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2007-07-23

23.7.2007 Heiligendamm -- Genua

- Keine konkreten Hinweise auf Anschläge während des G8-Gipfels

- Arbeit der Sicherheitsbehörden während des G8-Gipfels in Heiligendamm

- Anton: "Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht" oder: In Rostock waren Steine notwendig

- Gini Müller: theatrum posse in Heiligendamm: Rebel Clown Army, Superheroes and the Five-Finger Game

- Tornadoflüge: Polizei ordnete Einsätze zu G-8 eigenmächtig an

- G8: Bundeswehr übernimmt ziviles Krankenhaus

- ND: G8-Kritiker geben sich nicht geschlagen

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Keine konkreten Hinweise auf Anschläge während des G8-Gipfels

Berlin: (hib/SUK) Während des G8-Gipfels gab es keine konkreten Hinweise auf eine tatsächliche terroristische Bedrohung. Das teilt die Regierung in ihrer Antwort (16/6039) auf eine Kleine Anfrage der Linken (16/5797) mit. Es habe allerdings im Bereich der politisch links motivierten Kriminalität ausgehend von den im Vorfeld des G8-Gipfels verübten Straftaten sowie Erkenntnissen durch die Auswertung von eingegangenen Selbstbezichtigungsschreiben, Internetveröffentlichungen und Szenepublikationen "jederzeit" mit militanten oder terroristischen Aktionen gerechnet werden müssen.
Das Bundeskriminalamt (BKA) sei während des G8-Gipfels in Heiligendamm mit mehr als 1.250 Polizeibeamten im Einsatz, die insgesamt über 167.000 Einsatzstunden geleistet hätten. Außerdem sei eine Besondere Aufbauorganisation (BAO) mit insgesamt 167 Kräften eingerichtet worden. Die Bundespolizei sei mit insgesamt 2.420 Beamten im bahn- und grenzpolizeilichen Aufgabenbereich im Einsatz gewesen. 330 Polizeivollzugsbeamte seien während der Einsatzvorphase der Polizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern unterstellt worden, in der Einsatzhauptphase seien es 1.594 Beamte gewesen.
Das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns habe bereits im Juni 2006 erstmals Verbindungskräfte angefordert; das BKA habe ein erstes Unterstützungsersuchen im Dezember 2006 gestellt. Das BKA habe während des Gipfels folgende Aufgaben wahrgenommen: Personenschutz sowie Schutz der Aufenthaltsräume für Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes sowie Gäste aus anderen Staaten; Informationsaustausch als "Zentralstelle Großveranstaltung" und "Nationale Kontaktstelle für öffentliche Ordnung und Sicherheit" sowie die Einrichtung einer BAO zur Sicherstellung der Strafverfolgung. Der Einsatz der Bundespolizei so schwerpunktmäßig darauf ausgerichtet gewesen, die Einreise "insbesondere erkennbar gewaltbereiter Personen sowie potenzieller politisch motivierter Straftäter" sowie Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten während der An- und Abreise zu verhindern.

[http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2007/2007_199/02.html]

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Arbeit der Sicherheitsbehörden während des G8-Gipfels in Heiligendamm - das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei und ihre Zusammenarbeit mit der Besonderen Aufbauorganisation Kavala des Landeskriminalamts Mecklenburg-Vorpommern

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dagdelen, Heike Hänsel und der Fraktion DIE LINKE.

Deutscher Bundestag Drucksache 16/6039
16. Wahlperiode 10. 07. 2007

- Drucksache 16/5797 -

Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r

Bereits weit im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm nahm die Besondere Aufbauorganisation (BAO) "Kavala" als Einrichtung des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern ihre Arbeit auf. In den Arbeitsstäben und Einsatzabschnitten waren auch Beamte der Sicherheitsbehörden des Bundes vertreten. Erkennbarer Schwerpunkt von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundespolizei war die Sicherung des Gipfelortes selbst. Aber auch mit den Razzien im Vorfeld des G8-Gipfels haben sich Bundesbehörden Informationen über die Strukturen beschafft, eine entsprechende Zentraldatei beim BKA wurde mutmaßlich mit den so gewonnenen Erkenntnissen gespeist. Die Rolle der Bundesbehörden blieb darüber hinaus aber unklar.

Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g

Am 9. Mai 2007 vollzog das Bundeskriminalamt (BKA) im Auftrag des Generalbundesanwaltes mit Unterstützung der Länderdienststellen in zwei Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Gründung terroristischer Vereinigungen gemäß § 129a StGB Beschlüsse des Bundesgerichtshofes unter der Sachleitung der Bundesanwaltschaft.

Bei den zuvor angesprochenen Maßnahmen handelte es sich um keine Razzien im Sinne des Polizeirechts, sondern um Exekutivmaßnahmen in konkreten Strafverfahren aufgrund erfolgter Brandanschläge in mehreren Bundesländern.

Unbeschadet einer ersten positiven Zwischenbilanz, dass die Gewährleistung der Sicherheit der Staatsgäste sowie der störungsfreie Verlauf des Gipfeltreffens zu jedem Zeitpunkt gewährleistet und gleichzeitig der Schutz friedlicher demonstrativer Aktionen sichergestellt war, ist eine detaillierte Einsatznachbereitung vorgesehen, die gegenwärtig bereits bei allen beteiligten Sicherheitsbehörden stattfindet. Die nachfolgenden Ausführungen beruhen auf dem gegenwärtigen Kenntnisstand.

1. Zwischen welchen Behörden wurde, nach dem Beschluss, dass der G8- Gipfel in 2007 in Deutschland stattfinden wird, auf welchen Sitzungen die Sicherheitskonzepte, wie und durch welche Stellen entwickelt?

Im Rahmen einer Projektgruppe des Unterausschusses Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung(UAFEK) des Arbeitskreises II (AK II) der IMK wurde eine Rahmenkonzeption unter Beteiligung der AG Kripo zur Durchführung abgestimmter polizeilicher Maßnahmen der Länder und des Bundes aus Anlass des deutschen G8-Vorsitzes im Jahr 2007 sowie der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 erarbeitet und durch den UA FEK sowie den AK II und die IMK zur Kenntnis genommen. Das BKA sowie die Bundespolizei entwickelten im Rahmen ihrer originären Zuständigkeiten eigene Sicherheitskonzepte. Diese Konzepte wurden zwischen den Stäben bzw. Besonderen Aufbauorganisationen (BAO) aller beteiligten Sicherheitsbehörden in zahlreichen Sitzungen auf verschiedenen Arbeits- und Führungsebenen erörtert und insbesondere an den Schnittstellen der jeweils geplanten Maßnahmen angepasst.

Zudem wurden die Sicherheitskonzepte auch mit den Veranstaltungskonzepten des Auswärtigen Amtes sowie des Bundespresseamtes abgestimmt.

2. Ab welchem Zeitpunkt übernahm das Land Mecklenburg-Vorpommern die Verantwortung für die Sicherheit, und wie wurde ab diesem Zeitpunkt die Kooperation mit den Sicherheitsbehörden des Bundes wahrgenommen?

Mit Bekanntgabe des Veranstaltungsortes ergab sich die Zuständigkeit für die Sicherheitsmaßnahmen für die örtlich zuständige Landesbehörde. Zur Frage der Kooperation wird auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen.

3. Wie viele Beamte des BKA waren seit wann vor und während des G8- Gipfels in Heiligendamm mit welcher Stundenzahl eingesetzt?

Das BKA war vom 30. Mai 2007 bis zur Beendigung des Gipfels am 8. Juni 2007 mit über 1 250 Polizeivollzugsbeamten (inkl. dem BKA unterstellten Bundespolizeibeamten) vor Ort in Heiligendamm im Einsatz. Insgesamt wurden durch diese Kräfte über 167 000 Einsatzstunden geleistet.

Bereits seit Anfang2007 hatte das BKA die Sachbearbeitung des G8-Gipfels 2007 in Bezug auf den nationalen und internationalen polizeilichen Informationsaustausch gewährleistet, die mit lageangepasst aufwachsendem Personalkörper bis zum 9. Juni 2007 ca. 9 000 Mannstunden leistete. In der Zeit vom 4. bis 9. Juni 2007 hat das BKA eine BAO zur Sicherstellung der Strafverfolgung in Fällen von Straftaten, die im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in die Zuständigkeit des BKA gefallen wären, mit insgesamt 167 Kräften eingerichtet. Diese Kräfte befanden sich während des o. a. Einsatzzeitraumes in Rufbereitschaft. Im Übrigen wird zu den Aufgaben des BKA auf die Beantwortung der Frage 6 verwiesen.

4. Wie viele Beamte der Bundespolizei waren seit wann vor und während des G8-Gipfels in Heiligendamm mit welchen Stundenzahlen eingesetzt?

In dem für Mecklenburg-Vorpommern zuständigen Einsatzabschnitt Rostock der Bundespolizei waren im originären bahn- und grenzpolizeilichen Aufgabenbereich 2 420 Polizeivollzugsbeamte der Bundespolizei eingesetzt. Diese leisteten in der Einsatzhauptphase 348 480 Einsatzstunden. Dem BKA wurden durch die Bundespolizei während der Einsatzvorphase (14. bis 28. Mai 2007) 84 Polizeivollzugsbeamte unterstellt (mit rund 9 500 Einsatzstunden).

Der Polizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern wurden durch die Bundespolizei während der Einsatzvorphase (16. April bis 28. Mai 2007) 330 Polizeivollzugsbeamte unterstellt. Diese leisteten in diesem Zeitraum 96 936 Einsatzstunden. Während der Einsatzhauptphase (29. Mai bis 9. Juni 2007) waren dem Bundeskriminalamt zunächst 641 Bundespolizeivollzugsbeamte mit insgesamt 84 612 Mannstunden und der Polizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern zunächst 1 594 Bundespolizeivollzugsbeamte mit 210 336 Einsatzstunden unterstellt.

Aufgrund der Lageentwicklung in der Einsatzhauptphase wurde das Bundeskriminalamt zusätzlich mit bis zu 349 Polizeivollzugsbeamten der Bundespolizei, die insgesamt 7 212 Mannstunden leisteten, unterstützt und die Polizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern in 17 Fällen mit insgesamt 2 775 weiteren Polizeivollzugsbeamten der Bundespolizei, die insgesamt 33 300 Mannstunden leisteten.

5. Wann wurden die Beamten des BKA und der Bundespolizei in welcher Stärke von welcher Behörde zu welchen Einsatzzwecken zum Einsatz um den G8-Gipfel in Heiligendamm angefordert?

Verbindungskräfte des BKA wurden vom Innenministerium Mecklenburg- Vorpommern mit Schreiben vom 13. November 2006 sowie vom Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern mit Schreiben vom 29. Juni 2006 und 4. April 2007 angefordert. Den Anfragen wurde mit der temporären Entsendung von insgesamt elf Polizeivollzugsbeamten mit Informations- und Koordinierungsaufgaben sowie zur Unterstützung bei der Durchführung verdeckter polizeilicher Maßnahmen entsprochen.

Das BKA stellte das erste Unterstützungsersuchen an die Bundespolizei am 12. Dezember 2006. Die Anforderung wurde im ersten Halbjahr 2007 mit fortlaufender Planung ständig aktualisiert. Die angeforderten Kräfte führten unter der Leitung des BKA insbesondere Durchsuchungs- und Innenschutzmaßnahmen im Bereich des G8-Veranstaltungsortes in Heiligendamm sowie in enger Abstimmung mit dem Bundespresseamt die Begleitung von akkreditierten Medienvertretern vom internationalen Medienzentrum in Kühlungsborn nach Heiligendamm sowie zu weiteren Veranstaltungsorten durch.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat am 15. Dezember 2006, 27. März und 3. Mai 2007 die Länder und den Bund um Unterstützung ersucht. Daraufhin hat die Bundespolizei 1 594 Polizeivollzugsbeamte für Raumschutz- und Objektschutzmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Während der Einsatzhauptphase vom 29. Mai bis 9. Juni 2007 forderte das Land Mecklenburg-Vorpommern in 17 Fällen zusätzlich insgesamt 2 775 Polizeivollzugsbeamte der Bundespolizei aufgrund sich ergebender Sofortlagen an.

6. Welche genauen Aufgaben sollten das BKA und die Bundespolizei bei dem Einsatz zum G8-Gipfel in und um Heiligendamm übernehmen (bitte getrennt auflisten)?

Das BKA nahm im originären Zuständigkeitsbereich u. a. auf Grundlage der "Rahmenkonzeption zur Durchführung abgestimmter polizeilicher Maßnahmen der Länder und des Bundes aus Anlass des deutschen G8-Vorsitzes im Jahr 2007 sowie der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007" die nachfolgend aufgeführten Aufgaben wahr:

* Personenschutz sowie der Schutz der Aufenthaltsräume für Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes sowie deren Gäste aus anderen Staaten gemäß § 5 des Bundeskriminalamtsgesetzes (BKAG);

* der Informationsaustausch als "Zentralstelle Großveranstaltung" (national) und "Nationale Kontaktstelle für öffentliche Ordnung und Sicherheit" (international) gemäß §§ 2, 3 BKAG in Verbindung mit den für den G8-Gipfel und vergleichbare Veranstaltungen beschlossenen Konzeptionen;

* die Einrichtung einer BAO zur Sicherstellung der Strafverfolgung in Fällen von Straftaten, die sich gegen das Leben (§§ 211, 212 des Strafgesetzbuches) oder die Freiheit (§§ 234, 234a, 239, 239b des Strafgesetzbuches) der Gäste der Verfassungsorgane des Bundes aus anderen Staaten richten.

Die Bundespolizei nahm ihre Aufgaben im originären Zuständigkeitsbereich u. a. auf Grundlage der "Rahmenkonzeption zur Durchführung abgestimmter polizeilicher Maßnahmen der Länder und des Bundes aus Anlass des deutschen G8-Vorsitzes im Jahr 2007 sowie der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007" wahr. Danach wurden die grenz- und bahnpolizeilichen Aufgaben gemäß §§ 2, 3 des Bundespolizeigesetzes (BPolG) in erster Linie schwerpunktmäßig darauf ausgerichtet,

* die Einreise insbesondere erkennbar gewaltbereiter Personen sowie potenzieller politisch motivierter Straftäter in die Bundesrepublik Deutschland sowie

* Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten während der An- und Rückreise in Zügen sowie unerlaubte Einwirkungen auf Benutzer, Anlagen und Verkehrsmittel der Eisenbahnen des Bundes zu verhindern.

7. Wie waren die Beamten des BKA und der Bundespolizei in die Organisationsstruktur und die Arbeit der BAO Kavala des LKA Mecklenburg-Vorpommern eingebunden?

Der Führungsstab der Abteilung Sicherungsgruppe (SG) des BKA entsandte für die Einsatzphase vom 30. Mai bis 9. Juni 2007 zwei Verbindungsbeamte (wechselseitig im 12-Stunden-Schichtdienst) in den Führungsstab der BAO Kavala. Die der Polizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern unterstellten Kräfte der Bundespolizei waren unter der Führung der Polizei des Landes eingesetzt. Darüber hinaus entsandte die Bundespolizei drei Verbindungsbeamte in den Führungsstab der BAO Kavala.

Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen.

8. Mit wie vielen Beamten waren das BKA und die Bundespolizei in den Stabsbereichen, Sachbereichen und dem Führungszentrum vertreten, und welche Aufgaben haben sie dort jeweils ausgeführt (bitte genau nach Stabsbereichen, Sachbereichen, Führungszentrum usw. aufschlüsseln)?

Auf die Antwort zu Frage 7 wird verwiesen. Die Verbindungsbeamten des BKA sowie der Bundespolizei nahmen beim Führungsstab der BAO Kavala auf die Zusammenarbeit mit ihren Stammdienststellen bezogene Informations- und Koordinierungsaufgaben wahr.

9. Mit wie vielen Beamten war das BKA ab wann im Einsatzabschnitt 1 "Aufklärung" (EA 1) der BAO Kavala vertreten, und welche Aufgaben haben diese Beamten hier ausgeführt?

In dem genannten Bereich waren keine Beamte des BKA eingesetzt.

10. Standen die in der BKA-Zentraldatei "G8" enthaltenen Datensätze zu Personen, Gruppen und Objekten auch allen anderen an der BAO Kavala beteiligten Behörden zur Verfügung, und in welchen Einsatzabschnitten wurden die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu welchem Zweck genutzt?

Die Datei "G 8" ist eine Datei des BKA als Zentralstelle für die Verarbeitung sowohl eigener BKA- als auch Ländererkenntnisse. Zum Abruf der Daten ist nur das im BKA für diesen Phänomenbereich zuständige Fachreferat berechtigt.

11. Sind aus der Tätigkeit des BKA im Rahmen der BAO Kavala während der G8-Gipfelproteste gewonnene Erkenntnisse in die Zentraldatei "G8" eingeflossen, und wie viele Datensätze enthält sie derzeit (bitte getrennt nach Personen, Gruppen und Objekten)?

In die Datei "G 8" sind Erkenntnisse aus Berichten, Meldungen und sonstigen Informationen im Themenzusammenhang"G 8" eingeflossen, die das BKA als Zentralstelle erreicht haben. In der Datei sind insgesamt 235 Personen-, 39 Gruppen- sowie 62 Objektdatensätze erfasst.

12. Wie waren die Beamten des BKA in die Ausarbeitung der Polizeitaktik für die Lage in Rostock und um Heiligendamm eingebunden, und welches Gewicht hat ihre Beratungstätigkeit bei der Ausarbeitung der Polizeitaktik?

Die landespolizeilichen Einsatzkonzepte wurden von der Landespolizei erstellt. Ergänzend wird auf die Beantwortung der Frage Nr. 1 verwiesen. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass das BKA keine Aufgaben zur Bewältigung polizeilicher Lagen im Zusammenhang mit gewalttätigen Ausschreitungen bei Versammlungen oder der Auflösung verbotener Versammlungen besitzt und demzufolge auch keine darauf gerichtete Beratung erbringt.

13. Welche bundesdeutschen Sicherheitsbehörden haben wie und mit wie vielen Beamten die Aufklärung über die Gefahren des internationalen Terrorismus im Zusammenhang mit dem Schutz des G8-Gipfels in Zusammenarbeit mit den befreundeten internationalen Sicherheitsbehörden betrieben, und ist dies auch über den EA 1 des BAO Kavala gelaufen?

Die Zusammenarbeit des BKA mit ausländischen Polizeistellen ist nach den Vorgaben des Leitfadens für die Sicherheit zur Verwendung durch die Polizeibehörden und -dienste von internationalen Veranstaltungen (EU Ratsdokument 12637/3/02 REV 3, ENFO-POL 123 vom 12. November 2002) erfolgt, die eine phasenweise Verdichtung der Informationen entsprechend dem Näherrücken der Veranstaltung vorsehen.

Das BKA hat in der Zeit vom 1. bis 9. Juni 2007 ein "Internationales Verbindungsbeamtenzentrum" zum Zweck eines beschleunigten Informationsaustausches eingerichtet. Darin waren 17 Verbindungsbeamte aus zwölf Staaten (USA, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, Italien, Niederlande, Belgien, Österreich, Schweiz, Schweden und Dänemark) sowie eine Verbindungsbeamtin von EUROPOL und ein Verbindungsbeamter von Interpol vertreten. Neben dem BKA hatte auch die Bundespolizei internationale Verbindungsbeamte in ihren Führungsstäben eingesetzt.

Alle darüber hinaus anfallenden bzw. zu verarbeitenden Informationen hat das BKA im Rahmen der Regelorganisation der jeweils zuständigen Organisationseinheiten bearbeitet.

Zu Maßnahmen, die in der Zuständigkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern liegen, nimmt die Bundesregierung grundsätzlich keine Stellung.

Zu nachrichtendienstlichen Arbeitsweisen und Kontakten der Sicherheitsbehörden des Bundes nimmt die Bundesregierung nur gegenüber dem zuständigen parlamentarischen Kontrollgremium Stellung.

14. Wann hat sich zum ersten Mal das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" in Berlin-Treptow in seinen Lagesitzungen und Arbeitsgruppen mit der Sicherheitslage in Rostock und Heiligendamm befasst, und wie oft und unter welchen Aspekten spielten dabei die geplanten Proteste eine Rolle?

In der Arbeitsgruppe "Tägliche Lagebesprechung" im GTAZ wurde der G8- Gipfel am 4. Mai 2006 mit allen beteiligten Behörden thematisiert. Die geplanten Proteste zum G8-Gipfel spielten dabei keine Rolle, da diese nicht dem im GTAZ bearbeiteten Phänomenbereich (islamistischer Terrorismus/Extremismus) zuzuordnen sind.

15. Mit welchen internationalen Sicherheitsbehörden haben welche bundesdeutschen Sicherheitsbehörden in welchem Rahmen Informationen zum Schutz des G8-Gipfels in Heiligendamm hinsichtlich des internationalen Terrorismus ausgetauscht?

Auf die Antwort zu Frage 13 wird verwiesen.

16. Welche konkreten Hinweise auf eine tatsächliche terroristische Bedrohunglagen den bundesdeutschen Sicherheitsbehörden im Vorfeld und während des Verlaufs des G8-Gipfels vor?

Aus den Phänomenbereichen der politisch motivierten Kriminalität (PMK) - rechts -, PMK Ausländer sowie dem Bereich des islamistischen Terrorismus ergaben sich keine konkreten Hinweise auf eine tatsächliche terroristische Bedrohung.

Die im Verlauf des G8-Gipfels eingegangenen Hinweise (durch Anrufer, Drohschreiben) auf geplante terroristische Aktionen erwiesen sich nach polizeilicher Abklärung durchweg als nicht substantiiert. Im Phänomenbereich PMK - links - musste ausgehend von den im Vorfeld des G8-Gipfels verübten Straftaten sowie Erkenntnissen durch die Auswertung von eingegangenen Selbstbezichtigungsschreiben, Internetveröffentlichungen und Szenepublikationen damit gerechnet werden, dass weitere militante bzw. terroristische Aktionen jederzeit hätten durchgeführt werden können.

Konkrete Hinweise auf eine derartige Gefahr lagen den Sicherheitsbehörden nicht vor.

17. Mit welchen internationalen Sicherheitsbehörden haben welche bundesdeutsche Sicherheitsbehörden Informationen über zu erwartende Protestaktionen von Demonstrantinnen und Demonstranten ausgetauscht?

Ein unmittelbarer Informationsaustausch zwischen der Bundespolizei und internationalen Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit zu erwartenden Protestaktionen von Demonstrantinnen und Demonstranten zum G8-Gipfel 2007 erfolgte nicht.

Hinsichtlich des BKA wird auf die Antwort zu Frage 13 verwiesen.

18. Welche Behörden waren ständig im Einsatzabschnitt 3 (Einsatzbegleitende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) jeweils mit wie vielen Beamten vertreten, und welche Behörden waren zeitweise mit wie vielen Beamten hier vertreten?

Die Bundesregierung nimmt zu Maßnahmen, die in der Zuständigkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern liegen, grundsätzlich keine Stellung.

19. Welche Aufgaben hat das BKA mit wie vielen Beamten im Rahmen des Akkreditierungsverfahrens von Journalistinnen und Journalisten wahrgenommen, und auf welcher gesetzlichen Grundlage geschah dies (vgl. Kavala-Report, 2/2007, S. 11)?

Im Rahmen des Akkreditierungsverfahrens des Bundespresseamtes (BPA) hat das BKA die Sicherheitsüberprüfung von allen Antragstellern vorgenommen. Die Aufgabe des BKA bestand darin, die datenmäßige Überprüfung der Antragstellerinnen und Antragsteller in Zusammenarbeit mit den am Verfahren beteiligten Landes- und Bundesbehörden zu koordinieren. Hierzu wurden die übermittelten oder zu erhebenden Personendaten auf der Basis geltender datenschutzrechtlicher Bestimmungen mit den Dateien der Sicherheitsbehörden abgeglichen.

Als Rechtsgrundlage für diese Maßnahme diente der § 22 BKAG i. V. m. §§ 5, 21 Abs. 1 S.2 BKAG.

Die Bewertung der vorliegenden Erkenntnisse erfolgte grundsätzlich in eigener Zuständigkeit der beteiligten Sicherheitsbehörden.

Für die verfahrenstaugliche Aufbereitung und Bearbeitung der Daten waren im Führungsstab der Abteilung SG des BKA vier Polizeivollzugsbeamte eingesetzt.

Zwei Polizeivollzugsbeamte der Allgemeinen Aufbauorganisation des BKA waren für die fachlich/konzeptionelle Betreuung des Verfahrens zuständig.

20. Auf welche Dateien hat sich das BKA bei der Überprüfung der Journalistinnen und Journalisten im Akkreditierungsverfahren gestützt, und wie viele deutsche und ausländische Journalistinnen und Journalisten wurden abgelehnt (bitte getrennt auflisten)?

In neun Fällen wurde den Antragstellerinnen und Antragstellern die Akkreditierung versagt. Angaben zu Einzelfällen können aus Datenschutzgründen nicht gemacht werden.

Das BKA hat sich bei den Überprüfungen auf die Falldateien gestützt.

21. Wie viele Einsatzabschnitte gab es in der BAO Kavala und welche Aufgaben haben wie viele Beamte des BKA und anderer bundesdeutscher Sicherheitsbehörden hier wahrgenommen?

Die Bundesregierung nimmt zu Maßnahmen, die in der Zuständigkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern liegen, grundsätzlich keine Stellung. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage Nr. 7 verwiesen.

22. Wie viele ausländische Sicherheitskräfte aus welchen Ländern haben sich vor und während des G8-Gipfels in Heiligendamm und Umgebung in welcher Funktion aufgehalten, und durch wie viele Beamte welcher bundesdeutschen Sicherheitsbehörden wurden sie betreut (bitte die Anzahl der ausländischen Sicherheitsbehörden nach Anzahl, Nationalität, Funktion aufschlüsseln)?

Die neunzehn ausländischen Delegationsführer, die am G8-Gipfel teilgenommen haben, wurden durch eigene, bewaffnete Sicherheitskräfte begleitet. Insgesamt hat das BKA beim Bundesverwaltungsamt 265Waffentrageerlaubnisse für ausländische Sicherheitskräfte beantragt. Diese Kräfte sind für die Sicherheit ihrer Delegationen verantwortlich. Sie werden in der taktisch-konzeptionellen Ausrichtung des Einsatzes berücksichtigt, haben jedoch in der Bundesrepublik Deutschland keine hoheitlichen, polizeilichen Befugnisse. Den Sicherheitskräften jeder Delegation wurde ein Verbindungsbeamter des BKA als Ansprechpartner benannt.

Darüber hinaus wird auf die Ausführungen zu Frage 13 verwiesen.

23. Wie viele Kosten sind dem Bund durch den Einsatz des BKA, der Bundespolizei und dem Bundesamt für Verfassungsschutz zum Schutz des G8- Gipfels in Heiligendamm insgesamt entstanden (bitte nach Jahren und Behörden auflisten)?

Gemäß Artikel 104a Abs. 1 GG tragen Bund und Länder gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Die Kosten der Sicherheitsbehörden des Bundes für Einsätze im originären Aufgabenbereich werden aus den vorhandenen Haushaltsansätzen getragen und in der Regel nicht einsatzbezogen gesondert erfasst.

Da die Bundespolizei auch zur Unterstützung des Landes gem. § 11 BPolG eingesetzt war und gemäß § 11 Abs. 4 Satz 3 BPolG die Länder grundsätzlich die durch eine Unterstützung entstehenden Mehrkosten tragen müssen, werden diese Mehrkosten von der Bundespolizei derzeit routinemäßigerfasst. Die Erfassung ist noch nicht abgeschlossen. Unabhängig davon hatte der Bund bereits im Vorfeld des G8-Gipfels erklärt, dass er für dieses Ereignis auf eine Erstattung der Mehrkosten der Bundespolizei durch das Land Mecklenburg-Vorpommern verzichtet.

[http://dip.bundestag.de/btd/16/060/1606039.pdf]

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Anton: "Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht" oder: In Rostock waren Steine notwendig

Ich bin von ganzem Herzen ein Autonomer. Ich möchte die herrschenden Verhältnisse überwinden. Ich bin der Auffassung, dass dafür ein Organisierungsprozess und ein kontinuierlicher Kampf, der auch Militanz und Bewaffnung einschließt, unumgänglich werden wird. Insofern verfolge ich beispielsweise das Projekt Interventionistische Linke oder auch die militante Kampagne zum G8 und ihre jeweiligen Entwicklungen mit großen Sympathien.
Ich war zusammen mit anderen Genoss/innen aus der autonomen Bewegung Teil der G8-Protest-Vorbereitung. Wir waren an der Planung und Durchführung von verschiedenen Aktionstagen und der Infrastruktur beteiligt. Wir haben auf unterschiedliche Weise, an unterschiedlichen Orten mitgeredet und uns eingemischt.

In unseren Räumen, auf unseren Veranstaltungen, mit unseren vielfältigen Mitteln mobilisierten wir inner- und außerhalb unseres Umfelds viele Menschen zur Demo und den Blockaden. Wir waren nicht unmittelbar an der Vorbereitung der 2.-Juni-Demo beteiligt, wir fühlten uns jedoch eingeladen und luden ein, am black bloc in Rostock und an den Blockaden um Heiligendamm teilzunehmen. Unsere Gruppen und viele unserer Freund/innen kamen nach Rostock, Wichmannsdorf und Reddelich und schlugen dort ihre Zelte auf. Im Nachhinein mussten wir feststellen, dass wir sowohl am Samstag, dem 2. Juni als auch am Mittwoch, dem 6. Juni zwar willkommen waren, auch und vor allem in den ersten Reihen, aber nicht das gesamte Repertoire unserer politischer Praxis. Ohne dieses gibt es uns aber nicht.
Wir haben uns die gesamte Zeit über, bis zum heutigen Tag, ausgetauscht, haben diskutiert und auch gestritten. Diese Auseinandersetzungen lieferten Anregungen für das vorliegende Papier.

"militante gruppe - das Salz in der Suppe"*

Wir leben nicht mehr in den 1980er Jahren, in denen es eine große militante Bewegung gab, die wenig Wert auf Bündnispolitik legen konnte. Wir sehen die Notwendigkeit, aber auch die Schwierigkeiten von Bündnissen. Auch wenn wir uns nicht mit den Herren aus den Chefetagen von attac, x-tausendmal-quer oder verschiedenen NGOs an einen Tisch setzen würden, auch wenn es uns schmerzt mitansehen zu müssen, wie Genoss/innen mit Jochen Stay und Peter Wahl das Gespräch suchen, können wir nachvollziehen, wenn Genoss/innen derartige Bündnisse eingehen. Dies hatte auch sein Gutes: Es trug dazu bei, dass sich die unterschiedlichen Menschen und Spektren kennen und schätzen lernten und dass auch dadurch das Gesamtbündnis nicht auseinanderfiel und nicht die große Distanzierung einsetzte, trotz abgefackelter Autos schon im Vorfeld und der

Steinwürfe in Rostock.

Mit großer Kritik hatten wir jedoch wahrgenommen wie Freund/innen und Genoss/innen ein Konzept wie Block G8 propagierten, das alles, was über zivilen Ungehorsam hinausgeht, ausdrücklich ablehnte. Die Erarbeitung und Durchführung eines solchen friedfertigen Konzepts wäre authentischer gewesen, wenn es Kreise umgesetzt hätten, die eine solche Politik tatsächlich auch betreiben. Solche Kreise - wie beispielsweise x-tausendmal quer - waren dazu allein offensichtlich nicht in der Lage. Wir bedauern, dass unsere Genoss/innen dennoch das Block-G8-Konzept zu ihrem Ding erklärten, dort ihre Kräfte hineingesteckt haben und nicht ein nach links hin offenes Konzept gefahren haben. Wir teilen die Einschätzung, dass sich die Massen auch an einem anderen, offeneren Konzept beteiligt hätten, wenn dieses statt dessen beworben worden wäre. So können wir nun als hinterher Klügere feststellen: Es wäre mehr drin gewesen, wie beispielsweise eine Überwindung des Zauns um Heiligendamm. Viele hatten jedoch noch nicht einmal damit gerechnet, bis zum Zaun vordringen zu können. Dass dies gelang, war tatsächlich ein gewisser Erfolg. Andere aber wollten mit einem Sternmarsch bis zum Kempinski-Hotel in Heiligendamm. Deren Erwartungen wurden nicht erfüllt. Wenn unsere Genoss/innen von Block G8 und der IL nun von "vollem Erfolg" sowie von "Sieg" sprechen und sich abfeiern, stellt dies unter anderem eine traurige Begrenztheit dessen dar, was sie für sinnvoll und erreichbar hielten. Und sie verhalten sich damit ambivalent zu der schönen Tatsache, dass sie von den Massen überrannt wurden, dass die Blockade-Teilnehmer/innen die Angelegenheit selbst in die Hand genommen haben und vor Ort geblieben sind, während die Organisator/innen abziehen wollten. Mit ihrem Erfolgssprech werden sie außerdem blind für eigene Fehler und verschweigen damit auch die eigenen Niederlagen und alles, was nicht wie gewünscht gelungen ist, wie beispielsweise die Akzeptanz der verschiedenen Aktionsformen. Selbstkritik wäre auch bei ihnen angebracht.

"Mehr Bewegung am 2. Juni"

An der Demonstration am 2. Juni in Rostock nahmen in den Blöcken der IL, des revolutionären Bündnisses und des Ums-Ganze-Zusammenhangs etwa 20.000 Linksradikale teil und waren damit die größte Fraktion. Rückblickend wollen wir nicht von Erfolg oder gar von Sieg sprechen. In einem Punkt freuen wir uns aber sehr: Über die Militanz des 2. Juni. Sie war eine kollektive, militante Intervention. Sie stellte wie keine andere Aktion dieser Tage die Unversöhnlichkeit mit den herrschenden Verhältnissen und der Politik der G8-Staaten heraus. Sie brachte zum Ausdruck, dass Menschen bereit sind, sich Räume jenseits des vorgegebenen Rahmens zu erobern und anzueignen. Sie war beeindruckend auch für viele, die sie nicht gut fanden. Sie war ein Event und ein Anlass für zahllose Diskussionen. Auch deswegen sind wir froh, dass es sie gab. Ohne Militanz - auch wenn es im Überblick betrachtet verhältnismäßig wenig davon gab - hätte den diesjährigen Anti-G8-Protesten etwas gefehlt.
Im Nachhinein war es richtig, bereits am Samstag und während der Demonstration militant einzugreifen, und nicht Tage später in der Nähe irgendwelcher kleiner Kundgebungen. (Obwohl ein anderer Ort als der Hafen für unsere Intervention sinnvoller gewesen wäre, siehe unten.) Am Samstag gab es noch die Einschätzung, dass wir nach Rückfahrt der Demo-Busse ab Montag relativ allein sein werden und möglicherweise von den Bullen eingemacht werden. Mit dem "Battle of Rostock" wurde bereits am Samstag, und damit von Beginn an klar gemacht - und es blieb die ganze restliche Woche präsent: Die Unversöhnlichen sind auch da. Also diejenigen, die nicht nur im legalen Rahmen, den uns der Staat gewährt, mitmachen, die nicht allein die G8 delegitimieren wollen, sondern sie angreifen und bekämpfen.

Wir beziehen uns positiv auf den gesamten Samstag ohne unsere Selbstkritik zu verschweigen, die an anderen Stellen bereits ausgeführt wurde: Als der Demonstrationszug am Hafen ankam, die Polizeiübergriffe auf die Demonstration begannen, waren viele der schwarzen Reihen bereits zum Platz vor der Bühne vorgedrungen oder sonstwohin verschwunden. Wir und der black bloc, haben es nicht hinbekommen, dass die Menschen stehen bleiben, Ketten bilden, den Platz verteidigen, damit die Polizei nicht reingehen kann. Im weiteren Verlauf kam es außerdem zu Steinwürfen von weit hinten, die eigene Leute trafen.
Der Ort der Auseinandersetzung war nicht der beste. Die vielleicht geeignetste Stelle für eine Zuspitzung wäre das bewusst an der Demo-Route gelegene Radisson-Hotel gewesen. Das Hotel und die darin residierende US-Delegation waren ein aussagekräftiges Ziel. In der Gegend gab es zahlreiche, für einen Angriff nützliche Gebrauchsgegenstände. An diesem Ort, inmitten der Stadt, war eine Auseinandersetzung von der Polizei nicht gewünscht. Hier hätte sich die Polizei - anders als am Hafen - vermutlich nicht eskalierend verhalten. Ein militanter Angriff hätte - und zwar genau an diesem Ort - organisiert werden können und müssen. Dann hätte die Demonstration einen anderen Verlauf genommen und manch einer wäre danach vielleicht nicht ganz so unglücklich gewesen. Nicht nur das haben wir verschlafen. Doch dem Wunsch nach geplanter, abgesprochener, möglichst zielgenauer und organisierter Militanz stehen zwei Schwierigkeiten gegenüber. Einmal der Staat, der allzu offene Absprachen mit allerlei Gesetzen und Repression zu verhindern versucht und für derartige Pläne zur klandestinen Kommunikation zwingt, die leider auch oft das Ende der Kommunikation zwischen Genoss/innen bedeutet. Zum anderen liegt es an unserer Unfähigkeit, militante Interventionsformen laut zu denken, offensiv zu besprechen und dann eben auch zu organisieren.
In diesem Zusammenhang wurden auch von der Demo-Organisation und -Leitung Fehler begangen. Ihr Lautsprecherwagen wurde demonstrativ zum Teil der stationären Polizeiabsperrung vor dem Hotel und sollte einen möglichen Sturm auf die Residenz der US-Delegation verhindern. Er sollte allen klar machen: Wer hier angreift, attackiert die Demoleitung. Diese Befriedungstaktik war ein politischer Fehler. Auch wenn die Demoleitung dies anders sieht, wird sie sich eingestehen müssen, dass das Abstellen des Lautsprecherwagens an diesem Ort auch in ihrem Sinne ein Fehler war, weil sie damit ein Instrumentarium zurückließ, das sie später hätte brauchen können.
Wenn Militanz aus den großen Veranstaltungen - Demo und Blockaden - bewusst herausorganisiert wird, wenn noch nicht einmal wie auf vergangenen WWG/G7-Demos in Deutschland ein Militanter auf der Großdemonstration sprechen darf (wohlgemerkt weil sich die IL dagegen ausgesprochen hatte, nicht das breite Demo-Bündnis), wenn die Militanten aber - wie jeder weiß - kommen werden, dann war es nur konsequent, dass diese ihre Anwesenheit zum Ausdruck bringen und Steine haben sprechen lassen.

"Steine, Gewalt"

Wir wissen, dass die Eskalation nicht am 2. Juni 2007 begann. Man könnte, um der Öffentlichkeit und den Medien die Militanz zu erklären, 40 Jahre zurückblicken und auf die Ermordung Benno Ohnesorgs durch einen Berliner Zivilpolizisten verweisen, oder auf die Hausdurchsuchungen und die repressive Stimmung im Vorfeld des G8-Gipfels, auf Personalienfeststellungen, Platzverweise und massive Kontrollen in Mecklenburg-Vorpommern in den Wochen und Tagen vor Gipfelbeginn. Man könnte aber auch auf die kampfbereitstehenden Polizeieinheiten verweisen. Polizisten haben schon Menschen aus der Demonstration herausgegriffen, bevor ihr erster Wagen platt ging. Die Polizei suchte die Auseinandersetzung.
Aber die Straßenschlachten in Rostock gingen von uns aus. Es krachen zu lassen gehört spätestens seit Seattle dazu. Das wissen sogar Mitglieder der Jugendorganisation ['solid], die sich ganz praktisch daran beteiligten. Die Riots waren keine unmittelbare Antwort auf die Repressionen im Vorfeld. Sie waren ein Ausdruck unseres Antagonismus.
Und somit haben wir zusammen mit dem black bloc Inhalte durch unsere Protest- und Widerstandsformen vermittelt: Den Inhalt der Unversöhnlichkeit. Und hier zeigen sich Parallelen und Unterschiede zu Block G8: Ihre Inhalte vermittelten sie ebenfalls durch die Protestform: Stören und Blockieren, allerdings auf versöhnliche Art und Weise.

"Das größte Schwein im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant"

Vom späten Nachmittag des 2. Juni bis heute hören wir immer wieder Distanzierungen à la die Autonomen gehören nicht zu uns. Und: Wir müssen in Zukunft mit der Polizei zusammenarbeiten. So beispielsweise vom Geschäftsführer der DFG-VK und Demoanmelder. Mit seinen letzten Worten auf der Abschlusskundgebung am Freitag, dem 8. Juni, blieb er hinter den attac-Kadern zurück, die zwischenzeitlich auch die Polizei kritisierten. Für ihn waren die "ein paar wenige", die "unsere Demo" "kaputt gemacht" haben, ausdrücklich nicht die Polizei. In einem ZDF-Interview antwortet er auf die konkrete Aufforderung zur Denunziation, dass ihm keine Erkenntnisse über die vermeintlichen "Gewalttäter" vorliegen. Mit keinem Wort weist er die Aufforderung zur Denunziation zurück. Seine Antwort impliziert die Bereitschaft, dies bei Vorliegen von Erkenntnissen zu tun.
Ein attac-Koordinierungskreis-Mitglied fordert in Zeitungsinterviews und auf öffentlichen Veranstaltungen - und das ist offensichtlich sein einziger Inhalt - eine Distanzierung von den Autonomen. Er möchte bei zukünftigen Demonstrationen einen eigenen Ordnerdienst aufstellen. Ein anderer findet es richtig, sich von Gewalttätern abzugrenzen und die eigenen Reihen zu sortieren. Sämtliche anderen attac-Koordinierungskreis-Kollegen stoßen ins selbe Rohr.
Was bedeutet das Gerede von eigenen Ordnerdiensten und der Zusammenarbeit mit der Polizei? Ordner/innen gab es in Rostock, und ebenfalls viele Menschen, die auf Steinewerfer/innen einwirkten. Das allein kann die Funktion der neuen Ordner/innen also nicht sein. Was soll also deren Bestimmung sein? Wir ahnen nichts Gutes. Denn von dem, was da von sich gegeben wurde, bis zur Aufforderung nach Auslieferung der eigenen Leute an die Polizei, ist es kein großer Schritt mehr. Mit Menschen, deren Denken und Handeln von dieser Logik bestimmt ist und die der Repression zuarbeiten, wollen wir nach wie vor nichts zu tun haben.
Neben attac war auch die radikale Linke in der Medienöffentlichkeit stark präsent, allerdings hat diese dabei nur wenig radikale Inhalte vermittelt. Und die daran beteiligte IL hatte auch ihre Schädels, Giegolds und Wahls. Damit meinen wir nicht Pedram Shayer, der zwar in der IL ist, dort aber nichts zu sagen hat, sondern Genossen, die uns inhaltlich, teils auch persönlich nahe stehen. Hier erlauben wir uns Kritik und zwar in aller Schärfe, weil wir uns mit diesen Genossen weiterhin punktuell organisieren und inhaltlich weiterentwickeln wollen - und weil sie keine Denunzianten werden sollen.
Wir finden es falsch, sich ungezwungen und öffentlich von Steinwürfen zu distanzieren, wie es geschehen ist. Das hat uns ehrlicherweise geschockt und uns drängte sich die Frage auf, was erst passieren wird, wenn es einmal zu mehr als Steinwürfen kommen wird. Generelle Entschuldigungen für die Riots, diese zu charakterisieren mit Worten wie "menschenverachtend", "Krawall" und "Radau" sowie Aussagen wie "Der Protest ist uns entglitten" bzw. "aus dem Ruder gelaufen" oder "Wir [die IL] haben deutlich gesagt, dass die Autonomen dort [bei Block G8] nicht willkommen sind", sind nicht mit Überforderung zu rechtfertigen. Wer solches Polizeivokabular benutzt und solche ordnungspolitischen Statements abgibt, denkt in gewisser Weise auch so. Deshalb ist dies keine Frage der Überlastung, sondern eine zutiefst inhaltliche.
Nach den Ereignissen vom Samstag haben die Genossen von Block G8 und der IL viel Wert auf Friedfertigkeit gelegt und sich indirekt ("zieht euch nicht schwarz, sondern bunt an") oder direkt ("Wir wollen keine Schlägereien mit der Polizei") abgegrenzt. Wie schon beim Berliner MayDay 2007 wurden bestimmte Kreise, teils so bezeichnete "Chaoten" und "Krawallmacher", explizit ausgeladen. Die sollten doch bitte woanders hingehen. All diese praktizierten Politikformen haben auch einen Einfluss und sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen auf uns und unser politisches Handeln. Die Abgrenzungen und Distanzierungen werten wir als politischen Fehler. Das gilt auch für die nur im sehr kleinen Kreis abgesprochenen Gesprächsangebote an die Polizei und die daraufhin stattgefundenen Gespräche von einzelnen Vertretern (aus IL/Block G8 sowie dem Anmelder der Rostock-Laage-Kundgebungen) mit derselben. Das alles wäre einfach nicht nötig gewesen.
Wir brauchen eine Auseinandersetzung über Ordnungsvorstellungen, die seit Rostock im Raum stehen: Über die Aussagen, Menschen sortieren, ausladen, ausgrenzen und nicht mehr in den eigenen Reihen haben zu wollen, über die Versuche, Protest und Revolte in geregelte Bahnen zu kanalisieren. Auf der angedachten Konferenz, mit der sich die IL im Spätjahr präsentieren will, sollten wir nicht nur zu hören bekommen und darüber sprechen, wie toll alles war, sondern auch wie die Aktivist/innen der IL im Nachhinein zu ihrer Politik stehen und welche Schlüsse aus den Erfolgen und vor allem aus den Fehlern gezogen werden können. Insbesondere in diesem Punkt will ich mich einbringen und mitstreiten.

Anton

* Die Zwischenüberschriften sind Parolen, die auf der Demonstration am 2. Juni 2007 als Sprechchöre zu hören oder auf Transparenten und Flugblättern zu lesen waren.

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Gini Müller: theatrum posse in Heiligendamm: Rebel Clown Army, Superheroes and the Five-Finger Game

Translated by Gene Ray

In the way it was first mediated, the militant scenario that opened the theatrum posse in Heiligendamm in 2007 set into stone images of the enemy. However, over the week of actions, protest and resistance became more performatively subversive in the ways the posse put its own body into play. Even if the media coverage momentarily overshadowed the contents and other forms of protest, the "Five-Finger Posse Players" prevailed on the ground. With the successful blockade tactic, which didn't conform at all to the media hype following the demo in Rostock, the posse put into play its own poses of resistance, in acts of symbolic border crossing that go beyond the war of media images.

In Heiligendamm there was no overlooking the spectrum of carnivalesque, queer, and theatrical practices of resistance. To a greater degree than before, these practices interfered with police rituals of confrontation, but also with the movement's own rituals of struggle. In each of the three activist camps sited around Heiligendamm, up to 5000 people from diverse countries were gathered. Organized from below into "barrios" (neighborhoods) and assemblies of delegates and groups, they planned actions, did media work and formed brigades to clean up and help with the cooking, before pouring out together for demos and blockades. In the run-up, volunteers built the necessary infrastructure for a week of communal living, and donations financed the Peoples' Kitchen and the Port-o-potties. Large assemblies mainly took place in circus tents, and volunteer "Rabbits" quickly took care of organizing, mediation, and other camp needs. The diversity of the alter-globalization movement and its concerns was fully visible in the camps: Attac activists pitched their tents here, next to those of autonomists, union members, leftist party members, anti-racist and anti-sexist groupings, and migrants - in addition to the "hedonists,"[1] who immediately on their arrival occupied a large area of a camp and provided cool sounds during and after the activism. In their manifestos, they called the attention of the theatrum posse to the right to combine politics and fun. Out of a barrio calling itself "Queers against G8"[2] came formations of "pink" activists, samba bands and clowns. There, as well as in the "Women, Lesbian, Transgender Barrio," interventionist forms of performance were rehearsed. In the camps themselves an offensive was launched to discuss gender themes and come to grips with sexist behavior. In addition to the camps, various "Another World Is Possible" action groups organized themselves in schools and areas provided by the city of Rostock. NGOs like Greenpeace and Doctors Without Borders had installed themselves on boats in the harbor, where the concert and party-boat Stubnitz was also welcoming activists on board. Activists from Greenpeace attempted to breach the security zone with boats and a hot air balloon, resulting in a spectacular chase on sea and air. For their "Art Goes to Heiligendamm" project, some artists and activists made an installation at a site on the harbor; the so-called "Silver Pearl" accommodated lots of creative and political people who set up places for discussion, performative practices and media work,[3] but thereby produced an odd distance from the grassroots activists. Presentations and discussions by activists and artists alternated with performances and film screenings. On the Internet, one could follow the events and exchanges, or watch the locally-produced "kein.tv"[4]. Media and also a few theatrical actions emerged there and linked up with other protest forms.
Especially during the blockade days, the revelry and temporary autonomous zones in the vicinity of the fence proved to be bases for concerted sallies into the prohibited zone and for symbolic blockades of all the roads leading into the Summit. On the day that the international politicians and all their entourages arrived, thousands of activists in groups and formations streamed out of the camps, all heading for the security fence from different directions. The posse players swarmed over fields and meadows, came together in front of the police blockades, then opened themselves into "five fingers" and overcame the police barriers. In this way, all the roads and the railway into Heiligendamm (called "Molli") were temporarily blocked off and a symbolic victory scored in the game of borders. Sunny images of colorful people, some with umbrellas, in fields of poppy, in the background an attack by water-cannons and martial, anonymous robocops. The mass of protagonists joyfully subverted the power of the state through the power of performativity and images. Militant groups of "fun guerrillas" set the tone at the blockades and many of the demos. The hedonists, the Überflüssigen (the Unneeded Ones), the "naked bloc" and the Superheroes read out and distributed political manifestos during the demo march, contributed orgiastic music, or gave away superhero costumes. In the lead up to the action days, the Rebel Clown Army recruited up to 500 clowns who used all the tricks of the circus to make the police and activists crack up in laughter. Against the ban on masking, they brought their clown grimaces, with wigs, red noses, and lots of make-up. When ranks of police and warlike attack troops showed up with riot sticks and tear gas, a few clowns with water-pistols and confetti courageously ran up to the potential attackers and performed dilettantish skits or posed among them for nice press photos. They were much beloved by the activists and the media alike, for their carnivalesque excess not only ironically exposed state power, but in certain moments opened up spaces for experiencing different forms of action. In the long run, this didn't please the police at all, because the easygoing border crossing and laughable militancy of the clowns in police areas subverted their closed "power bloc": the message was put out that members of the Rebel Clown Army had sprayed cops with "an unknown chemical liquid." Eight cops supposedly had to be treated in hospital. The accusation was subsequently taken up and disseminated widely in the media. Despite the absurdity and flimsiness of the message, the police never corrected or retracted it. Soap suds sprayed from colorful water-pistols: this was what the police rated so dangerous that many rebellious clowns were repeatedly arrested and attacked. Nevertheless, the Rebel Clown Army was not the loser in this scenario. In any case, its "jester position," which was occupied above all by the Pink bloc in Genoa in 2001 and Prague in 2000, disrupted macho battle posturing and enacted a still offensive and normatively effective mode of confrontation inside the border zone. Still, the clowns were able to overcome only small symbolic borders and prohibitions. It's true that the strategy of the carnival-makers in Heiligendamm did not dissolve the high-security fence. However, the encouraging images of militant clowns remain as a users' guide for self-empowerment.

[1] http://hedonist-international.org
[2] http://queersagainstg8.blogspot.com
[3] http://www.art-goes-heiligendamm.net/de
[4] http://kein.tv

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Tornadoflüge: Polizei ordnete Einsätze zu G-8 eigenmächtig an

Selbst der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), habe nach eigenen Angaben nichts von den zusätzlichen Flügen gewusst, berichtete die "Bild am Sonntag". In einer schriftlichen Stellungnahme seines Ministeriums hieß es demnach: "Grundsätzlich war der beauftragte Polizeiführer für alle polizeilichen und einsatztaktischen Maßnahmen im Einsatz verantwortlich." Das Innenministerium sei "über die zusätzlichen notwendigen Aufklärungsmissionen sowie über die Aufklärungsräume und Strecken vorab nicht informiert" gewesen.

Tornado "Aufklärung" über Reddelich
Zuvor hatte bereits das Bundesverteidigungsministerium mitgeteilt, dass Minister Franz Josef Jung (CDU) die fünf zusätzlichen Missionen des Tornado-Geschwaders nicht genehmigt habe. Im Bundestag löste der Fall laut "BamS" neue Empörung aus. "Die Vorgänge sind bedenklich. Weder Jung noch Caffier geben hier ein gutes Bild ab", sagte demnach der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz.
Der Grünen-Abgeordnete Alexander Bonde kritisierte gegenüber der Zeitung: "Unglaublich, dass so etwas jenseits aller Befehlsstränge passieren kann. Beide Minister haben versagt, weil sie ihren Laden nicht im Griff haben." Die Tornado-Einsätze waren unter anderem wegen der hohen Kosten auf Kritik gestoßen.

[http://www.focus.de/politik/deutschland/tornadofluege_aid_67354.html]

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G8: Bundeswehr übernimmt ziviles Krankenhaus

Vom 30.Mai bis zum 10.Juni 2007 kam es anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm im Krankenhaus Bad Doberan in Hohenfelde zur ersten zivilmilitärischen Zusammenarbeit der Bundeswehr mit einem zivilen Krankenhaus in ihrer Geschichte. Der offizielle Startschuss dazu fiel am 30.Mai mit einem Fahnenappell auf dem Hubschrauberlandeplatz am Krankenhaus, der mit den militärischen UND den zivilen MitarbeiterInnen abgehalten wurde. Die Zusammenarbeit erstreckte sich von der Patientenversorgung bis hin zu den Küchenarbeiten.

Mit dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit sollte den "möglichen erhöhten Anforderungen während des G8-Gipfels" entsprochen werden. Dabei hatte die Bundeswehr zum gleichen Zeitpunkt ganz in der Nähe des Krankenhauses ein Feldlazarett, das Mobile Einsatzzentrum Sanität (MES), errichtet, das bereits über die Kapazitäten eines Kreiskrankenhauses verfügt haben soll.
Die Gewerkschaft Gesundheitsberufe Hannover (GGB) wurde über die skandalösen Vorgänge, die sich im Krankenhaus im Zusammenhang mit dieser Übernahme durch die Bundeswehr ereigneten, informiert. Sie wandte sich deshalb am 14.Juni mit einem Schreiben an die Krankenhausleitung. Diese hielt es bis heute nicht für nötig, dazu Stellung zu beziehen. Wir dokumentieren an dieser Stelle unser Schreiben.

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Gewerkschaft Gesundheitsberufe (GGB)
c/o Freie Arbeiter- und Arbeiterinnen Union (FAU)
Kornstrasse 28-30
D- 30167 Hannover
E-mail: ggb-hannover(at)fau.org

Krankenhaus Bad Doberan GmbH
Postfach 1128
18201 Bad Doberan
Hannover, 14.06.2007

Zivilmilitärische Zusammenarbeit mit der Bundeswehr im Krankenhaus Bad Doberan

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie wir von Mitgliedern unserer Gewerkschaft in Ihrem Krankenhaus erfahren haben, kam es in Ihrer Einrichtung anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm zur ersten zivilmilitärischen Zusammenarbeit der Bundeswehr mit einem zivilen Krankenhaus.
Die Bundeswehr hatte zum gleichen Zeitpunkt ganz in der Nähe Ihres Krankenhauses ein Feldlazarett, das Mobile Einsatzzentrum Sanität (MES), errichtet, das nach unseren Informationen bereits über die Kapazitäten eines Kreiskrankenhauses verfügt haben soll. Daraus ergeben sich für uns mehrere Fragen:
- Auf welcher Rechtsgrundlage fand die Zusammenarbeit zwischen Krankenhausverwaltung und Bundeswehr statt?
- Auf wessen Initiative hin fand diese Zusammenarbeit statt?
- Wer hatte in der Zeit der Zusammenarbeit das Hausrecht im Krankenhaus inne und auf welcher Rechtsgrundlage wurde dieses ausgeübt?
- Welche Stellung nimmt die Krankenhausverwaltung zur Anwesenheit bewaffneter Feldjäger in ihrer Einrichtung?
- Welche Stellung nimmt die Krankenhausverwaltung dazu, dass Patienten und Besucher sich lediglich in Begleitung bewaffneter Feldjäger im Krankenhaus bewegen konnten?
- Welche Stellung nimmt die Krankenhausverwaltung dazu, dass zwar Patienten und Begleiter, die den Gipfelgegnern zuzurechnen gewesen sind, von bewaffneten Feldjägern begleitet wurden, hingegen sich behandeln lassende Polizisten und deren Begleitung frei im Krankenhaus bewegen konnten?
- Welche Stellung nimmt die Krankenhausverwaltung dazu, dass Patienten bei Toilettenbesuchen von den begleitenden Feldjägern teilweise dazu aufgefordert wurden, die Toilettentüren nicht zu verschließen?
- Welche Stellung nimmt die Krankenhausverwaltung dazu, dass Polizeiangehörige in Kampfmontur teilweise völlig ungehinderten Zugang zu den Krankenzimmern verletzter Demonstrationsteilnehmer hatten?
- Welche Maßnahmen gedenkt die Klinikleitung zur psychologischen Nachbehandlung von Krankenhaus-Mitarbeiter/innen zu ergreifen, die durch die Anwesenheit und das Auftreten bewaffneter Militärs und von Polizeiangehörigen in Kampfmontur auf ihrem Arbeitsplatz traumatisiert wurden?

Wir möchten Sie hiermit bitten, Stellung zu den von uns gestellten Fragen zu beziehen. Im Voraus vielen Dank!

Mit gewerkschaftlichen Grüßen,
Frank Matz

Gewerkschaftssekretär
Gewerkschaft Gesundheitsberufe (GGB)

[http://www.fau.org/artikel/art_070722-111255]

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ND: G8-Kritiker geben sich nicht geschlagen

Sechs Jahre nach den Polizeiübergriffen in Genua werden immer neue Fakten bekannt

Von Cyrus Salimi-Asl, Neapel
Vor sechs Jahren wurde der 23 Jahre alte Globalisierungsgegner Carlo Giuliani in Genua von einem Polizisten erschossen. Nach wie vor gibt es keine umfassende Aufklärung der Vorgänge während des G8-Gipfels und der Verantwortlichkeiten.
Es war der 20. Juli 2001, der G8-Gipfel in Genua beriet unter dem Vorsitz des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Der Todesschütze Marco Placanica, Carabiniere und ebenfalls jung, behauptete, in Notwehr gehandelt zu haben, als er die Schüsse auf Carlo Giuliani abgab. Wie in jedem Jahr treffen sich auch in diesen Tagen Globalisierungsgegner und Aktivisten aus ganz Italien in Genua, um der Ermordung Giulianis zu gedenken und Aufklärung der Ereignisse zu fordern.

Noch immer sind viele Vorgänge um den blutigen G8-Gipfel 2001 ungeklärt; noch immer waschen Verantwortliche aus Polizeiapparat und Politik ihre Hände in Unschuld, noch immer laufen Prozesse, in denen die im Polizeigewahrsam misshandelten Aktivisten auf Gerechtigkeit hoffen. In den vergangenen Tagen sind Tatsachen bekannt geworden, die ein bedrückendes Bild der damaligen Situation zeichnen. Die illegale Stürmung der Schule "Diaz" am 21. Juli - dort befand sich damals das Pressezentrum des Genueser Sozialforums - war einer der brutalsten Übergriffe der Polizei auf die demonstrierenden Globalisierungsgegner, orchestriert mit falschen Beweisen und Manipulationen. In Aufzeichnungen des Polizeifunks zwischen den Beamten am Ort und dem Polizeipräsidium sprechen die Polizisten von "Zecken" und meinen damit die Demonstranten; eine Polizistin kommentierte den Tod Giulianis so: "Hoffen wir, dass alle sterben ... eins zu null für uns!"
Beim Polizeiüberfall auf die "Diaz"-Schule wurden die dort nächtigenden Demonstranten mit Gummiknüppeln verprügelt, 93 verhaftet, darunter 66 Ausländer. Die Polizisten konstruierten falsche Beweise, brachten zwei Molotow-Cocktails in die Schule, ein Beamter fingierte einen Messerstich, den ihm angeblich einer der Demonstranten beigebracht habe. Laut Verhörprotokollen der festgenommenen Aktivisten hatte niemand von ihnen Angst, wollte niemand mit einem Anwalt oder der Botschaft seines Herkunftslandes sprechen.
Diese "Tatsachen" sind nun von der ermittelnden Staatsanwaltschaft Genua widerlegt worden. Die Verhörprotokolle waren vorab von den Polizisten ausgefüllt worden, um den Kontakt zwischen den gefangengenommenen Demonstranten und der Außenwelt zu unterbinden - das hat ein Schriftgutachten ergeben. Die Verantwortlichen sind nun der Dokumentenfälschung verdächtig.
Einer der damals verantwortlichen Polizeibeamten, Michelangelo Fournier, heute Vizepolizeipräsident in Rom, hatte bereits im Juni vor Gericht einen erschreckenden Augenzeugenbericht der Vorgänge in der Schule "Diaz" abgegeben, der für sich spricht: "Es war ein blinder Einsatz, und das, was ich gesehen habe, erschien wie ein Gemetzel. Ich habe Polizisten gesehen, die wehrlose Demonstranten verprügelt haben." Ein Polizist habe einem Gefangenen die Finger einer Hand mit Gewalt so weit auseinandergebogen, dass die Haut aufriss.
Die Staatsanwaltschaft Genua ermittelt auch gegen den damaligen Polizeipräsidenten Gianni De Gennaro. Er soll den seinerzeitigen Polizeichef von Genua, Francesco Colucci, angestachelt haben, vor Gericht eine Falschaussage zu machen. Die Polizei hatte im Frühjahr dieses Jahres für rund einen Monat die Telefongespräche Coluccis abgehört, und die Staatsanwaltschaft konfrontierte De Gennaro kürzlich mit den kompromittierenden Aufzeichnungen. In den Gesprächen ist von Ratschlägen De Gennaros die Rede, wie sich Colucci vor Gericht verhalten solle.
Bereits Anfang Mai war Colucci wegen des Überfalls auf die Schule "Diaz" verhört worden. Dabei änderte er seine vorherigen Aussagen zu diesem Einsatz. Hatte er zuvor noch ausgesagt, dass der Befehl zum Einsatz direkt von De Gennaro kam, nahm er nun alles auf die eigene Kappe: "Es war allein meine Initiative." Der in der vergangenen Woche dazu angehörte De Gennaro wies alle Vorwürfe von sich und sagte, dass er Colucci niemals aufgefordert habe zu lügen. Damit war für ihn die Sache erledigt. De Gennaro ist heute Kabinettschef des italienischen Innenministers.

[http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=113225&IDC=2]