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2007-09-20

20.9.2007 Heiligendamm

- G8: 14 Monate Haft für Steinewerfer

- G8-Proteste: Haftstrafe für Steinewerfer

- Staatsanwaltschaft verfolgt nach G8-Krawallen Mann aus Spanien

- Abgeordnete Jelpke besuchte politische Gefangene in Moabit

- Bundeskriminalamt. Panne bei der Terroristenfahndung

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G8: 14 Monate Haft für Steinewerfer

Das bislang höchste Urteil im Zusammenhang mit den G8-Protesten ist gestern gegen einen 35-jährigen Rostocker gefällt worden. Er muss wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung ins Gefängnis.
Rostock (OZ/dpa) Ein Steinewerfer bei der Anti-G8-Demonstration vom 2. Juni ist gestern am Rostocker Amtsgericht zu 14 Monaten Haft verurteilt worden. Es ist das bislang höchste Urteil im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Weltwirtschaftsgipfel Anfang Juni in Heiligendamm.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 35-jährige Hansestädter einen Stein in Richtung von Polizisten geworfen hat. Dabei war zwar niemand verletzt worden. Doch bei der Strafzumessung wurde berücksichtigt, dass Klaus A. einschlägig vorbestraft ist. Das Gericht folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Verteidigerin Caroline Brandt, die Freispruch gefordert hatte, kündigte an, sie werde gegen das Urteil Berufung einlegen.
Nach einer friedlichen Demonstration mit bis zu 80 000 Menschen war es im Rostocker Stadthafen zu einer Straßenschlacht zwischen militanten Autonomen und der Polizei gekommen. Ein Bayreuther Zivilpolizist sagte im Prozess aus, er habe abseits von den Krawallen einen vermummten und mit einer gefleckten Tarnjacke bekleideten Mann dabei beobachtet, wie er einen faustgroßen Stein auf etwa zehn Meter entfernte Polizisten geworfen habe, ohne sie jedoch zu treffen. Aus „taktischen Gründen“ sei ein Zugriff zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen.
Zweieinhalb Stunden nach dem Steinwurf wurde Klaus A. nach einem Hinweis des Bayreuther Polizisten verhaftet. Seine Verteidigerin hält das für bedenklich. Es habe keine durchgehende Observierung gegeben, deshalb könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass ihr Mandant mit dem beobachteten Steinewerfer identisch ist.
Tatsächlich hatte der Zivilpolizist nie das Gesicht des 1,80 Meter großen, schlanken Angeklagten oder dessen Haare gesehen. Im Prozess erklärte er dennoch: „Die Person ist so markant gewesen (...), die vergisst man nicht.“ Das entscheidende Wiedererkennungsmerkmal sei dessen gefleckte Tarnjacke gewesen. Auch Staatsanwaltschaft und Gericht nannten die Jacke als Hauptbelastungsindiz. Nach Angaben der Rostocker Staatsanwaltschaft wurden bislang 116 Anklagen erhoben. Darunter 88 Strafbefehlsanträge und zehn Anträge auf beschleunigte Verfahren. In den beschleunigten Verfahren und zwei regulären Prozessen wurden Geld- oder Freiheitsstrafen von vier bis aktuell vierzehn Monaten verhängt.

[Ostseezeitung 20.9.2007]


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G8-Proteste: Haftstrafe für Steinewerfer

Das Amtsgericht Rostock hat am Mittwoch einen 35-Jährigen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Nach einem Bericht von NDR 1 Radio MV hatte der Mann im Juni bei einer Demonstration vor dem G8-Gipfel mit einem Stein auf Polizisten geworfen. Bei der Urteilsfindung sei es nicht ausschlaggebend, ob ein Beamter durch den faustgroßen Stein verletzt wurde oder nicht, sagte der Richter. Vielmehr sei die genaue Beobachtung der Tat durch zwei Zivilpolizisten und die eindeutige Zuordnung des Angeklagten als Steinewerfer von Bedeutung.
Laut Anklage soll der Mann bei der Großdemonstration in Rostock erst mit einem Bierbecher, dann mit dem Stein geworfen haben. Seitdem saß er in Untersuchungshaft. Das die Strafe von einem Jahr und zwei Monaten nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, liege an den umfangreichen Vorstrafen des 35-Jährigen, berichtete NDR 1 Radio MV. Den Angaben zufolge stehen insgesamt 14 Verurteilungen seit 1992 zu Buche, davon fünf wegen Körperverletzung.

[http://www1.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/gachtsteinewerfer2.html]

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Staatsanwaltschaft verfolgt nach G8-Krawallen Mann aus Spanien

Rostock (ddp-nrd). Nach den Krawallen am Rande der Großdemonstration von G8-Gegnern Anfang Juni in Rostock ist ein weiterer mutmaßlicher Gewalttäter identifiziert worden. Wie die Staatsanwaltschaft am Mittwoch in Rostock mitteilte, handelt es sich dabei um einen 21 Jahre alten spanischen Staatsbürger aus Zaragoza.

Das habe die Videoauswertung durch die Polizei ergeben. Der Mann sei der gefährlichen Körperverletzung und des schweren Landfriedensbruchs dringend verdächtig. Die Staatsanwaltschaft will dem Tatverdächtigen nach eigenen Angaben jetzt Gelegenheit einräumen, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Eine Anklageerhebung vor dem Amtsgericht Rostock sei beabsichtigt, hieß es.
Während der Großdemonstration am 2. Juni hatten 20 Vermummten aus dem sogenannten Schwarzen Block einen Polizeiwagen aus Stralsund attackiert und erheblich beschädigt. Dabei waren zwei Polizeibeamte verletzt worden. ddp/mor/muc.

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Abgeordnete Jelpke besuchte politische Gefangene in Moabit

Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke hat am Dienstag Nachmittag drei Gefangene besucht, die unter dem Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung seit mehr 1 1/2 Monate in Untersuchungshaft gehalten werden. Nach ihrem Besuch im Gefängnis erklärte Ulla Jelpke:
Am Dienstag habe ich Florian L., Oliver R. und Axel H. im Gerichtsgefängnis Berlin-Moabit besucht. Dieser Sonderbesuch musste bereits einmal verschoben werden, da angeblich nicht genügend Beamte des Bundeskriminalamtes zur Überwachung des Gesprächs bereit standen.
Die Gespräche wurden von zwei Beamten des Bundeskriminalamtes und einer Justizvollzugsbeamtin überwacht. Ein vertrauliches Gespräch war mir deshalb ebenso wenig möglich wie den Angehörigen der Inhaftierten. Die drei Gefangenen schilderten mir ihren Haftalltag. Sie werden täglich 23 Stunden in Einzelhaft gehalten und haben lediglich Anrecht auf eine Stunde Besuch im Monat. Durch die Untersuchungshaft hat einer der Inhaftierten bereits seinen Arbeitsplatz verloren, ein anderer hat nicht einmal Antwort von seinem Arbeitgeber bekommen.
Den drei Untersuchungsgefangenen wird von der Bundesanwaltschaft ein versuchter Brandanschlag auf LKW der Bundeswehr vorgeworfen. Zudem werden sie beschuldigt, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung nach §129a Strafgesetzbuch (StGB) zu sein.
Der Terrorismusvorwurf setzt Straftaten voraus, die „durch die Art ihrer Begehung oder ihrer Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen“ können. Für die den Beschuldigten vorgeworfenen Brandstiftungen trifft dies sicherlich nicht zu, der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung ist unverhältnismäßig. Anstatt wegen versuchter Brandstiftung nach § 306 StGB zu ermitteln, wird zum § 129a mit seinen zahlreichen Sondervollmachten für die Ermittler gegriffen. So konnte Untersuchungshaft angeordnet werden, obwohl die Beschuldigten nicht vorbestraft sind und in geordneten Verhältnissen lebten. Fluchtgefahr besteht also nicht.
Die politischen Gesinnungsparagraphen 129, 129a und b StGB, die immer wieder gegen unliebsame soziale Protestbewegungen eingesetzt werden, haben in einem Rechtsstaat nichts verloren. Sie gehören endlich abgeschafft. Die Haftbefehle gegen Florian L., Oliver R. und Axel H. müssen sofort aufgehoben werden.

Ulla Jelpke, MdB, 19.09.2007

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Bundeskriminalamt. Panne bei der Terroristenfahndung

Wegen Brandanschlägen und dem Buch "Autonome in Bewegung" ermittelt das BKA gegen 18 Personen. Eine vertrauliche Anfrage an eine Autovermietung wurde nun durch deren E-Mail-Verteiler öffentlich. VON UWE RADA
Tobias K.* staunte nicht schlecht. Ende August fand er in seinem E-Mail-Postfach ein Schreiben der Autovermietung CC Raule, dem eine Anfrage des Bundeskriminalamts (BKA) beigefügt war. In dieser Anfrage, die der taz vorliegt, bitten die Ermittler um Mithilfe bei der Fahndung gegen mutmaßliche Terroristen - unter anderem mit der Frage, "ob einer der nachfolgend aufgeführten Personen jemals als Anmieter eines Fahrzeugs der Autovermietung CCUniRent bzw. deren Systempartner in Berlin, Bremen und Hamburg in Erscheinung getreten ist".
Bei den "nachfolgend aufgeführten Personen" handelt es sich um 18 namentlich und mit Geburtsdatum genannte Beschuldigte, gegen die das BKA im Auftrag der Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Aufsehen erregten die Fahnder bereits, als sie kurz vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm zahlreiche Wohn- und Geschäftsräume in Berlin und Hamburg durchsuchten, darunter auch den Buchladen "Schwarze Risse" in Berlin-Kreuzberg. Gegenstand der Ermittlungen ist - neben zahlreichen Brandanschlägen - auch ein Buch mit dem Titel "Autonome in Bewegung". Nicht zuletzt wegen der dünnen Beweislage wurde den Ermittlern der Vorwurf gemacht, sie hätten die Stimmung in der Szene vor dem Gipfeltreffen in Heiligendamm angeheizt.
Weil für einige Brandanschläge, die den Beschuldigten zur Last gelegt werden, Mietfahrzeuge genutzt worden sein sollen, konzentrieren sich die Ermittlungen des BKA nun auf die Autovermietungsfirmen in Berlin und Hamburg. Wie die Marketing-Chefin der Nürnberger Firma CCUniRent, Daniela Weber, der taz bestätigte, sei das BKA deshalb an sie herangetreten. "Sie baten uns, Ihnen bei den Ermittlungen behilflich zu sein", so Weber. Die Fahnder interessierte nicht nur, ob besagte 18 Personen jemals ein Auto mieteten, sondern auch, wer in den Tagen vor insgesamt 17 Anschlägen ein Auto gemietet hatte.
Die entsprechende Anfrage des BKA verschickte Weber als PDF-Datei zusammen mit einem eigenen Begleitschreiben per E-Mail an ihre "Systempartner". Das sind zahlreiche kleine Autovermietungen, darunter auch CC Raule, die unter dem Dach der CC UniRent gemeinsam vermarktet werden.
Pech für die Ermittler: Obwohl sowohl das BKA als auch Daniela Weber um Vertraulichkeit baten, "da sonst der Ermittlungserfolg gefährdet wäre", landete das Schreiben samt BKA-Datei nicht nur bei den Autovermietungen, sondern auch bei Tobias K. Der hatte einige Monate zuvor mit CC Raule Geschäftskontakt gehabt und befindet sich seitdem, wie er sagt, in deren E-Mail-Verteiler.
Wie viele andere Personen auch noch die Post der Terrorfahnder bekommen haben, konnte Daniela Weber nicht sagen. "Was die einzelnen Firmen mit der Mail gemacht haben, entzieht sich meiner Kenntnis."
Offenbar hatte ihr Unternehmen bei der Rundfrage im Auftrag des BKA von Anfang an kein gutes Gefühl. Im Begleitschreiben an die Systempartner heißt es: "Leider arbeiten nicht alle Kollegen ,sauber' und aus diesem Grund weisen wir noch einmal darauf hin, dass es sich hierbei um streng vertrauliche Daten handelt. Die betroffenden Personen sind für das Ermittlungsverfahren sehr wichtig und sollen nicht darüber in Kenntnis gesetzt werden." Das Bundeskriminalamt wollte den Fall auf Anfrage der taz nicht kommentieren.

* Name von der Redaktion geändert

[taz, 10.09.2007]