbeitsgruppen bildete sich ein ziemlicher tunnelblick mit tendenz zum autismus aus. sicher war es dem chronischen personalmangel geschuldet, dass wir neben dem, was alles getan werden musste enorm viel zeit damit zubrachten, uns permanent gegenseitig zu mobilisieren, uns gewissermaßen im kreis herum für immer neue aufgaben einzuspannen suchten. vielleicht hätten wir uns zwischendrin mal zu einer zwischenbilanz treffen sollen, um unsere strukturen zu überprüfen und sie den aktuellen bedürfnissen anzupassen. auch dafür hätten wir ein autonomes plenum dringend gebraucht. im nachhinein läßt sich sagen, dass organisatorisch einiges hätte lockerer angegangen werden können, da es in vielen situationen dann ohnehin vor allem auf spontanität ankam - nur war gerade die uns oft schon verlorengegangen.
persönlich war ich entsetzt darüber, wie sehr sich die situation hier schon der präventiven unsichtbarkeit genähert hat, die uns vor zwei jahren in großbritannien aufgefallen war. entgegen aller lehren, die wir aus gleneagles ziehen wollten, waren auch wir in entscheidenden situationen nicht richtungsweisend präsent, sondern verströmten vielmehr häufig eine unbestimmte unsicherheit im umgang mit unseren genossInnen aus anderen ländern, bis hin zu offenem misstrauen. ganz kinder des spektakels schwanken nicht wenige hiesige aktivistInnen hin und her zwischen einer abstrakt euphorischen begeisterung über die verwendung schärferer mittel des straßenkampfes, als dies in unseren gefilden zumeist der fall ist, und dem reflex, all diejenigen für tendenziell wahnsinnig und unverantwortlich zu halten, die diese mittel dann real in ihrer nähe einsetzen wollen. dieser widerspruch ist für unsere genossInnen bisweilen nur schwer verständlich, konnte vor ort nur unzureichend diskutiert werden und sollte auch 'unter uns' mal genauer unter die lupe genommen werden.
there must be some kind of way out of here
wenn ich mir die frage stelle, wohin der weg in nächster zeit gehen soll komme ich so ein wenig in hilfloses grummeln. das einzige was mir einfällt geht in richtung mehr gemeinsamer erfahrungen und diskussionen, weniger fassade und gerede. den anspruch dabei ruhig ne nummer tiefer zu hängen, bevor uns dann doch nur schwindelig wird und am ende alles zusammenkracht. erst mal keine pläne mehr, und wenn dann sehr minimal und kurzfristig und vor allem immer nur für die eigene umsetzung! kleine sachen, vielleicht eine initiative in richtung demokultur: etwa aus der demütigenden praxis der mithilfe bei polizeilichen vorkontrollen auszuscheren. mir blutet jedesmal das herz, wenn ich genossInnen einzeln mit erhobenen händen auf die bullen zulaufen sehe, um sich abtasten zu lassen. das müssen wir uns nicht gefallen lassen! wenn die bullen die einzigen sind, die am antreteplatz antreten und sie ringsumher immer wieder stress mit unwilligen demonstrantInnen haben, werden sie es sich langfristig überlegen, ob sie nicht mit dem quatsch aufhören. ein weiterer punkt sind festnahmen aus der demo raus: die bullen sagen selbst, dass diese situation grundsätzlich schwierig für sie ist. leider erleichtern wir ihnen die sache allzu oft durch nichtstun oder fotografiererei, was nicht besser ist - wenn sich welche erfolgreich wehren, brauchen wir davon keine videos, die später beschlagnahmt werden können. statt uns mit festnahmen dokumentierend abzufinden sollten wir uns weit massiver dafür einsetzen sie zu verhindern. das risiko wegen gefangenenbefreiung einzufahren sinkt wenn viele es tun und außerdem, was soll´s? wie viel sicherer könnten wir agieren im wissen, dass sich unsere genossInnen in der situation darum bemühen werden uns nach möglichkeit zu befreien. neben unseren vergleichsweise recht weit entwickelten defensiven techniken könnten wir uns mal wieder gedanken machen, was für ne demo vorzubereiten. falls sich gelegenheiten bieten eine sprühdose dabei zu haben, zum beispiel. wir könnten überlegen, wie wir unsere reihen ab und an mischen oder öffnen, um leuten, die was machen wollen oder gemacht haben schutz und unterstützung zu bieten. in rostock haben es die zivis nicht gewagt festnahmen aus der menge zu machen, und was da ging, geht prinzipiell auch anderswo. es gibt unzählige möglichkeiten, unsere demos aus der defensive endloser verhandlungen über transpilängen heraus zu holen. wir können den abzug des spaliers fordern (vielleicht können ihnen sonst leute von außen ärger machen), von wichtigen kreuzungen nicht weggehen, bis alle festgenommenen wieder frei sind, wir können über wege nachdenken die kameras der bullen zurückzudrängen oder ihnen die zusammenarbeit im zweifelsfall gänzlich aufkündigen, sprich: demos nicht mehr anmelden, wenn uns die bedingungen zu erniedrigend werden.
es gibt sicher noch jede menge andere vorschläge, der zweite auf diesem blatt papier ist es, uns ein gruppenübergreifendes forum zu schaffen, um über all sowas diskutieren zu können, die gegenwärtige aufsplitterung in diverseste organe und kanäle zu überwinden. offene treffen sind ein mittel dazu, haben aber so manchen nachteil. was haltet ihr von frei vagabundierenden flugschriften, gelesen, verteilt und beantwortet kreuz und quer durch alle szenen und banden? wenn der nicht wirklich stattgefundene plan b am freitag in berlin etwas gezeigt hat, dann dass wir uns als autonome, linksradikale und anarchistInnen in berlin von grund auf neu sortieren müssen, wenn praktisch hier und da wieder was gemeinsames rauskommen soll. ein übergreifender austausch könnte vielleicht dazu führen, die oft frustrierende halbherzigkeit gegenüber der verwirklichung von ideen, die nicht die eigenen sind zu überwinden. es wäre doch schön, wenn für gut befundene vorschläge einzelner gruppen auch von den anderen tatsächlich mit nachdruck umgesetzt würden, statt die erstbeste gelegenheit zum rückzug zu nutzen.
wie dem auch sei - es hilft ja alles nix - machen wir also weiter im kampf gegen das schweinesystem
plan b continua - vive la commune des brigades internationales
one
[http://de.indymedia.org/2007/06/185271.shtml]