Vom 8. bis 10. Juli wird der G8-Gipfel im italienischen L’Aquila stattfinden. Hier leben noch Zehntausende Erdbebenopfer in Zeltlagern, vor allem unter ihnen regt sich derzeit Protest: Sie fordern von der Regierung einen Wiederaufbauplan. Obwohl von globalisierungskritischen Gruppen keine kämpferischen Töne zu vernehmen sind, hat die Regierung mit der Kriminalisierung der Protestbewegung begonnen.
von Catrin Dingler
Drei Monate nach dem Erdbeben in den Abruzzen regt sich in den Notunterkünften rund um L’Aquila Widerstand. Vergangene Woche demonstrierten knapp 1 000 Menschen aus der erdbebengeschädigten Region in der italienischen Hauptstadt. Doch das TG 1, die wichtigste Nachrichtensendung des staatlichen Fernsehens, zeigte kaum Bilder. Die Proteste kommen dem Regierungschef anderthalb Wochen vor dem G8-Gipfel ungelegen.
Silvio Berlusconi war sich Ende April noch sicher, mit der Verlegung des Gipfeltreffens von Sardinien nach L’Aquila den so genannten No-Globals einen entscheidenden Schlag versetzt zu haben: »Sie werden kein Gebiet verwüsten, das bereits beschädigt ist.«
Auf derselben Pressekonferenz stellte Berlusconi auch sein Konzept zur Notstandsbekämpfung in den betroffenen Gebieten und zum darauf folgenden Wiederaufbau vor. Er ahnte nicht, dass ihm diese Eilverordnung zum Verhängnis werden könnte. Das Regierungsdekret überträgt die Organisation im Krisengebiet dem nationalen Katastrophenschutz, der seinerseits an die Anweisungen des Kabinetts gebunden ist. Das bedeutet, dass den lokalen Verwaltungen die Handlungsmöglichkeiten weitestgehend entzogen wurden und alle Entscheidungen zentral in Rom getroffen werden.
Gegen diese autoritär-hierarchische Politik richtet sich der Widerstand verschiedener lokaler Gruppen, die sich mittlerweile zum Netzwerk »3e32« zusammengeschlossen haben. Der Name markiert den Zeitpunkt, an dem das Erdbeben in der Nacht zum 6. April die Region erschütterte und damit auch jeden politischen und sozialen Zusammenhalt in L’Aquila und Umgebung zerstörte. Mehr als 60 000 Menschen leben seither in Dutzenden von notdürftig eingerichteten Zeltstädten oder in vorübergehend bereitgestellten Hotelzimmern an der Adria-Küste. Unterstützt werden die Erdbebenopfer noch von einem zweiten Netzwerk, dem Epicentro Solidale, das auch außerhalb der Abruzzen Solidaritätsaktionen und Informationsveranstaltungen organisiert.
Beide Netzwerke wurden hauptsächlich von studentischen und gewerkschaftlichen Gruppen initiiert. Ähnlich wie die Studentenbewegung, die Onda Anomala, betonen sie ihren basisorientierten und überparteilichen Charakter. Damit sind sie offen für die zahlreichen, von Kommunalpolitikern angeführten Bürgerkomitees und gleichzeitig anschlussfähig an die globalisierungskritische Bewegung, die kaum noch aus radikal antikapitalistischen Gruppen besteht, sondern vielmehr diverse unpolitische Gruppierungen vereint, die sich zur Verteidigung eines lokalen Territoriums gegen die unerwünschten Auswirkungen überregionaler Entscheidungen zusammengefunden haben.
Für den Anschluss an die traditionellen Anti-G8-Proteste gibt es allerdings auch inhaltliche Gründe. Auf dem Gipfeltreffen stehen sicherheits- und umweltpolitische Themen im Mittelpunkt, die von den großen Acht in ihrer globalen Dimension verhandelt werden und in den Abruzzen gegenwärtig von entscheidender Bedeutung sind. Die im Rahmen der Migrationspolitik betriebene Militarisierung der Außengrenzen hat sich nämlich bereits ins Landesinnere ausgedehnt. Die gesamte Innenstadt L’Aquilas ist abgeriegelt und für die Bevölkerung unzugänglich, die Zufahrtswege werden von Militär- und Polizeieinheiten kontrolliert. Die in den Abschiebelagern an den Flüchtlingen erprobten Praktiken treffen nun die Erdbebengeschädigten in den Zeltstädten: Überwachungs- und Kontrollpunkte an den Eingängen schränken die Bewegungsfreiheit der Bewohner ein, Lagerordnungen setzen elementare Grundrechte wie Versammlungs- und Informationsfreiheit außer Kraft. »Unbefugten« ist der Zugang aus »Sicherheitsgründen« untersagt.
Dass die Naturkatastrophe nicht diese verheerenden sozialen Folgen gehabt hätte, wenn die baulichen Vorschriften eingehalten worden wären, offenbaren in vielen Fällen die Trümmerreste, trotzdem scheint die Regierung mit ihrem Vorhaben, dem Bau von 20 provisorischen Wohnanlagen, die altbekannte, mafiöse Baupolitik fortzusetzen. Mit der Forderung nach »100 Prozent Rekonstruktion, Transparenz und Mitgestaltung« protestieren die Netzwerke gegen das Vorhaben der Regierung; sie verlangen, dass stattdessen in den Wiederaufbau investiert wird.
Doch der wachsende Unmut gegen den G8-Gipfel basiert vor allem auf Alltagserfahrungen. Auch den Zeltstadtbewohnern, die Berlusconi bei seinen anfänglichen Besuchen noch zujubelten, ist inzwischen klargeworden, dass die Verlegung des G8-Gipfels nicht den propagierten Vorteil für die geschädigte Region bringt: Während das Ausbildungszentrum der Finanzpolizei zum Konferenzzentrum umfunktioniert wird, wurde in L’Aquila noch kein einziges öffentliches Schulgebäude wiederaufgebaut. Der Flughafen in Preturo wird ausgebaut, um die G8-Delegationen empfangen zu können, öffentliche Verbindungen zwischen den zerstörten Gemeinden gibt es dagegen kaum. Vor allem empört die Bewohner, dass das Stadtkrankenhaus nur sehr eingeschränkt funktioniert, während für den G8-Gipfel ein voll funktionstüchtiges Feldlazarett installiert wird.
Die Netzwerke sprachen sich trotz der allgemeinen Anti-G8-Stimmung zunächst gegen eine nationale Mobilisierung aus. In einer ersten Verlautbarung wurde wegen der »schwierigen Ausgangslage« die Durchführung eines Gegengipfels mit internationalem Demonstrationszug als für die Einwohner unzumutbar bezeichnet. Stattdessen sollten »neue« und »diffuse«, vor allem auf bestimmte Territorien bezogene Protestformen unterstützt werden, etwa Aktionen gegen die US-Militärbasis in Vicenza zum amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli. Da sich die Proteste in den vergangenen Tagen jedoch ein wenig ausdehnten, werden nun doch auch mehrere Aktionen an Ort und Stelle geplant. In der Nacht zum 6. Juli soll in L’Aquila ein Fackelzug organisiert werden, und während des Gipfels soll vom 7. bis 8. Juli ein Forum zum Thema »nachhaltiger Wiederaufbau« stattfinden. Weitere Vollversammlungen sind angekündigt, mit erneuten Programmänderungen ist zu rechnen.
Die Regierung versucht von der anwachsenden Protestbewegung in L’Aquila abzulenken, indem sie die Gipfelgegner kriminalisiert. Vergangene Woche wurden sechs Männer aus der linken Szene verhaftet. Ihnen wird die Gründung einer subversiven Vereinigung in der Tradition der Roten Brigaden vorgeworfen. Die Festnahmen basieren auf Abhörprotokollen, aus denen hervorgehen soll, dass die Männer einen Anschlag auf den ursprünglichen Austragungsort des G8-Gipfels in Sardinien geplant hätten. Die Mitschnitte dokumentieren jedoch lediglich die Sehnsucht einiger Altlinker, »was Großes zu machen«. Heroisch versichern sie sich, dass sie bereit wären, die Konsequenzen zu tragen, um sich schließlich doch einzugestehen, dass »unter den gegebenen Bedingungen« wohl nichts auszurichten sei. Das Ablenkungsmanöver hat nicht funktioniert, an schreckliche Gefahren, die vom Terrorismus ausgehen, glaubt kaum jemand mehr. Dennoch muss die Anti-G8-Bewegung die Warnung ernst nehmen: Dass der Regierungschef im Ernstfall auch den Protest der Erdbebengeschädigten von Militär- und Polizeieinheiten niederknüppeln lässt, ist nicht auszuschließen.
Source: http://jungle-world.com/artikel/2009/26/35351.html