Nikita und Tom wurden am 16. November 2009 vor dem Tribunal de Grande Instance in Strasbourg ,für das Anzünden einer alten Zoollstation, zu 4 Jahren Haft (davon 1 Jahr auf Bewährung) verurteilt. Nach ihrer Verlegung vom Maison d´Arret de Strasbourg in das Centre de Détention in Saint-Mihiel, Ende Januar/ Anfang Februar 2010, wollen sie mit dem folgenden Brief über eine mögliche Haftzeitverkürzung bzw. Halbstrafe informieren.
Moin Moin,
In diesem Schreiben wollen wir über die Beantragung der Halbstrafe für Ausländer in französischer Haft informieren.
Für uns, sowie auch für viele der anderen Ausländer, die sich in einer vergleichbaren Situation befanden, war die Halbierung der Freiheitsstrafe, der Funken Hoffnung an den Mensch sich klammerte.
In Frankreich gibt es verschiedene Arten der Haftverkürzung (Conditionnel Explusion, Conditionelle Parental, etc.) Zu Anfang wollen wir jedoch auf die Haftverkürzung (CdRP, Credit de Réduction Peine) eingehen, die jeden Menschen, die ihre erste Haftstrafe in Frankreich absitzen, gewährt werden.
„Seit 1. Januar 2005 wird den Strafgefangenen im Regelfall ein automatischer Strafnachlass (Credit de Réduction Peine), der sich auf Basis des Strafmaßes errechnet, gewährt. Er beträgt:
- sieben Tage pro Monat
- drei Monate für das erste Jahr
- zwei Monate für jedes weitere Jahr“ 1
Dazu kommt eine weitere Haftverkürzung (RPS, Reduction Peine Supplementaire), die sich auf `s Interne bezieht. Darin werden Verhalten bzw. Fehlverhalten während der Haft, Aktivitäten (z.B. Schule und Arbeit) und die Zusammenarbeit mit der Sozialarbeiterin / dem Sozialarbeiter mit einbezogen.
Einmal pro Jahr findet eine Kommission für die RPS statt, die einem bei guter Führung einen maximalen Strafnachlass von 3 Monaten gewährt. Gegen das Urteil kann Mensch Einspruch einlegen.
Im Maisons d `Arret (Untersuchungsgefängnis) wird im Regelfall nur ein sehr geringer Strafnachlass gegeben. Oft nur einige wenige Tage. Im Centres de Detention (eigentliche Haftanstalt) ist die Wahrscheinlichkeit höher, den max. Strafnachlass zu bekommen.
Nun zur eigentlichen Halbstrafe.
Der Antrag kann erst in Anschluss der Verurteilung gestellt werden, über die Admenistration (beim „Greffe“, in etwa die Gefängnisverwaltung). Innerhalb einer Frist von 15 Tagen kommt eine Antwort von der Richterin / vom Richter („JAP“- Juge de l `Application des Peines), die entweder positiv oder negativ sein kann. Im Falle einer negativen kann Mensch einen neuen Antrag frühestens 3 Monate später stellen.
Der Antrag muss von jedem Gefangenen selbst gestellt werden. Wenn eine Geldstrafe ( Amende)
z. B. an den Zoll (Douane) zu zahlen ist, kann es möglich sein, dass dieser sich gegen die Erteilung der Halbstrafe ausspricht. Die Position des Zolls trägt maßgeblich zur Entscheidung der Richterin / des Richters bei. Es ist jedoch möglich ein Abkommen mit dem Zoll zu treffen, wobei nur eine Teilmenge gezahlt werden muss. Auch sollte Mensch monatlich Geld zahlen (z. B. Partier Civiles oder direkt an den Zoll), da sich dies, als Zeichen guten Willens, ebenfalls positiv auf die Erteilung der Halbstrafe auswirkt. Die Halbstrafe beinhaltet die Abschiebung (zwangsläufig für Ausländer) in ein Land nach Wahl. Für den Rast der Halbstrafe gilt ein strenges Frankreichverbot!
Mit Hilfe der Sozialarbeiterin / des Sozialarbeiters wird eine Akte für die Halbstrafen Kommission zusammengestellt, welche der Richterin / dem Richter dabei “hilft“ eine Entscheidung zu treffen. In diese Akte gehören (wenn möglich) Wohnbescheinigung (auch von den Eltern / Verwandten möglich, mit der Bestätigung das Mensch nach der Entlassung dort wohnen kann) nebst Stromrechnung (als Beweis sozusagen), ein Arbeitsvertrag (essentiell), bzw. Schul- oder Studiumsbescheinigung. Zur Not tut es auch ein Praktikum oder eine vergleichbare “bindende“ Verpflichtung. Gefängnisinterne Aktivitätsbescheinigung ( Theater-AG, Chor, Konservatorium, Sportverein etc.) können sich positiv auf die Entscheidung auswirken. Auch eine Kopie des Familienbuchs ist zu empfehlen. Der ganze Kram kann als Kopie oder Original (besser) eingereicht werden, übersetzt wird es vom Gericht!
Das “Dossier“ (die Akte) beinhaltet des weiteren 2 Fragebögen, wovon je einer mit Hilfe der Gefängnispsychologin / des Gefängnispsychologen und der Andere mit Hilfe der Sozialarbeiterin / des Sozialarbeiters ausgefüllt werden. Beide Fragebögen (mit leicht verschobenen Schwerpunkten) dienen dazu, die Persönlichkeit besser einschätzen zu können, die familiären Umstände zu durchleuchten und vergangene, aktuelle und zukünftige Projekte in Erfahrung zu bringen.
Für gewöhnlich gibt es vor der Kommission auch ein Gespräch mit der Anstaltsleitung, welches sich um das Verhalten bzw. Fehlverhalten, Aktivitäten innerhalb der Haftanstalt (z.B. Schule, Sport, Arbeit, Ausbildung, Nutzung kultureller Angebote) dreht. Die Meinung der Anstaltsleitung wird an die Richterin / den Richter weitergegeben und spielt bei der Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle.
Es ist möglich den Antrag zur Halbstrafe + Abschiebung (Conditionnel Expulsion) nach der Hälfte der Haftzeit zu stellen…was bedeutet „nach der Hälfte“? Theoretisch ist es möglich die Halbstrafe + Abschiebung nach dieser Formel zu bekommen:
Gesamtstrafzeit – Haftverkürzung / 2
Beispiel (für Tom und Nikita)2:
36 Motate – 7 Monate (CdRP) – 3 Monate (RPS) / 2 = 14 Monate
Die Wahrscheinlichkeit diese zu bekommen, steigt je näher der Antragszeitpunkt an der Erreichung der Nettohälfte der Haftzeit (Gesamtstrafzeit / 2, Bsp.: 36 Monate / 2= 18 Monate) liegt. Uns ist praktisch kein Fall untergekommen in dem die Halbstrafe + Abschiebung früher als zur Hälfte der Gesamtstrafzeit gegeben wurde. Realistisch gesehen ist es also sehr unwahrscheinlich vor der Nettohälfte freigelassen zu werden.
Die Kommission (Tribunal de l `Application des Peines) besteht aus einer Richterin / einem Richter (JAP, Juge de l`Application des Peines), einer Strafanwältin / eines Strafanwaltes. Mensch selbst darf auf Staats- oder auf eigene Kosten einen Anwalt hinzuziehen. Bei Bedarf kann kostenfrei ein Übersetzter hinzugezogen werden. Bei uns findet die Kommission innerhalb des Gefängniskomplexes statt. Nach unserem Wissen besteht Anwesenheitspflicht bei der Kommission.
Nach der Kommission hat die Richterin / der Richter 15 Tage zeit ihre Entscheidung zu treffen. Im Falle einer negativen Entscheidung wird zumeist gleich ein Datum festgelegt, ab welchem erneut ein Antrag für eine Kommission gestellt werden darf. Bei einer positiven Entscheidung gibt es die Möglichkeit dass Mensch ein Datum mitgeteilt bekommt, das den frühestmöglichen Abschiebungszeitpunkt benennt. Für gewöhnlich liegen jedoch einige Wochen zwischen dem frühestmöglichen Abschiebezeitpunkt und der tatsächlichen Abschiebung. Die andere Möglichkeit ist, das Mensch ein festes Abschiebedatum bekommt.
Wie die Abschiebung dann im Einzelnen vonstatten geht, wissen wir noch nicht. Gerüchteweise haben wir gehört, dass Mensch an die Grenze gebracht und dort dem jeweiligen Zoll übergeben wird. Wichtig ist es herauszufinden (über die Administration) ob der persönliche Ausweis / Passport noch gültig, bzw. noch vorhanden ist. Ansonsten kommt es zu Komplikationen.
Als Ausländer wollen wir die Französischen Gesetze nicht in Frage stellen, als Menschen jedoch würden wir uns wünschen dass – wenn überhaupt – diese weniger subjektiv bzw. ganz subjektivitätsfrei ausgelegt würden.
Wir empfinden es als falsch, dass die Gefängnisleitung sich ein Bild von einem Gefangenen macht, allein auf Basis seines Äußeren und das auch die Gerichte sich mehr von den Äußerlichkeiten beeinflussen lassen als sich nur auf die Tatsachen zu beziehen.
Die Information die wir in diesem Text aufführen basieren auf eigener Erfahrung und Tatsachenberichten anderer. Dafür dass die Informationen vollständig sind, können wir keine Garantie geben.
Mit kommunistischem Gruß,
Nikita + Tom
: Merkblatt der deutschen Auslandsvertretung in Frankreich, Deutsche
Strafgefangene in Französischen Gefängnissen, Seite 3, Absatz 3, Zeilen 1-6
2Anmerkung der Person die den Brief abgeschrieben hat
Die Kommission zur Haftzeitverkürzung/Halbstrafe war am 08. Juli 2010. Wie und ob sich die Haftzeit konkret verändert ist jedoch nicht klar. „Was solls, bis zum Ende sind es noch 10 Monate und wenn ich sie machen muss, dann mache ich sie!“, so Nikita abschließend. Sowohl Tom als auch Nikita geht es den Umständen entsprechend gut.
Die Verhandlung über den Schadensersatz in Höhe von 250.000 Euro, wurde vom 21. Juni 2010 auf den 15. November 2010 verlegt. Sie wird vor dem Trésore de la République stattfinden.
An dieser Stelle halten wir es für wichtig nochmals darauf hinzuweisen, dass wir Solidarität als Notwendigkeit empfinden und keine Lust auf einen Widerstand haben, der wie ein kurzlebiges Event inszeniert wird. Unterstützt die Gefangenen und vergesst sie nicht.
Solidarische Grüße, Starsbourg-Solidaritätsgruppen
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Briefkontakt zu Tom und Nikita:
entweder hier: http://breakout.blogsport.de/unterstuetzen/briefe-schreiben oder über strasbourgsoli[at]riseup.net
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