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2006-08-04

4.8.2006 Heiligendamm

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- Kleiner Anti-G-8-Gipfel an der Ostsee

- Campen gegen den Kempinski-Gipfel

- G8-Gegner formieren sich

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Kleiner Anti-G-8-Gipfel an der Ostsee

Bis zu 500 G-8-KritikerInnen bereiten sich eine Woche lang auf den G-8-Gipfel vor, der 2007 in Deutschland stattfindet

BERLIN taz Das CampInski öffnet seine Pforten: In dem Do-it-yourself-Protestlager in Mecklenburg-Vorpommern beraten sich ab heute bis zu 500 GlobalisierungsgegnerInnen aus Deutschland und dem europäischen Ausland. Sie werden eine Woche lang in der Gemeinde Kirch Mulsow ihren Anti-G-8-Gipfel vorbereiten. Er soll im Juni 2007 das Treffen der Regierungschefs der acht größten Industrieländer begleiten, das im Ostseebad Heiligendamm stattfindet.

Während die Politiker dort im mondänen Hotelkomplex Kempinski absteigen, sind die GegnerInnen bescheidener. Selbstorganisation wird beim Vorbereitungstreffen groß geschrieben. Das gilt für den Bau von Duschen und Toiletten oder die Zubereitung des natürlich streng veganen Essens. Es gilt aber auch für das umfangreiche kulturelle und politische Programm, das im Internet zu finden ist. Die BewohnerInnen der Region und ihre Proteste sollen von Anfang an mit einbezogen werden. Am Sonnabend geht es um die Frage, wie sich der Widerstand gegen den Bombenabwurfplatz Bombodrom bei Wittstock mit dem G-8-Widerstand verbinden lässt. Am Montagnachmittag haben sich die GipfelgegnerInnen im nahen Bad Doberan zum Door Knocking verabredet. Bei dieser aus Großbritannien importierten Protestform klingeln die AktivistInnen an den Wohnungstüren und verteilen Informationsmaterial. Bisher sind unter den BewohnerInnen die Meinungen über den Gipfel durchaus gespalten, wie AktivistInnen bei einer Infoveranstaltung am Mittwochabend in Berlin berichteten. Eine Minderheit erhofft sich Arbeitsplätze durch das G-8-Treffen und reagiert auf die Proteste mit Unverständnis. Doch in Heiligendamm und Umgebung wehren sich Initiativen gegen die zunehmende Privatisierung öffentlicher Wege und Plätze. Sie sind den Anliegen der GipfelgegnerInnen aufgeschlossen.
Ein weiterer Campschwerpunkt ist der Kontakt mit Flüchtlingen, die teilweise fernab von den Städten untergebracht sind. Ein eigener Flüchtlings-Aktionstag soll im nächsten Jahr die Proteste gegen den Gipfel begleiten. Auch mit der Marineshow Hanse Sail, die vom 10. bis 13. August in Rostock stattfindet, wollen sich GipfelteilnehmerInnen kritisch befassen. Ziel ist es, eigene politische Akzente zu setzen und doch bei der Bevölkerung einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Schließlich will man ja im nächsten Jahr mit noch mehr Freunden wiederkommen. Für den Juni 2007 suchen die G-8-GegnerInnen in der Region Doberan noch einen Campingplatz für 15.000 Menschen.

Infos: www.camp06.dissentnetzwerk.org

[taz vom 4.8.2006, S. 8]

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Campen gegen den Kempinski-Gipfel
G-8-Gegner proben Protest gegen Spitzentreffen in Heiligendamm - Merkels Staatsgäste sollen nicht ungestört konferieren dürfen Von Jürgen Oeder +++ Berichtigte Fassung des KORR von 13.46 Uhr +++

Karlsruhe, 3. August (AFP) - Für die deutschen Globalisierungskritiker wird es ein Großereignis, ebenso wie für die Polizei. Denn wenn sich im Juni 2007 die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen (G-8) im traditionsreichen Kempinski Grand Hotel im Ostseebad Heiligendamm treffen, dann sollen die Gäste von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht ungestört konferieren dürfen. Bei mehreren Vorbereitungstreffen, darunter einem "Camp Inski" in der Nähe von Heiligendamm, proben die G-8-Gegner schon jetzt den Protest gegen den Gipfel. "Aktivisten aus ganz Europa stehen für dieses Ereignis in den Startlöchern", sagt ein Camp-Sprecher.

Wenn sich die Mächtigen der Welt zu ihren Gipfeln treffen, fürchten sie nichts mehr als medienwirksame Massenproteste und suchen deshalb immer abgelegenere Orte auf. Proteste sind wiederum sind aus der Sicht von Sozialaktivisten, Globalisierungskritikern sowie Friedens- und Ökologiebewegten nur dann erfolgreich, wenn sie möglichst bis in die Nähe der Staats- und Regierungschefs getragen werden. Wie das gelingen könnte, darüber wollen die Teilnehmer des "Camp Inski" ebenso beraten wie die Besucher der ebenfalls am Freitag beginnenden Attac-Sommerakademie in Karlsruhe, die sich vor allem die inhaltliche Vorbereitung des G-8-Gipfels vorgenommen hat.

Die von der Sommerakademie unabhängige zehntägige Camping-Veranstaltung in Steinhagen, einem Ortsteil von Kirch Mulsow in Mecklenburg-Vorpommern, wird von unterschiedlichsten Gruppen besucht. Das Spektrum reicht dabei von militanten Autonomen über das bundesweite Netzwerk interventionistische Linke und die PDS-Jugend bis hin zur deutschen Sektion des Netzwerkes Dissent. Dieses Netzwerk entstand 2003 in England, um nach eigenen Angaben den "radikalen Widerstand" gegen den G-8-Gipfel von 2005 im schottischen Hochland zu koordinieren. Übrigens mit Erfolg: Das luxuriöse Golfressort, war zwar rundherum durch eine Metallbarriere gesichert. Demonstranten gelangten allerdings dennoch bis in Sichtweite der Staats- und Regierungschefs.

Damit das in Heiligendamm möglichst auch gelingt, soll laut Camp-Sprecher Carl Kemper von den bis zu 1000 erwarteten Teilnehmern zufolge zunächst diskutiert werden, was an Aktionen möglich ist und welche Blockade-Konzepte am ehesten aufgehen könnten. Das reicht etwa von Störungen rund um das Hotel bis hin zur Blockade der Zufahrtswege vom Flughafen Rostock-Laage. Je nach politischer Heimat der Teilnehmer reichen die Protestformen vom friedlichen Hinsetzen und Wegtragenlassen über Anketten und womöglich darüber hinaus: Auch autonome Gruppen haben sich angesagt.

"Unser Konzept ist aber nicht auf Eskalation ausgerichtet", sagt Kemper und erhofft sich dies mit Blick auf den Gipfel 2001 in Genua auch von der Polizei. Während damals die Politiker auf schwer bewachten Luxusschiffen übernachteten, entwickelte sich eine zunächst friedliche Demonstration von rund 300.000 Globalisierungskritikern zur Straßenschlacht. Der Demonstrant Carlo Giuliani wurden von einem Militärpolizisten erschossen. "Solche Exzesse wollen wir nicht. Wenn in Heiligendamm von der Gegenseite aber Gewalt ausgeht, sind die Leute auch autonom genug, darauf selbst zu reagieren", sagt Kemper.

[afp vom 03.08.06 14:01:52]

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G8-Gegner formieren sich
Knapp 500 Teilnehmer aus verschiedenen Nationen werden ab Freitag bei einem Vorbereitungscamp der G8-Gegner in Steinhagen erwartet.

Steinhagen Bis zum 13. August wollen sich verschiedenste Gruppierungen zu Themen rund um die Globalisierung austauschen. "Wir hatten große Schwierigkeiten, einen geeigneten Ort zu finden", meint ein anonym bleiben wollender Sprecher namens Carl Camper. Das Stirnrunzeln über den eigenwilligen Namen erklärt Camper wie folgt: "Wir wollen die Aussagen nicht an einzelnen Leuten festmachen. Es geht um die Sache, wir treten mit einer Meinung auf", sagt Camper. In Rostock wollten die Organisatoren ihr Camp auf dem Gelände einer ehemaligen Poliklinik durchführen, dies aber klappte nicht. Angst vor gewaltbereiten Teilnehmern und unruhigen Zeiten. Ebenso holten sich die Organisatoren eine Abfuhr in Bad Doberan. In Steinhagen bei Kirch Mulsow würde man dann doch fündig. Auf einer Fläche am Ortsausgang soll nun debattiert werden.

In einer Pressemitteilung, die die Organisatoren vor wenigen Tagen auf der Internetseite www.camp06.dissentnetzwerk.org veröffentlicht haben, werden die Leser mit den Worten "Die Chaoten kommen" begrüßt. "Natürlich ist dies ironisch gemeint", sagt Camper. Wohl wissend, dass man sich mit dieser Art Eigenwerbung nicht unbedingt Freunde verschafft. Die Camp-Organisatoren hatten Ende letzter Woche die Bewohner der umliegenden Dörfer informiert, Bürgermeister und Amtsvorsteher Thomas Jenjahn bekam die Mitteilung erst am Sonntagmittag. Etwas unbedarft scheinen die Organisatoren an die Veranstaltung heranzugehen, denn bis die endgültige Genehmigung erteilt wird, müssen noch einige Auflagen in Bezug auf Brandschutz, Rettungswege und Wasserversorgung erfüllt werden. "Das Camp soll nicht verboten werden. Wir gehen davon aus, dass die Veranstaltung genehmigungsfähig ist", meinte Jenjahn nach einer Begehung zusammen mit anderen Verantwortlichen. Sollten die Auflagen allerdings nicht erfüllt werden, würde das Camp untersagt werden müssen. Ob die Teilnehmer eine Absage allerdings akzeptieren würden, bleibt fraglich.

Bei den Anwohnern in der Umgebung herrscht Skepsis. Marco Bruhn wohnt in Steinhagen. "Ich habe keine Angst vor Chaoten, die sollen lieber diskutieren", meint der 16-Jährige. Für den Fall, dass die Sache außer Kontrolle gerät, wüsste er ja, welche Nummer zu wählen sei. "Wichtig ist, dass keine Autos auf den Privatgrundstücken parken".

Komisch kommt dem Jungen das Ganze aber doch vor: "Ich habe den Eindruck, die suchen hier nur einen kostenlosen Campingplatz." Burkhard Köpnick (39) hat die Broschüre im Briefkasten gefunden, überflogen und gleich entsorgt. "Alles Quatsch, das Ganze interessiert mich eigentlich nicht. Die sollen sich ruhig da treffen, jeder soll seine Meinung sagen", meint der 39-Jährige, wirft aber die Frage auf, wer das Ganze am Ende bezahlen soll. Ein gutes Geschäft wittert Andreas Pöhlig. "Erste Kontakte mit zwei Leuten vom Camp gab es bereits, wir können den Umsatz ordentlich in die Höhe schrauben", sagt der Mitarbeiter der Kirch Mulsower Gaststätte "Storchenblick". Mit dem Ansinnen der potenziellen Kunden aber kann der 31-Jährige nicht viel anfangen. "Ich befürchte, dass die Gruppen, die nach Steinhagen kommen, andere, weniger friedliche Typen anziehen".

Ostseezeitung 3. August 2006