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2010-03-06

Anthony Arrabal: Der Rechtsstaat verliert – gegen die Richter

Schockiert verließen die Zuschauer_innen gestern nach vier Stunden den Prozess. Gleich in mehrerlei Hinsicht nahm die Berufungsverhandlung von Anthony Arrabal in zweiter und damit letzter Instanz völlig unerwartete Wendungen: A. wurde zur selben Strafe verurteilt wie bereits durch das Kopenhagener Amtsgericht: drei Monate Haft wegen Steinwurfs und “Angabe einer falschen Identität”. Außerdem wurde aufgrund der Tatsache, dass A. französischer Staatsangehöriger ist, eine zusätzliche Strafe ausgesprochen: sofortige Deportation nach Frankreich am heutigen Freitag. Der Vollzug der Entscheidung ist noch nicht bestätigt. Allerdings wurde A. gleich am Ende des Prozesses durch 4 Beamte der Ausländerpolizei abgeführt, die in zivil das Prozessende auf den Zuschauerplätzen abgewartet hatten.

Pic: Copenhagen

Eine unerwartete Wendung ist dies, weil es zuvor Hanne Reumert, der Anwältin Arrabals, gelungen war, anhand von Stadtplänen und genauen Befragungen aufzuzeigen, dass zwei Polizeizeugen unmöglich die gleiche Person als A. beschrieben haben können: Eine Polizistin hatte angegeben, ihr sei ein Stein direkt vor die Füße gefallen, anschließend habe sie den Werfer nicht mehr aus den Augen gelassen, bis er festgenommen wurde. Die Situation sei für sie klar und übersichtlich gewesen. Ein Polizist hingegen, der A. festgenommen hatte, sagte aus, dass A. aus einer ganz anderen Richtung kam, als dies die erst Zeugin beschrieben hatte. Die Situation sei unübersichtlich gewesen, er habe keine Steine fliegen sehen, aber Feuerwerkskörper. A. habe er festgenommen, weil er ein Tuch vor das Gesicht gezogen hatte und von einem anderen Polizisten verfolgt worden sei. A. selbst sagte aus, es habe an der fraglichen Stelle überhaupt keine Steine zum Werfen gegeben.

Etwa zwei Stunden verbrachten die drei Berufs- und drei Laienrichter_innen mit der Urteilsfindung, bis schließlich die Vorsitzende Richtung sagte, sie hätten ein Urteil gefunden, in dem sie sich einig seien. Auch diese Aussage ist eine Überraschung. Sie deutet darauf hin, dass es zu Anfang große Uneinigkeit zwischen den Richtern gegeben haben muss. Von den Strafverteidiger_innen wird oft die Vermutung geäußert, dass die Laienrichter_innen das Prinzip “im Zweifel für den/die Angeklagte” häufig im Gegensatz zu den Profi-Richtern ernst nähmen. Möglicherweise standen zu Anfang alle drei Laienrichter_innen gegen eine Verurteilung. In diesem Fall wird so lange diskutiert, bis die vorsitzende Berufsrichterin ein Ergebnis feststellt. Häufig werden die Laienrichter_innen in solchen Sitzungen offenbar so lange bearbeitet, bis sie am Ende doch einknicken und sich den Berufsrichter_innen anschließen. Wären nur zwei der Laienrichter_innen gegen eine Verurteilung gewesen, hätte die Diskussion aus der Sicht der vorsitzenden Richterin auch früher enden können, und sie hätte die Mehrheitsverhältnisse der Entscheidung genannt. Ein 3:3 hingegen hätte “Freispruch” bedeutet.

Interessant ist auch die Begründung des Urteils: Da sich die beiden Polizeizeugen widersprächen, folge man der Aussage der Polizistin, die ihn mit den Augen verfolgt habe, aber nicht bei seiner Festnahme dabei gewesen sei, weil sie länger am Ort gewesen sei. A.s Aussage wurde vollständig ignoriert. Dieses Begründungsschema, so schwach es sich auch anhört, war den Richter_innen vom Staatsanwalt in seinem Plädoyer nahegelegt worden. Es bedeutet so viel wie: Im Zweifel wird alles Entlastende ignoriert – Ein schlechter Tag für den Dänemarks Rechtsstaatlichkeit.

Source: http://cop15antirep.blogsport.eu/2010/03/05/anthony-arrabal-der-rechtsstaat-verliert-gegen-die-richter-rule-of-law-looses-against-the-judges/