Welt: Strassenschlachten in Rostock: Der entfesselte Mob verletzt 146 Polizisten
2. Juni 2007, 19:20 Uhr
Die Großdemonstration gegen den G-8-Gipfel ist in Rostock in Straßenschlachten zwischen Polizei und Autonomen umgeschlagen. Am Rostocker Stadthafen, wo sich friedliche Demonstranten zu einer Abschlusskundgebung versammelt hatten, bewarfen Autonome Polizisten mit Pflastersteinen, Feuerwerkskörpern und Flaschen. Viele Polizisten wurden verletzt.
Bei den Straßenschlachten am Rande der Demonstration gegen den G-8-Gipfel in Rostock sind am Samstag nach Angaben der Sicherheitskräfte bis zum Abend 146 Polizisten verletzt worden. 18 der Beamten hätten schwere Verletzungen erlitten, sagte ein Polizeisprecher. Zur Zahl verletzter Demonstranten war weder von der Polizei noch von den Organisatoren der Proteste etwas zu erfahren. Die Organisatoren der Großdemonstration gegen den G-8-Gipfel in der kommenden Woche sagten eine für den Abend geplante Pressekonferenz ab und verwiesen auf den nächsten Morgen.
Die Lage am Rostocker Hafen war am Abend weiter angespannt. Zahlreiche Autonome hielten sich in der Umgebung des Kundgebungsgeländes auf. Die Polizei fuhr weitere Wasserwerfer auf. Die Straßen am Hafen waren nach den stundenlangen Straßenschlachten zwischen Autonomen und Polizei von Steinen und Scherben übersäht. Die militanten G-8-Gegner hatten die Polizisten nach einem weitgehend friedlichen Demonstrationszug durch die Stadt im Hafenviertel mit Steinbrocken und Feuerwerkskörpern beworfen. Auch die Polizei war massiv gegen Demonstranten vorgegangen.
Kein Vorwurf an die Polizei
Die Organisatoren der Anti-G-8-Demonstration machten gewaltbereite Randalierer für die Ausschreitungen verantwortlich. Der Polizei sei kein Vorwurf zu machen, sagte Manfred Stenner, Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative, am Samstagabend. „Die Polizei hat sich an ihren deeskalierenden Kurs gehalten. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass die Polizei das jetzt anders sieht.“ Die Randalierer sollten jetzt davon überzeugt werden, die Polizei nicht weiter zu attackieren.
Die Veranstalter der Großdemonstration erwägen angesichts der Ausschreitungen einen vorzeitigen Abbruch. „Wir überlegen, ob wir die Veranstaltung früher abbrechen“, sagte Attac-Aktivist Werner Rätz. Er distanzierte sich von den autonomen Gewalttätern. „Es gibt keinerlei Rechtfertigung für den Angriff auf Personen.“ Die Auseinandersetzungen sei „überhaupt nicht im Sinne der Veranstalter“. Nach der Kundgebung war noch ein Kultur- und Konzertprogramm geplant.
Eine solche Eskalation sei in den Planungen für nicht möglich gehalten worden. „Wir hatten in der Tat die Eskalationsdynamik unterschätzt.“ Jetzt gehe es darum, die Lage zu beruhigen. Für die kommenden Tag wagte Rätz keine Prognose. Beide Seiten müssten versuchen, die „emotionalisierende Situation“ in den Griff zu bekommen.
Die Eskalation habe mit dem Angriff von Autonomen auf einen Polizeiwagen auf dem Platz der Kundgebung begonnen, sagte Rätz. Der Polizeiwagen sei mit Steinen beworfen worden, die im Wagen sitzenden Polizisten dabei verletzt worden. Daraufhin seien zwei Hundertschaften der Polizei in die Menge gestürmt, um den Wagen aus der Menge herauszueskortieren. Dabei habe es auf beiden Seiten zahlreiche Verletzte gegeben.
Ob wegen der Ausschreitungen die gesamte Veranstaltung gescheitert sei, zeige sich erst hinterher. „Wenn wir uns hinterher mit Vorwürfen im Bündnis überziehen, dann ist es gescheitert. Wenn wir dagegen Selbstkritik solidarisch entwickeln, dann wird diese Veranstaltung auch im Nachhinein ein voller Erfolg sein“, erklärte Rätz.
Friedliche Demonstranten auf der Flucht
Als die Situation eskalierte, wurden Autos umgestürzt und angezündet, flogen Steine. Ein massives Polizeiaufgebot ging mit Reizgas und Schlagstöcken gegen die größtenteils vermummte Gruppe von etwa 2500 Autonomen vor und führte mehrere von ihnen ab.
Friedliche Demonstranten flüchteten aus dem Steinhagel und gingen vor Feuerwerkskörpern in Deckung. Die große Mehrheit der Demonstranten drängte sich auf dem Platz der Kundgebung, während sich Polizei und Autonome wenige Meter entfernt Handgemenge lieferten. Polizisten und Journalisten wurden dabei verletzt. Die Organisatoren forderten die Polizei auf, ihre Einsatzkräfte und ihre Hubschrauber abzuziehen.
Am Mittag war die Großdemonstration schleppend angelaufen. Insgesamt hätten sich rund 30.000 Kundgebungsteilnehmer in der Stadt versammelt, erklärte die Polizei. Die Organisatoren sprachen von rund 80.000. Ursprünglich hatten sie selbst mit bis zu 100.000 Globalisierungsgegnern gerechnet.
In Schwerin nahm die Polizei 150 NPD-Gegner fest. Diese hatten gegen eine Kundgebung der rechtsextremen Partei protestieren wollen. Allerdings hatte das Oberverwaltungsgericht Greifswald Freitagnacht sowohl die NPD-Veranstaltung gegen den G-8-Gipfel als auch die linke Gegenkundgebung verboten.
Die Organisatoren hatten am Morgen erneut betont, dass es eine klare Absprache für einen friedlichen Protest gebe. An der Demonstration sollten alle Menschen ohne Angst teilnehmen können, hatte Werner Rätz von der globalisierungskritischen Organisation Attac gesagt. Er fürchte allerdings, dass die Polizei mit ihrem Vorgehen die Protestierenden dermaßen verärgern könnte, dass sie sich auch zu ungeplanten Aktionen hinreißen ließen.
Rätz hatte damit auf das weitreichende Demonstrationsverbot rund um den G-8-Tagungsort Heiligendamm angespielt. Im Streit über die umstrittene sechs Kilometer breite Bannmeile vor dem Sperrzaun muss wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Ein Sprecher des Bündnisses für eine Kundgebung während des Gipfels kommende Woche sagte, die Beschwerde werde noch ausgearbeitet. Sie werde wohl Sonntag eingereicht. Kommende Woche kommen in Heiligendamm die Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen (G-8) zusammen. Globalisierungskritiker werfen der Achtergruppe unter anderem vor, mit verantwortlich für ungerechtes Wirtschaftssystem und damit für Armut in der Welt zu sein.
Reuters/AP/dpaomi
[http://www.welt.de/politik/deutschland/article915275/Der_entfesselte_Mob_verletzt_146_Polizisten.html]