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2002-01-09

Pink Panic (auszug)

German text from the Interim which looks back on the Pink & Silver actions at the Bordercamp in Frankfurt 2001.

Wie hat sich das mit Pink & Silver (P & S) auf dem Camp abgespielt?

Schon vor Beginn des Carnps versuchten einige Leute, die Idee eines handlungsfähigen Zusarnmenhangs, der sich ungewohnter Elemente und einer anderen Herangehensweise bedient, für die Camp-Aktivistlnnen anzuregen. Anspom waren die Erfahrungen von einigen von uns in Prag mit dem spielerischen, aber durchaus auch konfrontativ agierenden P & S-Block. Es ging uns auch darum, von Anderen in Sachen Protestkultur zu lernen und unsere eigene Praxis zu reflektieren. In Frankfurt wurde die Idee dann schnell zum Selbstläufer und viel mehr Leute als erwartet beteiligten sich an der Gestaltung und den vorbereitenden Diskussionen. So konnte schon am Sonntag eine Gruppe von ca. 60 Menschen bei einer grossen Aktion am Abschiebeflughafen auftauchen. Dort sollte der Betrieb lahmgelegt werden, was auch einigermassen gelang - vor allem durch das Zusammenspiel verschiedenster dezentraler Aktionsformen. Die meisten von uns, die ja das erste Mal in P & S auf einer Aktion agierten, waren angetan von der Power und dem Spass im Block, sowie von der guten Resonanz der Umstehenden und anderen AktivistInnen. So lief in den folgenden Tagen die Planung gleich weiter für den Mittwoch, dem Tag, an dem in der Innenstadt phantasievolle, dezentrale Aktionen gegen Ausgrenzung, Überwachung und den alltäglichen Rasssismus laufen sollten. Noch mehr Leute kamen dazu, und so zogen wir mit 100 Leuten in P & S wild durch die Zeil (in weiten Teilen privatisierte bzw. überwachte Flaniermeile in Frankfurt) und diverse Kaufhäuser, in denen wir cheers riefen, Flyer verteilten und eine Performance zeigten. Wichtig war, dass wir sehr laut und schnell waren, uns auf der Strasse schnell und flexibel bewegten. Die Bullen versuchten mehrmals, uns festzusetzen bzw. nur kontrolliert laufen zu lassen, doch dem entgingen wir, indem wir deren Reihen "durchtauchten" und punktuell auflösten, anstatt mit Ketten dagegen zu halten. Wir riefen viele antirassistische Parolen in verschiedenen Sprachen, hatten Transparente und Flugblätter bzw. die Campzeitung und wirkten wohl eher sehr schräg und interessant als abstossend oder bedrohlich. Viele schauten freundlich, manche klatschten Beifall oder liefen mit uns. Einige Menschen mit migrantischem Hintergrund wirkten besonders angetan. Sogar die Kesselsituation am Ende haben wir noch für uns gewender, weil wir Aufmerksamkeit erregten und viel Spass und Power von "drinnen" rüberbrachten.

Meint ihr denn, dass es trotz eures ungewohnten Outfits möglich war, Inhalte zu transportieren?

Das Aufrnerksam-werden und Aufnehmen unserer Inhalte war sicher viel eher drin als bei konventionellen Demoformen. Der Kontext zum Grenzcamp war auch vielen durch die Medienberichte zuvor präsent. Natürlich wirken wir immer nur auf Menschen, die offen sind für solche Denkanstösse, das lässt sich nie verallgemeinern. Aber solche Anregungen kommen oft weniger durch ein paar Parolen oder Schlagwort-Texte zustande, welche eher auch nur ein Klischee von "Inhalts-Transport" erfüllen. Neue Sichtweisen und Diskurse werden auch zuerst durch eine Irritation einer bestehenden Ordnung angezettelt, etwa als viele Männer von uns anders gestylt waren und in Kleid/Röcken rumpuschelten und dadurch ihren Angriff auf die heterosexistische Kleider- und Benimmordnung vermittelten.Vielleicht hätten wir noch mehr Parolen zum rassistischen Alltag rufen oder konfrontativer auftreten sollen, um nicht so leicht konsumierbar zu sein oder Zustimmung zu ernten. Schliesslich tragen sehr viele den alltäglichen Rassismus aktiv mit bzw. sind in rassistische Strukturen verstrickt, auch wenn er als "Multikulti" daherkommt.
Für Samstag war dann ja ein "Knastbeben" am Internierungslager auf dem Flughafengelände geplant. Also ein viel konfronlativeres Konzept war nötig. Wie habt ihr diesen Sprung geschafft?

Das war gar nicht so einfach. Die beiden Aktionen zuvor erforderten weder einen klaren Blockaufbau noch Selbstschutzmassnahmen. So bedurfte es, mehr noch als zuvor, genauer Absprachen in den Bezugsguppen über eigene Grenzen und Fähigkeiten, verbindliche Kommunikationsstrukturen und Überlegungen bezüglich dessen, wie wir uns gut schützen könnten. Das widersprach zum Teil dem lockeren, spielerischen Agieren zuvor und der leichten Kleidung in kurzen/auffälligen Klamotten. Dann wollten wir auch im Zusammenhang mit den anderen Beteiligten planen und agieren. Dies alles bildete sich in langen Diskussionen unter uns und Abstimmungen mit der Gesamtplanung des Camps. Wir machten eine genaue Aufstellung der einzelnen Reihen/Bezugsgruppen auf der Übungswiese, planten den Tagesablauf und besprachen eventuelle Situationen. Also alles nicht sehr entspannend so kurz vor Samstag und mit nochmal mehr Menschen, die noch keine Übung hatten. Für uns Initiatorlnnen war besonders spannend, ob sich das zu Hause ausgedachte und nun erprobte Konzept, und vor allem mit den vielen Beteiligten, wirklich für eine Konfrontation am Flughafen hewähren würde. Schliesslich ist P & S ein sehr offenes, integratives Modell auf dem Camp gewesen und schloss viele mit ein, die sich auf so einer Aktionsebene sonst nicht derart organisieren. Das machte ein breites Spektrum an Erfahrungen, Ängsten, Erwartungen und Bezügen zu Grossgruppen aus. Durch das basisdemokratische Grundprinzip, die kleinen Bezugsgruppen, die gemeinsamen Erfahrungen der Woche, das entstandene Vertrauen und durch verschiedene Leute, die sich verbindlicher um die Einführung Neuer und die Organisierung kümmerten, war es möglich, diesen heterogenen Haufen von 250-300 Männern und Frauen (diese ausnahmsweise in der Mehrheit) auf einen Nenner, sprich in einen Block zu bringen. Dort hatten schlussendlich alle einigermassen den Platz, den sie sich zutrauten.

Nochmal ganz an den Anfang zurück. Woher hattet ihr diese Idee und auf welche Erfahrungen bezieht ihr euch?

Die Idee entstand aus unserem Bedürfnis, mindestens für die gross angelegte Abschlussaktion am Samstag eine Handlungsfähigkeit zu erlangen, die jenseits bekannter Stereotypen eines militanten dunkel gekleideten Blocks lag, der auch für die Gegenseite leicht erkennbar und handlebar ist, und oft vor allem aus eingefahrenen, männerdominierten Zusammenhängen besteht. Für viele gibt es eine gewisse Hemmschwelle, in Konfrontationen mit Bullen oder anderen Sicherheitskräften zu gehen, und das Bedürfnis, manche eingefahrene Bilder und Strukturen nicht (mehr) zu reproduzieren. Das ist bereits eine allseits bekannte, sehr alte Diskussion in der (militanten) Linken, die bisher nicht besonders produktiv an neuen Ufern angelangt war. Nun gab es für einige von uns Erfahrungen vor allem in Prag, aber auch in Genua mit P & S oder den kleineren Versuchen von radical cheerleading auf Demos in Berlin, z.B. am 1. Mai und bei der Residenzpflichtdemo. Konzeptionell gibt es die unterschiedlichsten Versatzstücke, aus denen sich die Idee P & S speist und weiter entwickeln kann. Genannt seien die radical cheerleading-Gruppen in Kanada, USA und Britannien, die mehr Pepp und Power in langweilige Latschdemos bringen wollen, reclaim the streets, cross-dressing und queer-Bewegung, die Tunten-Terror-Tour 1992/93, tute bianchi, Sambagruppen und Akrobatik auf Demos, Ansätze der Kommunikationsguerilla … Das heisst für uns vor allem, dass es nicht das Konzept von Pink & Silver gibt, sondern einen Pool von Erfahrungen und Elementen linker Praxis auf der Strasse, aus dem je nach Anlass und Ziel einer Aktion immer wieder neu zusammengesetzt und variiert werden kann. Die gewisse Starrheit und Eingefahrenheit anderer Aktionsformen könnte dadurch weiterentwickelt werden, ohne dass viele von uns auf bekannte Konzepte wie z.B. den "Schwarzen Block" verzichten wollen. Uns geht es eher darum, Selbstverständlichkeiten im Umgang zu hinterfragen und aufzubrechen, die schon lange viele von uns anstinken, und Alternativen zu praktizieren, die wir nicht nur für P & S, sondern viel breiter in unserer politischen Praxis verändern wollen. Unsere Erfahrungen in Prag und Frankfurt haben gezeigt, dass es auch anders gehen kann.

Das hört sich jetzt sehr abstrakt an. Welche Praxis meint ihr konkret?

Wir versuchen, möglichst basisdemokratisch zu agieren. Die Bezugsgruppen haben sich im Vorfeld und bei der Aktion, wenn der Raum gegeben war, rückgekoppelt und auf DelegiertInnentreffen koordiniert. Alle sollten das Vorgehen mittragen und gestalten können, ohne massiv über eigene Grenzen zu gehen und ohne EinzelkämpferInnentum. Grundlegend war das Motto, wie es in Genua formuliert worden ist: no machos, no heroes, no martyrs. Wir möchten nach aussen und innen ein wilderes und lebendigeres Bild abgeben, als eine Latschdemo an Langeweile und Unentschlossenheit, und es ein schwarzer Block an Dumpfheit, männlichem Grosskotz oder lediglich vorgespiegelter Entschlossenheit so manches Mal vermittelt. Den Schutz und die Sicherheit, die einheitliche, feste Kleidung bietet, wollen wir nicht aufgeben, jedoch variieren/kombinieren, wenn es möglich ist; teils, weil wir uns damit besser fühlen, teils, wegen der Ausstrahlungskraft nach innen und aussen, die wir als sehr positiv erlebt haben - auch wenn nicht wenige von uns mit einigen Skrupeln und Zweifeln in die pinken Klamotten und Overalls geschlüpft sind. Viele sahen sich in ihren Geschlechterrollen in neue Dimensionen geworfen, sei es durch die "weiblich" besetzte Farbe rosa, durch Kleider und Röcke oder geschlechtsneutrale Overalls, oder durch den Versuch, einen sensiblen, kollektiven Umgang miteinander zu praktizieren. Dass sich dies nach aussen vermittelt, ist ein wesentliches Element von P & S. Schliesslich sind patriarchale Dominanzen und Geschlechternormierungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, so auch unter uns, prägend und sollten von radikalen Linken dementsprechend ernsthafter als politisches Angriffsziel verstanden werden. Ausdruck davon war u.a. die höhere Präsenz von FrauenLesben im Block und in der Vorbereitung. Das weist auf einen weiteren essentiellen Punkt der Idee: die Offenheit und Integrationskraft war auf dem Camp wie auch in Prag enorm. Die Annäherung an die schon Aktiven, das Üben auf der Wiese und die Verständigung miteinander liefen mit einer Leichtigkeit, die ich selten erlebt habe in der autonomen Szene, die viele von aussen ja schon seit langem als sehr unoffen, abgeschottet und selbstbezogen erleben. Vielleicht auch dadurch entwickelte sich in den Aktionen eine ungeheure Power, die fast von selbst immer wieder aufkam und alle ansteckte. Schliesslich macht es total Spass, neue Formen und Parolen/Sprüche auszuprobieren. Ausserdem sind wir durch unsere Flexibilität und Ausdrucksform relativ uneinschätzbar für die Gegenseite. Das Feindbild stimmt nicht mehr, und das macht einiges möglich.

Ihr habt gerade schr viele Bereiche politischer Praxis angesprochen. Gab es denn auch eine Verständigung unter den AktivistInnen von P & S über den Sinn und Inhalt dieser Aktionsform bzw. über deren Perspektive und Machbarkeit ausserhalb solch eines Camps?

Ja, wir haben uns mitten in der Woche einen Abend Zeit genommen, um uns ganz ohne Aktionsdruck auszutauschen, was wir politisch und/oder emotional mit der P & S-Idee verbinden. Das war ein zum Teil sehr persönliches Gespräch mit ca. 60 Menschen, und wir stellten fest, dass es zwar sehr unterschiedliche Zugänge und Erfahrungen gibt, diese aber in recht ähnliche Bedürfnisse und Einschätzungen zur Umsetzbarkeit münden. Genannt waren vor allem: Vertrauen durch Absprachen, dadurch mehr Mut und Entschlossenheit, Thematisierung von Ängsten, Kleingruppenbezug, Spassfaktor, Rollen aufbrechen…
Wir redeten ausserdem über die Bedeutung der Farbe Pink im Kontext schwul-lesbischer Aktionsformen, da es auch eine Kritik einer Kolonialisierung eben dieser gab. Dem wurde von einigen entgegengehalten, dass wir mit P & S schlieslich auch Inhalte, nämlich das Hinterfragen und Aufbrechen von Geschlechternormierungen praktizieren würden, und es wurde davor gewarnt, den üblichen Fehler zu begehen, nur durch die Hetero-Brille zu gucken und damit einmal mehr Schwule / Lesben bzw. Queers -auch bei Pink & Silver - unsichtbar zu machen. Einige FrauenLesben sagten, dass P & S für sie eine gute Form sei, jenseits von Mackermilitanz in die Konfrontation zu gehen. Für viele Männer war hingegen eher die Lust an der Verkleidung, am Frivolen, am Cross-Dressing das tendenziell neue und hefreiende Moment. Der Reiz dürfte wohl gerade in der Kombination beider Elemente bestehen., und es ist sicher sehr wichtig, ob mensch eher männlich oder weiblich sozialisiert ist, und wie die individuelle Perspektive ist. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass es einige von vornherein fatal fanden, sich klischeehafte Zuschreibungen bzw. Assoziationsketten wie pink=CSD=puscheln oder Männer=mutig=militant anzueignen, da diese einfach ganz real nicht zutreffen.
Die P & S-Idee möchten wir aber nicht lediglich als ein neues, buntes Element unserer eingefahrenen Aktionskultur betrachtet wissen. Wir wollen damit, wie gesagt, verkrustete Strukturen in der Linken aufbrechen und verändern, und nicht ein lustiger Farbfleck auf der Palette ansonsten eingefahrenen Denken und Handelns sein. Dass die intensive Vorbereitung auf dem Camp als Aktionsort über eine Woche lang kaum übertragbar ist auf andere Orte, an denen wir Politik machen, war allen klar. Lust auf mehr und Vernetzung für grössere Mobilisierungen hatten viele. Wie das aussehen kann, wird sich zeigen.