eine Prozesstagebuchseite eines Beobachters und Mitbetroffenen
Mittlerweile haben sich bei den Prozessen gegen Klimaaktivist_innen Schemata herausgebildet, die sich regelmässig wiederholen. Zu Anfang eines jeden Prozesstages: Streit um den Gerichtssaal, weil bisher alle diese Prozesse in Gerichtssäle gelegt wurden, die 10 Zuschauer_innenplätze oder weniger haben. Dann, mit ordentlicher Verspätung und unter Ausschluss von regelmässig mehr als der Hälfte der Besucher_innen geht die Verhandlung los. Alle anderthalb Stunden gibt es eine Pause, und um die Mittagszeit gehen alle Mittagessen. Es ist auch möglich, dass sich Angeklagte_r und Richter_in auf dem Klo begegnen, aber wenn die Richter_innen den Gerichtssaal betreten, muss es still sein, und alle müssen sich von ihren Plätzen erheben. Nach dem Verfahren ist ein beliebtes Gesprächsthema die Non-Verbale Kommunikation von Richter_innen und Staatsanwältin. Beteiligte zurückliegender Prozesse berichten, dass dies ein sichereres Indiz für den Ausgang des Verfahrens sei, als die Stichhaltigkeit der Beweise und Argumente.
Heute traf es mich. 14 weitere Besucher_innen und ich wurden gleich zu Beginn aus dem Gerichssaal ausgeschlossen, weil er zu klein für uns alle sei. Der Umzug in einen grösseren wurde uns versagt. 10 Beuscher_innen durften bleiben, und zwar in folgender Reihenfolge: 1. Verwandte, 2. Journalist_innen, 3. Rest. Nach einer halben Stunde war ich allein im Vorraum des Gerichtssaals und hörte hin und wieder die Stimmen der von der Polizei abgehörten Telefongespräche, die dort abgespielt wurden.
“Warum”, fragte ich mich, “Warum kommt eigentlich niemand darauf, die Staatsanwältin zu fragen, wie sie die Überwachung des Privatlebens der Angeklagten über drei Monate hinweg rechtfertigen könne”. Ich habe zwar die Anklageschrift gehört, aber ich habe nicht verstanden, um welche Tatbestände es eigentlich ging. Ich habe so etwas verstanden wie: “Massenproteste organisiert, bei denen es gut und gerne zu Gewalttätigkeiten hätte kommen können”. Aber was ist daran ein Verbrechen? Das Recht, sich zu versammeln und Versammlungen zu organisieren ist sogar umgekehrt notwendig und in westlichen Verfassungen garantiert. Mit der Argumentation der Anwältin könnte jede_r demokratisch aktive Bewohner_in Dänemarks für eine lange Zeit abgehört und dann Details aus seinem/ihrem Privatleben gerichtsöffentlich gemacht werden…
“Und warum”, dachte ich, “warum fragt keine_r das Gericht nach einer Stellungnahme, wie es dazu kommt, heimlich mitgeschnittene Telefonate mit solch einer Begründung als Beweismittel zu akzeptieren? Ist denn in Dänemark niemand mehr vor der wilkürlichen Verletzung seines Privatlebens geschützt?”
Nach der ersten Pause überliess mir einer der anderen Besucher seinen Platz, und ich bekam etwas genauer mit, was genau “verhandelt” wurde. Die Staatsanwältin hatte offenbar alle Mitschnitte mitgebracht, die ihr Verdächtig vorkamen. Und es gab vieles, was der Anwältin verdächtig vorkam. Zum Beispiel war da die Rede von “gefährlichen Gegenständen” im “No-Borders-Cafe”. Letztendlich wurde aus den Fragen und aus der Verwunderung der Richter klar, das diese sich unter einem “Cafe” immer ein beschauliches Zimmer mit Bistrotischen, einheitlichen Stühlen und natürlich einer festen Küche vorstellten. Dass es sich bei einem neu eingerichteten “No-Borders-Cafe” der Klima-Aktivistinnen in einem Ruinenartigen Industriekomplex im wesentlichen um einen leeren Raum handelte, in dem alles improvisiert war, und in dem von den Vorbereitungsarbeiten noch Werkzeug herumlag, das lag nicht nur fern ihrer Vorstellungskraft – es lag in einer anderen Welt.
Source: http://cop15antirep.blogsport.eu/2010/08/24/bericht-uber-den-3-prozesstag/?utm_source=Gipfelsoli&utm_medium=twitter