Der Taktik-Kassiber: der Schwarze Block
Große Aufregung bei den »moderaten Teilen« der Bewegung, hektische Distanzierungen vor laufender Kamera. Der erste Tag der Auseinandersetzungen um den G-8-Gipfel zeigte aus taktischer Perspektive eine interessante Neuerung auf: Es gab einen handlungsfähigen Schwarzen Block.
Die Frage, wer am 2. Juni 2007 mit der Gewalt angefangen hat, ist zwar unerheblich, aber zu beantworten: Nachdem sich die Polizei während der beiden Demozüge auffällig zurückgehalten hatte, wurde der Schwarze Block der »Interventionistischen Linken« in dem Moment von Polizei angegriffen, als sich der Demonstrationszug, am Kundgebungsort angelangt, gerade aufzulösen begann. Bis dahin hatte es, von einigen Böllern abgesehen, keine Vorfälle gegeben. Der erste Angriff der Polizei traf aber auf sofortigen und militanten Widerstand, dessen offensive Qualitäten sich nicht bestreiten lassen: Es entwickelte sich ein eskalierender Schlagabtausch – der aber niemanden gehindert hat, sich in aller Ruhe, ein paar hundert Meter weiter, Konzert und Redebeiträge anzuhören.
Die Wahl von Zeitpunkt und Ort der Eskalation läßt nun allerdings keinen Zweifel daran, daß die Polizei genau diese Bilder produzieren wollte, um Spiegel-Online die Schlagzeile »Autonome verwüsten Rostock« zu ermöglichen – mit Bildern eines Infernos, die vor allem auf ein brennendes Auto zurückgehen, das man polizeilicherseits auch schneller hätte löschen können, wenn man gewollt hätte.
Daß die Bilder der Gewalt jetzt die Berichterstattung über eine Internationale Großdemonstration mit 80000 Leuten nahezu dominieren, wird von den Moderaten in der Bewegung völlig zu recht kritisiert. Der angebliche Bürgerkrieg in Rostock bescherte den Demonstranten nicht nur ganze Mailboxen voller hysterisierter Familienangehöriger, sondern ist auch darauf berechnet, die politische Botschaft des Protestes in den Hintergrund zu drängen. Schäubles Botschaft folgte tags darauf in der Bild am Sonntag: Schwarz-Gelb statt große Koalition!
Es gibt aber noch eine andere Wahrheit von Rostock, erster Tag: Wir sind der Polizei nicht wehrlos ausgeliefert! Es ist möglich, auch diese Robocop-Einheiten der Polizei in Schach zu halten, stellenweise sogar in die Flucht zu schlagen. Der unmittelbare Angriff auf die Demonstration wurde mit in einem Steinhagel beantwortet, wie ihn diese Generation deutscher Cops noch nicht erlebt haben dürfte. Im folgenden Hin und Her war die taktische Defensive der Demo über ein bis zwei Stunden überlegen. Anrückende Hundertschaften wurden ein ums andere Mal zurückgedrängt. Erst als fünf Wasserwerfer und ein Räumpanzer aufrückten und Gas eingesetzt wurde, kippte das Kräfteverhältnis.
Wenn einige pausenlos von der »Macht der Bilder« reden, kann es dabei aber nicht immer nur um die Macht der medialen Bilder gehen, über die wir als Bewegung leider keinerlei Kontrolle haben. Am Samstag löste das Bild fliehender Staatsschergen einen spontanen Aha-Effekt unter Tausenden aus. Gerade in dieser Generation der Demonstranten muß die Möglichkeit, gegen Polizei auch einmal etwas ausrichten zu können, schwer beeindruckt haben.
Der Anblick einer fliehenden Hundertschaft war ja in diesem Land ausgesprochen rar. Man ist daran gewöhnt worden, wie kürzlich in Hamburg, mit einem Wanderkessel von dreireihigen Polizeispalieren als Demo durch die Stadt eskortiert zu werden. Man ist gewohnt, daß nichts geht, daß man sich kaum schützen kann und der Willkür der Polizei ausgeliefert ist. Auch die Polizei ist gewohnt, keinen effektiven Widerstand vorzufinden, wenn sie in Demos knüppelt, mit ihren Greifertrupps einzelne aus der Demo heraus verhaftet, wenn sie schikaniert, drangsaliert und zuschlägt.
Einen Schwarzen Block dieser Größe und Durchschlagskraft hat man in Deutschland seit langen Jahren nicht mehr erleben können. Daß allein der Block der »Interventionistischen Linken« (IL) rund 7000 Menschen um seinen Lautsprecherwagen – der vielmehr ein Sattelschlepper war – versammeln konnte, kennzeichnet ein neues Niveau radikaler Organisierung. Seit dem 2. Juni 2007 gibt es wieder eine autonome Bewegung in der BRD.
Man mag das ablehnen. Es wäre für die Bewegung aber völlig fatal, sich anhand der »Gewaltfrage« zu spalten. Es muß festgehalten werden, daß die Verantwortung hierfür nicht nur bei den Militanten liegt, sondern auch bei den Moderaten.
Die üblichen Formulierungen, wonach sich »einige Gewalttäter unter die friedlichen Demonstranten gemischt« hätten, wie es auch diesmal wieder von einigen Bündnisorganisationen hieß, ignorieren die Tatsache, daß diese Militanten ein legitimer Bestandteil der Bewegung sind, solange Kampfeinheiten der Polizei Bestandteil des Staates sind. »Unsere« Militanten haben sich in Rostock auch nirgends hineingemischt, sondern waren ein sehr leicht erkennbarer, optisch und als Block klar abgegrenzter Teil der Demonstration, wie andere Demonstrationsblöcke auch. Wer sich dem Schwarzen Block angeschlossen hat, tat das aus freier Entscheidung, so wie andere bei ATTAC oder der Grünen Jugend mitlaufen wollten.
Und auch, wenn es ein alkoholisiertes Hooligan-Element gegeben haben mag: der Schwarze Block ist nicht per se unpolitisch, nur weil er militant ist. Und er ist nachweislich hochprofessionell organisiert.
Der Schwarze Block ist eine Realität in der Antiglobalisierungsbewegung. Seit gestern auch in Deutschland. Es kommt darauf an, gegenseitige Gefährdungen zu verhindern, damit alle tun können, was sie für richtig halten, ohne daß die Bewegung dadurch gesprengt wird. Das geht nur, indem die Moderaten die Militanten nicht dämonisieren, der Schwarze Block aber auch das Sicherheitsbedürfnis der Demonstrationsmehrheit akzeptiert.
[http://www.jungewelt.de/2007/06-04/037.php]