80.000 Menschen demonstrierten am 2. Juni in Rostock gegen die G8. An den darauf folgenden Protestaktionen beteiligten sich bis zu 20.000 AktivistInnen. Nach der Geburtsstunde der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung im Jahre 1999 in Seattle konnte erneut ein Gipfel in seinem Ablauf beeinträchtigt werden.
von Nima Sorouri, Köln
Die Blockaden zwischen dem 5. und 7. Juni waren die größte Aktion des zivilen Ungehorsams seit mehreren Jahren. Sowohl durch die massenhafte Beteiligung als auch durch die Entschlossenheit der AktivistInnen konnte das Gipfeltreffen gestört werden.
Blockaden
Die Zufahrtsstraßen wurden wirksam belagert. So war der Tagungsort eine Zeit lang nur über den Wasser- oder Luftweg zu erreichen. JournalistInnen mussten per Marineboot befördert werden. Eine Pressekonferenz konnte nicht wie geplant durchgeführt werden.
Das ist ein bedeutender Erfolg für die Bewegung und hat das Selbstbewusstsein vieler AktivistInnen gestärkt. Millionen von Gegnern neoliberaler Politik in aller Welt fühlen sich in ihrem Kampf ermutigt. International haben die Menschen gesehen, dass man die Veranstaltungen der Herrschenden stören kann. Die G8 wurde durch diese Proteste weiter delegitimiert.
Die Blockaden trafen auf Sympathie in der Bevölkerung. In Rostock und Mecklenburg hatte sich, gerade nach den Auseinandersetzungen auf der Großdemonstration, eine schwierigere Stimmung entwickelt. Aber auch dort gab es sehr wohl Verständnis für die Anliegen der DemonstrantInnen (im Verlauf der Woche mehr als zu Beginn).
Staatliche Aufrüstung
Schon in den Wochen vor den Protesten war eine Atmosphäre von Angst und Gewalt geschaffen worden. Medien und Staat spielten sich dabei die Bälle zu. Gerade in Berlin und Hamburg wurden mehrfach Wohnungen und Büros von linken AktivistInnen durchsucht. Die Presse sprach von geplanten „linksterroristischen Aktionen“ während der Proteste. Diese Angstmacherei sollte demobilisierend wirken. Die Rechnung ging jedoch nicht auf.
Die Einschüchterung im Vorfeld diente auch als Rechtfertigung für die Errichtung einer „demokratiefreien Zone“. Eine Armee von Polizisten, Bundeswehr-Soldaten, Wasserwerfern, Panzern, Hubschraubern war im Einsatz. Sie führten unzählige willkürliche Personenkontrollen durch. Protestaktionen wurden permanent mit Hilfe absurder Unterstellungen aufgehalten und teilweise für aufgelöst erklärt. Der Sternmarsch, der für den letzten Protest-Tag geplant war, wurde von vornherein verboten. Das Bundesverfassungsgericht fand das zwar bedauerlich, bestätigte aber das Verbot. Es kam immer wieder zu gewalttätigen Einsätzen der Polizei.
Die Herrschenden wollten keine Debatte über das politische Versagen der G8 – ob beim Klimaschutz, bei der Abrüstung oder bei der AIDS-Hilfe. Deswegen bestimmte – als Ablenkungsmanöver – etwa drei Tage der „Schwarze Block“ die Medienlandschaft.
Der „Schwarze Block“ und attac
Wie es zu diesen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Teilen der Demonstration am 2. Juni gekommen war, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Sicher ist, dass die Polizei nach Konflikten mit einem Teil der DemonstrantInnen (nachdem es zu Steinewürfen und den Angriff auf einen herumstehenden Polizeiwagen gekommen war) die gesamte Abschlusskundgebung attackierte. Wasserwerfer wurden aufgefahren. Knüppeleinheiten marschierten in die Demonstration ein. Panik und Verletzte wurden dabei in Kauf genommen.
Tausende DemonstrantInnen setzten sich gegen die Repression am 2. Juni zur Wehr. Mehrmals mussten sich die Polizei-Einheiten zurückziehen, weil sich DemonstrantInnen verteidigten – was laut Gesetz übrigens illegal ist. Das heißt, gesetzlich müsste man einen Angriff der Polizei mit Tränengas und Knüppeln widerstandslos über sich ergehen lassen.
Die SAV tritt für das Recht von Demonstrationen ein, sich selbst vor Angriffen des Staatsapparates zu verteidigen. Dass sich attac in Rostock sofort der Logik von Staat und Polizei anschloss, ist nicht weniger als ein handfester Skandal. Die Kritik der attac-Sprecher war eindeutig gegen die linken „Krawallmacher“ gerichtet. Und das, noch bevor man überhaupt sagen konnte, was da vorgefallen war. Damit hat attac einen Beitrag zur Rechtfertigung für die brutalen Polizeiangriffe geleistet.
Wessen Gewalt?
Stattdessen hätte attac die Verlogenheit der Herrschenden entlarfen sollen, die eine „Gewalt-Debatte“ vom Zaun brechen, um von der Gewalt ihres auf Profit aufgebauten Systems abzulenken. Schließlich sind es die selben Minister, die jeden Tag Menschen in Abschiebeknäste stecken, die Tausenden die Arbeit wegnehmen und ihnen Ein-Euro-Jobs aufdrücken, die sich über „Gewalt“ empören. Die herrschende Politik bedeutet Gewalt. In Afghanistan ist die Bundeswehr Teil einer Besatzungsmacht. Mit dem Waffenhandel verdienen deutsche Unternehmen Milliarden. Die Politik der G8 ist Gewalt. Täglich sterben Menschen an Hunger, während die Nahrungsproduktion ausreichen würde, über zwölf Milliarden Menschen satt zu machen. Im Jahre 2006 stammten von den 1.000 Milliarden Dollar, die weltweit in Rüstung und Krieg gesteckt wurden, drei Viertel von den G8-Staaten. Das ist Gewalt. Die ganze Heuchelei der Bürgerlichen wird deutlich, wenn man sieht, wessen Gewalt skandalisiert und wessen Gewalt von Kritik freigesprochen wird. Schlagzeilen wie „Ros-tocker Innenstadt verwüstet“ sollen entsolidarisierend auf die Proteste wirken und gleichzeitig von der eigentlich nötigen „Gewalt-Debatte“ ablenken.
Welche Methoden bei Demos?
Es ist nicht mal auszuschließen, dass die ersten Steinewürfe auf Bankfilialen von der Polizei selbst initiiert worden waren. Sogenannte agents provocateurs waren auf jeden Fall einige Tage später im Einsatz, was die Polizei sogar zugeben musste. Einer, der bei den Blockaden vermummt versucht hatte, tschechische AktivistInnen zum Steinewerfen anzustacheln, wurde von der Demonstration als Zivilpolizist enttarnt und der Polizei ausgehändigt. Ein Vorfall, der auch viele bürgerliche JournalistInnen entsetzte.
Als SozialistInnen verteidigen wir die Bewegung gegen das Vorgehen des Staatsapparates. Dementsprechend halten wir es auch für katastrophal, wenn attac sich argumentativ auf die Seite der Herrschenden schlägt. Wir halten es aber für nötig, dass innerhalb der Bewegung Politik und Methoden diskutiert und, falls erforderlich, klar kritisiert werden. Konkret sind wir der Meinung, dass in Rostock die falschen Methoden des Schwarzen Blocks dem Staat in die Hände gespielt haben. Zerbrochene Scheiben und brennende Autos ärgern das Establishment nicht. Ganz im Gegenteil. Solche Aktionen wirken demobilisierend und dienen gleichzeitig als Vorwand, Polizei- und Geheimdienstapparate aufzurüsten und gegen kommende Bewegungen in Stellung zu bringen.
Im Unterschied zur Herangehensweise des Schwarzen Blocks muss in unseren Augen ein entscheidendes Kriterium sein, in wie weit man mit seiner Politik die arbeitende und erwerbslose Bevölkerung erreicht und mit welchen Maßnahmen es gelingt, die Mobilisierung der Arbeiterklasse zu fördern.
Wo war der DGB?
In den Einzelgewerkschaften gab es zwar eine Reihe von Untergliederungen, die zu den G8-Protesten aufriefen oder Busse stellten. Die DGB-Oberen zogen es jedoch vor, mit der Kanzlerin im Vorfeld von Heiligendamm Gespräche zu führen. Allen Ernstes meinten sie dann, dass sie ja nicht gleichzeitig mit Merkel und Co. reden und gegen sie protestieren könnten.
Angesichts der Angriffswelle, der sich Beschäftigte und Erwerbslose heute gegenüber sehen, eine Katastrophe. Die auch Auswirkungen auf die Ereignisse in Rostock hatte. Wären am 2. Juni Hunderttausende der sieben Millionen DGB-Mitglieder durch die Gewerkschaftsspitzen mobilisiert worden, dann wäre es dem Staatsapparat ungleich schwerer gefallen, loszuknüppeln. Zudem hätte ein gewerkschaftlicher Ordnerdienst die Demonstration effektiv schützen können.
Die Arbeiterklasse muss deshalb für die Proteste mobilisiert werden, weil sie Opfer des Systems ist, für das die G8 stehen. Sie ist aber auch die Kraft in der Gesellschaft, die eine grundlegende Veränderung herbeiführen kann. Hätten die Hotel-Beschäftigten gestreikt, hätten Merkel und Co. auf den Toiletten nicht mal Klopapier vorgefunden, um sich den Hintern abzuwischen. Hätten Bauarbeiter, Drucker, Beschäftigte im Transportwesen, Telekom-KollegInnen den Gipfel bestreikt, hätten die G8-Politiker gar nicht erst zusammen kommen können.
Die Beteiligung von Jugendlichen stach nicht nur zahlenmäßig hervor (übrigens waren 18.000 bei den Protest-Camps und über 2.000 beim Alternativgipfel), sondern auch durch die politische Radikalität. Aufgrund des Fehlens der Gewerkschaften in Rostock fällt es diesen Jugendlichen schwerer, ein Verständnis über die Kraft der Arbeiterklasse zu erreichen. Das ist und bleibt jedoch die zentrale Aufgabe: die Verbindung der antikapitalistischen Proteste mit der Bewegung der Lohnabhängigen – um den Kapitalismus tatsächlich herausfordern zu können.
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