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2010-03-11

Rewind: 21 verurteilen, um die Welle zu treffen!

Im Turiner Justizpalast hat heute (nach der Vertagung wegen prozeduralen Fehlern am 24. Februar) der erste Verhandlungstag im Vorverfahren für die Zulassung der Klage gegen die gegen den G8 der Universitäten nach der von der Studentenbewegung initiierten, landesweiten Demonstration in Turin am 19. Mai vergangenen Jahres verhafteten Studenten stattgefunden.

Nach dem heutigen Tag kann man nicht länger Zweifel an der ausschließlich politischen Ausrichtung der gesamten Operation Rewind haben, die darauf abzielte, eine Bewegung zu treffen, die im vergangenen Jahr den herrschenden Machtzentren (ganz gleich ob politische, bildungsherrschaftliche oder mediale) Angst eingejagt hatte.

Die von Staatsanwalt Sparagna beantragten Strafen sind selbst für die Studenten, die sich für das verkürzte Verfahren entschieden haben, sehr heftig, die Strafmaße liegen zwischen einem Jahr und sechs Monaten und einem Jahr und 10 Monaten.

Pic: Feuerlöscher

Da es nicht möglich war, sich auf konkrete Beweise zu Lasten der Angeklagten zu stützen, wurde der Vorwurf der “moralischen Beihilfe” erhoben, das heißt, alle sind wegen der schlichten Tatsache schuldig, dass sie bei der Demonstration anwesend waren (ein Umstand den im Übrigen keiner der Beschuldigten jemals bestritten hat). Keines der Elemente in der Hand der Anklage würde nämlich solche Strafanträge zulassen.

Für einige von ihnen, die heute Doktoranden oder in der Forschung sind, hat die Schuld auch darin gelegen, dass sie bereits an einer Demonstration teilgenommen hatten, wie der beim G8 in Genua (2) (der im Gerichtssaal mehrfache Erwähnung fand), als könne es sich dabei um eine “Schuldigkeit” handeln, die in anderem Zusammenhang und in Abstand von Jahren verbüßt werden müsse! Nach Ansicht des Staatsanwalts soll erst Recht eine Demonstration wie jene in Genua die Legitimation für die gewalttätigen Übergriffe der Polizei dargestellt haben: “Wie es in Genua mit dem Feuerlöscher endete, ist bekannt” – Worte, die wirklich schaudern lassen, wenn man an Carlo, an seine Familie, an ihren Schmerz und an seinen ungestraft gebliebenen Mord denkt.

Der Versuch der Anklage war, auch heute, die Unterscheidung zwischen den Guten und den Bösen innerhalb einer Bewegung, die an eben jenem Tag bewiesen hatte, dass sie so vereint und entschlossen wie nie zuvor war, als sie geschlossen nach Palazzo Nuovo (3) kehrte, dort eine Vollversammlung abhielt und eine landesweite Presserklärung verabschiedete, in der zu allem, was an jenem Tag stattgefunden hatte, gestanden wurde.

Die Anwälte der Verteidigung, die heute die ersten Plädoyers gehalten haben und bei der am 1. April stattfindenden zweiten Verhandlung im Vorverfahren erneut sprechen werden, haben darauf beharrt, dass die Situationen der Spannung, zu denen es in Folge des Versuchs der Studenten kam, die “Rote Zone” zu entern, im Gegensatz zu dem, was die Anklage behauptet, nicht vorsätzlich im Voraus geplant wurden, sondern das Ergebnis natürlichen und spontanen Handelns waren, das tausende von Personen gemeinsam dazu gebracht hatten, auf entschlossene und überbordende Weise auf die Straße zu gehen.

Beim vom Staatsanwalt Sparagna imaginierten “Schild mit Rammbockfunktion” handelt es sich um nichts anderes, als um das Fronttransparent der Demonstration (4), die “Bösen” stellen dabei in Wirklichkeit die Tausende von Studenten und Studentinnen dar, die auf de Straße gingen und in all diesen Monaten weiter bekräftigt haben: “Hinter jenem Schild waren wir alle”.

Die vielen Solidaritätsbezeugungen und die Protestaktionen von diversen Zweigen der Welle (5), die Rektroratsbesetzungen, Demonstrationen, Pressekonferenzen und die in der akademischen Welt und nicht nur gesammelten Unterschriften sowie die Anwesenheit von Delegationen am 24. Februar (6) in ganz Italien haben also nicht genügt, um Staatsanwalt Sparagna mit seinen wahnhaften Beschuldigungen zur Einsicht zu bringen.

Genau heute haben Studenten und Studentinnen aus ganz Europa, die in Wien zu einem Gegengipfel anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Bologna-Erklärungzusammen gekommen sind das x-te Solidaritäts- und Bekenntnistransparent zu den Turiner Tagen gezeigt, das besagte: "No rewind, Rewave! We were all behind that shield”.

Erst Recht im Angesicht dessen, was heute im Gerichtssaal von der Gegenseite offenbart wurde, lautet die Schlussfolgerung, dass das Rewind-Verfahren und seine offenkundig politische Ausrichtung für die Bewegung der Welle weiterhin nichts anderes als ein Feld der Auseinandersetzung sein können wird, auf dem man sich betätigen wird, um ein durch die diffusen Mobilisierungen im vergangenen Sommer bereits einmal (was durch die Freilassung der Compagni aus den Haftanstalten konkret gemacht wurde) angeschlagenes Sparagna-Konstrukt zu demontieren, in dem man sich bis zum letzten nieder Aktenvermerk einer Staatsanwaltschaft entgegenstellen wird, die darauf hofft (aber erneut scheitern wird!), den Wert und die Kraft dessen, was bisher an den Universitäten (und nicht nur) aufgebaut wurde, zu demolieren. Der Ansatz, von dem ausgegangen werden muss ist, dass die Geschichte nicht in den Gerichtssälen geschrieben werden kann, über die Bekräftigung dessen und das Bekenntnis zu dem, was in Turin getan wurde, eine politische Wegstrecke, die das Klimpern der Handschellen und der finstere Moralismus der seit zu langer Zeit in der Luft hängt nicht aufhalten kann und nicht aufhalten wird. Hinter jenem Schild waren wir wirklich alle – Heute mehr denn je.

A.d. Ü.:

(1) Beim verkürzten Verfahren verzichtet der Angeklagte auf eine ordentliche Gerichtsverhandlung. Er wird dann nach Aktenlage schon in der Vorverhandlung frei gesprochen oder verurteilt, ohne Recht auf Berufung. Das Strafmaß wird bei Verurteilung um ein Drittel gekürzt.

(2) An allen drei Tagen des damaligen Gipfeltreffens fanden Demonstrationen statt. Gemeint ist hier speziell die Demonstration, die am 20. Juli 2001 mit roher Gewalt von Polizeikräften angegriffen wurde, was in den drauf folgenden Stunden in den Nebenstraßen zu heftigen Straßenschlachten führte. Am späten Nachmittag wurde schließlich der 23-jährige Carlo Giuliani durch Schüsse, die aus einem Jeep der Carabinieri fielen, erschossen.

(3) Sitz der geisteswissenschaftlichen Fachbereiche der Turiner Universität

(4) Zahlreiche Beschuldigte wurden identifiziert, weil sie das besagte Transparent trugen.

(5) Bezeichnung der Studentenbewegung der laufenden Jahre gegen die Bildungsreformen

(6) Tag der planmäßigen Eröffnung der Vorverhandlungen für die Zulassung der Anklage

Source: http://www.infoaut.org/articolo/rewind-condannarne-21-per-colpire-londa