Der G8-Gipfel ist in aller Munde. Keine linke Gruppe, die sich nicht dazu äußert (wir jetzt auch!). An den gängigen Vorstellungen der Durchschnittslinken – über den „Gipfel der Ungerechtigkeit“ – hat sich mittlerweile eine Kritik herausgebildet, die sich für kommunistisch hält. Gegen die Vorstellung in Heiligendamm träfe sich die böse Weltregierung, die für ganz viele „Ungerechtigkeiten“ in dieser Welt verantwortlich sei, gibt es die Kritik, die G8 wäre so viel Grund für die ganze Misere wie ein „Laden für Rasierbedarf“ (Gruppe 8.Mai, Frankfurt) (1).
Gepocht wird also, nicht nur von dieser Gruppe, auf die Totalität kapitalistischer Vergesellschaftung, in der Herrschaft apersonal sei und von Herrschenden im strengen Sinne nicht gesprochen werden könne.
Obwohl an dieser Aussage einiges dran ist, kommt die Vorstellung von der Totalität doch wie ein schlecht abstraktes „alles ist eins“ daher, also lohnt sich anzuschauen, wie das Verhältnis von kapitalistischer Ökonomie und politischer Herrschaft beschaffen ist. „Sehen wir näher zu“ (2).
Alles Charaktermaske oder was?
Bleiben wir zunächst bei dem nicht besonders brillanten Beispiel der Gruppe 8.Mai: Dem Rasierbedarfladen. Die kapitalistische Gesellschaft ist so eingerichtet, dass nur weil man sich rasieren will, man noch lange nicht zum Rasierer kommt, denn dieser ist das Privateigentum z.B. des Ladenbesitzers. Dieser hortet Rasier nicht zur besseren Bekämpfung von Haarwuchs, sondern um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Denn allgemein gilt, ohne was zu haben, kann man auch nichts bekommen: Das Verhältnis wird auch Warentausch genannt. Der Eigentümer eines Rasierbedarfsladen hat – im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, die heißen Arbeiter oder Arbeitslose – aber zu seinem Glück etwas: einen Laden voller Rasierbedarf. Wenn sein Laden gut läuft, kann er sich vielleicht auch nächsten Monat noch rasieren. Genauso geht es vielen anderen Rasierbedarfsladenbesitzern. Nun sind zwar genug Rasierer da und auch genug Bedarf danach, aber die Kaufkraft, damit die Rasierer zum Haar kommen, fehlt oft. Schließlich haben viele Menschen nicht mal einen Rasierbedarfsladen. Also müssen die Rasierbedarfsladenbesitzer darum konkurrieren, wer seinen Plunder los wird. Da keiner wissen kann, was der andere gerade vorhat (Sonderangebot, neue Produkte, etc.) muss jeder immer das bestmögliche Verkaufsergebnis anstreben, um am Ende nicht bankrott dazustehen. Diese Einrichtung heißt „allgemeine Konkurrenz“.
Für einen globalen Konzern – nennen wir ihn Gilette (wir tun mal so, als würde der Mischkonzern Procter&Gamble nur die Marke Gilette besitzen)– stellt sich die Sache ähnlich dar. Zwar hängt da kein überarbeiteter Rasierbedarfsladensbesitzer dran, aber um als Konzern bestehen zu bleiben, muss Gilette durchaus darauf achten, dass die Konkurrenz sie nicht niedermacht.
Für den Rest der Menschheit sieht die Sache noch mieser aus. Die haben nicht mal einen Laden und müssen ihre Arbeitskraft verkaufen, wenn sie sich rasieren wollen. Denn von den vielen Rasierern – die ja vorhanden sind, sonst lägen sie nicht in den Läden rum – sind sie solange ausgeschlossen bis sie das Geld auf die Rasierbedarfsladenthekenscheibe legen. Sich einen Rasierer einfach selbst bauen können sie auch nicht, denn sie sind auch von den Maschinen ausgeschlossen, mit denen man sinnvoll Rasierer herstellen kann. Also bleibt ihnen nichts anders übrig als gegen Lohn arbeiten zu gehen, um sich Rasierer leisten zu können.
Raiserbedarfsladen und Bundeskanzleramt
Nun treffen sich in Heiligendamm keine Rasierbedarfsladenbesitzer sondern Staatsoberhäupter. Der Rasierbedarfsladenbesitzer und Frau Merkel nehmen zwei sehr unterschiedliche Rollen bei der Reproduktion des Kapitalismus ein. Die Konsequenzen der Entscheidungen von Frau Merkel reichen bis an die Landesgrenzen und zum Teil sogar darüber hinaus. Die Zuständigkeit des Ladenbesitzers endet an seiner Ladentür. Während also der Ladenbesitzer (oder in diesem Punkt nicht verschieden, der Kapitalist) innerhalb der Eigentumsordnung vorgehen muss, steht Frau Merkel dem Laden vor, der dem Rasierbedarfsladenbesitzer wie auch seinem Personal die Bedingungen des Wirtschaftens vorschreibt. Nochmehr: der Staat schafft erst die Bedingungen all des unschönen Treibens, in dem er Privateigentum setzt und im Zweifel gewalttätig durchsetzt.
Um das Privateigentum setzen zu können, braucht der Staat Gewalt. Eine Gesellschaft die auf Privateigentum beruht, ist nämlich für ihre Mitglieder kein Zuckerschlecken. Denn durch das Privateigentum sind sie – wie schon erwähnt – von allen Dingen erstmal ausgeschlossen, die sie für ihre Bedürfnisbefriedigung benötigen. Deswegen haben viele Leute gute Gründe das Privateigentum anderer zu verletzen. Ein Staat, der eine funktionierende kapitalistische Wirtschaft will, kann das nicht dulden. Er muss gegenüber seinen Bürgern die Eigentumsordnung garantieren, dafür muss er souverän sein.
Wie souverän ein Staat ist, hängt davon ab wie weit er sein Gewaltmonopol nach innen und seine Interessen nach außen durchsetzen kann. Die G8 versammelt Staaten, die damit eher weniger ein Problem haben (das heißt übrigens nicht, dass es neben den G8 Staaten keine weiteren Staaten gibt, die über beachtliche Machtmittel verfügen würden). In vielen anderen Staaten ist fast alles interessante Eigentum in den Händen ausländischer Kapitalisten. Wenn eine Staatsführung – für welchen Zweck auch immer – sich an diesem Eigentum vergreifen will, ist sie mit der militärischen Macht von EU und USA konfrontiert.
Auch wenn staatlichem Handeln durch die internationale Staatengemeinschaft Grenzen gesetzt werden, sind die „Sachzwänge“ eines Staates und seines Personals ganz andere als die eines Rasierbedarfladenbesitzers. Gegenüber seinen Bürgern hat so ein Staat nämlich dank Gewaltmonopol einiges zu sagen. Die EU z.B. hat sich überlegt das „freie Fluten“ wenn es um Getreide geht einzuschränken und Bauern zu subventionieren, damit die auch in ein paar Jahren noch im Stande sind die eigene Bevölkerung auszuhalten. Man weiß ja nie, was noch kommt. Das ist natürlich gar nicht gemäß der Theorie von der unsichtbaren Hand, aber eben Resultat einer politischen Entscheidung. Andere Beispiele für die Suspendierung vom Markt sind Straßenbau, der Bildungssektor und das Gesundheitswesen. All das sind Sachen vor denen der Rasierbedarfsladenbesitzer nur staunend erblassen kann.
Daraus nun rasiermesserscharf folgernd auf die Straße zu ziehen und zu fordern, dass das Staatspersonal einen anderen Zweck verfolgen solle, als den der Kapitalvermehrung gemäßen, ist widersprüchlich und politisch falsch. Erstens sind die Staatsagenten meistens mit sich selbst identisch und wollen genau das, was auf dem G8-Gipfel so verhandelt wird. Genauso sehen das die heimischen Parlamente, die sie geschickt haben, welche sich in der Regel auch alle paar Jahre vom Volk bestätigen lassen (die Frage danach ob das mit dem Privateigentum auch in Ordnung geht, steht freilich nicht zur Auswahl). Zweitens haben diese Leute eine Aufgabe, welche in der Regel in den entsprechenden Verfassungen verbrieft ist und die Produktion zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung sowie Abschaffung der Nationalstaaten steht da einfach nicht drin. Angela Merkel mag die eine oder andere Entscheidung treffen können, die Kompetenz den ganzen Quatsch mit Kapital & Nation endlich mal bleiben zu lassen, hat sie jedoch nicht. Lustig wäre das sicher anzuschauen, der nachfolgende Notstand wiederum wäre wohl nicht so lustig.
Statt sich also auszumalen, was der Staat alles machen könnte, wenn er es nur mal richtig anstellen würde, wäre es angebracht sich die Frage vorzulegen, warum er denn macht, was er tut. Dabei wird man wohl darauf kommen, dass die ganzen liebgewonnen „Errungenschaften“ wie Sozialsystem, Gesundheitsversorgung und Entwicklungshilfe vielleicht doch nicht so lieb sind, sondern auch nur dem Zweck der Staatsmacht und der kapitalistischen Reichtumsvermehrung untergeordnet sind...
Wer aber erkannt hat, dass die oben genannten Zwecke sich nur dadurch verwirklichen lassen, dass vielen Menschen in den G8 Staaten und im Rest der Welt Schaden zugefügt wird, der sollte dieses Wissen nicht für sich behalten. Ohne Einsicht der Betroffenen in den systematischen Charakter der ständigen Schädigung eigener Interessen ist die Beseitigung der Ursachen nicht zu bewerkstelligen. Ob sich G8-Proteste, bei denen vor allem das Gelingen der symbolischen Aktionen im Vordergrund steht, gut für Agitation eignen, bleibt zweifelhaft. Die entscheidende Frage ist aber nicht "hinfahren oder zu Hause bleiben". Aufklärung über die Funktion der G8 und von Rasierbedarfsläden kann überall stattfinden. Entscheidend ist, dass durch die Verbreitung der richtigen Theorie die richtige, die Ursachen des Elends beseitigende Praxis endlich möglich wird.
Junge Linke – gegen Kapital und Nation
www.junge-linke.de
1 siehe: http://achtermai.blogsport.de/2007/01/04/who-the-fuck-is-heiligendamm/
2 Karl Marx, Das Kapital Bd.1, Berlin 1969