Ab Montag bzw. Dienstag gehen zwei Prozesse zu den Klimagipfel-Protesten von Dezember in Kopenhagen weiter. Zum Einen die Massenklage gegen den dänischen Staat wegen der Massengewahrsamnahmen, zum anderen ein Verfahren gegen zwei Personen wegen Organisations-/Verschwörungsdelikten.
Mehr Infos dazu auf dem unten angegebenen Blog der Berliner Cop15antirep-Soligruppe.
Hier jetzt die Übersetzung eines Artikels, der Anfang Juli in der dänischen Zeitung “Information” erschien (siehe: http://www.information.dk/238114) und von den ersten zwölf Prozesstagen des Verfahrens gegen den Staat berichtet.
Der Fall, welcher der Polizei endlich ihre Grenzen aufzeigen könnte
In dem Prozess um die Entschädigungen wegen unberechtigter Freiheitsberaubungen geht es nicht nur um die Summe, sondern es geht vor allem um das Demonstrationsrecht und die fragwürdige Anwendung der polizeilichen Machtmittel, darunter das sogenannte Polizeigesetz.
Die Zeitung Information ist eine der wenigen Medien, die den Prozess bezüglich der Rechtmässigkeit der Masseningewahrsamnahmen während des Klimagipfels vor dem Kopenhagener Amtsgericht mitverfolgt hat und zieht jetzt nach zwölf Verhandlungstagen Bilanz.
Zusammen mit hunderten von anderen Betroffenen wurde Peter Lipton aus den Niederlanden in der Nacht zum 13.Dezember 2009 seiner Freiheit beraubt und zum extra eingerichteten Klimagefängnis am Retortvej in Valby gebracht. Die Behandlung, die ihn dort erwartete überraschte ihn: „Die zuständigen BeamtInnen verhöhnten uns, während sie uns mit ihren privaten Mobiltelefonen abfotografierten und filmten“, so Lipton in seiner späteren Klage über die Erniedrigungen, die er und seine Mitgefangenen am Retortvej ertragen mussten, wo PolizeibeamtInnen grinsend die Festgenommenen in den Gitterkäfigen mit privaten Handykameras filmten.
Lipton berichtet, dass zu einem gewissen Zeitpunkt am selbigen Abend Unruhe unter den Gefangegen aufkam und dass PolizeibeamtInnen in Kampfmontur in die Halle mit den Käfigen anrückten, um sich Respekt zu verschaffen. „Als sie dabei waren sich wieder zurückzuziehen, zog einer der PolizistInnen seine Canon Kamera hervor und begann die Leute in den Käfigen abzufotografieren.“ Weiterhin beschreibt Lipton die Kamera, „so gross wie eine Zigarettenpackung“ und er bekam den Verdacht, „dass es sich hierbei um private Aufnahmen handelte.“
Im Käfig nebenan, sass Kasper Weber Hansen aus Dänemark. Auch er hatte, wie ungefähr 900 andere freiheitsberaubte DemonstrantInnen, Stunden auf dem eiskalten Asphalt sitzen müssen, während seine Hände auf dem Rücken stramm mit Kabelbindern gefesselt waren, ohne eine Erklärung der Polizei für diese Behandlung, während Presse aus aller Welt nebenbei die größte Massengewahrsamnahme in der dänischen Geschichte dokumentierte. Erst als ein Arzt gegen 18 Uhr die Polizei darauf hinwies, dass der Asphalt eiskalt sei, begann die Polizei, die immer noch mit Kabelbindern gefesselten Gefangenen einzeln zu bewegen.
Obwohl Weber Hansen nichts anderes getan hatte, als an einer Demonstration teilzunehmen, die mehr als 100000 Menschen aus aller Welt zählte, wurden ihm und den Anderen Stunden lang alle Rechte, wie auf Toilette zu gehen, Wasser zu trinken, etwas zu Essen zu bekommen und die Angehörigen zu kontaktieren, verweigert. Weiterhin beschreibt er die Gefangenensammelstelle am Retortvej als ein Inferno aus Schreien, Brüllen und Hundegebell, und auch er erinnert sich daran, wie „mehrere BeamtInnen mit Ohrenschützern grinsend die Gefangenen mit ihren Handykameras filmten.“
Der Einsatzleitung der Kopenhagener Polizei zufolge warten „ein großer Teil der Klagen“ über die „angeblichen“ Amteurfotos von PolizistInnen auf eine näherere juristische Behandlung, doch es wurde auch gegen gravierendere Vorkommnisse Klage erhoben.
Unter anderen berichten mehrere DemonstrantInnen davon, wie BeamtInnen während der andauernden Unruhe mit Pfefferspray in die Käfige sprühten, damit die Gefangenen zurückwichen. Andere wiederum beschreiben Gewalt, Prügel, gewaltättige Drohungen, verbale Erniedrigungen, sowie etliche Fälle, wo die Bitte, auf Toilette gehen zu dürfen oder die Kabelbinder zu lockern, schlicht ignoriert wurden.
Zudem gibt es haufenweise Beschreibungen von BürgerInnen,die sich erniedrigt und gekränkt fühlten, da sie selbst – oder eine Person, die in der Nähe saß – schließlich in die Hose machen mussten.
Diese gewaltigen Beschreibungen sind der Ausgangspunkt für die juristische Schlammschlacht, die zur Zeit in einem kleineren Gerichtssaal im Kopenhagener Amtsgericht stattfindet und welche bisher auf 12 Verhandlunsgstage angesetzt ist.
Auf der Anklagebank sitzt die Kopenhagener Polizei, vertreten durch die Staatsanwaltschaft, die Klägerseite besteht aus fünf PflichtverteidigerInnen, die zusammen ungefähr 250 Einzelfälle(die genaue Anzahl hat sich bereits mehrere Male geändert) repräsentieren. Letztere fordern für ihre MandantInnen finanzielle Entschädigung wegen unberechtigter Freiheitsberaubung.
Drei Millionen Entschädigung
Obwohl sich das Urteil des Kopenhagener Amtsgerichts als richtungsweisend bezüglich dessen erweisen könnte, was sich die Polizei bei zukünftigen Aktionen erlauben darf, haben die Verhandlungen in der Öffentlichkeit noch keinen großen Anklang gefunden. Selten sind mehr als drei, vier Stühle von den zwanzig Sitzplätzen im Gerichtssaal besetzt gewesen. Bei einzelnen Verhandlungstagen waren sie sogar ganz leer. Nur die Zeitung „Information“, die kommunistische Tageszeitung „Arbejderen“ und ein, zwei Male die Nachrichtenportale politiken.dk und Ritzau berichten von diesem Fall, und das obwohl Dänemarks größte Massengewahrsamnahme aller Zeiten fundamentale und demokratische Prinzipien in Frage stellt, wie das Recht auf freie Versammlung gegenüber der Pflicht und dem alleinigen Machtmonopol der Polizei, für Ruhe und Ordnung im öffentlichen Raum zu sorgen.
Die KlägerInnen aus Dänemark, Grossbritannien, den Niederlanden, Deutschland, Schweden und Norwegen verlangen jeweils 15.000 Kronen Entschädigung, zusammen fast 4 Millionen Kronen [Anmerkung: 1 Euro entspricht ca. 7 Kronen].
Doch es geht hierbei nicht um die sechs- bis achtstündige Verweigerung, die Toilette aufsuchen zu dürfen oder die fehlenden Isomatten – nein, die Entschädigungen sind extra so hoch angesetzt, dass die Summe als eine Art Wiedergutmachung für das unrechtmäßige Vorgehen der Polizei zu sehen ist, falls eineR der drei AmtsrichterInnen der Klage stattgibt.
Dieses Ziel zu erreichen war von Anfang an die Ambition der PflichtverteidigerInnen.
Denn als die Einsatzleitung am 12.Dezember 2009 um 15.25 Uhr mit militärischer Präzision zweitausend BeamtInnen, flankiert von gepanzerten Mannschaftswagen und bissigen Schäferhunden, in den Demonstrationszug schickte und somit gut 900 Personen an der Kreuzung Amgerbrogade/ Markmandsgade vom Rest abschnitt, war das eine rechtswidrige Entscheidung.
Die Staatsanwaltschaft hingegen verweist auf das Polizeigesetz, welches der Polizei umfassende Eingriffe erlaubt, darunter auch administrative Freiheitsberaubung bis zu 12 Stunden, falls das für notwendig befunden wird, um Unruhen und Aufstände zu vermeiden. Des weiteren wird betont, dass die Entscheidung eines Eingreifens auf einer persönlichen Einschätzung der jeweiligen Lage basiert. Und dass der Polizei, „in der vorliegenden Situation“ eine gewisse Handlungsfreiheit “welche auf persönlicher Einschätzung der Einsatzleitung bezüglich der Notwendigkeit, einzugreifen“ zugestanden werden müsse.
Bleibt nur noch die Frage : Bestand am 12 Dezember eine solche Gefahr der öffentlichen Sicherheit, dass die Einkesselung und Freiheitsberaubung von 900 BügerInnen berechtigt war?
Ja, meint die Staatsanwaltschaft. Die Freiheitsberaubungen waren sowohl rechtmäßig, als auch berechtigt. So wird auf die Tatsache verwiesen, dass der Polizei Meldungen vorlagen, dass der so genannte Schwarze Block Demonstrationen und anderes geplant hatte, hierunter auch „gewalttätige Aktionen“. Der Schwarze Block ist ein international bekanntes Phänomen und bezeichnet AktivistInnen, die die gleiche Kleidung tragen und sich auf vergangenen Gipfeltreffen durch außerordentliche Militanz und Agressivität hervorgetan hatten.
Gefahr für die öffentliche Ordnung
Als die Einsatzleitung in ihrer Kommandostation KSN im Präsidium also gleichzeitig die Meldungen hörte, dass schwarz gekleidete Personen ca 100 Pflastersteine vor dem Parlament am Christiansborg Slotsplads ausgegraben hatten, von denen 20 mitgenommen wurden, und dass einige „Krawallmacher“ schon mit Rauchbomben und Gasmasken festgesetzt worden waren, und als es bei der Börse und später beim Außenministerium Steinwürfe, eingeworfene Fenster, Feuerwerk und Scharmützel mit der Polizei gab, wurde der Beschluss einer Massengewahrsamnahme gefasst. Die taktische Ausführung wurde gemäß dem geplante und eingeübten Organisationsschema der Einsatzleitung vor Ort und der operativen Reserve überlassen. Dass die Kreuzung Amagerbrogade/Markmandsgade, wo die Massengewahrsamnahme stattfand, im Vorfeld als geeignet eingestuft worden war, kam während der Verhöre heraus.
Nein, meint die Anklage, um 15.26 h bei der ersten Kreuzung im Stadtteil Amager, als die lokale Einsatzleitung den Befehl zum Manöver gab, war die öffentliche Ordnung in keinster Weise gefährdet. Der Demonstrationszug war auf dem Weg raus aus der Stadt zum Bella Center und das einzige Hassobjekt, was für Teilnehmer des Schwarzen Blocks hätte attraktiv sein können, war ein McDonalds-Restaurant. In diesem Zusammenhang verweisen die PflichtverteidigerInnen darauf, dass die Sachbeschädigungen beim Außenminesterium schon um 14.47 h geschahen – also 40 Minuten früher. Das vom Grundgesetz gesicherte Demonstrationsrecht der BürgerInnen solle nicht davon abhängig gemacht werden, wann und wo es der Polizei am besten passt, potenzielle Steinewerfer festzusetzen. Darüber hinaus gingen neben möglichen Störenfrieden auch sehr viele Unschuldige mit ins Netz.
Dass ein Teil der Freiheitsberaubungen unrechtmäßig war, streitet die Verteidigung auch nicht ab. Doch man weigert sich rigoros, die genaue Anzahl festzusetzen und mehrere der vergangenen Verhandlungstage konzentrierten sich eher auf die Analyse, wie viele TeilnehmerInnen des Schwarzen Blocks vertreten waren.
Wie wir sehen werden, hat der Regierungsanwalt seine Gründe gehabt, seine Behauptung zu versteifen, dass die Freiheitsberaubten dem Schwarzen Block angehörten. Nachdem er in den ersten sechs Verhandlungstagen seine Sicht dargestellt, sowie eine Reihe von PolizeibeamtInnen verhört hatte, war die Anklage an der Reihe. Doch bevor diese ihre MandantInnen zum Verhör in den Gerichtssaal riefen, wollten die Anwälte erst von dem Anwalt der Regierung wisssen, wieviele ihrer MandantInnen seiner Meinung nach unberechtigt freiheitsberaubt gewesen seien.
Keine Beweise gegen Einzelpersonen
Hierbei stützten sich die AnwältInnen auf öffentliche Aussagen des ehemaligen Polizeioberkomissars Per Larsen und des Obersten Polizeidirektors Johan Reiman. Schon am Abend des 12 Dezember gab Larsen als oberster verantwortlicher Einsatzleiter während des COP15-Gipfels vor laufenden Fernsehkameras bekannt, dass eventuell ein paar mehr „mitgefangen“ wurden, die eigentlich nicht verhaftet hätten werden dürfen.Diese könnten dann ja allerdings später klagen und vielleicht Entschädigung bekommen, so Larsen. In einer späteren Aussage vor dem Rechtsausschuss im Parlament brachte Polizeidirektor Reiman eine ähnliche Einschätzung zum Ausdruck.
Des weiteren wurde von der Anklage darauf hingewiesen, dass gegen keinen der über 900 Freiheitsberaubten Anklage erhoben wurde. Stattdessen bekamen sie, nachdem die Polizei sie registriert hatte, nach ein paar Stunden die Erlaubnis zu gehen. Auch die einzelnen Festnahmeformulare, die allen Anwesenden vorgelegt worden waren, gaben keinen Hinweis darauf, warum denn nun die Leute mitgenommen wurden. Denn sämtliche Papiere waren schon im Vorfeld in der Deliktzeile mit dem Text „Schwarzer Block von Demonstration abgeschnitten“ und „Freiheitsberaubt nach Polizeigesetz“ gekennzeichnet und fotokopiert worden, bevor überhaupt persönliche Daten eingetragen werden konnten.
Wie es die Anwältin Hanne Reumert, die einen großen Teil der KlägerInnen vertritt, ausdrückte, würde es noch mehr als 11 Verhandlungstage in Anspruch nehmen, falls sie alle ihre 116 MandantInnen zur Befragung vor Gericht bestellen würde, damit die ihre persönliche Version der Ereignisse schilden. Falls die Staatsanwaltschaft schon im Vorfeld sagen könne, welcheR ihrer MandantInnen unrechtmäßig freiheitsberaubt gewesen sei, könnte die Befragung vermieden werden und das Amtsgericht würde Zeit sparen.
Natürlich war das eine Fangfrage, denn so war die Staatsanwaltschaft gezwungen, nach einigem Zögern zuzugeben, dass „die Polizei keine Beweise gegen Einzelpersonen habe“, wie die Staatsanwältin Benedicte Galbo es ausdrückte.
„Es handelt sich hierbei um eine Gruppe, die ihrer Freiheit beraubt wurde, da diese Gruppe als Gefahr für die öffentliche Ordnung eingestuft wurde“, so Galbo. Am nächtsten Verhandlungstag verlas die Staatsanwaltschaft eine Prozesserklärung, derzufolge es nicht möglich war, präzise Angaben zur Anzahl der Personen zu machen, welche mit Per Larsens Aussage übereinstimmen könnten“ Die Gerichtsvorsitzende Anne Grethe Stokholm fasste den Inhalt der Erklärung in zwei Sätzen zusammen: „Es gibt keine Beweisführung seitens der Staatsanwaltschaft. Der Rest dieses Falles ist schlechthin eine Frage der Jura.“
Soweit war für den Augenblick die Entschädigungsklage gewonnen. Allerdings war die Schlacht um zukünftige Machtmittel der Polizei immer noch voll im Gange.
Polizeidirektor Mogens Lauridsenist ist wohl derjenige, der am meisten zum COP15- Fall vor dem Amtsgericht befragt worden ist. Denn er war es, der sowohl am 12., als auch am 16.Dezember [gemeint ist wohl die Nacht zum 15.] nach den Unruhen in Christiania entschied, ob und wie eine Massengewahrsamnahme vorgenommen werden sollte. Lauridsen, der während des gesamten Gipfels Dienst im KSN tat, erklärte dann am sechsten Verhandlungstag, als er sich bezüglich seiner Entscheidungsgrundlage für die Freiheitsberaubung von ca 200 Personen in Christiania am 16. Dezember 2009 [s.o.] rechtlich verantworten musste, dass hier dasselbe akkurat derselbe Auftakt zum Manöver, wie schon am 12. Dezember vorlag: „Reingehen und die Leute vorläufig festsetzen.“
In der Vergangenheit gab es bei den Einsätzen in der Prinsessegade immer das Problem, dass die UnruhestifterInnen nach Christiania hineinliefen und sich dort versteckten, wenn die Polizei dann anrückte. Dieses Mal wurden große Trupps von zwei Seiten ausgesendet, was bewirkte, dass viele aus Christiania wieder rausliefen, wo sie dann verhaftet wurden. Als er dann gefragt wurde, warum die Polizei denn nicht einen Strafbefehl nach Paragraf 134 wegen Landfriedensbruchs gegen die Verhafteteten ausstellte, war seine schlichte Antwort: „Wenn wir die Leute nicht identifizieren können, verwenden wir eben das Polizeigesetz als rechtliche Grundlage.“
Vormals hatte die Polizei nämlich schon einige Prozesse verloren, da sie nie wirklich beweisen konnte, ob nun Steinwürfe oder Anstiftung zur Unruhe von den Verdächtigen ausging.
Als Pflichtverteidigerin Hanne Reumert dann fragte, ob die Order vom KSN an diesem Abend lautete, dass alle, die sich in Christiania aufhielten, freiheitsberaubt werden sollte – ganz gleich, ob sie in der Prinsessegade dabei gewesen waren oder nur die Party besuchten, die gleichzeitig stattfand –, und wie sich die Polizei gedacht hatte, in dem Trubel zwischen BesucherInnen und potentiellen SteinewerferInnen Unterschiede feststellen zu können, wich Lauridsen aus: Die genaue Unterscheidung war der Polizei vor Ort in der Situation überlassen, denn „es gibt die Möglichkeit, auch ohne Rückgriff auf Paragraf 134 Ruhe und Ordnung herzustellen.“
Vertrauliche Informationen
Bei der Massengewahrsamnahme am Samstag bestimmte die Polizei selbst Ort und Zeit. Und zufälligerweise befand sich am gleichen Ort ein Beobachtungsposten der Polizei in einer Wohnung im zweiten Stock, genau da, wo der umstrittene Einsatz stattfand. Deswegen ist der weitere Verlauf des Einsatzes recht gut auf Video dokumentiert. Allerdings wurde während der Gerichtsverhandlungen nicht gesagt, ob die Polizei mehrere solcher Beobachtungsposten mit Überwachungskameras entlang der Demostrecke eingerichetet hatten.
Als der Komissar Henrik Oryé am fünften Verhandlungstag vom Staatsanwalt gefragt wurde, warum denn ausgerechnet die Kreuzung Amagerbrogade-Markmandsgade als Einsatzort gewählt worden war, kam die Antwort, dass er zusammen mit anderen Einsatzleitern im Vorfeld geeignete Orte für eventuelle Massengewahrsamnahmen ausgesucht und vorbereitet gehabt hätte.
„Eine relativ ruhige Ecke, wo wir ungestört stehen und unseren Einsatz ausführen konnten“, begründete der Komissar und verwies gleichzeitig auf die Lage der Straßen, welche günstigerweise so lagen, dass es möglich war, drei Dinge zu tun: Zum Einen, den vorderen Teil der Demonstration weiterlaufen zu lassen, dann ein Stück der Demo abzuschneiden, und zuletzt den hinteren Teil ruhig um die Kreuzung und zurück zur Amagerbrogade zu geleiten, wo sie sich wieder der Demo anschliessen konnten.
In der Folge verweigerte Oryé aber, zu sagen, wie viele Orte im Vorfeld ausgewählt worden waren und vor allem wo, mit der Begründung, dass diese dann ein anderes Mal nicht verwendet werden können.
Hier unterbrach die Staatsanwaltschaft und wies darauf hin, dass die PolizeibeamtInnen nicht die Befugnis hätten, auf Fragen über die Planung von Einsätzen zu antworten. Das sei nämlich in einem nicht-öffentlichen Dokument der Polizeidirektion festgelegt worden.Als der Pflichtverteidiger Knud Foldschack protestierte, dass die Geheimhaltung nur bezüglich des COP15-Gipfel gelte und darauf hinwies, dass dieser lange vorbei sei, rechtfertigte sich die Staatsanwaltschaft damit, dass es sich um vertrauliche Informationen handele, „welche der Zeuge vor Gericht nicht geben darf. Und obwohl es vorläufig erst mal keinen Gipfel in Kopenhagen gibt, ist das Bella Center der einzige Ort, um derartige Veranstaltungen abzuhalten. Deswegen sind diese Informationen ein Teil der Vorbereitung und damit vertraulich.“
Die Gerichtsvorsitzende Anne Grete Stokholm tat sich auch schwer damit, diesen Einspruch abzutun und betonte, dass sie die Relevanz der Frage gut verstehen könne, worauf aber auch nicht geantwortet wurde.
Oryé war einer der vier Einsatzleiter für „operationelle Reserven“, seine Leute bildeten die hinterste Kette, welche die ca 900 DemonstrantInnen vom Rest der Demonstartion abschnitten, als der Befehl vom KSN elf Minuten vorher erfolgte.
„Meine Aufgabe bestand darin, einen Teil der taktischen Befehle auszuführen, was so schonend und effektiv wie möglich passierte“, so Oryé, der auch sofort allen möglich verfügbaren Abteilungen den Befehl gab, zu den vorbereiteten Posten „auszurücken.“
Es war also Oryé, der den Befehl zur Masseningewahrsamnahme gab. Über sein Mobiltelfon verfolgte er das Geschehen über eb.dk (Anm.der Übersetzung :BILD-ähnliches Portal), welche live von der Demonstration sendeten. „Ich bekam von dort bessere Positionsangaben, als wir selbst herstellen konnten“, rechtfertigte er sich vor dem Amtsgericht. Solche sehr kritischen Aussagen über das gemeinsame SINE-Funknetz wurden schon mehrere Male von BeamtInnen während des COP15 geäussert.
Oryé zählte rückwarts 50, 40, 30, 20 Meter… „Dann gab ich den Befehl: ‘Jetzt! Es gibt gerade nur einen Weg und das ist vorwärts.’“, Hierauf gab er den Gruppenführeren den Befehl, in die Menge einzurücken und zwei Keile zu bilden. „Ich sagte, dass sie dieses in Fußtrupps machen sollten und nicht mit den Fahrzeugen, so dass der Einsatz schonender ausgeführt werden konnte“, erklärte Oryé und fügte schnell, fast nachdenklich hinzu: „Da ist auch dieser Moment, wo man aus den Autos raus muss, da kann man nämlich schon ins Zögern kommen, deswegen auch zu Fuß!“
Mehrere der Freiheitsberaubten berichteten, dass es, kurz bevor sie die Polizeiketten sahen, in der Demo einen unheimlich großen Ruck nach vorne gab, denn einige erfahrene UnruhestifterInnen hatten den Manöverauftakt der Polizei in den Seitenstrassen beobachtet und wollten deshalb nach vorne. Obwohl diese nicht mitgenommen wurden, wirkte Oryé sehr zufrieden mit seiner Aktion.
„Rein technisch war es eine gute Entschiedung, Keile in die Menge zu treiben. Wir mussten weder Knüppel oder Pfefferspray verwenden, allerdings hätte der erste Keil vielleicht zehn Sekunden später reingeschickt werden sollen.“
Auf die Frage der Gerichtsvorsitzenden, warum denn genau zehen Sekunden, antwortete Oryé : „Um die Vorkante vom Schwarzen Block zu treffen. Jetzt sind welche mitgenommen worden, welche eben nicht dem Schwarzen Block angehörten.“
Aufgrund dieser letzten Aussage war das Gericht wieder gezwungen, sich mit der immer wiederkehrenden Frage in diesem Prozess auseinanderzusetzen: Wie viele waren im Schwarzen Block?
Aus den vielen Beobachtungen, Logbüchern und anderem Material der Kopenhagener Polizei nach zu schließen, welche im Gericht vorgelegt wurden, geht eindeutig hervor, dass bei Demobeginn etwa drei gleich große Gruppen schwarzgekleideter AktivistInnen zu sehen waren. Nicht nur auf den Luftaufnahmen der Kopenhagener Polizei aus 2-300 Metern Höhe, welche vom Gericht genau begutachtet worden sind, sind die schwarz Gekleideten von der übrigen Menge gut zu unterscheiden. Ab Knippelsbro und durch die Torvegade schmelzen diese drei Gruppen mehr oder weniger zu einer lang gestreckten zusammenhängenden Gruppe zusammen.
Wie viele waren im Schwarzen Block?
Nun ist allerdings nicht zu sehen, ob die schwarzen Punkte auf den Luftaufnahmen TeilnehmerInnen im Schwarzen Block waren und laut Polizei UnruhestifterInnen und rechtmäßig freiheitsberaubt, oder ob es sich hierbei um dunkel angezogene normale junge Leute handelt, die an der Demonstration teilnahmen. Den Befragungen der PflichtverteidigerInnen zufolge hatten mehrere ihrer MandantInnen an diesem Tag eine dunkle Skijacke an. Es war ja Dezember und deswegen hatten auch viele Mützen auf. Nur das alleine macht sie noch nicht zu AktivistInnen oder UnruhestifterInnen, so die Erklärung der PflichtverteidigerInnen. In einem Protokoll beschreibt ein Beobachter der Polizei den Kern des Schwarzen Blocks, der den Platz vor dem Parlament verließ, folgendermaßen: „Größtenteils italienisch aussehende Personen, alle in schwarzer Kleidung, schwarze Kapuzenjacken, mit der Kapuze bis in die Stirn über den Kopf gezogen, sowie schwarze Schals bis unter die Augen hochgezogen. Mehrere von ihnen hatten Rucksäcke dabei (…) und alle hatten einen großen Pflasterstein in jeder Hand, ca 12 × 12 × 12 cm.“
Wie Polizeidirektor Bent Olsen die generelle Auffassung der Polizei am zehnten Verhandlungstag zusammenfasste: „Wenn du mit jemandem in schwarzer Bekleidung zusammenstehst, dann bist du für die Polizei Teil des Schwarzen Blocks.“
Diese Aussage wurde durch ein lichtverstärktes, digital bearbeitetes Luftfoto bestätigt, welches von der Staatsanwaltschaft vorgelegt wurde. Dieses ist genau ausgewählt worden und zeigt den Teil der Demo, der ein paar Minuten später, um 15.26 h, festgesetzt wurde.
Ein Techniker hat die Grau-und Schwarz-Weiss-Balance so bearbeitet, dass die Polizei alle schwarz oder dunkel Gekleideten mit einem roten Punkt kennzeichnen konnte. Beim Aufteilen des Fotos in sieben kleinere Felder gelang es, insgesamt 1250 rote Punkte zu zählen. Als die PflichtverteidigerInnen daraufhin fragten, ob das einen Beweis darstellen solle, lautete die Antwort von Staatsanwältin Benedicte Galbo deutlich abweisend: „Es ist das Recht eines jeden Angeklagten, die Beweise vorzulegen, die man für sinnvoll hält. Alleine dem Gericht steht es zu, auszumachen ob dieser Beweis gültig ist oder nicht.“ Allerdings gab sie nach einer langen Diskussion zu, dass die roten Punkte „mehr oder weniger eine Ahnung von der Größe des Schwarzen Blocks“ vermitteln sollten. Sie sähe ein, dass in dieses Raster auch Personen fielen, die nicht dazugehörten. Zudem stritt sie verärgert ab, dass das Foto im Vorfeld manipuliert worden sei und mehr schwarze Punkte zu sehen seien, als ursprünglich vor Ort waren. Nach einer langen Diskussion fasste die Ggerichtsvorsitzende Anne Grete Stokholm den Sachverhalt folgendermaßen zusammen: „Wir werden niemals die genaue Anzahl der TeilnehmerInnen im Schwarzen Block herausfinden.“
So leicht wollten die PflichtverteidigerInnen die Staatsanwaltschaft aber nicht davon kommen lassen. Zu keiner Zeit war die Schätzung der Polizei höher gewesen, als 200-400 mutmaßliche Schwarze Block – TeilnehmerInnen, wurde am zwölften und vorläufig letzten Verhandlungstag von Christian Dahlager angemerkt. Die Frage, warum die genaue Anzahl des Schwarzen Blocks so außerordentlich wichtig sei, könne er sich nur auf zwei Weisen erklären. Erstes: Je größer der Schwarze Block, desto größer die Gefahr für Unruhen. Zweitens: Wenn die Polizei nach über einer halben Stunde erfährt, dass sie mindestens doppelt so viele Unschuldige als mutmaßliche TeilnehmerInnen des Schwarzen Block von der Demo abgeschnitten hat, dann ist sie eigentlich dazu verpflichtet, diese Unschuldigen so schnell wie möglich aus der Situation hinauszuschleusen. Das ist allerdings nie passiert.
Deswegen ist das Interesse von Staatsanwaltschaft und Polizei so groß, den Schwarzen Block so groß wie nur irgendwie möglich zu machen. Hiernach zählte Dahlager mehr als 10 konkrete Beispiele von polizeilichen Beobachtungen auf, die sowohl aus der Luft als auch auf der Straße nie mehr als 200-400 Personen zählten.
Spekulationen über den Ausgang des Prozesses
Nach den Sommerferien werden die Staatsanaltschaft und die PflichtverteidigerInnen jeweils ihre Plädoyers abgeben. Danach liegt es an den RichterInnen Anne Grete Stokholm, Martin Koch Clausen und Poul Gorm Nielsen, das Urteil zu fällen. Abhängig davon wird die Staatsanwaltschaft sicherlich Einspruch einlegen. Es bleibt weiterhin spannend, wie und in welchen Ausmaß sich das Amtsgericht zu den Massengewahrsamnahmen der Polizei verhalten wird. Zu klären ist, ob eine Notsituation vorlag, welche zu diesen Einsatz berechtigte. Dabei werden alle Massengewahrsamnahmen, die während des Gipfels stattfanden, vor Gericht miteinbezogen.
Doch vielleicht gibt es doch keinen Einspruch. Denn bis jetzt musste die Staatsanwaltschaft anerkennen, dass die Polizei gegen keineN der 250 Angeklagten Beweise hat. Schon die Gerichtsvorsitzende merkte ja an, es sei alles nur noch eine Frage der Jura.
Eine Möglichkeit könnte auch sein, dass die Entschädigungsforderungen wegen unberechtigter Freiheitsberaubung ohne weiteren Kommentar anerkannt und bezahlt werden. Falls das eintritt, gehen KlägerInnen mit vollen Taschen aus dem Gerichtssaal und auch die PflichtverteidigerInnen werden nicht mit leeren Händen aus dem Prozess gehen und ihr Honorar aus der Gerichtskasse beziehen können. Doch trotzdem wird mensch verloren haben. Denn die Zielsetzung einer klaren Einschränkung und einer Verfügung gegen die polizeiliche Willkür ist nicht erreicht worden.
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