Pressemitteilung vom 2.Juli 2008
Ein 25 jähriger Belgier ist gestern vom Amtsgericht Rostock wegen eines
angeblichen Flaschenwurfes nach der Anti G8 Demonstration am 2.6.07 in
Rostock zu einer 8 monatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden.
Bemerkenswert an diesem Urteil ist, daß der vorsitzende Richter Langer
trotz widersprüchlicher Aussagen zweier Berliner Polizeibeamter und trotz
entgegenstehender Einlassung des Angeklagten den Grundsatz – Im Zweifel für
den Angeklagten – völlig außer Acht ließ und nur den belastenden Aussagen
des einen Beamten glaubte.
Zuanfangs erklärte der Angeklagte in einer ruhigen, sachlichen und
widerspruchsfreien Einlassung, er hätte sich nach der Demonstration am
Rande einer 100 Personen starker Menschenmenge befunden, auf die sich eine
10 köpfige Gruppe Berliner Polizisten zubewegte. Er habe dann bemerkt, daß
eine Flasche, die offensichtlich von hinten geworfen wurde, direkt an seinem
Kopf vorbeiflog und einen knapp 2 Meter vor ihm stehenden Polizisten am Helm
traf und dann zerschellte. Daraufhin wurde der Angeklagte verhaftet und
mußte sich gestern vor dem Amtsgericht verantworten, weil ein Polizist aus
der 10 köpfigen Einheit aussagte, daß er angeblich gesehen habe, daß der
Angeklagte die Flasche auf den Polizisten warf.
Bei der gestrigen Vernehmung der beiden Polizeibeamten(des Getroffenen und
des “Zeugen“) stellten einige eklatante Widersprüche heraus. So sagte
der von der Flasche getroffene Polizist aus, der Angeklagte habe sich 2
Meter vor ihm befunden, während der andere Polizeibeamte aussagte, daß der
Angeklagte, nicht vor, sondern neben dem von der Flasche getroffenen
Polizisten stand. Auch andere Aussagedetails erschütterten die
Glaubwürdigkeit der Polizeibeamten, wie z.B., daß ein Polizist den
Angeklagten bei seiner Festnahme ein paar mal habe schlagen müssen, damit
dieser dann seine Arme freigibt, damit sie gefesselt werden. Währenddessen
erklärte der andere Polizist, daß der Angeklagte während der Verhaftung
gar nicht gefesselt worden sei. Auch erklärte ein Polizist, der Angeklagte
seie vermutlich vermummt gewesen, wie viele andere auch vermummt waren,
währenddessen der andere Polizist sagte, er könne sich genau daran
erinnern, daß der Angeklagte unvermummt gewesen sei.
Trotz dieser Widersprüche stand für Staatsanwaltschaft und Richter Langer
von vornherein die Schuld des Angeklagten fest. Die Staatsanwältin Brodach
verstieg sich sogar zu der Äußerung, daß Aussagen von Angeklagten
grundsätzlich von einer starken Motivation zum Leugnen geleitet werden und
deren Aussagen daher wahrscheinlich Schutzbehauptungen darstellen würden
und somit für die Beweiswürdigung unerheblich seien. Richter Langer
schloß sich dem Vorbringen an und bezügl. der Polizeiaussagen waren deren
Widersprüche sogar noch ein Beweis für die erhöhte Glaubwürdigkeit der
Polizei-Zeugen, da aufgrund der langen inzwischen vergangenen Zeit, die
Erinnerung verblassen würde.
Selbst die Aussage des einen Polizeibeamten, der sich den Flaschenwurf
selbst nicht erklären könnte, da es seiner Erfahrung nach absolut
ungewöhnlich seie, daß ein Demonstrant Flaschen nicht aus der Deckung der
Menge wirft, sondern aus dieser Menge heraustritt und erst als er quasi auf
Tuchfühlung mit der Polizei war, zum Wurf ansetzte, fand in der
Beweiswürdigung des Richters keinen Widerhall. Sein hilfloses Herumrudern
mit den Armen, als er auf Auforderung der Anwältin mal zeigen sollte, wie
denn die Wurfbewegung tatsählich aussah, die er gesehen haben will,
bezeugte nicht gerade die Glaubwürdigkeit der mit eigenen Augen gesehenen
Wurfbewegung. Die Anwältin argumentierte, daß es allein aus
physikalischen Gesetzmäßigkeiten schwer vorstellbar erscheine, daß ein
Demonstrant aus so kurzer Entfernung ohne Ausholen der Arme eine Flasche mit
so großer Wucht an den Polizeihelm werfe, damit dieser zerspringt. Auch
hier war es dem Richter Langer nicht zu peinlich, daraufhin zu erwidern,
daß das Amtsgericht Rostock sich mit den physikalischen Wurfgesetzen
auskenne.
Die Prozessbeobachtungsgruppe Rostock stellt angesichts dieser
Urteilsfindung fest, daß nicht nur der Grundsatz – Im Zweifel für den
Angeklagten – mit Füßen getreten wird. Mal wieder wird, wie üblich in
politischen Prozessen, Polizeiaussagen grundsätzlich mehr geglaubt, egal
wie widersprüchlich diese sind.
Für den Richter Langer scheint es zudem nicht vorstellbar zu sein, daß der
eine Belastungszeuge ein Interesse daran haben könnte, gegen den
Angeklagten auszusagen, da gegen diesen Beamten der berüchtigten Berliner
Einsatzhundertschaft 105 ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung
läuft, da er den Angeklagten bei der Verhaftung mehrfach schlug. Daß die
Justiz bei den G8 Verfahren aber mit zweierlei Maß mißt, ist
offensichtlich. So wurde am Rande des Prozesses deutlich, daß das
Ermittlungsverfahren gegen den Polizisten noch nicht über das
Anfangsstadium, hinausgekommen ist, denn es hat noch nicht mal eine
Beschuldigtenvernehmung stattgefunden, der angeklagte Belgier ist aber
inzwischen verurteilt worden.
Schon bei einem Prozess wegen Vermummung Mitte November letzten Jahres tat
sich Richter Langer durch völlig willkürliche Beweiswürdigung der
einzelnen sich widersprechenden Polizeiaussagen hervor. Obwohl sein
damaliger Schuldspruch jüngst vom Landgericht Rostock aufgehoben worden
ist, scheint für Richter Langer bei G8 Prozessen das Prinzip zu gelten:
Schuldig, egal was die Polizeizeugen aussagen!