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05.07.2007

Landesbeauftragter für den Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern: Bericht zum Hearing 26. Juni 2007

Sehr geehrte Damen und Herren,

haben Sie vielen Dank für die Einladung zu diesem Hearing. Als Landesbeauftragter für den Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern gehört es zu meinen Aufgaben, Petitionen von Bürgerinnen und Bürgern zu verfolgen, die sich durch die öffentliche Verwaltung in ihrem Recht auf Schutz ihrer persönlichen Daten verletzt fühlen. Auch Polizisten sind Teil der öffentlichen Verwaltung und auch bayrische Polizisten unterlagen im Rahmen ihrer Amtshilfe den Vorschriften des Landesrechtes Mecklenburg-Vorpommern. Die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit verbleibt jedoch, wie auch die politische, beim Leiter der Behörde, also zuletzt beim Innenminister Mecklenburg-Vorpommern, der sich hierbei nicht – wie in Talkrunden – von Herrn Beckstein vertreten lassen kann.

Jede polizeiliche Maßnahme braucht eine gesetzliche Rechtfertigung. Dies gilt erst Recht für jede Personenkontrolle, erkennungsdienstliche Behandlung oder sonstige Maßnahme, die mit der Feststellung der Personalien zusammenhängt. Hierbei handelt es sich datenschutzrechtlich um die Erhebung von personenbezogenen Daten, die genauso wie deren Verwendung, Weitergabe und Speicherung den zu Recht strengen datenschutzrechtlichen Anforderungen, wie sie sich aus dem SOG Mecklenburg-Vorpommern und ergänzend aus dem DSG M-V ergeben, genügen muss. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Polizist vergesslich ist oder ob die Daten elektronisch gespeichert werden.

Bereits mit dem Volkszählungsurteil der BVerfG aus dem Jahr 1983 wurde der enge Zusammenhang zwischen der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu Recht hervorgehoben. Ich darf aus den Gründen zitieren:

“Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung
wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung
nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können,
wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.
Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert
und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden,
wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.

Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative
behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können,
wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten.

Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen,
sondern auch das Gemeinwohl,
weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung
eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger
begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist."

Ist dies so verstandene freiheitliche demokratische Gemeinwesen das erste Opfer im Kampf gegen den Terror geworden? Jedenfalls ist der Auftrag an den Landesbeauftragten für den Datenschutz damit klar umrissen. Es geht in unserer Diskussion weder um Haarspalterei oder Bürokratie, noch um die Rechtfertigung von Gewalt. Mit jeder Klage, jeder Petition und jeder Diskussion über polizeiliche Maßnahmen geht es um unser freiheitliches und demokratisches Gemeinwesen. Wir schützen die Verfassung! Lassen wir uns darin nicht beirren.

Ich kann meine Prüfungen im Rahmen meiner Zuständigkeit für die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern hier nur kurz darstellen und umreißen:

Erstens: Das SOG M-V enthält eine kleine, für die Kontrolle nicht nur polizeilichen Handels jedoch wichtige, Regelung. Jede offene Beobachtung mit technischen Mittel ist gemäß § 32 SOG M-V durch den Behördenleiter anzuordnen und dem Landesbeauftragten für den Datenschutz unverzüglich zu melden. Die Anordnung erfordert eine schriftliche Darlegung der Rechtsgrundlage, der diese stützenden Gefährdungsprognose und des Verfahrensverzeichnisses gem. § 18 (1) DSG M-V. Dieses enthält:

1. die Bezeichnung des Verfahrens und der verarbeitenden Stelle,

2. den Zweck und die Rechtsgrundlage der Verarbeitung,

3. die Art der gespeicherten Daten,

4. den Kreis der Betroffenen,

5. den Kreis der Empfänger, denen die Daten mitgeteilt werden,

6. geplante Datenübermittlungen in Drittländer,

7. eine allgemeine Beschreibung der technischen und organisatorischen Maßnahmen nach den §§ 21 und 22.

Dieser Zwang zur Selbstkontrolle führte bereits zu einer erheblichen Einschränkung der ursprünglich geplanten technischen Überwachung. Meine Kontrolle bereits im Vorfeld der heißen Phase führte zu einer weiteren Zurückhaltung.

Die kürzlich durch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und mich durchgeführte Nachkontrolle ergab als Zwischenstand, dass zu allen gefertigten Videoaufzeichungen sowohl der Anordnende als auch der Anordnungsgrund dokumentiert ist und gegenwärtig die Auswertung erfolgt. Hierbei werden die für die Durchführung von Strafverfahren erforderlichen Aufnahmen ausgesondert und nur diese gesondert weiter gespeichert werden. Alle anderen Aufzeichnungen werden unmittelbar gelöscht werden und werden nicht personalisiert. Dies gilt auch für die übermittelten Aufnahmen des Tornado-Einsatzes, die im Übrigen keine personenbeziehbaren Informationen enthielten.

Zweitens: Nicht verwertbar war auch der Einsatz von drei AKLS, den berüchtigten und ständig überschätzten automatisierten Kennzeichenlesesystemen. Während des der dreitägigen Einsatzes gab es vier sog. Trefferfälle, also Übereinstimmungen mit den gespeicherten KFZ-Nummern aus dem polizeilichen Fahndungsbestand, die jedoch polizeilich nicht weiter verfolgt wurden.

Drittens: Nicht verwertbar waren auch die Erkenntnisse aus durchgeführten Observationsmaßnahmen, die gegen 20 Personen angeordnet waren, aber nur gegen 10 Personen tatsächlich durchgeführt wurden. Auch die hieraus gewonnen Erkenntnisse fließen nicht in ein Strafverfahren ein und sind deshalb inzwischen gelöscht. Die Frage der Zulässigkeit der Observationsanordnungen wird durch mich noch weiter für jeden Einzelfall geprüft. Hierzu gehört auch die Frage, ob die bisherige Abweichung von der Transparenzregel – also die Information des Betroffenen – zulässig ist.

Viertens: Alle in Zusammenhang mit den polizeilichen Maßnahmen erhobenen personenbezogenen Daten sind in einer gesonderten Datei erfasst worden, die insgesamt 268 Datensätze enthielt. Auch hiervon wurden keine Daten für die Durchführung strafrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen benötigt, womit auch diese Daten inzwischen kontrolliert vernichtet wurden.

Fünftens: Das umfangreichste Thema jedoch ist die Zulässigkeit der massenhaften Anhalte- und Sichtkontrollen, der erkennungsdienstliche Behandlungen und der Abfragen in polizeilichen Dateien im Rahmen von § 29 Absatz 1 SOG M-V und insbesondere von Personen, die sich “in einem gefährdeten Objekt oder in dessen unmittelbarer Nähe aufhält und die zuständige Polizeibehörde für dieses Objekt besondere Schutzmaßnahmen angeordnet hat” – so § 29 Absatz 1 Nummer 3 SOG M-V.

a) Für die datenschutzrechtliche Kontrolle sind diese Maßnahmen dann nicht prüfbar, wenn die Maßnahme zu keiner Feststellung, also zu keiner weiteren Dokumentation führte.
Von dem Recht nach § 38 SOG, die so geprüften Daten zum Zwecke der Dokumentation sozusagen “zwischenzuspeichern” hat die Polizei aus datenschutzrechtlich Gründen keinen Gebrauch gemacht – ein Schelm, der Arges dabei denkt… Somit ist die Rechtmäßigkeit der vielen Maßnahmen nur im Wege der Befragung der Beteiligten zu prüfen – ein nahezu aussichtsloses Verfahren, da die Betroffenen wie die Polizisten wieder im ganzen Land verstreut sind.

b) Für die Betroffenen waren diese Maßnahmen nicht vermeidbar, denn es wurden über 100 Objekte – von der Polizeidienststelle bis hin zum Stromverteilerkasten – als gefährdete Objekte erklärt, aber in keiner Weise gekennzeichnet. geschweige denn veröffentlicht. Dies wäre natürlich auch sinnwidrig gewesen, besonderst gefährdete Infrastruktur auf diese Weise bekannt zu geben. Wenn es aber für die Bürgerinnen und Bürger keine Möglichkeit gibt, sich von diesen Objekten fern zu halten, dann führt dies mE ganz klar zur Verfassungswidrigkeit dieser Eingriffsbefugnis. Diese Norm des SOG M-V ist weder normenklar, noch verhältnismäßig. Diese Maßnahmen sind offensichtlich nicht geeignet, Gefahren tatsächlich abzuwehren, wohl aber geeignet, um einen polizeilichen Überwachungsdruck zu erzeugen, der in rechtswidriger Weise das Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit versucht einzuschränken.

c) Es kam massenweise zu weiteren Verstößen gegen die datenschutzrechtliche Transparenznorm des § 26 Absatz 3 SOG Mecklenburg-Vorpommern: Hier wird gefordert:
“Werden personenbezogene Daten beim Betroffenen oder bei Dritten
aufgrund einer Rechtsvorschrift erhoben, die zur Auskunft verpflichtet,
so sind diese hierauf,
sonst auf die Freiwilligkeit ihrer Auskunft,
auf bestehende Auskunftsverweigerungsrechte und
auf Verlangen auf die Rechtsgrundlage für die Erhebung hinzuweisen.”

Sechstens: Die datenschutzrechtliche Kontrolle lebt wie die gerichtliche Überprüfung vom Anzeigeverhalten. Ich kann, habe und werde weiter “von Amts wegen” ermitteln: der konkrete Fall mit Namen, Ort, Uhrzeit und KfZ-Kennzeichen kann dadurch aber nur ergänzt werden. Deshalb meine Bitte:

Art. 37(3) M-V gilt auch für Gäste: “Jeder kann sich an den Datenschutzbeauftragten wenden mit der Behauptung, bei der Bearbeitung seiner personenbezogenen Daten durch die öffentliche Verwaltung in seinem Recht auf Schutz seiner persönlichen Daten verletzt zu sein.”
Anschrift und Erreichbarkeit unter www.datenschutz-mv.de
Karsten Neumann, Landesbeauftragter für den Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern