Michael Schulze von Glaßer im Gespräch mit Ulla Jelpke. Sie ist die innenpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.
Michael Schulze von Glaßer: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hält Anschläge, die denen vom 11. September 2001 in den USA ähneln, in Deutschland für möglich. Auch die Geheimdienste warnen vor islamistischen Terroranschlägen in Deutschland. Wie schätzen Sie die Sicherheitslage in Deutschland ein?
Ulla Jelpke: Ich bin einerseits fest davon überzeugt, dass sehr viel Angst-Mache dabei ist. Andererseits muss man bedenken, dass die Bundeswehr heute im Ausland eingesetzt wird – beispielsweise in Afghanistan. Möglicherweise war auch der deutsche Geheimdienst BND am Irak-Krieg beteiligt und hat dort zu bombardierende Objekte ausgekundschaftet. Daher kann es nicht ausgeschlossen werden, dass es in Deutschland zu Anschlägen kommt. Das was gegenwärtig betrieben wird ist meiner Meinung nach eine routinemäßige Angst-Macherei. Es gibt keine neuen Fakten. Auch interne Quellen aus dem Innenministerium bestätigen das. Im Grunde liegen keine Erkenntnisse über geplante Terroranschläge vor.
Eine oft hervorgebrachte Forderung von Innenminister Wolfgang Schäuble und Verteidigungsminister Franz Josef Jung ist der Einsatz der Bundeswehr im Inland zum Schutz vor Terroranschlägen…
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Bundeswehr im Inland nichts zu suchen hat – das ist auch verfassungsmäßig so festgelegt. Wir haben ja schon den Bundeswehreinsatz beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm miterlebt. Mittlerweile wird versucht die Bevölkerung systematisch an die Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu gewöhnen. Der Einsatz beim G8-Gipfel war aber nur ein Testballon. Ein Jahr zuvor war die Bundeswehr auch schon bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland im Großeinsatz – allerdings nur in der zweiten Reihe. Während des G8-Gipfels hat sie de facto Polizeiaufgaben übernommen und sich sehr präsent gezeigt. Wir sind grundsätzlich gegen die Pläne von Innenminister Schäuble und Verteidigungsminister Jung, die Bundeswehr im Inland einzusetzen. Wir stellen auch permanent Kleine Anfragen im Bundestag dazu, um deutlich zu machen, dass ein System hinter den Einsätzen steckt, um die Militarisierung nach Innen weiterhin zu betreiben. Das gilt auch für die sogenannte Amtshilfe, die Regierungsantworten auf unsere Anfragen lassen klar erkennen, dass es eine Zunahme der Amtshilfeersuchen von Kommunen und Ländern gibt. Diese Militarisierung lehnen wir ab.
Im Januar 2008 haben Sie die „vorläufige Bilanz“ des Bundeswehr-Einsatzes während des G8-Gipfels veröffentlicht. Der Gipfel war bereits im Juni 2007 – warum ist diese Bilanz dennoch nur „vorläufig“?
Weil wir noch weiter am Thema arbeiten und es noch neue Nachfragen geben muss um aufzuklären, was dort tatsächlich stattgefunden hat und wer beispielsweise die illegalen Einsätze von Tornado-Kampfflugzeugen zu verantworten hat. Dort versteckt sich das Verteidigungsministerium immer hinter dem Land Mecklenburg-Vorpommern und andersrum. Außerdem hält die Bundesregierung die Tages- und Abschlussberichte der beteiligten Militärdienststellen unter Verschluss. Es sind noch viele Fragen offen.
Zum Einsatz der Tornado-Kampfflugzeuge: selbst der Bericht des Verteidigungsministeriums weist den Einsatz als teilweise illegal aus. Haben Ministerium und Regierung daraus Konsequenzen gezogen?
Nicht wirklich… Sie räumt zwar ein, dass die Flugzeuge viel häufiger geflogen sind als genehmigt war, erklärt das aber zum Kavaliersdelikt, weil der Geschwaderchef in guter Absicht gehandelt habe. Dabei ging es um nicht weniger als darum, Militärflugzeuge gegen Demonstranten einzusetzen. Die Presse hat über den Einsatz recht kritisch berichtet, die Bundesregierung behauptet aber, das sei alles „Amtshilfe“ gewesen. Diese Form der Polizeiarbeit, die die Bundeswehr da übernommen hat, hat aber mit „Amtshilfe“ nichts mehr zu tun; weil es ein Unterschied ist, ob ich Sandsäcke schleppe oder Fotos für spätere polizeiliche Ermittlungen mache. Es ist deswegen wichtig, dass die antimilitaristische und Friedensbewegung weiterhin ein Auge auf die Inlandseinsätze haben und genau beobachten, wenn Flugzeuge, Hubschrauber oder Spähpanzer bei Demos auftauchen.
Nicht nur während des G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm kam die Bundeswehr zum Inlandseinsatz. Wo wurde die Armee sonst noch eingesetzt?
Bei der Fußball Weltmeisterschaft im Jahr 2006 war die Bundeswehr mit vielen Soldaten im Einsatz. Aber beispielsweise auch bei der NATO Sicherheitskonferenz in München. Der Einsatz dort wurde de facto damit begründet, dass die Polizei nicht in der Lage sei, den Kongress zu schützen. Hier wurden bewaffnete Feldjäger zu Ordnern im Tagungshotel gemacht, denn auf jedem Parteitag und jeder Demonstration gibt es Ordner – es geht also auch mit zivilen Kräften. In dem Fall der NATO-Konferenz wurde eine Grenze durchbrochen, indem man tatsächlich sagt, dass Feldjäger Ordner sein sollen.
Wie sieht das rechtlich aus?
Wir sind der Meinung, dass es verfassungswidrig ist – das ist allerdings umstritten. Die Bundesregierung behaart darauf, dass die NATO-Sicherheitskonferenz eine private Veranstaltung ist und dass Privatleute das Recht hätten die Bundeswehr anzufordern.
Sie haben auch schon kurz den Bundeswehr Einsatz bei der Fußball Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland angesprochen – wie genau sah der Einsatz dort aus?
Dort waren erstmalig rund 2.000 Soldaten eingesetzt. Die Bundeswehr war aber eher im sanitären Bereich tätig, sprich in der zweiten Reihe – es wurden beispielsweise keine Kontrollen von den Soldaten durchgeführt. Einige Soldaten sollen auch in ziviler Kleidung eingesetzt worden sein. Der Einsatz hielt sich aber in einem Rahmen, der juristisch kaum angreifbar war.
Der Bundeswehr-Einsatz während der Fußball Weltmeisterschaft fand in den Medien anders als der Einsatz beim G8-Gipfel kaum Beachtung. Wie argumentieren Sie gegen diese Einsätze in zweiter Reihe?
Hier gibt es ja ganz massive Steigerungsraten. Wir fragen jetzt regelmäßig diese Einsätze ab, und sehen ganz klar, dass der Bereich der „Amtshilfe“ ausufert. Mittlerweile spielt die Bundeswehr eine führende Rolle bei der Ausbildung der bayerischen Bergwacht, sie wird angefordert bei Denkmalsanierungen und bei Regatten. Auch das muss kritisiert werden, denn das sind ja die schleichenden Anfänge, um zu sagen: „Wir brauchen die Bundeswehr – die zivilen Kräfte reichen nicht aus“’. Wir sind davon überzeugt, dass es zivile Organisationen gibt die das machen können und man dazu nicht die Bundeswehr braucht – auch nicht zur Fußball-Weltmeisterschaft. So etwas dient nur dazu, die Öffentlichkeit an das Bild scheinbar hilfreicher Soldaten im Inland zu gewöhnen.
Die Behörden kommen mit den Amtshilfe-Anträgen ja auf die Bundeswehr zu – dennoch kann man den Eindruck gewinnen, die Bundeswehr begrüße die fortwährenden Anfragen…
Mit Sicherheit ist es ein Zusammenspiel zwischen Innen- und Verteidigungs-, bzw. militärischer Politik und natürlich kann man nicht sagen, dass sich die Bundeswehr bei jeder kleinen Amtshilfe angeboten hat. Aber die Tatsache, dass immer häufiger Amtshilfe Ersuchen gestellt werden – von Kommunen, von den Ländern – zeigt, dass hier auch vorweg irgendwelche Deals oder Gespräche laufen und die Bundeswehr so etwas auch gerne macht. Beispielsweise wenn es irgendwelche Feste auf städtischer Ebene gibt. Hinzu kommen natürlich auf Länderebene nachvollziehbare Kostenerwägungen: Warum sollte man für teures Geld eigene Kräfte einsetzen, wenn es die Bundeswehr macht? Deswegen haben wir auch den Vorschlag, dass der Einsatz der Bundeswehr in den Kommunalparlamenten oder Stadträten beantragt werden muss – das es nicht über den Amtsweg läuft sondern von Politikern darüber entschieden werden muss und man diese politisch in Haftung nehmen kann.
Zum Schluss noch ein Blick in Richtung Zukunft: Ist diese Militarisierung überhaupt noch zu stoppen?
Dass wird sehr stark davon abhängen, wie wir es schaffen, die Friedens- und antimilitaristische Bewegung zu mobilisieren – damit es zu einer sehr starken Bewegung kommt. Gerade auf der Ebene von Kommunen und deren Parlamenten gibt es da ja gute Ansatzmöglichkeiten: Wenn die Bundeswehr vor Ort tätig werden will, beispielsweise mit einem öffentlichen Gelöbnis oder einer Reklameaktion, muss die Gemeindeverwaltung entscheiden, und da kann man sich einmischen.
Das Beispiel Italien zeigt, wohin sonst die Reise gehen kann: Berlusconi setzt Militär ein mit der Begründung, es gebe so viele illegale Flüchtlinge im Land. Auch solche Beispiele müssen wir heranziehen und zeigen, wie die Militarisierung nach Innen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Staaten voranschreitet. Zu diesem Thema, also Inlandseinsätzen in den EU-Staaten, haben wir auch eine Studie beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in Auftrag gegeben. Wir wollen keine Verhältnisse à la Berlusconi. Vor allem braucht es Aufklärung über den Zusammenhang der europäischen Politik nach Außen und Innen. Das sollten wir auch am Beispiel Italien diskutieren.
Ulla Jelpke, vielen Dank für dieses Interview!
Source: http://oraclesyndicate.twoday.net/stories/5131032/