Der Polizeieinsatz gegen G-8-Kritiker am Rande des Gipfels von Heiligendamm könnte ein Nachspiel vor den Gerichten haben. Demonstranten, die sich von der Polizei schikaniert fühlen, wollen klagen. Die Grünen-Fraktion im Bundestag erwägt sogar eine Organklage gegen die Bundesregierung.
Der Einsatz von Polizei und Bundeswehr beim G-8-Gipfel von Heiligendamm wird möglicherweise ein gerichtliches Nachspiel haben. Globalisierungs-Kritiker kündigten „eine Reihe von Klagen“ an. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele sagte, es sei inzwischen klar, dass die Sicherheitskräfte erheblich zur Eskalation beigetragen hätten. Der Bundesvorstand der Grünen werde einzelne Betroffene bei ihren Klagen unterstützen. Zudem werde eine Organklage der Bundestagsfraktion gegen die Bundesregierung geprüft, sagte er WELT ONLINE. Die Rechte der Parlamentarier seien verletzt worden, über Verwendung der Bundeswehr mitentscheiden zu können. „Die Einsätze der Bundeswehr waren verfassungswidrig“ sagte Ströbele. Diese habe ihre Torando-Flugzeuge über ein Camp der G-8-Kritiker fliegen lassen. Es sei an der Zeit, Sinn und Zweck dieser Einsätze detailliert zu klären. Gelinge dies nicht auf einfachem Wege, müsse man über einen Untersuchungsausschuss auf Bundesebene nachdenken.
In dieser Woche hatten Veranstalter der G-8-Proteste massive Vorwürfe gegen das Vorgehen von Polizei und Politik erhoben. Nach einem fünfstündigen Hearing „Was geschah in Heiligendamm?“ forderten sie am Mittwoch in einer in Berlin verbreiteten Erklärung, das Verhalten der Polizei in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen aufzuklären. Bei der von Attac Deutschland, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, dem Netzwerk Friedenskooperative, der Gipfelsoli Infogruppe sowie der Roten Hilfe organisierten Anhörung wurden insgesamt 30 Zeugen befragt.
Der Polizeieinsatz sei von Anfang an auf Eskalation angelegt gewesen, heißt es in der Erklärung. Die polizeiliche Sonderbehörde Kavala habe gezielt Falschmeldungen gestreut, beispielsweise über Vermummungen und Steinewerfer oder die angeblichen „Säureattacken“ durch Clowns.
Zudem habe „Kavala“ bei Verhaftungen von Gipfel-Gegnern systematisch Rechtsbeistand verweigert. Die Polizei habe bestimmt, welchen Anwälten Zugang zu in den Gefangenensammelstellen tätigen Richtern gewährt wurde oder nicht.
Durch die weiträumigen Demonstrationsverbote sei das Versammlungsrecht schwer beschädigt worden, hieß es weiter. Dazu kämen „willkürliche Übergriffe auf Demonstrierende“ und „Schikanen gegenüber Campenden“. Der Datenschutzbeauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Karsten Neumann, bezeichnete die massiven Datenerhebungen, die zu keinem Verfahren führten, als „rechtswidrigen Überwachungsdruck“.
Kritik äußerten die Veranstalter des Hearings auch an der Situation in den Gefangenensammelstellen. Die „Unterbringung in Käfigen bei permanenter Überwachung und Beleuchtung, die stundenlange Verzögerung der Freilassung trotz richterlichen Beschlusses und die Durchsuchung der Inhaftierten unter völligem Entkleiden“ habe die Menschenwürde von Gefangenen verletzt. Betont wurde bei der Anhörung aber auch, dass es „durchaus besonnene Polizeiführer und Polizeieinheiten“ gab, die sich „korrekt, freundlich und deeskalierend verhielten“ und auch bei der „Kavala“ gegen unsinnige Befehle intervenierte.
Nachspiel im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern
Nach Innenminister Lorenz Caffier (CDU) will der Innenausschuss des Schweriner Landtags auch mögliche Opfer von Polizeiübergriffen und deren Anwälte befragen. Das kündigte der Ausschuss-Vorsitzende Norbert Nieszery (SPD) am Donnerstag nach einer fast vierstündigen Anhörung Caffiers an. Die Angaben des Ministers hätten ihn aber in der Einschätzung bestärkt, dass die Strategie der Polizei während des Gipfeltreffens Anfang Juni „absolut richtig“ war, betonte Nieszery.
Im Ausschuss hatte Caffier Vorwürfen des „Republikanischen Anwaltvereins“ zurückgewiesen, sie hätten nicht in ausreichender Weise Zugang zu festgenommenen Personen gehabt. So seien die bereitgestellten zwei Anwaltszimmer in der Gefangenensammelstelle nicht durchgängig belegt gewesen. „Es dürfte durch den RAV kein Fall zu belegen sein, in dem ein anwaltlicher Kontakt nicht möglich war“, teilte der Minister nach der Sitzung mit.
Zweifel äußerte erneut die oppositionelle FDP, die wie die Linke vor allem auch weitere Angaben zum Einsatz der Bundeswehr fordert. „Das Land hatte zwar logistische und technische Hilfe angefordert. Aber ob man darunter auch den Einsatz von Kampfflugzeugen und Schützenpanzern rechnen kann, ist die Frage“, sagte der FDP-Abgeordnete Gino Leonhard. Akuten Aufklärungsbedarf gebe es weiterhin auch zum Umgang mit festgesetzten G-8-Kritikern und dem Verhalten der Polizei vor den gewalttätigen Ausschreitungen am 2. Juni in Rostock. „Dass unter den Augen der Beamten körbeweise Steine als Wurfgeschosse gesammelt werden konnte, muss verwundern. Wir geben uns mit dem, was bisher gesagt wurde, nicht zufrieden“, machte Leonhard deutlich.
Nieszery sicherte eine weiterhin gründliche Untersuchung der Vorfälle durch den Innenausschuss zu. „Wir werden in der kommenden Woche den weiteren Fahrplan besprechen“, sagte der SPD-Politiker. Einen speziellen Untersuchungsausschuss, wie ihn die nicht im Landtag vertretenen Grünen gefordert hatten, solle es aber nicht geben.
Der Innenminister ist eigentlich zufrieden
Wie Caffier nach der Anhörung weiter mitteilte, bewertet er den Polizeieinsatz trotz aller Kritik als erfolgreich. „Wir haben unsere Ziele erreicht. Das Gipfeltreffen verlief störungsfrei, wir haben friedliche Demonstrationen geschützt und das Recht auf freie Meinungsäußerung gewährleistet und dabei gleichzeitig die Beeinträchtigungen der Bevölkerung in Heiligendamm und Umgebung auf das unumgängliche Maß beschränkt“, heißt es in neunseitigen Pressemitteilung.
Allerdings könne bei einem Einsatz mit bis zu 20.000 polizeilichen und nicht polizeilichen Einsatzkräften „nicht alles hundertprozentig optimal“ verlaufen. Vorwürfen, die auf Vergehen von Beamten schließen ließen, werde nachgegangen. Caffier sicherte eine „sorgfältige Bearbeitung“ zu. Laut Nieszery liegen der Rostocker Staatsanwaltschaft „10 bis 14 Anzeigen“ vor.
mit dpa
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