In einem ausführlichen Gespräch erläuterte Oberstaatsanwalt Peter Lückemann von der Staatsanwaltschaft Rostock Politblog den Stand der Ermittlungen und das mögliche weitere Vorgehen im Falle des enttarnten Zivilpolizisten.
Der Stand der Dinge: Momentan prüft die Staatsanwaltschaft den Fall und wartet dringend auf die Aussagen des/der Zeugen, der sich an die Hamburger Morgenpost gewandt hatte und eines weiteren, der in WELTonline zitiert wurde
Diese Zeugenaussagen müssen laut Peter Lückemann vorliegen, um weitere Schritte bzw. ein Verfahren einzuleiten. Der Staatsanwaltschaft Rostock liegen bis heute weder diese Aussagen vor, noch haben sich andere Zeugen gemeldet. Man wartet! Die Zeugen müssten sich dringend und umgehend melden, damit die Staatsanwaltschaft den Vorfall detaillierter untersuchen kann.
Nach bisheriger Kenntnis sieht die Rechtslage folgendermaßen aus:
Eine Aufforderung zum Steinewerfen, noch dazu wenn sie kein Steinewerfen durch die Aufgeforderten zur Folge hat, quasi erfolglos bleibt, stellt keinen Straftatbestand in Sinne eines „Verbrechens“ dar – sondern es ist eine Aufforderung zu einer Straftat, die in der Regel mit max. bis zu unter einem Jahr Haft bestraft würde - und somit kann sie nicht staatsanwaltlich verfolgt werden, bzw. kann es zu keiner staatsanwaltlichen Anklage kommen. Ein solcher Fall würde dann allenfalls ein polizeiliches Disziplinarverfahren zur Folge haben, eine zivilrechtliche Klage könnte eventuell darüber hinaus angestrebt werden.
Hätte der Polizist zum Beispiel gerufen „Los – die Bullen schlagen wir tot“, wäre das ein Aufruf zum Mord gewesen - und die Rechtslage sähe anders aus, eine Anstiftung zum Mord ist selbst ein Verbrechen und kann staatsanwaltlich zur Anklage gebracht werden. Das Beispiel dient der Veranschaulichung der Rechtslage, es verfolgt nicht die Absicht, die tatsächlichen Fakten zu verdrehen oder zu dramatisieren.
Auch der von Frederick (vgl. Politblog – Lasst uns mal Krawall machen) geschilderte Fall dürfte nach Auskunft des Rostocker Juristen keine staatsanwaltlichen Schritte zur Folge haben, da es sich auch in diesem Fall „nur“ um eine Aufforderung zu einer Straftat, nicht jedoch zu einem „Verbrechen“ handelt.
Hier noch einmal die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen zum besseren Verständnis:
- Strafbar ist die versuchte (also erfolglos gebliebene) Anstiftung nur, wenn zu einem Verbrechen angestiftet wurde
- Ein Verbrechen ist eine Tat aber nur, wenn die Mindeststrafe höher als ein Jahr Freiheitsstrafe ist
- Das ist z.B. bei schwerem Landfriedensbruch gerade nicht der Fall
Man kann es kaum glauben - das Recht scheint auf den Kopf gestellt: Hätten die Zivilpolizisten mit ihrem Anstacheln Erfolg gehabt und wären danach als „Rädelsführer“ enttarnt worden, d.h. ihre Aufforderung wäre erfolgreich gewesen, sähe die Sachlage schon anders aus. Dann wäre es kein Versuch, sondern eine Tat. Sie könnten staatsanwaltlich und strafrechtlich verfolgt werden. Das heißt im Klartext: die Besonnenheit und Friedfertigkeit der Demonstranten schützt die Zivilpolizisten nun möglicherweise auch noch vor einem strafrechtlichen Verfahren und einer gerechten Strafe.
Von der strafrechtlichen Verfolgung möglicher Verantwortlicher, also Vorgesetzter des Beamten, ist man meilenweit entfernt. Die Staatsanwaltschaft geht “von einem Einzeltäter aus, der nicht auf Anweisung gehandelt habe”. Auf meine Frage an Peter Lückemann, ob er den Film “Gipelfstürmer - die blutigen Tage von Genua” kenne, sagte er “Ja, den kenne ich”. “Sie verstehen, dass viele Bürger in unserem Land da Parallelen entdecken und ihnen der zunehmende Eingriff in die Verfassung große Sorge macht? ” “Ja” sagte er.
Aber - so ist die Rechtslage! Trotzdem: die Staatsanwaltschaft wartet dringend auf die Zeugen und möchte den Fall verfolgen! Nichts machte bislang den Eindruck, da solle etwas grundsätzlich unter den Teppich gekehrt werden. Inwieweit andere Juristen der Rechtsauffassung der Oberstaatsanwaltschaft Rostock folgen, ist eine weitere Frage, vielleicht gäbe es hier auch noch andere Ansätze, die Taten juristisch zu bewerten.
Meine Prognose des weiteren Verfahrens kann ich, glaube ich, nach diesem Gespräch ziemlich genau abgeben: Wenn überhaupt die Zeugen sich nun endlich einmal bei der Staatsanwaltschaft melden – und das ist zwingend nötig, damit überhaupt etwas passieren kann (logisch kann die Staatsanwaltschaft nicht aufgrund eines vor der Presse gegebenen Interviews Strafanzeige stellen) - , wird das Verfahren möglicherweise wegen „fehlendem öffentlichen Interesse“ (d.h. wegen eines zu geringen Straftatbestandes) nicht aufgenommen. Das alles jedoch hängt im Weiteren von den detaillierten Zeugenaussagen und von der weiteren Untersuchung der Staatsanwaltschaft ab.
Da die Beweise durch Zeugenaussagen und möglicherweise sogar existierende Fotos von dem Vorfall aber zu belastend wären, um sie gänzlich unter den Tisch fallen zu lassen, müsste vielleicht wenigstens die Polizei ein Disziplinarverfahren einleiten. So ließe sich die bei einigen aufrechten Demokraten kochende Volksseele einigermaßen abkühlen: „Man tut etwas“. Bei dem polizeilichen Disziplinarverfahren – und da bin ich ziemlich sicher – käme dann allenfalls aufgrund der erdrückenden Beweislast heraus, dass dem Beamten in Anbetracht der angespannten Lage vor Ort und der tagelangen psychischen Belastung durch den Einsatz ein wenig die Pferde durchgegangen seien. Selbstverständlich hat er aus eigener Motivation gehandelt, einen solchen Befehl – Demonstranten zu Straftaten anzustacheln – hat es niemals gegeben.
Menschliches Fehlverhalten aufgrund einer angespannten Situation. Das war’s. Und dafür gibt’s drei Monate Kur im Grandhotel Heiligendamm auf Staatskosten!
Dieser Artikel wurde um die gesetzlichen Grundlagen durch die Annmerkungen von Simon nachträglich ergänzt - vielen Dank dafür!
[http://politblog.net/allgemein/polizei-unter-anklage.htm]