Die Klimagerechtigkeitsbewegung in der BRD
Von Mona Bricke | Tadzio Müller
Diese kurze Geschichte der Klima(ge-rechtigkeits)bewegung bewegt sich irgendwo zwischen linker (Gegen-)Geschichtsschreibung und der Analyse eines produktiven Scheiterns. Ever tried, ever failed? Ja und ja, und trotzdem war’s richtig und nützlich.
„Es grünt so grün“ wenn des Kapitalismus‘ Blüten blühen
Der Kapitalismus steckt in drei Krisen, in einer politischen, einer ökonomischen und einer sozial-ökologischen. Letztere, nämlich die eskalierende Klimakrise, ist zwar langfristig systemgefährdend, sie enthält aber auch das Potential die anderen Krisen systemstabilisierend zu überwinden: Ein sogenannter grüner Kapitalismus, wird die Biokrise nicht lösen, denn kapitalistisches Wirtschaften kann, da es Grenzen nicht ertragen kann, auch nicht nachhaltig innerhalb sozio-ökologischer Grenzen bleiben. Ein „grüner Kapitalismus“, so unsere These, wird jedoch die Biokrise inkorporierend nutzen, um politischen Institutionen wieder Legitimität zu verschaffen und neue Wachstumssektoren zu eröffnen, sei es in erneuerbaren Energien, „grünen Autos“, oder Ähnlichem.
Klimawandel hinterm Ofen?
Trotz dieser Brisanz lockt das Thema Klimawandel in der radikalen Linken niemanden mehr hinter dem Ofen hervor, auch wenn das vor einigen Jahren noch anders war:
2005 hatte der Wirbelsturm Katrina, der New Orleans verwüstete, klar gemacht, dass „die ökologische Frage“ eine soziale ist; 2006 hatte der Stern Report (Stern Review on the Economics of Climate Change) des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern dem Kapital deutlich gemacht, dass Klimaschutz nicht nur Kosten bedeutet, sondern auch ordentlich Wachstum und Gewinne verspricht. Hierzulande hatte der merkwürdig warme Winter 2007 dafür gesorgt, dass sich das Thema in den gesellschaftlichen Alltagsverstand einprägte. Kurz: Der Klimawandel war 2007 das wichtige Thema und erweckte den Anschein, als würde er es auch für geraume Zeit bleiben.
Eine bewegende Coming out-Party
Zunächst sah es in der BRD diesbezüglich gar nicht schlecht aus: Bei den „Perspektiventagen“ 2008 in Berlin wurde darüber diskutiert, welche thematische Klammer unterschiedliche Spektren zusammenbringen könnte. Diese Diskussionen legten die Grundlage dafür, dass im August 2008 gemeinsam mit dem organisatorisch besser aufgestellten Antira-Spektrum ein kombiniertes antirassistisches und Klimacamp in Hamburg organisiert wurde.
Und – was hat’s gebracht? Auf der Habenseite schafften wir es als Klimacamp, sehr viel positive Medienaufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Die Beteiligung der Grünen Jugend am Camp machte es der Regierung zudem fast unmöglich, uns wie üblich als „Chaoten-Camp“ von der Straße zu fegen. Negativ schlägt zu Buche, dass nur wenige Aktivist_innen im Camp über das Klimathema mobilisiert wurden. Dieser etwas frustrierende Zweiklang – viel mediale Aufmerksamkeit, wenig aktivierte Leute – ließ sich bisher auch in vielen anderen Ländern beobachten, oft unabhängig davon, ob die Aktionen von der radikalen Linken oder anderen Akteur_innen organisiert wurden. Jedoch standen wir auch gerade erst am Anfang eines neuen Zyklus sozialer Kämpfe und was uns fehlte, so schien es, war eine Art Initialzündung, eine „Coming-out-Party“, wie Naomi Klein damals die Seattle-Proteste beschrieben hatte. Außerdem waren wir überzeugt: Der „grüne Kapitalismus“ nahte mit Riesenschritten.
Intermezzo: Krise
Die Weltwirtschaftskrise wurde zur Bewährungsprobe für die Thesen der radikalen Klimabewegung: Würde jetzt der „grüne Kapitalismus“ kommen, den wir schon vor seiner Ankunft auf dem weltgeschichtlichen Parkett zur Zielscheibe unserer Kritik gemacht hatten? Um die Antwort vorwegzunehmen: Nein, er kam (noch?) nicht. Zwar glauben wir, dass die momentane Diskussion um eine „Energiewende“ hierzulande zeigt, dass wir nicht total falsch lagen – eine „grüne“ Energiewende kommt, sie wird auch in anderen Ländern kommen – wir hatten aber den Zeitrahmen dieser Veränderungen unterschätzt.
Die in vielen Ländern aufgelegten Konjunkturprogramme enthielten in den meisten Fällen kaum ernst zu nehmende „grüne“ Investitionen. Und hierzulande? Über die Abwrackprämie (offiziell: Umweltprämie) muss wohl kaum noch etwas gesagt werden, während die explizit neoliberale FDP ihren höchsten Stimmenanteil bei einer Bundestagswahl einfuhr. Nicht nur hatte die Geschichte es wohl versäumt, den Neoliberalismus über sein Ableben zu informieren – die gesellschaftlichen Kräfte, von denen wir erwartet hatten, dass sie seinen geschwächten Leib von der Bühne räumen würden, blieben kraftlos. Machte unsere Kritik am „grünen Kapitalismus“ unter diesen Umständen noch Sinn, oder bewegten wir uns damit in eine typisch-ultralinke Sackgasse, wo unser radikales Nein uns eventuell den Blick dafür verstellte, wo der wirkliche Feind stand?
Hoffnungsfalle Klimagipfel
Nichtsdestotrotz: Die Mobilisierung zum Klimagipfel in Kopenhagen lief auf Hochtouren. Mag die Kritik am „grünen Kapitalismus“ auch etwas verfrüht gewesen sein, sie erzeugte Resonanz und war ein effektives politisches Alleinstellungsmerkmal. Mit unseren geplanten Aktionen konnten wir das politische Feld um diese sonst ziemlich drögen Gipfel gehörig aufmischen und das zivilgesellschaftliche Feld spalten: in diejenigen, die weiterhin darauf setzten, dass der Gipfel irgendwie ein effektives, faires und rechtsverbindliches Abkommen produzieren würde, und all jene, die keinerlei Hoffnung in die Verhandlungen setzten, aber hofften, dass Kopenhagen der Startschuss für eine kraftvolle soziale Bewegung würde.
Unsere großen Hoffnungen blieben jedoch auf der Strecke. Der Kollaps der Verhandlungen ging nicht einher mit einer signifikanten Stärkung sozialer Bewegungen. Die zentrale Demo war zwar riesig (circa 100000 Leute), sagte aber kaum mehr aus als „Könnte hier bitte jemand das Klima retten?“ Alle anderen Aktionen blieben relativ klein, 2000 präventive Verhaftungen wurden ohne großen Widerstand durchgeführt und nachher mussten wir uns eingestehen: war wohl nix mit Coming-out. Prompt verschwand das Thema auch aus den Medien.
Radikale Gerechtigkeit, Moral und Emanzipation
Die Gründe für das relative Scheitern unseres Versuches, in der BRD und in Europa eine radikale Klimabewegung oder, wie wir es in der Mobilisierung formulierten, eine Bewegung für Klimagerechtigkeit aufzubauen, liegen aber auch in der Natur der Sache. Der Begriff ist in der Debatte hierzulande ein vor allem von NGOs und wenigen Linksradikalen besetzter Import. In den USA, wo der Begriff herkommt, steht dieser für eine bewegte und radikale Gesichte: In den 1960er Jahren entstand die Umweltbewegung vor allem als eine Bewegung der weißen Mittelklasse, was darin mündete, dass schmutzige Industrien noch mehr als vorher in arme Communities of Color ausgelagert wurden. Diese machten auf den environmental racism aufmerksam und forderten environmental justice. Umweltgerechtigkeit besagt, dass Umweltprobleme, die nicht als soziale Probleme verstanden werden, nicht gelöst, sondern nur einige Stufen in der sozialen Skala nach unten verschoben werden. Eine tatsächliche Lösung der auf die Umwelt reduzierten Probleme bedeutete auch die Lösung der ihnen zugrunde liegenden sozialen Widersprüche. Übertragen wir dieses Argument nun auf den Klimawandel, gelangen wir zum Konzept der Klimagerechtigkeit. Die Distanz zu Debatten hierzulande und die Tatsache, dass der Gerechtigkeitsbegriff von der Sozialdemokratie besetzt ist, bedeutete jedoch, dass Klimagerechtigkeit als Idee und als Klammer kaum Resonanz erzeugte.
Noch schwerwiegender: Der Versuch, eine Klimagerechtigkeitsbewegung aufzubauen, basierte auf keiner strategischen Analyse. Unsere Mobilisierung hatte zumeist moralisch-appellativen Charakter und konnte leicht so verstanden werden, dass wir Menschen in Deutschland dazu aufforderten, ihren Lebensstandard zu senken, damit andere anderswo ein besseres Leben haben können. Moralisch und ökologisch hat das zwar alles seine Richtigkeit – aber es brachte uns in genau die Situation, an der die klassische Umweltbewegung schon scheiterte, nämlich in einen scheinbar unauflösbaren Widerspruch zwischen den Interessen derjenigen, die wir mobilisieren wollten und mussten, und der Moralität, auf die wir uns beriefen. Natürlich sind moralische Argumente relevant, aber Emanzipation muss mehr sein als bloßer Appell, sie muss sich als eigenes Interesse der sich emanzipierenden Subjekte etablieren. Es gab zwar Aufschläge zu anderen Formen der Mobilisierung – beispielsweise gingen die verschiedenen „Fahrt frei“-Kampagnen (zum Beispiel in Bremen oder Tübingen) in eine gute Richtung –, aber auch sie erlebten das Phänomen, sehr viel Medienaufmerksamkeit zu erheischen, aber kaum Leute zu ihren Aktionen zu mobilisieren.
Ausblick: Klima- und Energiebewegung?
Alles Mist also? Auf keinen Fall, die radikale Klimabewegung mag klein sein, sie ist aber dynamisch und politisch gut platziert. Erstens: Es wird diesen Sommer zwei Klimacamps geben, eines in der Lausitz, gegen die unterirdische Verpressung von CO2 als „grünes“ Feigenblatt der Braunkohleverstromung und eines am Rande des größten Lochs in Europa, dem Braunkohletagebau in Garzweiler. Bei beiden wird Klimagerechtigkeit ein zentrales Thema sein, gleichzeitig schließen die Camps an bereits bestehenden lokalen Widerstand gegen Tagebaue und den Neubau von Kohlekraftwerken an. Wir glauben, dass es wichtig und möglich ist, diese Bewegungsprozesse zusammen mit der Antiatombewegung in einer Art Energiebewegung zusammenzuführen. Wieso? Nun ja, es scheint nun sicher zu sein, dass die Atomkraft hierzulande bald abgeschafft wird. Doch was kommt dann?
Manche sagen, dass wir die „Energiewende“ getrost den NGO, ihren Szenarien und ihrer Expertise überlassen können. Wie aber wird die Energiewende dann aussehen? Wir müssen die radikale Speerspitze des Wandels sein, sonst wird dieser – und hier kommt wieder unsere These vom „grünen Kapitalismus“ zum Tragen – kapitalistisch und autoritär aussehen. Auffällig ist zum Beispiel, dass im weithin diskutierten Energiewendeszenario von Greenpeace an keiner Stelle davon die Rede ist, dass es sinnvoll und wichtig wäre, Strom- und Energieverbrauch zu senken. Stattdessen wird vom Arbeitsplatzwunder durch erneuerbare Energien und von großtechnologischen Wüsten-Solar-Phantasien geschwärmt. Diesbezüglich liegt Greenpeace auf einer Linie mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie: Der hat inzwischen (in Teilen) die Flucht nach vorn ergriffen und will erneuerbare Energiegewinnungskonzepte von einer Nischentechnologie zu einer Breitentechnologie machen, weil nur so damit Geld verdient werden kann. Lieber keine Photovoltaik, eignet sich diese doch (zumindest hierzulande) nur schlecht für zentralisierte Großprojekte. Stattdessen soll auf Offshore-Windparks gesetzt werden, hier werden riesige Wachstumspotentiale für das schwächelnde kapitalistische System erhofft.
Was können wir dagegensetzen? Greenpeace traut sich nicht, die Gretchenfrage zu stellen, ob denn der komplette Umbau auf 100 Prozent erneuerbare Energien bei gleichzeitig weiter steigender Produktion und Konsumption überhaupt wünschenswert ist. Unser Ziel ist ein ressourcenschonendes und gutes Leben für alle, nicht die Beibehaltung des gegebenen kapitalistischen Wachstumswahnsinns auf geänderter Energiebasis. Jetzt rufen einige gleich „Verzichtsrhetorik“ und weisen darauf hin, dass eben moralische Appelle nicht helfen, wenn wir damit noch nicht einmal die eigenen Leute erreichen.
Dazu zwei Anmerkungen: Erstens verzichten wir schon jetzt auf vieles. Weil wir uns ständig den Arsch abarbeiten, verzichten wir auf Zeit, die wir Menschen und Aktivitäten widmen können, die uns wichtig sind. Wir verzichten auf Straßen und Wege, die nicht von Autos beherrscht werden. Beispiele gäbe es viele. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist nicht: Warum sollten wir überhaupt verzichten, denn das tun wir schon, sondern: Worauf wollen wir verzichten? Was wollen wir behalten? Und was gewinnen wir, wenn wir auf der einen Seite auf etwas verzichten, auf einer anderen? Wenn dies unser Ansatz ist, dann kommen wir nämlich an den Punkt, an dem wir sagen: Gegen den massiven Ausbau von Offshore-Windparks, die weiter zu zentralistischen Strukturen im Strommarkt beitragen werden, setzen wir auf die Rekommunalisierung der Energieversorgung. Wir nehmen zum Beispiel die Stadtwerke und machen sie zu Keimzellen der Umverteilung von Macht und Ressourcen von oben nach unten. Unmöglich? Mitnichten. Wenn wir uns anschauen, was auf diesem Gebiet bisher schon alles geschehen ist. So werden beispielsweise in Gemeinden, die schon vor vielen Jahren auf 100 Prozent erneuerbare Energie gesetzt haben, mit dem gewonnenen Solarstrom heute gemeindeeigene Kindergärten subventioniert. Das mag für radikale Linke ein wenig langweilig klingen. Aber immer nur den Winterpalast stürmen zu wollen, bringt uns auch nicht viel weiter.