Offener Brief wird un-öffentlich
Wegen massiver Einschränkungen der Pressefreiheit auf dem Weltklimagipfel in Kopenhagen schrieben die Chefredakteure von ARD und des ZDF einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere hochrangige Vertreter. Doch allzu offen sollte der Brief wohl dann doch nicht sein. In den Medien fehlt jegliche Spur eines solchen Briefes.
Der Journalist und Buchautor Gerhard Wisnewski entdeckte den Offenen Brief eher zufällig in einer „Infobox“, versteckt in einem Beitrag über Umweltschutz in North Carolina.
Wenn die beiden Chefredakteure der beiden großen TV-Anstalten des deutschen Fernsehens gemeinsam einen Offenen Brief schreiben hat das sicher einen triftigen Grund. Und tatsächlich geht es in diesem Schreiben um „die massive Beschränkung der freien Berichterstattung auf dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen“, so der Wortlaut aus dem Schreiben. „Seit heute dürfen sich Journalisten im Konferenzzentrum nicht mehr frei bewegen. Drehs außerhalb des Pressezentrums sind nur noch möglich, wenn ein Delegationsmitglied das Kamerateam und den Reporter an der Sicherheitsschleuse abholt und das Team dann von einem UN-Verantwortlichen begleitet wird. Spontane Drehs sind unmöglich. Selbst die UN-Medienkoordination wurde offenbar von diesen Maßnahmen überrascht, da die Verschärfung nicht angekündigt war. Diese Maßnahmen verstoßen gegen die Presse- und Rundfunkfreiheit und behindern die Arbeit der Medien in höchstem Maße. Wir sehen das Recht der freien Berichterstattung massiv eingeschränkt. Daher fordern wir die sofortige Aufhebung dieser Einschränkung für alle Journalistinnen und Journalisten auf dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen.“ Unterschrieben ist der Brief von Nikolaus Brender, Chefredakteur des ZDF und von Thomas Baumann, Chefredakteur der ARD.
Wisnewski wunderte sich dass der Offene Brief nicht in anderen Medien erschienen war, und stattdessen wie versteckt unter einem Artikel in einer Infobox platziert war. Auch fehlten bei dem Brief die Unterschriften der beiden Chefredakteure, und es fehlten auch die Adressaten. Es war also nicht zu ersehen an wen der Brief eigentlich gerichtet war. Wisnewski rief prompt bei der Pressestelle des ZDF an. Nach einigen Zwischenstopps mit offensichtlich ahnungslosen MitarbeiterInnen der Pressestelle wurde er mit Peter Bogenschütz verbunden. Auch dieser schien nichts über einen Offenen Brief zu wissen, und ließ sich den Brief auf der Webseite von Gerhard Wisnewski zeigen. Wisnewski wunderte sich dass der Brief nicht in einer ordentlichen Nachrichtensendung veröffentlicht wurde, oder zumindest auf der Startseite, so wie es die Brisanz des Schreibens vermuten lassen würde. Die Behauptung Bogenschütz’ die Meldung sei am 17.12. von den Presseagenturen aufgegriffen worden scheint da auch nicht sehr glaubhaft, da im Internet über den Brief nichts zu finden ist. Dann schaute Bogenschütz nochmal nach. Der Brief sei vom Evangelischen Pressedienst (EPD) gemeldet worden, doch warum der Brief nicht als Top-Meldung gebracht wurde wusste Bogenschütz auch nicht. Sollte eine Meldung, die offensichtlich die Pressefreiheit auf dem Weltklimagipfel als „massiv eingeschränkt“ sieht, und die von den beiden obersten Chefs des Deutschen Fernsehens verfasst wurde, es nicht einmal wert sein auf einer Webseite der beiden größten deutschen Fernsehanstalten sichtbar platziert zu werden? Oder vielleicht sogar im Fernsehen selbst zu erscheinen?
Nach einigem hin und her bekam Wisnewski den Brief von Peter Bogenschütz auch per Mail zugesandt. Doch leider wieder ohne Unterschriften und Adressaten. Also rief Wisnewski wider an, und erst jetzt kam der vollständige Brief, mit allem was dazu gehört. Und jetzt erst wurde Wisnewski klar warum das alles so lange gedauert hat. Die beiden Chefs der Fernsehanstalten schrieben den Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, an die Minister Norbert Röttgen und Guido Westerwelle, an Lars Rasmussen und Vertretungen der UNO in Berlin und New York. Niemand geringerer als die Deutsche Kanzlerin und internationale Vertreter der Vereinten Nationen wurden hier also aufgefordert etwas gegen die „massive Einschränkung“ der Pressefreiheit auf dem Weltklimagipfel zu tun. Ein Offener Brief wie er brisanter wohl kaum sein könnte. Nur eben schade dass er dann doch nicht so offen war. Welche Wirkung hätte der Brief wohl in der täglichen heute-Sendung gehabt, wenn er pünktlich um 19:30 Uhr im täglichen Nachrichtenmagazin erschienen wäre? Oder in der Tagesschau? Doch gut versteckt in einem nebensächlichen Internetbeitrag über Umweltschutz in North Carolina konnte ihn wirklich niemand vermuten. Offensichtlich passte der Brief nicht richtig in die sonstige Berichterstattung über den Klima-Gipfel. Sicherlich hätte er eine leichte Trübung im Bewusstsein der Fernsehzuschauer verursacht, denen ja im Fernsehen ein ganz anderes Bild über den Gipfel vermittelt werden sollte.
Source: http://de.indymedia.org/2009/12/269394.shtml