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2002-08-07

No-Border-Camp in Strasbourg - Jenseits aller Grenzen

von deniz yücel

Schon das gewöhnliche Camping ist keine luxuriöse Sache. Noch weniger komfortabel, wenn auch politisch nicht falsch, sind die No-Border-Camps, die aus Protest gegen das rassistische europäische Grenzregime durchgeführt werden. Die zusätzlichen Strapazen entstehen zum Teil aus der unaufgeforderten Mitwirkung der Polizei, aber auch, wie das Camp in Strasbourg zeigte, aus dem Eigensinn der No-Border-Aktivisten.

War die Polizei bis zur ersten Demo am 24. Juli recht zurückhaltend, ging sie, nachdem einige Leute ein paar Banken entglast hatten, mit Gummigeschossen und Tränengas vor. Zuvor hatten einige Demonstranten versucht, eine Synagoge zu beschmieren, was nur durch das beherzte Eingreifen anderer Teilnehmer und nach einigen Rangeleien verhindert werden konnte.

Nicht aufgehalten wurde eine Gruppe von Deutschen, die ein antifaschistisches Denkmal zur Befreiung Strasbourgs von der deutschen Besatzung mit »Non à la guerre« beschmierten. Eine gelungene Fortsetzung jenes Camps, bei dem deutsche Linke an der polnischen Grenze mit dem Vertriebenenmotto »Keine Grenze ist für immer« aufliefen. Nach dieser Demo verhängte der Präfekt ein Demoverbot im Stadtgebiet, wo in den folgenden Tagen ein polizeiliches Großaufgebot patrouillierte und vermeintliche Teilnehmer des Camps in ihre Zelte zurückschickte.

Und dort wurde es richtig kuschelig. Zuvor hatte man Pressevertreter vom Gelände verbannt, vermutlich das Beste, was die Organisatoren für ihre Publicity tun konnten. Denn die »Kapitalismus-freie Zone«, die man dort ausgerufen hatte, war allemal dazu geeignet, in den Medienberichten die Aktivisten weder als Menschen mit seriösem Anliegen, noch als gewalttätige Chaoten, sondern als esoterische Spinner erscheinen zu lassen.

Da wurde ökologisch korrekt in Erdlöcher geschissen, da heulten Teilnehmer gemeinsam den Mond an, da wurde ein Workshop zum Thema »Anarchistische Spiritualität« angeboten. Sicher, es gab auch Diskussionen zu vernünftigen Fragestellungen. Aber wie wirkt ein Angebot, bei dem man zwischen dem Widerstand von Illegalisierten und religiösem Klimbim wählen kann? Einen beängstigenden Einblick in die Utopien dieser Linken bot auch das Essen: Linsensaufstrich für alle zum Frühstück etwa. Sogar vom Verbot des Konsums mitgebrachter Marmelade wird berichtet.

Gegen eine Kritik an dieser geschichts- und begriffslosen Idealisierung von selbst gewählten Slumverhältnissen zu »gelebter Utopie« ließe sich einwenden, diese krude Bauwagenromantik sei vielleicht bei der Veranstaltung in Strasbourg besonders ausgeprägt gewesen, aber nicht aussagekräftig für alle Grenzcamps und keineswegs charakteristisch für alle Teilnehmer. Völlig indiskutabel aber ist es, wenn aus einer linken Demo heraus versucht wird, eine Synagoge zu attackieren. Dass andere Teilnehmer dies durch ihr entschlossenes Eingreifen verhindern konnten, ist zwar löblich. Aber es genügt eben nicht, wie es die meisten Beiträge im deutschen Indymedia tun, diesen Übergriff nachträglich zu verurteilen.

Eine antirassistische Veranstaltung muss nach einer derartigen Grenzüberschreitung an diesem Punkt eine messerscharfe Trennlinie ziehen. Sie kann nicht, wie in Strasbourg geschehen, ohne jede Diskussion einfach zum wohligen Wir-gegen-die-Bullen zurückkehren. Spätestens seit der UN-Konferenz von Durban droht der Antirassismus als Strategie des Antisemitismus vereinnahmt zu werden. Daran, wie die antirassistische Bewegung dieser Herausforderung begegnet, wird sie sich künftig messen lassen müssen.

Übrigens, liebe Grenzcamper: Dass das Leben in nicht wetterfesten Behausungen, das Scheißen in Erdlöcher, die ewige Linsenpampe und die Überwachung des Elends durch eine rigide Dorfmiliz zu den guten Gründen zählen, die Menschen zur Flucht nach Europa treiben, wäre doch auch mal einen Gedanken wert.

[http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2002/33/13b.htm]