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2010-02-25

»Die Polizei hat viel gelernt«

Der Kopenhagener Anwalt Aage Kramp hat mehrere Personen vertreten, die bei den Protesten gegen die Kopenhagener Klimakonferenz festgenommen wurden. Die Jungle World sprach mit ihm über die juristischen Nachspiele zum Uno-Klimagipfel und über das Vorgehen der dänischen Polizei.

Interview: Ralf Hutter

Wie hat sich Ihr Alltag als Anwalt während des Klimagipfels im Dezember verändert?

Der Gipfel hat sich stark auf den Gerichtsalltag, die Arbeit der Staatsanwaltschaft, der Polizei und auch der gesamten Anwaltschaft ausgewirkt. Am Kopenhagener Gericht durften zwei Wochen lang keine anderen Prozesse stattfinden. Die Staatsanwaltschaften und Gerichte hatten 24-Stunden-Bereitschaftsdienst. Sie sollten ermöglichen, dass dort 1 000 bis 2 000 Fälle innerhalb weniger Tage bearbeitet werden können. Für den Gipfel war auch eigens eine Liste mit 80 Anwältinnen und Anwälten erstellt worden, die für Pflichtverteidigungen in Bereitschaft stehen mussten. Ich war aber nicht auf dieser Liste und hatte mich auf eine ruhige Woche eingestellt.

Pic: Copenhagen

Aber jetzt haben Sie mit den Prozessen gegen Klimaschützer zu tun.

Ich bekam mit der Sache zu tun, da am ersten Aktionstag eine Gruppe aus Italien in Gewahrsam genommen wurde. Die Italiener hatten meine Telefonnummer, weil ich in einem Verfahren, in dem es um Proteste gegen die Räumung des Jugendzentrums Ungdomshuset ging, eine Person aus Italien verteidigt hatte. So war ich der erste Anwalt, der in die Gefangenensammelstelle kam, eine extra umgebaute Turnhalle. Ich konnte mir alles ansehen, einschließlich der Käfige für die Gefangenen und der zwölf für die Verwaltungsarbeit aufgestellten Container. Der dortige Polizeichef war verärgert darüber, dass ich mich da so frei umsehen konnte, aber da ich der erste Anwalt vor Ort war, hatten die Beamten nichts mit mir anzufangen gewusst und mich hineingelassen. Danach ging ich bei der Rechtshilfegruppe Rusk vorbei. Ich schilderte ihnen, was ich in der umgebauten Turnhalle gesehen hatte. Da sie mich kannten, vermittelten sie in den folgenden Tagen immer wieder Fälle an mich, so dass ich eine arbeitsreiche Woche hatte. Es gab ja fast 2 000 Gewahrsamnahmen. Aber wenn ich mich richtig erinnere, wurden nur 23 Personen inhaftiert.

Wie lange wurden diese Personen inhaftiert?

Da gab es eine interessante Entwicklung: Die ersten Verhafteten bekamen sofort die maximal mögliche Untersuchungshaft verordnet, das sind vier Wochen. Nach einigen Tagen wurde meist kürzere Untersuchungshaft verordnet und es wurden sogar Leute freigelassen. Dagegen klagte die Polizei beim so genannten Nationalen Gerichtshof, aber der entschied nicht zugunsten der Polizei, sondern versuchte offenbar, die Lage zu deeskalieren. In den ersten Tagen hatte der Gerichtshof die lange Untersuchungshaft noch durchgehen lassen, was ein Indiz ist für die politische Stimmung zu diesem Zeitpunkt. Dann aber hatte der Nationale Gerichtshof einen mildernden Einfluss auf die Kopenhagener Gerichte. So wurden auch die meisten Häftlinge kurz vor Weihnachten freigelassen.

Wie viele der Aktivisten sind Ihre Klienten?

Jetzt sind es fünf, vier sind aus Deutschland.

Gehen Sie davon aus, dass noch mehr dazu kommen? Sind weitere Anklagen zu erwarten?

Das bleibt abzuwarten. Nur weil jemand nicht inhaftiert wurde, bedeutet das noch nicht, dass keine Anklage erhoben werden wird. Zumindest für Leute aus Dänemark würde ich Geldstrafen von 500 oder 1 000 Kronen wegen »Störung des öffentlichen Friedens« erwarten. Das entspricht 70 beziehungsweise 140 Euro. Wenn rund 2 000 Leute wegen so etwas vorübergehend in Gewahrsam genommen werden, wäre es doch seltsam, wenn nicht ein großer Teil von ihnen auch angeklagt würde.

Aber die meisten wurden präventiv festgenommen, nicht wegen »Störung des öffentlichen Friedens«.

Sie können innerhalb von fünf Jahren angeklagt werden. Das hängt von den Ermittlungen ab. Es ist ziemlich normal in Dänemark, dass man die Anklageschrift erst nach Monaten bekommt. Aber vielleicht gibt es ja demnächst die Anweisung vom Polizeichef, die Sache auf sich beruhen zu lassen, um keine weiteren Diskussionen anzustoßen. Ich würde eher mit Anklagen rechnen.

Wie ist Ihr bisheriger Eindruck von der Haltung der Gerichte?

Ich bin positiv überrascht. Die Gerichte betrachten jeden Fall individuell. So gibt es auch glatte Freisprüche.

Hatten Sie schon Erfahrung mit Verfahren, in denen es um Konflikte mit der Polizei ging?

Ich betreute den größten Fall von Polizeigewalt in der dänischen Geschichte. Damals hatten Zivilpolizisten Fußballfans zusammengeschlagen. Zwar wurde nur ein Polizist verurteilt, aber das Verfahren enthüllte viel Unwissen der Polizeikräfte darüber, unter welchen Umständen sie den Schlagstock gebrauchen dürfen. Es gab großes Medieninteresse. Die Polizei gab zwar keine Fehler zu, veränderte dann aber einiges an ihrer internen Informationspolitik. Es ist ja offensichtlich, dass es schwierig ist, einen Schlagstock in einem vollen Stadion auf, sagen wir, vernünftige Weise zu gebrauchen. Jetzt müssen Zivilpolizisten in Konfliktsituationen gelbe Westen anlegen, um sich kenntlich zu machen, um nicht für Hoo­ligans gehalten zu werden.

Der Fall lief gut für uns, weil es eine Menge Beweise gab. Und es war kein politischer Fall, er wurde also gut in den Medien aufgegriffen, Fußball weckt ja generell Sympathien. Wenn die Po­lizisten das Gleiche bei den Protesten gegen die Räumung des Ungdomshuset gemacht hätten oder im alternativen, unabhängigen Stadtviertel Christiania … 

Aber jedenfalls bekam ich anschließend etliche Fälle zum Thema Ungdomshuset, weil sich herumsprach, dass ich keine Angst vor Verfahren gegen Polizisten habe.

Wie sieht es denn mit den Chancen Ihres Klienten Christoph L. aus, der einen Polizisten verklagen will, der ihn angeblich würgte?

Ob Christoph das machen wird, ist noch nicht klar, das ist seine Entscheidung. Dann kommt es ganz auf die Beweislage an. Aber wenn man sich über die Polizei beschwert, sind die Chancen, das Verfahren zu gewinnen, allgemein gering.

Trifft das auch auf die Massenbeschwerde zu, die zur Zeit vorbereitet wird?

Die Massenbeschwerde bezieht sich, soweit ich sehe, auf die Massengewahrsamnahmen. Die Polizei hat aber bereits Prozesse gewonnen, in denen es um Gewahrsamnahmen von Fußballfans ging, ohne dass von ihnen vorher Gewalt ausgegangen wäre. Sie können Menschen festnehmen, wenn sie meinen, das verhindere Gewalt.

War das bereits von dem Gesetz legitimiert, das für den Klimagipfel neu beschlossen wurde?

Nein, das sind alte Fälle. Früher konnte die Polizei Menschen sechs Stunden lang festhalten, jetzt sind es zwölf. Und es wurden Strafen erhöht. Aber daran, dass es nur 23 Verhaftungen gab, wird klar, dass die Strafverschärfungen nicht die entscheidende Neuerung waren, sondern die Verlängerung des Präventivgewahrsams auf zwölf Stunden. Die war von großem praktischen Nutzen.

Waren die Polizeiaktionen gegen die Gipfelgegner ein Thema in der Öffentlichkeit?

Ein Thema war, dass die 900 Festgenommenen stundenlang auf dem eiskalten Asphalt sitzen mussten. Aber schon bei der kleineren Massenverhaftung am nächsten Tag hatte die Polizei Decken parat. Sie war sehr bemüht zu vermeiden, sich weltweit einen schlechten Ruf einzuhandeln.

Wurden damit die Medien beruhigt?

Ich glaube, ja. Es ist jetzt kaum die Rede von der Massenklage. Es herrscht wohl Erleichterung darüber, dass es nicht zu Ausschreitungen kam.

Das hieße, dass man der Polizei dankbar für ihre präventiven Aktionen sein muss.

Ich denke, in Dänemark sagt die Mehrheit, die Polizei habe gute Arbeit geleistet. Meiner Ansicht nach hat sie keine schlechte Arbeit geleistet, aber die Aktivisten und Aktivistinnen haben definitiv gute Arbeit geleistet. Sie haben auf vielerlei Arten protestiert, ohne schwere Konflikte einzugehen.

Sie sagen, die Polizei habe keinen schlechten Job gemacht?

Verglichen mit dem Fall Ungdomshuset – ja. Denn das war damals eine Katastrophe. Da wurden 600 Menschen an einem Tag festgenommen, die Mehrheit von ihnen wurde wochenlang inhaftiert. Die Polizei hat seitdem viel gelernt.

Source: http://jungle-world.com/artikel/2010/08/40433.html