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2006-02-11

11.2.2006 Evian -- Genua

- Polizei mit einem Fuss im Gefängnis im Fall Aubonne

- G8, Numerus Clausus für die Opfer

- Unter der Dusche massakriert

- G8, weniger Zeugen im Gerichtssaal

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Polizei mit einem Fuss im Gefängnis im Fall Aubonne

Vom 13. bis 15. Februar werden drei Richter den Prozess gegen die beiden Polizeibeamten führen, die um ein Haar einen englischen Aktivisten und eine deutsche Aktivistin getötet hätten, als sie deren Kletterseil während der Proteste gegen den G8 in Evian, 2003, durchtrennten. Mehr als 25 Zeugen, eingeschlossen Führungskräfte der Polizeizentrale sowie Aktivisten von der Brücke werden während des Prozesses in Nyon befragt werden. Zentrale Frage wird sein, welche Befehle gegeben wurden und wer wann welche Informationen hatte. Das Urteil wird vorraussichtlich am Donnerstag oder Freitag verkündet.

Drei Jahre lang wurde starker öffentlicher und juristischer Druck ausgeübt, der Fall wurde im Parlament thematisiert, Einspruch beim höheren Gericht eingelegt und eine breit angelegte Kampagne verfolgt, um die Entscheidung des Untersuchungsrichters, den Fall zu archivieren, hinfällig zu machen und Repression zu thematisieren. In der Regel geniesst die Schweizer Polizei eine weitgehende Straflosigkeit in Fällen von Brutalität oder Inkompetenz. Es ist mehr als 20 Jahre her, dass sich Polizisten vor einem Gericht dieser Rangordnung verantworten mussten.

Einer der beiden Angeklagten ist der Polizeiobermeister Claude Poget aus dem Schweizer Kanton Waadt. Er war Einsatzleiter auf der Brücke und wird damit belastet die lebensgeführliche Situation auf der Brücke erzeugt zu haben indem entscheidende Sicherheitsvorkehrungen und -anweisungen missachtet wurden. Der andere Angeklagte ist Michael Deiss aus Schaffhausen, der Beamte, der das Seil durchschnitten hatte. Er war als Fahrer eingesetzt und im Umgang mit Demonstranten überhaupt nicht handlungsbefugt.

Beide sind angeklagt werden fahrlässiger schwerer Körperverletzung. Für einen der Kletterer, Martin Shaw, bedeutete dies gebrochene Rückenwirbel, Beckenbruch und einen Splitterbruch des linken Fusses. Er wird sich nie vollständig von seinen Verletzungen erholen und seine Arbeit als Elektriker wieder aufnehmen können. Die zweite Kletterin litt mehr als ein Jahr lang unter posttraumatischen Belastungsstörungen.
Beide sind Nebenkläger in diesem Verfahren.

Die Aktivisten und ihr Anwalt, Jean-Pierre Garbade, sind überzeugt davon, dass mehr als nur Fahrlässigkeit im Spiel war. "Wir werden vor Gericht zeigen, dass die Polizei wusste, dass KletterInnen unter der Brücke hingen, bevor Poget und Deiss am Einsatzort eintrafen", sagte der Anwalt.

"Sie hatten von Anfang an nur ein einziges Ziel - den G8-Konvoi durchzubringen, koste es, was es wolle. Der Einsatzleiter sagte klar und deutlich - es ist mir egal, ob sich die Kletterer den Hals brechen!", erinnerte sich eine Aktivistin der Aubonnebridge-Gruppe, die vor Gericht aussagen wird.

Jean-Pierre Garbade reichte eine Verschärfung der Anklage ein, die zum einen Köperverletzung mit "dol eventual", beinhaltet, das heisst, dass die Angeklagten das Risiko, die beiden Aktivisten zu töten, bewusst eingegangen sind. Zum anderen erhöht sie die Anklge auf Lebensgefährdung, begründet dadurch, dass die Polizei alle von den Aktivisten getroffene Sicherheitsvorkehrungen auf der Brücke zerstörten.

"Die Art und Weise, wie sich die Polizei auf der Brücke verhalten hat, spiegelt wider, wie sich der G8 verhält, wenn er seine neoliberale Politik durchdrückt - ohne jeglichen Respekt für Leben. Geld und Macht sind wichtiger als Mensch und Natur", sagte Martin Shaw.

Gesine Wenzel sagte, "Ihre systematische Repression ist eine logische Reaktion auf den wachsenden Widerstand gegen globalen Neoliberalismus. Wir haben die Vision einer Welt, in der Menschen frei und selbstorganisiert leben. Unsere Sehnsucht danach und unsere Solidarität geben uns die Kraft dafür zu kämpfen."

Fotos in hoher Auflösung und Video auf: www.aubonne.ch.vu

[Gruppe Aubonne Support - 9. Februar 2006]

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G8, Numerus Clausus für die Opfer
Anordnung des Gerichts: "Im Gerichtssaal nur noch neue Zeugenaussagen"

Der Vorsitzende der ersten Kammer: "Die Anwälte werden um Benennung der zu untersuchenden neuen Vorfälle gebeten".

Die Schaffung von Klarheit über Rollen und Verantwortlichkeiten der wegen Fälschungen angeklagten Polizisten und leitenden Beamten wird sich so aber schwieriger gestalten.

Mit einer gestern früh besiegelten, überraschenden Anordnung hat der Vorsitzende der ersten Strafkammer Gabrio Barone praktisch darum gebeten, es mit den Zeugenaussagen der 93 von der Polizei im Laufe der berühmt-berüchtigten Razzia in der Diaz Schule massakrierten No-Global kurz zu machen. "Der Vorsitzende bittet die betroffenen Parteien bis zur zum 15. 02. angesetzten Verhandlung die Geschädigten zu nennen, von denen sie die Zu den Aktennahme der Zeugenaussagen für unerlässlich halten, unter genauer Angabe, zu welchen neuen, anderen oder jedenfalls im Vergleich zu bereits gehörten Zeugen genaueren Umständen selbige zu untersuchen seien".

So lautet das Dokument, das auch die Richterinnen Annaleila Dello Preite und Fulvia Maggio mitgestalteten. Es scheint so, als wolle sich das Gericht nicht länger die Schilderung von Vorfällen anhören, die bereits von anderen Zeugen dargestellt und bestätigt wurden. Eine ungewöhnliche Entscheidung, bei der nicht klar ist, ob sie aus der Notwendigkeit entsteht, die Dauer oder die Kosten des Verfahrens zu reduzieren, die aber Gefahr läuft, das Verfahren zu entstellen. Warum? Weil jedes der 93 Opfer eine unterschiedliche Geschichte vorzutragen hat. Außerdem beschränken sich die Anklagepunkte gegen die Polizei nicht allein auf die Beihilfe zur Körperverletzung, im Gegenteil: es geht auch um die von denjenigen, die - zur Rechtfertigung des Gemetzels - beschlossen, glauben zu machen, dass sich in der Schule mit Molotows bewaffnete Black bloc aufhielten, die fest entschlossen gewesen seien, die Ordnungskräfte anzugreifen.

Wie wird es möglich sein, dass endgültige Klarheit über Rollen und Verantwortlichkeiten geschaffen wird, wenn nicht alle widerrechtlich massakrierte und verhaftete Personen gehört werden? Wegen den Ereignissen im Juli 2001 wurde schon zuvor beim Europäischen Gericht für die Menschenrechte wegen weniger spektakulären Vorfällen Berufung eingelegt. Wer wird diesen jungen ausländischen Menschen erklären, dass sie nach einer fünfjährigen Wartezeit selbst das Recht, die erlittene Gewalt zu bezeugen verloren haben? Positiv wurde die Anordnung hingegen von den Verteidigern der 29 Super-Polizisten und der Beamten im Mittleren und Einfachen Dienst aufgenommen, die im zweifellos unbequemsten Verfahren zum G8 unter Anklage stehen. Laut Marco Corini, aus der Verteidigerriege, "will das Gericht das Überflüssige eliminieren und sich auf neue Gegebeheiten konzentrieren. Die Anklage zielte auf das emotionale Potential, das von bestimmten Schilderungen ausgeht, es ist aber offensichtlich, dass das Manöver gerade scheitert. Wir sind bereit, uns an die Protokolle der Vernehmungen der Geschädigten zu halten, die Staatsanwälte spielen aber nicht mit: vielleicht weil jene alten Vernehmungsprotokolle Unbequemes enthalten. Der vorsitzende Richter könnte auch die Zeugenlisten kürzen".

Zum Glück wurden Zeugen wie jene, die gestern gehört wurden, noch nicht "gestrichen". Beginnend mit Laura J., die sich aus Angst vor der Ankunft der Polizisten in einem Gewächshaus, das in einem Garten hinter der Diaz-Schule stand versteckt hatte. "Sie haben uns gefunden und damit begonnen, mit ihren Schlagstöcken auf die Scheiben zu klopfen. Zuerst leicht, dann stark, dann wieder leicht. Rhytmisch, um uns Angst zu machen". Wie die Katze mit der Maus. "Dann haben sie die Scheiben eingeschlagen und es war beinahe eine Eleichterung, weil der Terror unerträglich geworden war. Sie haben angefangen, uns zu schlagen...". Aus den Verhaftungsprotokollen geht vielmehr hervor, dass Laura im Inneren der Schule dingfest gemach worden sei, genau so wie Jonas S., dem "papierne Unterlagen" beschlagnahmt wurden, auf deren Grundlage er als "prominenter Vertreter der als black bloc bezeichneten kriminellen Vereinigung" ausgewiesen wurde: "Jene Blätter waren die Übersetzung der Biografie Jesse Jacksons. Und Notizen die ich mir in den vorausgegangenen Tagen im Carlin-Stadion gemacht hatte, als ich den Tute Bianche zusah". Der Dritte Zeuge war Rafael P.: "Sie haben mich so mit den Schlagstöcken geschlagen, mich getreten und mir Fußtritte ins Gesicht versetzt, dass ich mir in die Hose geschissen habe". Einem haben sie mit einem Messer die Haare abgeschnitten, der Polizist hat eine Sträne in seine Tasche gesteckt. Sie haben mich auch in den Souterrains des Krankenhauses San Martino geschlagen: ich wurde gezwungen, Kniebeugen zu machen und geohrfeigt, die Kacheln waren voller Blut".

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Unter der Dusche massakriert

Il Mercantile
09.02.2006

Punk erzählt: sie haben mir einen Arm gebrochen, ich hatte ein Loch im Kopf und blutete.

"Sie hatten mir einen Arm gebrochen, ich hatte ein Loch im Kopf, Prellungen am ganzen Körper und ich blutete aus der Nase. Nach dem sie mich eingegipst hatten, haben sie mich unter eine Dusche gesteckt und mich geohrfeigt. Ich musste mein Blut, dass überall hin Spritzte von den Kacheln wegwischen, sonst hätten sie mich noch mehr geschlagen". So lautete das dramatische Zeugnis von R.P., einem jungen Mann aus Deutschland, der gestern Nachmittag im Verfahren wegen dem Einfall in die Diaz-Schule ausgesagt hat. Der ausgesprochen punkige junge Mann (mit einem gelben Irokesen, weswegen er zusätzliche Gewalt erlitten haben dürfte) war in der Schule von den Polizisten verletzt worden. Als man ihn ins Krankenhaus San Martino brachte, wurde er medizinisch versorgt. Er bekam einen Gips. Anschließend war er von den Beamten übernommen worden. Ob er gewusst habe, dass er verhaftet war, wollte Staatsanwalt Zucca von ihm wissen. "Nein, sie haben es mir nicht gesagt und ich war nicht in einer Verfassung, die es erlaubt hätte, dass ich sonderlich viel von dem, was vor sich ging, hätte begreifen können". Hinterher war P immer noch innerhalb des Krankenhauses San Martino in das, was er als einen Kellerverlies bezeichnete geführt worden. Dort wurde er jener gewalttätigen und erniedrigenden Behandlung unter der Dusche ausgesetzt. Geohrfeigt, wobei sein Blut in alle Richtungen spritzte.

"Als sie mich aus der Dusche gezogen haben, sagte mir ein Polizist, dass ich mit niemandem mehr reden dürfe. Ich bin an einem weiteren Polizisten vorbei gegangen, der mir guten Tag gesagt hat, worauf ich aus Furcht nicht antwortete, da man mich geheißen hatte, nicht zu sprechen. Der sagte aber wieder einmal guten Tag, so habe ich auch guten Tag gesagt. Da hat mich der Polizist, der hinter mir war erneut geschlagen, weil gesprochen hatte".

Das ist also eine von vielen Schilderungen von abgrundtiefer und radikaler Unmenschlichkeit, die aus den Erinnerungen der Zeugen hervorgehen, die der Staatsanwalt geladen hat.

Diesbezüglich hat das Gericht unter dem Vorsitz von Gabrio Barone eine Anordnung erlassen, durch die es praktisch dazu auffordert, die Zahl der vor Gericht zu vernehmenden Zeugen zu reduzieren und bis zum 15. Februar ausschließlich solche Geschädigte zu benennen, bei denen sie es "für unerlässlich halten, dass die Zeugenvernehmung zu den Akten genommen wird". Sofern die Parteien zustimmen würden, würde man für alle anderen die Verhörprotokolle aus den Vorermittlungen zu den Akten nehmen. Die Staatsanwälte Enrico Zucca und Francesco Cardona Albini, haben 224 Zeugen, von denen 70 Ausländer sind, aufgestellt. Für die Kasse des Justizministeriums würde die Reduzierung der Zahl der Zeugen auch ein geringeres Kostenrückerstattungsvolumen bedeuten, weil wenn ein Zeuge beispielsweise für eine Woche aus Deutschland anreist, weil etwa ein "Termin geplatzt ist" zweifellos seine Reise-und Hotelkosten bezahlt werden müssen. So wachsen die Kosten beträchtlich an.

Es ist jedoch nicht sicher, ob die Staatsanwälte oder die Nebenkläger den Forderungen des Gericht entsprechen werden, weil es im Rahmen eines internationalen Amtshilfeverfahrens erworbene Aussagen gibt, die zwingend Bestätigung benötigen. So, wie etwa im Fall der L.J. Die Übersetzung von ihrer Vernehmung ließ die Annahme zu, sie habe eingeräumt, in der Schule Black Bloc gesehen zu haben. Gestern erklärte die junge Frau, dass sie Leute mit schwarzen T-Shirts oder ähnlichem gesehen hat und dass nich gesagt ist, dass es sich um Black Bloc gehandelt habe.

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G8, weniger Zeugen im Gerichtssaal

Il Manifesto
09.02.2006

Gabrio Barone, der Vorsitzende des Gerichts vor dem das Diaz-Verfahren stattfindet, hat gestern eine Anordnung erlassen in der er dazu auffordert, vom 15. Februar an nur noch solche Zeugen vernehmen zu lassen, die über "neue, andere oder jedenfalls im Vergleich zu bereits gehörten Zeugen genaueren Umständen" zu berichten wissen. Das Gericht ordnet an, dass Schilderungen von gleichen Vorfällen, wegen denen die Zeugen als Nebenkläger angetreten sind nicht länger mehrfach wiederholt werden dürfen. Was heißen kann: "Bezüglich der Körperverletzung sind wir uns einig, mittlerweile scheint niemand mehr die Gewaltakte zu leugnen". Es könnte also sein, dass das Gericht bestimmte Elemente, die Teil des Verfahrens sind als bereits ausreichen festgestellt ansieht, allerdings unter Formulierung eines Zweifels bezüglich der Glaubwürdigkeit der Zeugen in Hinblick auf "Umstände, die nicht in striktem Zusammenhang mit dem beantragten Schadensersatz stehen", also in Hinblick auf die Vorwürfe der Fälschung und Falschbeschuldigung, die gegen die Polizeispitzen erhoben werden. Die Zeugen haben nämlich über zu den Schlägen, den Prügeltrachten ausgesagt, aber auch zu den 93 willkürlichen Verhaftungen, zu einer wahrlich nicht ordnungsgemäßen Durchsuchung (jene, die der Staatsanwalt Zucca ironisch als einen "anonymen amtlichen Vorgang" bezeichnet hat, weil keiner der Unterzeichner des Durchsuchungsberichts sagte, er habe den Ereignissen beigewohnt) und zur Verantwortlichkeit der "Chefs", weil sie die Gewaltakt nicht unterbunden haben. Auf diese Gefahr weist Supportolegale hin - ein Aktivistenteam, das die Entwicklungen in den Verfahren beobachtet - das die Möglichkeit unterstreicht, dass diese Anordnung letztlich dazu führen könnte, dass "das Verfahren nur noch als ein gewöhnliches Verfahren wegen einer Keilerei bewertet wird" und den "politischen Charakter" des Verfahrens [...? Hier fehlt im Original klar ein Teil des Satzes, d.Ü.]. Die Anordnung wurde von den Verteidigern der Polizisten optimistisch begrüßt, während die Anwälte der Nebenkläger eine schriftliche Eingabe zur Sache am 15. Februar einreichen werden.