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2010-01-19

Der Gipfel des Scheiterns

…zaghafte Schritte einer dringend notwendigen Klimabewegung

In Kopenhagen haben zwei bedeutsame Ereignisse gleichzeitig stattgefunden: Der Startschuss und die Sinnkrise der internationalen Klimaprotestbewegung. Während im Vorfeld des Gipfels zugespitzt debattiert wurde, ob der UN-Gipfel gestützt oder gestört werden solle, haben die Ergebnisse der offiziellen Verhandlungen und die Ereignisse bei den Protesten vor den Toren beide Ansätze bis aufs Mark blamiert. Also weder noch: Es gibt keine wirkungsmächtige Beeinflussung der Verhandlungen durch zahme Appelle. Es gibt aber auch keine erfolgreiche Delegitimierung des UN- Prozesses durch eine neue, kämpferische, systemantagonistische Klimabewegung.

Pic: Copenhagen

Kann und sollte es eine solche nach Kopenhagen überhaupt noch geben? Wie kann es uns nun im lokalen Widerstand gelingen, Leute zu integrieren, die in Kopenhagen waren? Schaffen wir es, eine Bewegungsstärke zu entwickeln, die zumindest perspektivisch klar stellt was die Alternative zu bescheuerten Klimaverhandlungen ist?

„Kopenhagen ist gescheitert“; die Welt wurde mal eben nicht so ein bisschen gerettet, und eigentlich wissen das mittlerweile von FAZ bis jungle world auch alle. Denn wenn in Kopenhagen als einziges „Ergebnis“ die Staatengemeinschaft das Ziel einer „maximalen Erhöhung der Erdtemperatur um 2 C zur Kenntnis nimmt“, ohne entsprechende verbindliche Vereinbarungen für die hierfür notwendigen Emissionsreduktionen zu treffen, heißt dies im Klartext, dass man sich auch dieses unzureichende Ziel faktisch abgeschminkt hat. Noch nie war es so unbefriedigend, es mal wieder schon vorher gewusst zu haben.

Landauf-globusab sind jetzt scheinbar alle gemeinsam ganz doll frustriert. Nun kann man den offiziellen Repräsentanten zwar Verlogenheit vorwerfen, „irrational“ ist das Ergebnis aus Sicht der Regierungen der Industrieländer deswegen noch lange nicht: Die beispielsweise vom BDI befürchteten „einseitigen Belastungen der Industrie in Europa“ konnten abgewendet werden, ohne auf der Kehrseite negative Konsequenzen aus dem „Imageschaden“ befürchten zu müssen: Es wird vermutlich keine einzige Regierung abgewählt werden, weil sie sich in Kopenhagen nicht genug für ein starkes Abkommen eingesetzt hätte. Somit wurde in Kopenhagen nur einmal mehr der Interessensgegensatz zwischen Industrie- und Entwicklungsländern deutlich. Erstere haben ihre Industrieinteressen bedient und versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen, letztere haben zumindest dafür gesorgt, dass sie das mit einem für alle ersichtlich gescheiterten Kopenhagen-Prozess bezahlen mussten.

Dies schafft aber im gemeinsamen Fazit auch neue Gemeinsamkeiten: Immerhin stärkt dies nun die übereinstimmende Überzeugung, dass der UNFCCC- Prozess ohnehin nichts taugt.

Von Hopenhagen nach Brokenhagen? Kein Ergebnis ist auch ein Ergebnis

Hajo Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sieht jetzt die Zivilgesellschaft in der Verantwortung, den Klimaschutz selbst in die Hände zu nehmen. Und tatsächlich meint der Mann mehr als eine Energiesparbirne einzuschrauben oder den Lichtblick- Vertrag zu unterschreiben, ihm geht es um eine praktische „Relokalisierung“ des politischen Konflikts. Auch von Greenpeace- Chefboss Naidoo wird die Forderung erhoben, mit zivilem Ungehorsams klarzustellen, dass jetzt aber Schluss mit lustig sei. Juchhuu. Das stimmt sowieso schon immer.

Hat die sonst eher durchwachsene Kopenhagen- Erfahrung also doch noch etwas Gutes? In diesem Punkt: ja. Für die breite Front der Umwelt- NGOs hat Kopenhagen hoffentlich unmissverständlich klargestellt, dass ihre Appelle verhallen, schlimmer noch, dass sie mit Füßen getreten werden. Die Bitternis kann sich jetzt eigentlich nur in Frustration oder Rebellion wandeln, auf jeden Fall gibt es keinen Anlass mehr beim nächsten Klimagipfel mit der gleichen Strategie und der gleichen Strategie aufzulaufen. Und die Erfahrungen der Mobilisierung geben Anlass für einen verhaltenen Zweckoptimismus: Der Tisch für eine Radikalisierung der lokalen Kämpfe ist gedeckt.

Climate must change: from protest to resistance!

Das Produktivste an Kopenhagen war die Mobilisierung im Vorfeld. In kaum einer Mobilisierung sind wir unserem interventionistischen Anspruch so gerecht geworden wie in der Kopenhagen- Vorbereitung. Wie öde sind sonst oft rein innerlinke Mobilisierungsveranstaltungen, wo die immer gleichen Szenefellows unter sich hocken und die coolsten Ortskenntnisse austauschen. Wie erfrischend war es dagegen mit der verpönten Klimafrage durch die norddeutsche Tiefebene zu juckeln. Kaum ein Politikfeld eröffnet solch einen Facettenreichtum unterschiedlicher Interessen und Verknüpfungen; mit dem Klimathema können als „Querschnittsthema“ erfolgreich unterschiedliche Spektren in radikaler Systemkritik zusammengeführt werden.

Ebenso verhält es sich mit den Erfahrungen in lokalen Bündnissen. Wir haben erfahren, dass wir in den letzten zwei Jahren zu einer realen Linksverschiebung beigetragen haben: Fast alle unserer Mitdiskutanten aus dem reformorientierten Spektrum bestätigen, dass es im Rahmen der Kopenhagen-Mobilisierung zu einer inhaltlichen Öffnung für radikale Systemkritik gekommen ist; die von uns betriebene Verknüpfung der ökologischen mit der Eigentums- und somit der Systemfrage wurde also erfolgreich zurück in die Klimadebatte getragen; ein oft zunächst vorsichtig formuliertes Unbehagen mit den marktkonformen Lösungsansätzen des Kyotoprotokolls schlug in vielen Diskussionsveranstaltungen in eine solide Kapitalismuskritik um.

Leider ist es jedoch nicht gelungen, über praktische Aktionen im Vorfeld unsere Botschaft stärker nach Außen zu tragen und uns zum Beispiel gegenüber der Presse als wichtiger Faktor zu etablieren. Hierin bildete die Klima-Karawane eine rühmliche Ausnahme. Abgesehen davon, dass der Austausch mit den TeilnehmerInnenn aus dem Süden ein praktisch- internationalistisches Highlight war, gingen von der Karawane gut vermittelbare Botschaften aus (Bsp.: die Heimsuchung der Monsanto- Zentrale in Brüssel). Dies verschaffte der Vorbereitung dann auch zumindest punktuell die notwendige mediale Präsenz.

Resultat der Mobilisierung waren über 100.000 AktivistInnen bei der Großdemonstration am Samstag. Dies ist als Startschuss für eine neue internationale Bewegung im Politikfeld Klima enorm beeindruckend. Trotzdem fällt die Bilanz dieser ersten Massendemonstration vernichtend aus. Die Strategie der reformistischen NGOs ist absehbar nicht aufgegangen; nicht einmal das selbst gesteckte Ziel, Druck auf die Verhandlungen aufzubauen konnte erreicht werden. Die Botschaft der Proteste war so weichgespühlt, die Haltung zum Gipfelgeschehen so diffus, dass der Effekt der Demonstration komplett verpuffte. Anstelle sich in der Spaltung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern klar zu positionieren und die Unvereinbarkeit von Klimaschutz und Kapitalinteressen zugespitzt darzustellen, konnte der Protest praktisch von jedem vereinnahmt werden.

En Spadseretur for Klimaets Skyld / Ein Spaziergang fürs Klima (danske nyheder 13.12.09)

Aber auch der radikale Teil der Klimabewegung hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Organisierte Zusammenhänge hätten sich ähnlich wie beim G8 zu einem frühen Zeitpunkt in die Demovorbereitung einmischen müssen, um zumindest den Versuch zu unternehmen, eine inhaltliche Botschaft mit Mindeststandards zu erreichen. Da dies fast niemand tat, waren unsere Inhalte auf unseren Block beschränkt. Aber selbst der riesige „System Change – Not Climate Change“ Block auf der Demonstration konnte – unorganisiert wie er war – wenig eigenständige Akzente setzen.

Die willkürliche Einkesselung eines ganzen Teils der Demonstration wurde ob seiner Größe und der fehlenden Kommunikationsstruktur in den anderen Teilen gar nicht mitbekommen. So konnte darauf auch nicht reagiert werden: Der Block hätte in Solidarität zurück zu den Eingekesselten gehen müssen und mit mehr Strukturen die durchaus nicht übermächtige Polizei ebenfalls einkesseln können.

Noch katastrophaler scheiterten die großspurig angekündigten militanten Aktionskonzepte. Wieder einmal wurde geglaubt, es reiche etwas anzukündigen ohne es auch praktisch zu organisieren. Das autonom-anarchistische Never Trust a Cop- Netzwerk hatte vorher verbreitet, nicht mit der Demo laufen zu wollen, sondern stattdessen Riots in der Innenstadt anzupeilen. Obwohl sich genug AktivistInnen am Rande der Anfangskundgebung sammelten, der Weg zur Innenstadt frei war und dort schon genug clevere Freunde des Straßensports in Zivilkleidung auf sie warteten, schlug der Plan fehl. Der einzige kleinere Angriff auf ein ehemaliges Börsengebäude wurde ausgerechnet im System Change Block gestartet, obwohl dieser im Vorfeld klar kommuniziert hatte, das u.a. angesichts der Beteiligung von AktivistInnen aus dem Süden keine Angriffe aus dem Block heraus erfolgen sollten. Als wenige Bullen den Angreifern zaghaft nachsetzten zog sich der schwarze Block fluchtartig zurück und zerstreute sich später ohne handlungsfähig zu sein. An dieser Stelle müssen wir allerdings auch darauf hinweisen, dass sich viele GenossInnen aus dem System Change Block übertrieben von den Vermummen distanzierten.

Nach dem Durchsickern der News von der Massenfestnahme aus unserem Block und der innewohnenden Erkenntnis des tendenziellen Versagens war die Luft raus. Auf der restlichen Demo und der Abschlusskundgebung wurden – befördert durch körperliche Erschöpfung und Ohnmacht – keine Akzente mehr gesetzt – weder gegen den Gipfel noch gegen die Repression. Bleibt die Frage: Wofür demonstrierten wir da eigentlich?

Oh, du lieber Augustin….?

Alle die sich angesichts des Vortags auf die Hit the Produktion – Aktion am Sonntag gefreut hatten wurden enttäuscht. Dem grundsätzlichen Aktionskonzept, angesichts der absehbaren Gipfelpleite deutlich zu machen, dass Klimaschutz erkämpft werden muss und Handarbeit bleibt, konnten wir viel abgewinnen. Die autonom geprägte Vorbereitung setzte die gute Idee aber gehörig in den Sand. Am Ende blieb ein öffentlich angekündigter aber zielloser Sturm auf den Hafen, der ohne Vermittlung und Bündnispolitik klein und der Polizeirepression schutzlos ausgeliefert war. Dementsprechend wurden fast alle der vielleicht 500 TeilnehmerInnen gleich zu Beginn eingekesselt und in Gewahrsam genommen.

Das spricht aber nicht gegen die Konzeptidee, sondern gegen die Umsetzung. Eine anschlussfähige Massenaktion, die in Abgrenzung zu der Demo nicht bei Appellen stehen bleibt, sondern praktisch eingreift hat bitter gefehlt. Viele der 100.000 DemonstrantInnen wären gewiss davon zu überzeugen gewesen, beispielsweise ein Kohlekraftwerk zu besetzten und hätten sich so mit einer Perspektive die auch auf lokale Auseinandersetzungen übertragbar ist auf den Heimweg gemacht. So blieb aber auch der Sonntag ein Flop und zu viele AktivistInnen sind wohl eher mit einem Gefühl der Ohnmacht enttäuscht in ihre Busse gestiegen.

So wichtig es ist, die eigenen Schwächen festzustellen, so wichtig ist es auch darauf hinzuweisen, dass die entgrenzte Polizeirepression ihren Anteil hatte. Wir hätten es angesichts eines weltweit beachteten Klimagipfels, unseren bisherigen Erfahrungen von hoher Legitimität von Klima- bzw. Umweltprotesten nicht für möglich gehalten, dass die dänische Polizei in dieser Weise Grundrechte außer Kraft setzt. Insgesamt wurden in den Gipfeltagen fast 2.000 AktivistInnen in Gewahrsam genommen. Vor ihren Festnahmen mussten sie in langen Reihen meist mehrere Stunden auf dem gefrorenen Boden sitzen, ohne dass ihnen erlaubt wurde auf Klo zu gehen. Etliche GenossInnen wurden abgeschoben oder über den Gipfelzeitraum eingesperrt und angeklagt. Ernüchternd ist, dass dies trotz offensichtlicher Wahllosigkeit und Bilder prügelnder Bullen keinen Aufschrei der liberalen Öffentlichkeit ausgelöst hat.

Trotzdem ist uns wichtig festzuhalten, dass die Bullen bei weitem keine Kontrolle über das Geschehen hatten. Das wird schon klar, wenn wir die Situation in den aus Deutschland geliehenen Sammelkäfigen betrachten. Nach ständigen Erniedrigungen fingen die Gefangenen bereits am Samstag an, die Käfige regelrecht auseinander zu nehmen. Mit vorhandenen Holzbänken wurden die Zwischentüren heraus- und die Zellentüren aufgebrochen. Die Polizei spritzte von allen Seiten Pfefferspay auf die schutzlosen Gefangenen. Mit den immer wieder aufflammenden Knastrevolten hat sich in Kopenhagen eine neue Aktionsform und das Wissen etabliert, dass der Kampf auch nach der Ingewahrsamnahme noch lange nicht zu Ende ist.

Im Laufe der Woche besserte sich der Grad der Organisiertheit kontinuierlich. Angefangen mit der geschlossen in Ketten laufenden No-Border- Demonstration am Montag bis hin zur starken Abschlussdemo am Freitag war dies ein Ausdruck, dass viele der oft jüngeren und unerfahrenen AktivistInnen sich vom Klima der Repression nicht einschüchtern ließen. Dabei war Reclaim Power ohne Frage der Höhepunkt der Gipfelproteste. In der Mitte der Woche gelegen, wo zwar bereits viele AktivistInnen wieder zu Hause waren, sich die Auseinandersetzungen in den Klimaverhandlungen allerdings zuspitzten, sollte sich der Zugang zum Gipfel erkämpft werden um symbolisch eine Peoples Assembly (Klimaversammlung der Weltbevölkerung) durchzusetzen. Von Süden sollte der mobile „grüne Block“ durch Polizeiketten zum Zaun vordringen und vom Norden sollte der „blaue Block“ als angemeldeter Demozug bis zum Konferenzgebäude ziehen, um sich dort über die wenigen Brücken durchzudrücken. Der „grüne Block“ scheiterte an der TeilnehmerInnenzahl. Mit 300 Leuten kamen fast weniger Leute zum Treffpunkt als zum Vorbereitungsplenum am Abend davor. Hier zeigt sich die einschüchternde Nachwirkung der Massenfestnahmen. Um so bemerkenswerter ist, dass die Verbliebenen gegen den Abbruch- Vorschlag der tragenden Strukturen auf einem Spontanplenum entschieden, die Aktion trotzdem durchzuführen. Nach einem Täuschungsmanöver brachen sie durch die sie umringenden Polizeiketten und konnten erst auf dem Weg zum Zaun gestoppt werden. Schon bei 1.000 Leuten wären die Polizeikräfte maßlos überfordert gewesen und der Weg zum und durch den Zaun hätte gelingen können.

Der „blaue Block“ startete mit über 2.000 AktivistInnen und erheblicher Verspätung Richtung Konferenzzentrum. Den ganzen Weg lief der komplette Zug in Ketten. Am Gipfelort angekommen wurde dank energischer Motivation durch den Lautsprecherwagen versucht, die massiven Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Im Laufe der Auseinandersetzung (bei der gemäß Aktionskonzept kein einziger Polizist angegriffen wurde) gelang es, die erste Reihe aus Bullenwannen und Ketten zu überwinden, die Versuche scheiterten jedoch an einer zweiten Reihe mit Absperrwänden. Wir konnten nur Staunen, dass die AktivistInnen, die augenscheinlich größtenteils noch nie eine direkte Konfrontation mit der Polizei erlebt hatten, über 20 Minuten trotz massiven Knüppel- und Pfeffersprayeinsatzes den Druck aufrecht halten konnten. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung wurde aber auch der Lautsprecherwagen von der Polizei geentert, so dass die später notgedrungen vor den Zaun verlegte Peoples Assembly nach außen stimmlos war. Die einzigen die es schafften, auf das Konferenzgelände zu gelangen, waren AktivistInnen die eine in der Demonstration versteckte Brücke aus Luftmatratzen nutzten um bei klirrender Kälte den 3 Meter breiten Kanal zu überqueren.

Auch im Gipfel selbst blieb der Protest nicht aus. 800 Akkreditierte beteiligten sich an einer lautstarken Demonstration im Konferenzzentrum. Beim Versuch das Gebäude zu verlassen um sich der Peoples Assembly anzuschließen wurden sie vor den Kameras der Presse von Bullen angegriffen und zusammen­geschlagen.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass sich Reclaim Power durch den Grad an Organisiertheit – aber vor allem durch die beeindruckende Entschlossenheit der Beteiligten deutlich vom Rest der Gipfelproteste abhob. Dies, obwohl die Vorbereitung einen mehr als prekären Eindruck machte. Im Vergleich zur remotivierenden Innenwirkung blieb die Außenwirkung allerdings bescheiden weil es nicht gelang, die Botschaft bzw. eine zusammengestauchte Formel an die Presse zu vermitteln. Das größte Manko war die mangelnde Beteiligung. Mit 6 statt 3.000 Menschen hätten wir den Gipfel gestürmt. Für einen Wochentag im Dezember war die internationale Präsenz – grade aus Deutschland – noch ordentlich. Aber offensichtlich war es nicht gelungen, eine nennenswerte Anzahl KopenhagenerInnen für die Aktionen zu mobilisieren. Das war angesichts des eigentlich großen Potentials in der Stadt überraschend und nicht vorauszusehen.

Planet Erde brennt, Kopenhagen pennt (Plakataufschrift Infopunkt Folkshuset)

Die Schwäche der linksradikalen Proteste hat viel mit der sichtbar gewordenen Schwäche der radikalen Linken in Kopenhagen zu tun. Vor der infrastrukturellen Meisterleistung der GenossInnen ziehen wir den Hut: Bei der Unterbringung, der Infostruktur, der Verpflegung und vor allem der Gefangenenbetreuung wurde Großes geleistet. Damit waren die wenigen AktivistInnen, die sich vor Ort an der Vorbereitung beteiligten aber auch schon überlastet. Auf der Strecke geblieben ist dabei Mobilisierung, Vermittlung und Bündnisarbeit vor Ort. Große Teile der Szene hielten sich vornehm raus, anderen gelang ob der informellen und intransparenten Vorbereitungsprozesse nur schwerlich eine Beteiligung. So sind uns bei den Gegenaktivitäten zum Gipfel eklatante strukturelle aber auch politische Schwächen der radikalen Linken in Kopenhagen auf die Füße gefallen, welche sich seit einigen Jahren immer mehr zuspitzen. Wir wissen dass die radikale Linke in Kopenhagen großartiges leisten kann. Ungdomshuset, G13 oder die nur kurz zurückliegende Kirchenasyl- Kampagne sind Begriffe, die hier in Deutschland viele Herzen haben höher schlagen lassen.

Doch die Erfahrungen und Erfolge der vergangenen Zeit wurden nicht konserviert und transportiert. Seit einigen Jahren brechen organisierte Strukturen und Gruppen in Kopenhagen weg, ohne dass der dadurch frei gewordene Platz durch andere aufgefüllt würde. Auf gewachsene Strukturen zurückzugreifen ist daher kaum noch möglich. Die in ganz Kopenhagen bestehenden 4-5 Gruppen (z.B. Antifa und feministische Gruppen) arbeiten sehr teilbereichsspezifisch und kommen selten bis gar nicht mit inhaltlichen Positionen an die (linke) Öffentlichkeit. Stehen politische Events, wie eben COP 15 an, treffen sich stets von neuem interessierte Einzelpersonen und teilweise freundschaftliche Netzwerke. Es gibt fast keine organisierten Zusammenhänge und Gruppen, welche sich an der Vorbereitung beteiligen könnten, um ihre Thesen, Strukturen und Erfahrungen anzubieten, an welchen dann diskutiert und auf die eventuell aufgebaut werden könnte. Fällt der Anlass weg, fallen die gerade aufgebauten Strukturen, Erfahrungen und Ergebnisse großteils wieder in sich zusammen. Eine ordentliche Auswertung bleibt aus und nach einer Ruhepause wird sich in die nächste Kampagne gestürzt. Das ein solches happeningorientiertes Arbeiten (Ruhepause und dann eine zeitlang Vollgas geben) nicht für alle Menschen praktikabel ist, liegt auf der Hand und verweist auf die Generationsfrage: Die Szene in Kopenhagen ist nicht klein, aber unwahrscheinlich jung. Leute Anfang 30 sind schon die Oldies, Menschen im Alter darüber können fast an einer Hand abgezählt werden, zumindest was den politische Alltag angeht. Die Schwierigkeiten der radikalen Linken in Nordeuropa, Menschen in verschiedenen Lebenslagen ansprechen und integrieren zu können, tritt in Kopenhagen durch ein exklusives Szenemodell kummuliert auf.

Diesmal traf diese Unorganisiertheit der Szene samt der innewohnenden Mobilisierungsschwäche mit einem völlig entfesselten Polizeistaat zusammen. Nur zur Erinnerung: Die Aktion Shut it down konnte auf einen Samstag im September 2000 Leute, mit dem Ziel, ein Kohlekraftwerk lahmzulegen, mobilisieren. Trotz dieser recht anspruchsvollen und sehr illegalen Ankündigung, lies die Polizei die AktivistInnen sich versammeln und bis an das Kraftwerk herankommen. Dieser Spielraum ist dem Respekt, den sich die Linke im Zusammenhang mit dem Ungdomshuskonflikt 2006/07 zurückerarbeitet hatte geschuldet. Die Gefahr, jetzt viel von diesem Spielraum im COP- Protest verloren zu haben, liegt auf der Hand.

Immerhin: in Kopenhagen wird wahrgenommen, dass da etwas falsch läuft und es kommt zu einer produktiven Aufarbeitung, so wird es z.B. ein Seminar zur Notwendigkeit von Organisierung geben. Das Kirchenasyl, welches in seinen letzten Zügen liegt, ist im unterschied zu vorherigen Kampagnen dabei, eine gründliche Auswertung anzuschieben.

Für die schnellen LeserInnen: Mexiko kann, Moorburg muss!

Wir ziehen also ein gemischtes Fazit der Proteste. Die Gipfelproteste waren erste Gehversuche und Kommunikationsort einer internationalen, oder zumindest internationalistischen Klimabewegung. Aber es ist etwas voreilig, sich (wie teilweise in Kopenhagen bereits geschehen) jetzt schon „bis nächstes Jahr in Mexiko“ zu verabschieden. Die Klimabewegung, und erst recht die systemkritische Perspektive hierin kann bei solchen Großevents in ihrer derzeitigen Verfasstheit nicht viel gewinnen. Unsere Aufgabe besteht nun darin, dieses zunächst uns selbst und dann unseren BündnispartnerInnen klar zu machen … und die Konsequenzen aufzuzeigen: Unsere nächste Veranstaltung muss dann eben nicht zwangsläufig der Klimagipfel in Mexiko 2010 sein, unsere nächsten Veranstaltungen müssen vor Ort stattfinden: In Lubmin, Schafflund, Salzgitter, Gorleben und Hamburg- Moorburg.

Aber auch das ist alles andere als ein Selbstgänger. Wir fürchten, dass aus Kopenhagen viele Leute ohne klare Bewegungsperspektive wieder nach Hause gefahren sind und deshalb, wenn wir nicht aufpassen, angesichts des dreisten Gipfelergebnisses eher ohnmächtiger Frust als produktive Wut und Energie bleiben.

Diese Leute müssen wir jetzt erreichen und ihnen ein konkretes Widerstandsangebot machen. Das Klimaschutz lokal erkämpft wird müssen wir halt erstmal beweisen. Aber selbst den Umwelt-NGOs ist klar: Die lokalen Auseinandersetzungen erhalten vor dem Hintergrund der offensichtlich beim Großgipfel verpufften Wirkung eine enorme Relevanz.

Kopenhagen kann uns nachhaltig stärken, wenn wir an die positiven Erfahrung der erfolgreichen, spektrenüberbrückenden Mobilisierungsphase anknüpfen, die zarten Bündnispflänzchen hegen und pflegen und internationalistische Erfahrungen kleinteilig einbetten. Hierfür sollten wir entsprechende Angebote an unsere BündnispartnerInnen nicht nur schriftlich unterbreiten, sondern direkte Kommunikation über Klimaplenas und spektrenübergreifende Veranstaltungen zu organisieren.

Unsere nächster Schritt besteht darin, vor Ort konkrete Auseinandersetzungen anzuzetteln und zu radikalisieren. Mittels kalkulierbarer und verlässlich organisierter Aktionen des zivilen Ungehorsams gilt es, das Niveau der Konfrontation real zu erhöhen, den politischen Kern des Konflikt als solchen mittels konfliktorientierter happenings herauszuschälen und so die in Kopenhagen berechtigterweise entstandene Frustration in Widerstand vor Ort zu wenden.

Avanti – Projekt undogmatische Linke; 1/ 2010

Source: http://www.avanti-projekt.de/cop15-auswertung