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2007-07-06

FAZ: Zäher Fluss der Erinnerungen

Bundeswehreinsatz in Heiligendamm
Von Peter Carstens, Berlin

Heiligendamm: Sieben statt zwei Tornado-Aufklärungsflügen

05. Juli 2007
Die Bundeswehr hat den G-8-Gipfel in Heiligendamm offenbar zu einer umfassenderen Demonstration ihrer Kooperationsfähigkeit mit der Polizei genutzt, als zumindest der Innenminister und der Verteidigungsminister bis vor kurzem wussten. Nur ein Teil dessen, was während des G-8-Gipfels von der Bundeswehr an Amtshilfe geleistet wurde, war dem Verteidigungsministerium nach eigenen Angaben von Anfang an bekannt. Das Innenministerium wundert sich schon etwas länger über das Ausmaß der Heiligendamm-Kooperation zwischen Polizei und Bundeswehr.

Erst Nachfragen der Opposition haben aber dann zu Erkundigungen im Verteidigungsministerium geführt. Es fertigte einen Bericht an. Dabei stellte sich heraus, dass statt der zwei vereinbarten sieben Tornado-Aufklärungsflüge unternommen wurden, dass statt vier Fennek-Panzern neun im Einsatz waren, dass entgegen anfänglicher Behauptung in einem Fall die Mindestflughöhe durch einen Tornado-Aufklärer unterschritten wurde und das Flugzeug in weniger als einhundertfünfzig Metern Höhe an einem Demonstranten-Zeltlager vorbeigedonnert war.

Tornado-Einsätze galten potentiellen Störern

Die Tornado-Flugzeuge waren bei ihren Missionen mit leistungsfähigen Kameras ausgestattet. Sie sollten in einem zeitlichen Abstand Luftbilder anfertigen, um eventuelle Veränderungen am Boden zu registrieren, hieß es zunächst. Ausweislich des Berichts wurden aber vor allem Fotos von Gebäuden und Fahrzeugen gemacht, ebenso Luftaufnahmen von Zeltlagern der G-8-Gegner. Aus dem Bericht des Verteidigungsministeriums für den Bundestag wird ersichtlich, dass die Einsätze der Tornados potentiellen Störern des G-8-Gipfels galten, weniger der Abwehr einer terroristischen Bedrohung.

Den Angaben zufolge hat das Verteidigungsministerium selbst erst Mitte Juni von der tatsächlichen Zahl der Flugzeugeinsätze erfahren, die angeblich von der Polizeiorganisation „Kavala“ erbeten worden waren. Nach Auffassung des SPD-Fraktionsgeschäftsführers Scholz ist bei der Amtshilfe „nicht alles so gelaufen, wie man sich das vorstellt“. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Westerwelle sagte, ihn verwundere ernstlich, wieso die Union das Grundgesetz zum Einsatz der Bundeswehr noch ändern wolle, wenn schon Tornado-Kampfflugzeuge über Demonstranten fliegen dürften. Und falls die Überflüge nicht durch das Grundgesetz gedeckt waren, was die FDP zu vermuten geneigt zu sein scheint, solle Verteidigungsminister Jung (CDU) doch zurücktreten.

„Witterungsbedingte und technische Schwierigkeiten“

Hingegen war es nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion „aufgrund der sensiblen Sicherheitslage in Heiligendamm notwendig, die technischen Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr auszuschöpfen“. Der verteidigungspolitische Sprecher Siebert (CDU) gestand allerdings ein, dass „witterungsbedingte und technische Schwierigkeiten“ dazu geführt hätten, dass mehr Flüge durchgeführt wurden, als das Ministerium ursprünglich genehmigt hatte. Im Ausschuss soll er gegenüber dem Staatssekretär des Verteidigungsministeriums etwas deutlicher geworden sein. Eingestanden hat das Verteidigungsministerium unterdessen, dass Vorhalte der Opposition, die Bundeswehr sei auch beim Transport von Polizisten behilflich gewesen, berechtigt waren. Bei sieben Flügen sei „Transportunterstützung“ gewährt worden. In zwei Fällen sei mit Hubschraubern Verpflegung unter anderem für die Bundespolizei geflogen worden.

Hierzu waren auch den Beobachtungen von Demonstranten zufolge Transporthubschrauber des Heeres vom Typ CH-53 eingesetzt worden. Das Verteidigungsministerium bestätigte nun, es seien in einem Einzelfall sechs leicht verletzte Polizisten mit einem solchen Helikopter ins Krankenhaus nach Bad Doberan geflogen worden. Dort waren während des Gipfels Besucher von Soldaten der Feldjägertruppe durch das Krankenhaus geleitet worden.

1020 Journalisten an Bord

Während des Aufenthalts hätten die Soldaten, so wird berichtet, vor dem Krankenzimmer gewartet und die Besucher danach wieder zum Krankenhausausgang begleitet. Das Verteidigungsministerium teilte mit, dass die Bundeswehr vorübergehend das Hausrecht übertragen bekommen hatte. Dieses aber galt, so sagte der Leitende Chefarzt des Krankenhauses ausweislich seiner Unterlagen nur für den Außenbereich der Klinik – nicht im Haus.

Über die Zahl der eingesetzten Aufklärungspanzer „Fennek“ lagen dem Ministerium nach seiner Auskunft anfänglich ebenfalls falsche Angaben vor. Dem Bericht ist nicht zu entnehmen, welche Fähigkeiten der Fahrzeuge einen Amtshilfeantrag gemäß Artikel 35 des Grundgesetzes gerechtfertigt haben. Zu guter Letzt verzeichnet der Bericht auch einen Fall von Amtshilfe, die Journalisten beim G-8-Gipfel geleistet wurde: So hatten sechs Marinebarkassen mit 82 Fahrten insgesamt 1020 Journalisten transportiert. Einschließlich Gepäck.

http://www.faz.net