Bericht von der Antisexist Contact- and Awarenessgroup
Während der G8 Proteste rund um Heiligendamm kam es wiederholt zu Sexismus, sexualisierter Polizeigewalt und zur Androhung von sexualisierter Polizeigewalt. Wir suchen Zeugen_innen, einmal um einen internen Austausch und eine gegenseitige Stärkung der Betroffenen zu erreichen, zum anderen damit in anonymisierter Form eine Betroffenengruppe auftreten kann. Dies ist wichtig, damit das Thema politisch ans Tageslicht kommt, denn sexualisierte Polizeigewalt wird meistens nicht und schon gar nicht in der Öffentlichkeit benannt. Dies ist auch für den zu erwartenden Untersuchungsausschuss von Bedeutung. Wichtig ist uns hierbei noch darauf hinzuweisen, dass es auch innerhalb der Anti-G8-Protestbewegung zu Sexismus und sexualisierter Gewalt kam, damit nicht mit dem Blick auf die Polizei die sexualisierte Gewalt innerhalb der Bewegung nach Hinten rutscht.
Doch bevor wir konkreter werden erst einmal zur Einordnung von Sexismus und sexualisierter Gewalt allgemein. Die Einteilung der Menschen in zwei Geschlechter und die Hierarchisierung von Geschlecht ist die Herstellung eines Machtgefälles auf dem unsere Gesellschaft aufbaut. Darüber werden Ein- und Ausschlüsse, bestimmte Zuschreibungen und Aufgaben zugeordnet, von gesellschaftlicher Arbeitsteilung bis zu z.B. Redeverhalten. Zur Aufrechterhaltung dieses Machtgefälles muss dieses immer wieder aktiv hergestellt werden. Sexismus und sexualisierte Gewalt sind in diesem gesellschaftlichen Prozess ein Machtmittel, um diese Gewaltverhältnisse aufzubauen und aufrechtzuerhalten und um Hierarchien und Abhängigkeiten herzustellen und aufrechtzuerhalten. Also eine alltägliche Praxis zur Herstellung von hierarchischen Geschlechterverhältnissen.
Nun zu Sexismus und sexualisierter Gewalt als Praktiken von staatlichen Zwangsinstitutionen, wie der Polizei und der Armee:
Sexismus und sexualisierte Gewalt und speziell Vergewaltigungen sind u.a. in Kriegssituationen als bewusst eingesetztes und z.T. befohlenes Mittel der Zerstörung, Machtausübung und Demütigung des so genannten Feindes bekannt. Doch auch in so genannten Friedenszeiten wird strukturelle Gewalt durch Sexismus und sexualisierte Gewalt hergestellt. Im herrschenden Diskus wird immer wieder suggeriert, dass es sich bei sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung um Ausnahmezustände und exponierte Einzelfälle handelt. Die Realität ist jedoch, dass Sexismus und sexualisierte Gewalt ein alltäglicher Zustand sind, also der Regelfall. Sexismus und sexualisierte Gewalt wirkt in diesem Zusammenhang wie eine Waffe und ist ein gezielt eingesetztes Mittel der Gewaltanwendung und Unterwerfung. Dies hat Kontinuität, so ist z.B. in Genua nach dem Überfall auf die Diaz-Schule mehreren Frauen mit Vergewaltigung gedroht worden.
Sexualisierte Gewalt übergeht das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Personen völlig. Es greift die körperliche und psychische Integrität an und wirkt traumatisierend.
Zu der schrecklichen Erfahrung von Gewalt, Ohnmacht und Demütigung kommt für Opfer sexueller Gewalt zusätzlich die Belastung durch eigene Gefühle von Scham und Schuld mit denen Betroffene meist zu kämpfen haben. Darüber hinaus ist es bis heute ein ungeheures Stigma, sich selbst als Opfer sexualisierte Gewalt zu bezeichnen. Also den Schritt zu gehen sich selbst darin wahrzunehmen, die Gewalterfahrung zu formulieren, zu politisieren, Täter zu benennen und anzuklagen. Aus all diesen Gründen kann sexualisierte Gewalt öffentlich meist nicht als solche benannt werden. Es sind enorme Ressourcen wie Unterstützung durch Freund_innen, Beratungsstellen oder Unterstützer_innen-Kreise nötig, um diesen Schritt der Benennung zu wagen. Doch selbst wenn die Betroffene die Kraft findet, über das Erlebte zu sprechen, kommt es meist zu sekundärer Viktimisierung, also zu weiteren Verletzungen in Folge. Zu dieser Belastung, immer wieder über traumatische Erlebnisse sprechen zu müssen, kommen die meist katastrophalen Reaktionen von Außen hinzu: Entweder wird der Frau nicht geglaubt, es werden detaillierte Informationen eingefordert, ihr wird eine Mitschuld zugewiesen oder sie wird pathologisiert, d.h. als krank, verrückt oder hysterisch diffamiert.
Dies sind u.a. Gründe, warum es Betroffene nicht wagen rechtliche Schritte einzuleiten. Sei es, dass bei ihnen der Glaube an das Rechtssystem erschüttert ist oder sie sich nicht stark genug fühlen, diesen Weg gehen zu können oder sie der Stigmatisierung durch andere zu entgehen versuchen. Der größte Teil der Vorfälle wird nicht zur Anzeige gebracht und auch wir als Unterstützungsgruppe von Betroffenen raten meist von Anzeigen ab.
Auf der anderen Seite reagieren Betroffene auch aus der Stärke heraus, dass ihnen im Vorfeld bewusst ist, dass es zu Repression kommen kann und Sexismus und sexualisierte Gewalt ein Teil darin ist, sie sich davon nicht einschüchtern lassen und sich innerlich dagegen wappnen. Die Stärke und Entschlossenheit der Bewegung wurde hier von ihnen genutzt, um Gewalterfahrungen nicht so stark an sich ranzulassen und dem voll Selbstvertrauen zu begegnen.
Die Vorkommnisse mit denen Menschen sich an uns wandten reichen z.B. von der Verweigerung von Tampons über Kontrollen, bei denen die Betroffenen in den Schritt oder an die Brust gefasst wurden, z.T. begleitet von anzüglichen Geräuschen über Kontrollen oder ID Behandlungen, bei denen sich Betroffene vollständig oder halb nackt ausziehen mussten und fotografiert wurden bis zu Androhungen von Vergewaltigung in Gefangenensammelstellen.
Alle diese hier beschriebenen Situationen fanden in einem Kontext statt, in dem die Polizei oft willkürlich ihren Macht- und Souveränitätsanspruch demonstrierte und durch Zwang und Gewalt durchsetzte. AktivistInnen sahen sich zum Teil schwarz vermummten und gepanzerten Polizeikräften gegenüber. Aber allein schon eine willkürliche Durchsuchung, erst Recht eine willkürliche Ingewahrsamnahme zur sogenannten „Gefahrenabwehr“, ist von der symbolischen Grammatik mehr als eindeutig ein: WIR HABEN DIE MACHT – IHR NICHT.
Sexismus und sexualisierte Gewalt wie in den beschriebenen Beispielen stehen immer in diesem Kontext. Sie werden bewusst und gezielt eingesetzt, um die symbolisch ohnehin schon inszenierte Demütigungs- bzw. Unterwerfungspraxis zu verstärken.