Wir waren nicht in Heiligendamm. Aus gutem Grund. Der Großteil der Kritik an G8 ist strohdoof, borniert-falsch, mies – wir sind uns nicht ganz einig. Weder sind die G8 die heimliche Weltregierung, die alles Böse plant. Noch finden wir es ein großes Problem, dass die G8 nicht demokratisch legitimiert sind. Uns stören die Ziele und Zwecke dieser Herrschaften; und für die wäre es ziemlich egal, ob sie sich als G8, als G25 oder als UNO treffen. Wir haben keinen frommen Glauben an die guten Absichten der Leute, die Nationalstaaten vorstehen (I). Die tun ihren Job, das ist das Problem. Die Zwecke von Kapital und Nationalstaaten sind nämlich absolut unverträglich mit unserem Zweck, allen Menschen auf diesem Planeten ein schönes, möglichst unbeschwertes Leben zu verschaffen.
Darum haben wir den Sinn nicht darin gesehen, nach Mecklenburg-Vorpommern zu fahren, um dort mit lauter Leuten zusammen zu protestieren, die allesamt einen nicht sehr aussichtsreichen Appell an das dort versammelte Herrschaftspersonal richten wollten, die Welt doch ein bisschen besser zu machen. Und uns dafür von den Staatsbütteln ordentlich was aufs Maul hauen zu lassen, weil der bürgerliche Staat eben nicht sauber trennt, zwischen radikaler oder bloß radikal klingender, aber eigentlich komplett affirmativer Kritik.
Und damit uns niemand falsch versteht: Auch diejenigen, die in Heiligendamm Steine geschmissen haben, haben keine radikale Kritik an den Verhältnissen. Der Blödsinn, den diese Leute im Kopf haben, soll in diesem Text nicht das Thema sein. Und an albernen Ritualen, wer’s den Bullen wie gezeigt hat, haben wir auch eher weniger Interesse.
Dennoch: Wir haben mehr als heimliches Vergnügen empfunden, als die Militanten die dämliche Inszenierung des braven staatsbürgerlichen Protests gestört haben. Es ist ja nicht nur so, dass Deutschland als Gastgeberland zeigen wollte, dass es im Gegensatz zu Russland allen folgenlosen Protest zulässt, weil sich Merkel um die Akzeptanz der Herrschaft im Volk im Gegensatz zu Putin keine Sorgen macht und darum nicht aus jeder Opposition eine Bedrohung des Staates zusammenzimmert. Die Sache liegt noch schlimmer: Die im Ostseebad versammelten politischen Eliten konstruieren aus den versammelten und artikulierten Besorgnissen über Hunger, Krieg, Menschenrechtsverletzungen, Klimakastrophen, AIDS ihre “Verantwortung” für die Welt. Und das läuft bei den Chefinnen und Chefs der mächtigen kapitalistischen Nationalstaaten auf eine Selbstermächtigung hinaus, die versammelte politische, militärische und ökonomische Macht einzusetzen, um die herrschende Weltordnung – nachhaltig, gerecht, gendergemainstreamt – aufrecht zu erhalten. Und das bedeutet, was immer die guten Absichten von Protestierern, Protestanten und Potentaten sein mögen, Folter, Hunger, Bürgerkrieg, Abschiebung, Armut, also Ausbeutung und Überausbeutung für den Großteil der Menschheit zu garantieren.
Diese Inszenierung, dass die Politik aufgrund der Sorgen der Bürger genau das tut, was sie tut, haben die Militanten gestört, indem sie den Abstand zwischen sich und dem Staat auf Wurfweite erhöht haben. Dafür könnten wir sie abknutschen.
Kaum etwas ist alberner und dämlicher als die neue Gewaltdebatte in der bürgerlichen Öffentlichkeit und bei ihren linken Hofnarren. Da treffen sich in Heiligendamm die Oberbefehlshaber ihrer weltweit aktiven Armeen, die Chefs der Chefs der Knüppelgarden der herrschenden Ordnung, die Verwalter einer Ordnung, die jeden Tag zigtausend Hungertote produziert. Und ihr regt euch über Polizisten auf, die zur Abwechslung mal selbst Tränengas schnuppern mussten? Entschuldigt bitte, ihr habt sie nicht alle.
Unser Problem ist: Auch die Militanz-Spielchen ändern nichts. Täten sie es, wären Pflastersteine dennoch nicht unser bevorzugtes Medium der Kommunikation. Denn wir mögen es nicht, wenn Menschen zu Schaden kommen. Echt nicht. Schon gar nicht die Gewalt der Gewaltmonopolisten, die dafür sorgen, das man auf so alberne und verzweifelte Methoden zurückgreifen muss, wie Pflastersteine zu werfen oder Tränengas zu versprühen. Aber wenn Menschen den Mythos der Gewaltlosigkeit dieser Verhältnisse angreifen und die Idylle der gemeinsamen Ziele von Herrschenden und Protestierern stören, dann ist das gut. Und dann sollte man mit den armen Schweinen, an denen der Staat seinen Anspruch durchexerziert, dass er das Gewaltmonopol hat, Solidarität – immer ein Hinweis darauf, dass es nicht gut steht – üben. Und ihnen jedenfalls nicht in den Rücken fallen und sich staatsdienlich distanzieren.
Das wusste schon Merleau-Ponty: Wer sich der Gewalt gegenüber der Gewalt enthält, perpetuiert die Gewalt. Dieses kreuzmoralische Urteil teilen wir.
(I) Noch weniger wollen wir solchen frommen Glauben statt ihn vernünftig zu kritisieren, pädagogisch nutzen, indem wir Kreide fressen, unserer Kritik nicht äußern, stattdessen mit “Tendenzforderungen” die Leute da abholen wo sie angeblich stehen, um sie dann dahin zu führen, wo wir so rumsitzen. Anders formuliert: Forderungen, die die Leute verarschen, die man aber selber nicht für realistisch hält, sind kein Mittel der Aufklärung.
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