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2007-10-04

Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble beim German Marshall Fund of the United States in Washington, DC am 24.09.2007

Herausforderungen auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit im transatlantischen Verhältnis – Wie können wir persönliche Freiheitsrechte und Sicherheit miteinander vereinbaren?

Vor knapp zwei Wochen haben wir uns an die schrecklichen Terroranschläge in New York und Washington am 11. September 2001 erinnert. Dieser Tag hat auf grauenvolle Weise eine neue Dimension des Terrors und eine weltweit neue Bedrohungslage offenbart. Der islamistische Terrorismus stellt heute die größte Gefahr für unsere Sicherheit dar. Er ist kein nationales Problem mit grenzüberschreitenden Bezügen – wie es der Terrorismus der 70er Jahre war. Er ist eine globale Bedrohung aller westlichen Gesellschaften.

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Die Vereinigten Staaten von Amerika erscheinen aufgrund ihrer Vormachtstellung zwar nach wie vor im Fokus terroristischer Botschaften. Der Terror richtet sich aber letzten Endes gegen alle freien Gesellschaften. Die Anschläge etwa von Madrid und London, bei denen hunderte Menschen ums Leben kamen, sind traurige Zeugnisse hierfür.
Auch Deutschland ist zunehmend im Blickfeld der Terroristen – wenn auch Glück und die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden bisher Anschläge verhindert haben.
Im vergangen Jahr hatten wir einfach Glück, dass zwei Kofferbomben, die bereits im Zug platziert waren, wegen eines kleinen technischen Fehlers nicht zündeten. Wäre es nach dem Plan der Bombenleger gegangen, hätten sehr viele Menschen ihr Leben verloren.
Anfang dieses Monats haben unsere Sicherheitsbehörden drei Terrorverdächtige festgenommen und so massive Anschläge verhindert, die unmittelbar bevorstanden. Die Verdächtigen hatten nach unseren Erkenntnissen den Auftrag, in Deutschland mehrere Anschläge auf amerikanische Einrichtungen zu verüben. Dafür haben sie Chemikalien, Kabel und Zünder beschafft. Das Sprengmaterial – zwölf Fässer Wasserstoffperoxid – hätte ausgereicht, um Bomben mit einer höheren Sprengkraft als bei den Anschlägen in Madrid und London zu bauen. Als die Beschuldigten anfingen, den Sprengstoff zu mischen, sind unsere Behörden rechtzeitig eingeschritten.
Am Beginn modernen Staatsdenkens stand die Vorstellung, dass es die erste und wichtigste Aufgabe des Staates sei, Sicherheit zu gewährleisten, um Bürgerkriege zu verhindern und Vorkehrungen gegen Angriffe äußerer Feinde zu treffen. Das staatliche Gewaltmonopol legitimierte sich in der Schutz und Sicherheit gewährenden Funktion des Staates.
Bei der Erfüllung dieser Aufgabe gilt es, die Balance zwischen sicherheitspolitisch Notwendigem und rechtsstaatlich Vertretbarem zu halten. Dabei besteht kein kategorischer Gegensatz zwischen Sicherheit und Freiheit. Vielmehr stehen diese beiden Ziele in einem Verhältnis wechselseitiger Ergänzung, das mit einem Denken in Gegensätzen nicht erfasst werden kann.
Freiheit setzt Sicherheit voraus. Freiheit im Rechtsstaat setzt Bindung an das Recht voraus. Denn wenn der Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit nicht gewährleistet sind, verliert sich die Freiheit sehr rasch.
Es ist die Aufgabe der Staatsgewalten – des Gesetzgebers ebenso wie der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung –, diese Balance zu halten und immer wieder herzustellen.
Das gilt auch in der Auseinandersetzung mit den neuen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts: internationaler Terrorismus und grenzüberschreitende Kriminalität. Ebenso wie wir eine zunehmend globalisierte Gesellschaft, eine globalisierte Wirtschaft haben, verändern sich auch Kriminalität und Terrorismus. Deswegen kann die Sicherheitslage unserer Länder – insbesondere auch die innere Sicherheit – heute weniger denn je isoliert von den weltweiten Sicherheits- oder Konfliktlagen bewertet werden.
Zu den neuen Bedrohungen gehört nicht nur, dass wir weltweit vielfältige Krisen und Konflikte haben, sondern auch, dass diese nicht mehr ausschließlich von souveränen Staaten beherrscht werden: Das Konfliktgeschehen wird heute auch von Bürgerkriegen, von selbsternannten Warlords, Guerilla-Kämpfern, regionalen und privaten Kriegsherren bestimmt. Die Bedrohungen, die vom Verlust staatlicher Souveränität, von failing states und asymmetrischer Kriegsführung ausgehen, sind schwerer berechen- und kontrollierbar.
Die weltweiten Spannungen und Konflikte sind der Nährboden für terroristische Entwicklungen. All das macht es uns nicht leichter, Grenzen zu ziehen oder auch nur zu definieren. Und so zwingt uns die globalisierte, vernetzte und mobile Welt geradezu, auch sicherheitspolitisch auf die Auflösung des Gegensatzes von innen und außen zu reagieren.
Eine große sicherheitspolitische Herausforderung unseres Jahrhunderts ist dabei die Asymmetrie der Konflikte. Die Asymmetrie in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus beschränkt sich dabei nicht auf das Kampfgeschehen, unterschiedliche militärische Stärke und Legitimation. Asymmetrie erfasst die gesamte Konfrontation mit dem internationalen Terrorismus. Die neue Dimension asymmetrischer Konflikte liegt etwa auch darin, dass der massenmedialen Verbreitung des Geschehens eine besondere Bedeutung zukommt: Es geht um Medienhoheit im globalen Maßstab, mehr noch als um militärische Überlegenheit geht es um die Aufmerksamt der Weltöffentlichkeit.
Es gibt keine fertigen und verlässlichen Antworten auf die Frage, wie wir die Geißel des Terrorismus in den Griff bekommen können. Deshalb müssen wir lernfähig sein. Es gibt auch keine absolute Sicherheit vor terroristischer Bedrohung. Das entbindet uns jedoch nicht von der Verantwortung, immer wieder ein Optimum zu suchen.
Mit zunehmender Durchlässigkeit – oder sogar dem Wegfall – von Grenzen, also mit zunehmenden grenzüberschreitenden Aktivitäten der Menschen insgesamt – einschließlich der Kriminellen und Terroristen – brauchen wir eine stärkere internationale Zusammenarbeit. Wir müssen ebenso grenzüberschreitend agieren wie Terroristen und Kriminelle, und wir müssen ebenso vernetzt sein – international wie national.
Wir müssen operativ auf der Höhe derjenigen sein, die unsere Sicherheit gefährden. Das heißt, wir müssen die technischen Mittel anwenden und kontrollieren, die Kriminelle und Terroristen im 21. Jahrhundert zur Ausübung ihrer Taten nutzen.

Das wichtigste Instrument im Kampf gegen den Terrorismus ist intelligence. Nur mit Informationen haben wir eine Chance, Bedrohungen abzuwehren, bevor Schaden entstanden ist. Deswegen ist die Erlangung und Vernetzung von Informationen, effektive Ermittlungsarbeit und Kooperation der Behörden – national wie international – unverzichtbar.
Wir haben hier seit dem September 2001 schon vieles erreicht, auch und gerade in der internationalen Zusammenarbeit. Ein Erfolg ist auch das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zur Übermittlung von Fluggastdaten, das im Juni abgeschlossen wurde. Ebenfalls während der deutschen Ratspräsidentschaft haben Europäische Union, Kommission und Vereinigte Staaten Einvernehmen über den Austausch von internationalen Zahlungsverkehrsdaten erzielt. Wir müssen auf diesem Weg weitergehen. Deswegen habe ich mich während meiner Reise in die Vereinigten Staaten vor einem Jahr mit meinem Kollegen Michael Chertoff darüber verständigt, ein bilaterales Abkommen zur Intensivierung des Informationsaustauschs zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten vorzubereiten.
Im Kampf gegen den Terrorismus spielt das Internet eine besondere Rolle. Die dezentrale und herrschaftslose Struktur des Internets bietet den Terroristen ein gigantisches Forum: Es ist Kommunikationsplattform, Werbeträger, Fernuniversität, Trainingscamp und think tank in einem und dient zudem der Rekrutierung neuer Terroristen.
Die globale Informationsgesellschaft ist eben auch die Basis des Verbrechens. Deswegen darf der demokratische Rechtsstaat – was die Nutzung und Kontrolle der Informationstechnologie betrifft – nicht hinterwäldlerisch sein. Der Rechtsstaat muss Terroristen und Kriminellen dort begegnen, wo sie operieren.
Bei der Gewinnung und Vernetzung von Informationen stoßen wir immer schnell an datenschutzrechtliche Bedenken und Begrenzungen. Die Notwendigkeit des Datenschutzes ist unbestritten.
Mein Verständnis von Datenschutz ist es allerdings nicht, dass sich der Staat selbst blind und dumm macht. Datenschutz bedeutet nicht, dass der Staat wegschauen muss, wenn es um die Vorbereitung schwerster Straftaten geht. Datenschutz bedeutet nach meinem Verständnis, dass der Gesetzgeber transparente Grundlagen schafft, wer welche Daten wofür erhebt, welche Daten vernetzt werden können, wie lange sie gespeichert werden usw.
Diesem Ziel dient auch die Einrichtung einer hochrangigen Kontaktgruppe Datenschutz, die die Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäische Union im November 2006 beschlossen haben. Sie soll dem notwendigen Datenaustausch eine verlässliche rechtliche Basis schaffen. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten sind sich hier im Kern einig, wenngleich es beim Datenschutz auch Unterschiede in den Rechtssystemen gibt.

Die Untrennbarkeit von innerer und äußerer Sicherheit in einer globalisierten Welt bringt es mit sich, dass wir unsere Sicherheit durch Auslandseinsätze erhalten müssen. Wir sind eben in fast jeder Beziehung – wirtschaftlich, politisch und eben auch, was unsere Sicherheit betrifft – von Entwicklungen in allen Teilen der Welt abhängig.
In Deutschland muss man das noch gelegentlich erklären, wenn die Menschen fragen, was unsere Soldaten beispielsweise in Afghanistan machen: Sie arbeiten für die Sicherheit der Menschen in Ländern, die viel weiter westlich liegen. In den Vereinigten Staaten hat man damit traditionell weniger Schwierigkeiten. Diese Einsätze sind notwendig, um die Bedrohungslage im Griff zu behalten und die Sicherheit zu stabilisieren.
Zugleich müssen wir aber darauf achten, dass wir durch militärische Einsätze nicht mehr Provokation erzielen als in der Sache voranzukommen. Entscheidungen in asymmetrischen Konflikten erfolgen nicht nur auf militärischem, sondern auch auf wirtschaftlichem, sozialem und politischem Gebiet. Deswegen werden wir die Konflikte nicht allein mit Waffengewalt lösen. Letztlich geht es darum, die Menschen von unseren Werten einer freien Gesellschaft zu überzeugen. Nur so können wir Krisenregionen auf Dauer stabilisieren. Dabei spielen übrigens auch die Medien eine nicht zu unterschätzende Rolle.

In Deutschland habe ich vor einem Jahr die Deutsche Islam Konferenz ins Leben gerufen. Damit wollte ich einen dauerhaften, institutionalisierten Dialog mit den Muslimen in Deutschland in Gang setzen. Auch das ist neben anderen Dingen eine wichtige Aufgabe in unserer globalisierten Welt: dass die zunehmend heterogenen Gesellschaften nicht auseinanderdriften, sondern ein Gemeinschaftsgefühl erhalten bleibt. Wir brauchen multilaterale Zusammenarbeit anstatt unilateraler Entscheidungen.

Die Anstrengungen und das Engagement der einzelnen Länder sind die Basis für eine wirksame Verbrechensbekämpfung. Zugleich gilt aber auch, dass unilaterale Entscheidungen in unserer modernen, globalisierten Welt nicht mehr weit tragen – gerade weil es in der asymmetrischen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus nicht nur um militärische Überlegenheit, sondern auch um öffentliche Wahrnehmung unseres Handelns geht. Wir brauchen eine stärkere Abstimmung untereinander, wenn wir das gemeinsame Ziel, nämlich Freiheit und Sicherheit in unseren Staaten langfristig zu erhalten, erreichen wollen.
Wir brauchen auch ein gemeinsames Verständnis internationaler Sicherheitspolitik, um bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus weltweit handlungsfähig und schließlich erfolgreich zu sein. Und so frage ich mich manchmal, ob wir nicht auch im transatlantischen Verhältnis etwas bräuchten, was dem gemeinsamen „Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts“ in der Europäischen Union entspricht – eine Art transatlantischen Sicherheitsraum, der auf einer soliden vertraglichen Grundlage beruht.
Auch sollten wir uns bemühen, völkerrechtlichen Fragen mit Blick auf den Wandel des Konfliktgeschehens zu diskutieren. Meine Überzeugung ist, dass nationale Rechtsordnungen wie internationales Recht auf die neuen Formen der Bedrohungen im Grunde nicht mehr wirklich passen. Mit dem Verschwimmen der Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit hilft uns die Unterscheidung zwischen Völkerrecht im Frieden und Völkerrecht im Krieg in vielen Fällen nicht mehr weiter. Die Unterscheidung zwischen Kombattantenstatus und Nicht-Kombattantenstatus scheint nicht mehr ausreichend.
Und so gibt es eine Reihe von Fragen, bei denen wir nur sehr zögerlich anfangen, sie in der öffentlichen Debatte auf den Weg zu politischen Entscheidungen zu führen. Ich kann keine fertigen Antworten liefern. Aber ich glaube schon, dass wir diese Debatten auch international führen müssen. Alleine können sie keinem Land gelingen.
Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika teilen die Überzeugung, dass Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit untrennbar miteinander verbunden sind. Wir sind gemeinsam der Überzeugung, dass jedem Menschen eine einzigartige Würde innewohnt. Wir sind überzeugt, dass jedermann Anspruch auf ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben in einer solidarischen Gesellschaft hat. Diese Übereinstimmung ist eine solide Basis, um gemeinsam gegen den islamistischen Terrorismus vorzugehen, um gemeinsam unsere Freiheit für die Zukunft zu bewahren.

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Source: www.bmi.bund.de