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2002-07-25

AKTUELLER BERICHT DER INFOGRUPPE ÜBER DIE EREIGNISSE DER LETZTEN TAGE IM NO BORDER GRENZCAMP IN STRASBOURG

(STAND DONNERSTAG, 25. JULI, NACHMITTAGS)

Heute, Donnerstag, hat die Präfektur der Stadt verkündet, dass alle Aktionen die vom Camp ausgehen verboten wären. Im Folgenden eine kurze Skizze der letzten Tage, wie es zur derzeitigen Situation kam. Es sind natürlich nicht alle Aktionen des Camps hier dokumentiert.

Seit letzten Freitag hat das internationale No Border Camp in Strasbourg begonnen. Das Camp wendet sich gegen eine rassistische Flüchtlingspolitik. Etwa 2.000 Menschen zelten am Parc du Rhin, um Perspektiven dagegen zu entwickeln. Das Camp versteht sich dabei als selbstverwaltetes soziales Experiment. Alle Arbeiten sollen rotieren, es gibt keine Hierarchien. Vom Camp gehen seit Samstag verschiedene Aktionen wie Strassentheater, Informationsveranstaltungen, Besuche in den Banlieus, spontane Besuche in rassistischen Institutionen sowie Demonstrationen statt. Innerhalb des Camps gibt es unzählige Workshops z.B. zu den Themen Migration, Grenzen, staatliche Flüchtlingspolitik, Repression, Psychiatrie, Gefängnis, Patriarchat und Rassismus statt. Das Ganze wird vom Campradio auf der Frequenz 100,6 MHZ begleitet.

THEATER UND DEMONSTRATION GEGEN ÜBERWACHUNGSKAMERAS AM DIENSTAG

Gegen 16.45 Uhr versammelten sich ca. 300-400 AktivistInnen, um in der Strasbourger Innenstadt einer Aufführung der " Publik Volx Theater Karawane " beizuwohnen. Am Bahnhof sowie einigen Zu/Ausgängen des Platzes war massive Polizeipräsenz. Die Samba-Gruppe sorgte für eine super Stimmung. Als die Musik verstummte, begann die Theatergruppe mit der Aufführung ihres Theaterstückes. Zahlreiche PassantInnen blieben stehen, und applaudierten. Gegen Ende der Aufführung kam es zu einer Atacke der örtlichen Polizei, welche einige TänzerInnen angriffen. Die Angreifer wurden friedlich und entschlossen zurückgewiesen. Mit fröhlicher Samba-Musik ging es dann entschlossen und gemeinsam durch die Innenstadt. Die Sprechchöre übertönten zeitweilig selbst die Musik. Unter anderem wurde ein Sex-Shop " dekoriert " - mit der Parole " STOP SEXISM " und der Besitzer mit Farbbeuteln eingedeckt, als er sich über die Aktion beschwerte. Die Demonstration kam an mehreren Überwachungskameras vorbei. Sie waren in einer unerreichbaren Höhe installiert - nichtsdestotrotz gelang es einigen AktivistInnen wenigstens eine auszuschalten. Desweiteren wurde elektrisch betriebenen Werbetafeln der Strom genommen. Nach der Aktion in den Accor Hotels am Montag und der Demonstartion am Dienstag gab der Bürgermeister der Stadt bekannt, dass die die " Sicherheit und Ordnung " durch die städtischen Sicherheitskräfte nicht mehr gewährleistet sei und er die Verantwortung nun dem Department übertragen würde.

DIE DEMONSTRATION AM MITTWOCH

Am Mittwoch fand eine Demonstration unter dem Motto " Für Bewegungsfreiheit " in der Innenstadt statt. Zwischen 700 und 1.000 Menschen wollten vom Place de la Republique durch die Stadt ziehen. Die Polizei hat die Demonstration kurz darauf angegriffen und die etwa 50köpfige Sambagruppe von der Demo abgespalten. Unter massivem Beschuß mit Tränengas und Gummigeschossen (die erst seit kurzem in Frankreich erlaubt sind) wurden die TeilnehmerInnen durch die Straßen getrieben. Dabei wurden auch zahlreiche TouristInnen und BewohnerInnen von Tränengas und Gummigeschossen getroffen. Die Demonstration wurde aufgelöst. Es gab mehrere Verletzte und mindestens 16 bestätigte Festnahmen. 4 von ihnen sind bisher freigelassen worden, der Verbleib von 4 weiteren ist unklar. Einzelnen Berichten zufolge verweigert die Polizei seit gestern jeden weiteren Dialog, angeblich wurden Spezialkräfte angefordert die in der Nacht eintreffen sollten.

DER AKTUELLE STAND IM CAMP AM DONNERSTAG

Am Morgen kam der Polizeipräfekt Strasbourgs zum Camp, um eine Verfügung zu überreichen. Die Verfügung besagt, dass bis Samstag, 0 Uhr, jede Demonstration des Camps untersagt würde. Sie wurde von Niemandem des Camps in Empfang genommen. Gegen Mittag wollte der Bus der Publix Theater Karawane aus Österreich wie jeden Tag vor dem Hauptbahnhof parken, um dort mit Theater und Flugblättern auf die Anliegen des No Border Camps aufmerksam zu machen. Mehrere Hundert Polizisten machten die Insassen des Busses darauf aufmerksam, dass nicht nur jede Demonstration, sondern auch jede andere Aktion die vom Camp ausginge verboten sei. Jede Ansammlung über 3 Personen werde als Demonstration betrachtet und aufgelöst. Zudem würden alle Autos, die in der Stadt mit mehreren dem Camp zugeordneten Personen angetroffen würden, aufgefordert die Stadt via Kehl (Deutschland) zu verlassen. Die Präfektur scheint entschlossen, jede Artikulation des Camps zu verhindern. Die Stadtregierung scheint um einen reibungslosen Ablauf des Strasbourger Markts, der als touristische Attraktion vermutlich 100.000 BesucherInnen anzieht, besorgt. Mit der Kriminalisierung der Aktionen und Demonstration versucht die Stadt, das Anliegen des Camps in der Öffentlichkeit zu diskreditieren oder gar nicht erst zu ermöglichen. Es gibt Vermutungen, dass das Camp sogar vor Samstag aufgelöst werden soll. Dennoch sind etwa 2.000 Leute auf dem Camp präsent und diskutieren zur Zeit, wie mit der Repression umgegangen werden soll. Geplant sind für heute Strassentheateraktionen auf mehreren Brücken der Stadt.

HINTERGRUND: AUFRUF ZUM INTERNATIONALEN GRENZCAMP IN STRASBOURG VOM 19.7 - 28.7.2002

Gemeinsamer Aufruf des europäischen noborder Netzwerks. Bewegungsfreiheit und die Freiheit sich niederzulassen sind grundlegende menschliche Bedürfnisse. Migration ist eine Tatsache, seine Autonomie könnte und kann nicht reguliert werden, so wie Staaten und transnationale Organisationen es wünschen würden. Migration ist eine Konsequenz der ökonomischen Ausbeutung, der politischen Unterdrückung und des Krieges aber auch des berechtigten Interesses der Leute, ein besseres Leben oder andere Lebenumstände zu finden.

Bewegungfreiheit für alle muß eine Realität werden, die wir mit allen möglichen und notwendigen Mittel erkämpfen müssen. Bewegungsfreiheit ist eine zentrale Forderung in den letzten Jahren gewesen, als Grassroot-Gruppen begannen, noborder-Camps an den unterschiedlichen Grenzen der Festung Europa zu organisieren: gegen die Aufrüstung der Grenzen um Europa, mit ihren Waffen, Kontrolltechnologien und der rassistischen Unterstützung vieler Leute in den europäischen Ländern. Das ist das Gegenteil unserer Träume von der Schaffung einer Welt ohne Grenzen.
Wir leben in einem weltweiten, kapitalistischen System, das die Leute auseinanderdividiert. Dieses System der Ausbeutung und des Ausschlußes wird durch die internen und externen Grenzen der Festung Europa oder das sogenannte " Schengenland " getragen. Es basiert auf rassistischen Gesetzen und der Barbarei der Internierung und der Deportation. Tausende von Leuten sind durch dieses Grenzregimes umgekommen.

Wir werden z.Z. Zeugen eines Erstarkens des repressiven Staatsapparates in der ganzen Welt. Zugleich ist die Kontrolle der inländischen Bevölkerung und der Bewegung der Leute über Staatesgrenzen hinweg nichts Neues. Sie hat sich beschleunigt nach den Angriffen gegen das WTC und das Pentagon als die Herrschenden ihren " Krieg gegen den Terrorismus " genutzt haben, um neue drakonische Kontroll-Massnahmen durchzudrücken. Nach dem Vorschlag zur Schaffung einer europäischen Aufstandsbekämpfungseinheit, kommt jetzt das Projekt eines europäischen Haftbefehls und die Einigung auf gemeinsame Antiterror-Gesetze. Hinter dem Vorwand der " Terrorismusbekämpfung " verbirgt sich das eigentliche Ziel, die Kontrolle über das tägliche Leben und Kämpfen aller zu verstärken. Wir versuchen, gegen die Instrumente der staatlichen Kontrolle direkt vorzugehen in allen ihren vielfältigen Formen. Als Teil dieses Kampfes organisiert das noborder-Netzwerk ein Grenzcamp im Sommer 2002 in Strasbourg, Frankreich. Strasbourg ist der Sitz des Schengener Informationssystems (SIS), einem zentralen Baustein des Kontrollapparates. Diese Such- und Kontrolldatenbank mit 10 tausenden Terminals in ganz Europa zielt in erster Linie auf MigrantInnen. Gleichwohl wird es nicht nur bei Grenzstationen eingesetzt, sondern dient auch der Ausdehnung der staatlichen Kontrolle auf allen Strassen. Das SIS kann schnell befragt werden sowohl um festzustellen ob eine Person zur Festnahme oder Abschiebung ausgeschrieben ist oder aber andere Informationen zur Verfügung stellen, die verwendet werden, um die Bewegungen und die Tätigkeiten einer Einzelperson zu überwachen.

Gegen dieses Instrument der Kontrolle und Unterdrückung möchten wir in Strasbourg mit unseren Protesten und unserer Kritik an den europäischen Institutionen und den durch sie vertretenen Interessen präsent sein. Wir möchten gegen alle Formen der Ausbeutung und Spaltung angehen , indem wir zusammenarbeiten um neue Formen der Zusammenarbeit und des Widerstandes zu entwickeln. Wir möchten eine Plattform für Informationsaustausch und Erfahrung unter den Gruppen und Einzelpersonen schaffen, die aus unterschiedlichen politischen Kämpfen mit einer emanzipatorischen antikapitalistischen Perspektive kommen.

Wir möchten mit selbstorganisierten Gruppen von MigrantInnen zusammenarbeiten. Wir möchten Kontakte zwischen Leuten mit unterschiedlichen politischen Praxen und mit unterschiedlicher regionaler Erfahrung herstellen. Das noborder-Camp wird eine Vielzahl der direkten Aktionen einschliessen, angefangen mit allgemeinen Demonstrationen bis hin zu den Formen der Kommunikationsguerilla.

Das Lager wird Raum geben für eine Menge internationaler Diskussionen und workshops und wir beabsichtigen, ein 10-Tage-Laboratorium für kreativen Widerstand und zivilen Ungehorsam schaffen. Das Strasbourg Camp drückt unsere Fähigkeit aus, unsere eigenen Orte und Präsenzen, der Aktion und der Kommunikation selbst zu bestimmen. Wir laden alle interessierten Leute ein zu kommen und teilzunehmen, zu diesem internationalen Event beizutragen und es zu unterstützen ...
Agreed on by the European noborder network on 02.dec.2001