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2009-10-19

Eine andere Welt war möglich

Zum (Still-)Stand der globalisierungskritischen Bewegung

Zehn Jahre nach Seattle herrscht auffällige Ruhe. Dabei hätte man erwarten können, dass die globalisierungskritische Bewegung im Jahr 2009 einen neuen Aufschwung erfährt. Zeigte der Neoliberalismus bislang erste Risse, brach ein Jahr nach Heiligendamm die wirklich existenzgefährdende Krise über den Neoliberalismus, ja den Kapitalismus herein. Der Widerstand gegen die Folgen der Krise hätte das verbindende Moment der anti-neoliberalen Bewegung sein können. Aber das Gegenteil war der Fall.
Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die letzten Jahre. Protest verliert sich aktuell in Abwehrkämpfen und Ratlosigkeit – nicht nur in Deutschland. Proteste gegen den G8-Gipfel in Italien fanden de facto nicht statt. Mobilisiert wird auch nicht zur ersten WTO-Ministerkonferenz seit 2005 in Genf im Herbst dieses Jahres – obwohl dort der Liberalisierungsmotor wieder angeworfen werden soll. In dieser Situation wagen wir einige Thesen und laden zur weiteren Diskussion ein.

Black Block

Uli Brand arbeitete im Juli 2001 in ak 452 drei Gemeinsamkeiten der Gipfelproteste heraus, die er als konstituierend für die Bewegung der Globalisierungskritik ansah: Erstens zielt der politische Anspruch über die Grenzen von Realpolitik hinaus. Zweitens liegt den Protesten ein Politikverständnis zu Grunde, das einen oder mehrere Gegner ausmacht, um Gegenmacht zu entwickeln. Was durchaus ambivalent ist, denn es wirkt in seiner vereinfachenden Form zwar mobilisierend und Protest bündelnd, aber verklebt auch Widersprüche und verdrängt notwendige Diskussionen. Drittens wurden von allen die Widersprüche des Neoliberalismus aufgegriffen und zum Gegenstand von Kritik und Protest gemacht. Alle drei Punkte werden im Zuge der gegenwärtigen Krise und der Transformation globaler Herrschaft prekär.

Die Gipfelproteste des letzten Jahrzehnts waren Bezugspunkt für eine neue Bewegung. Die nach dem Ende des Realsozialismus sich beschleunigende und vertiefende neoliberale Globalisierung lieferte die Voraussetzungen dafür. Der sich globalisierende Weltmarkt musste politisch organisiert, der Freihandel und die Liberalisierung durchgesetzt werden. Die internationalen Institutionen und Kooperationen wie IWF und Weltbank, die 1994 gegründete WTO und die G7/G8 bekamen weltpolitisch neues Gewicht. Politische Voraussetzungen, die einen Bezugspunkt für Protest boten – Protest, der eine globale Bewegung hervorbrachte.

Repräsentierter Konsens symbolisch brechen

Damit waren die Themen der neuen Bewegung gesetzt: Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung (Freihandel, Deregulierung und Privatisierung, Liberalisierung der Finanzmärkte) und Krieg. Diese Themen wurden aber aus recht unterschiedlicher Perspektive angegangen. Aus konkreter Betroffenheit (Freihandel, Privatisierung) ebenso wie vor dem Hintergrund konkreter Praxis vor Ort (Gewerkschaftspolitik, Kampf um öffentliche Güter, Kämpfe von MigratInnen) und von PolitaktivistInnen, die ihr antagonistisches Verhältnis zu den globalen Institutionen und deren Politik auf unterschiedlichen Feldern zum Ausdruck brachten (Umwelt, Migration etc.).

Das Gemeinsame war schwer zu fassen und recht allgemein. Erst die Medien verklammerten, was da auf die Straße ging: “Globalisierungsgegner” hießen sie zunächst in Deutschland, in Italien “people of Seattle” und später, wie in den USA, “no globals”. In Frankreich, dem Gründungsland von attac, “altermondialistes”, also die, die für eine andere Globalisierung einstehen. Erst später lieferten theoretische Köpfe einen politischen Begriff nach: die Multitude. Aber auch über dieses Konzept wurde gestritten, recht breit und wenn nicht unbedingt gemeinsam, so doch miteinander.

In Deutschland markierten die Proteste einen Aufbruch. Im Sommer 1998 wurde der Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft (ASWW) der BUKO gegründet. Ein politischer Zusammenhang, der lange für die außerparlamentarische Bewegung und die Debatte prägend war. Bezeichnend ist, dass diese Gruppe sich in Auflösung befindet. Aber auch damals entwickelte sich die Bewegung nicht aus sich selbst heraus. Wenige Monate vor der “Battle of Seattle” Ende 1999 war vom Beginn einer neuen Bewegung in Deutschland nichts zu spüren. Den G8-Gipfel im Juni 1999 in Köln würden viele AktivistInnen gerne aus dem Gedächtnis streichen.

Es ist nicht zu viel behauptet, dass die Proteste von Seattle und Genua einen Bewegungszyklus eröffneten. Die Gipfel waren wichtige gemeinsame Bezugspunkte existierender Kämpfe und politischer Akteure. Ein Kennzeichen der Bewegung war, dass sie eine Europäisierung und Internationalisierung des Protests organisierte. Die internationale Kooperation war eine Voraussetzung der Bewegung.

Hinzukamen die Möglichkeiten, die das Internet zu bieten hatte. Das Internet war zugleich ein Ausdruck der neuen organisatorischen Formen der Bewegung: netzförmig. Viel war von Vernetzung die Rede, und mit dem Europäischen Sozialforum (ESF) und dem Weltsozialforum (WSF) wurden neue Formen politischer Kommunikation und Bündnisarbeit erprobt, die auch in einigen deutschen Städten in Form von lokalen Sozialforen umgesetzt wurden. In der einen oder anderen Stadt sind diese Sozialforen inzwischen Teil der politischen Realität. Die zu Anfang an sie gestellten Erwartungen haben sie aber kaum erfüllt. Dem neoliberalen Durchmarsch unter Rot-Grün ab 1998 konnten sie keinen substanziellen Widerstand entgegensetzen.

Dass ein Bewegungszyklus auch ein Ende findet, ist nicht verwunderlich. Erstaunlich ist vielmehr, dass die Bewegung der “no globals” so lange anhielt. Zum einen wird zu diskutieren sein, warum das Ende der Bewegung mit der schwersten kapitalistischen Krise seit Jahrzehnten zusammenfällt. Zum anderen bleibt die Frage, weshalb die Bewegung just in dem Augenblick zu Ende ging, als der Protest eine verstärkt antikapitalistische Note bekam – wie sie in Heiligendamm zu spüren war. Dass die Bewegung nach dem Prinzip handelte, dass man dann aufhören soll, wenn es am schönsten ist, ist wohl kaum die Erklärung.
In Heiligendamm war es Common Sense unter den AktivistInnen, dass man sich zwei Jahre später in Italien wieder treffen würde. Die Verlegung des G8-Gipfels auf eine Insel im Mittelmeer wurde als Teilsieg verbucht, und man hatte sich zumindest vorgenommen, auch dieser Form des Umgangs mit dem Protest etwas entgegenzusetzen – und sei es mit dem Schlauchboot.

Die Gründe, warum aus all dem nichts wurde, liegen auch in Italien selbst. Die italienische Linke ist seit Jahren stark fragmentiert und so schwach wie seit Langem nicht mehr. Von ihr ging kein Sog aus – ganz im Gegensatz zu 2001. Entscheidender für den Niedergang der Protestbewegung – als Bewegung und nicht als Milieu – ist jedoch, wie die Herrschenden auf die globale Krise des Kapitalismus reagieren. Ironie der Geschichte: Angesichts des Beinahekollaps des globalen Finanzsystems griffen sie das globalisierungskritische Motto “Eine andere Welt ist möglich” notgedrungen selbst auf und transformierten es herrschaftsförmig. Die personelle Verkörperung dieses Prozesses ist Barack Obama. Es gab international koordinierten Erste-Hilfe-Maßnahmen, gleichzeitig wurde der politischen Klasse der “neoliberale Overstretch” bewusst. Der Neoliberalismus musste politisch eingehegt werden. Die im Rahmen von G8 und G20 geführte Debatte über neue Regeln für die globalen Finanzmärkte war und ist keine reine Augenwischerei, den politisch Verantwortlichen geht es um einen funktionsfähigen Kapitalismus.

Neue Herrschaftsprojekte und gemeinsame Erfahrungen

Für einen funktionierenden Kapitalismus muss ein neuer Konsens mit den Subalternen und Beherrschten organisiert werden. Die Gipfelproteste und die widerständige Praxis zwischen den Events des letzten Jahrzehnts waren Ausdruck davon, dass dieser Konsens brüchig geworden war. Auf globaler Ebene drückt sich die Einbindung politischer KritikerInnen in ein neues Herrschaftsprojekt z.B. in der Notwendigkeit aus, die Gruppe der Acht zu erweitern und die globale Herrschaft verstärkt als kooperative Herrschaft mit anderen Staaten zu organisieren. Aus der G8 wurde die G20. Auch weil die sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) mehr Mitsprache fordern. Gerade China und Brasilien können dies mit Nachdruck formulieren, da sie nicht im gleichen Maße wie die G8-Länder von den Folgen der Krise betroffen sind.

Das bedeutet noch lange nicht, dass die verschiedenen Staaten nun einfach an einem Strang ziehen. Das haben die G8 nie getan, und das werden die G20 auch nicht tun. Aber die Entwicklung zeigt, dass es für das kapitalistische Weltsystem notwendig geworden ist, mehr Staaten einzubinden. Werner Rätz resümierte das Ergebnis des G20 in London vom Frühjahr wie folgt: “Insgesamt kann der Teil der Beschlüsse des G20 … keinesfalls als Niederlage der einen oder Sieg der anderen Seite dargestellt werden. Vielmehr sind alle Interessen im Ergebnis in mehr oder minder starkem Maße erkennbar.” (ak 538) Für den Protest hat dies Folgen: Mit den G20 verflüssigt sich das einfache “Feindbild” G8.

Die Grenzen des Protests waren großen Teilen der Bewegung bewusst: Die symbolische Inszenierung kapitalistischer Herrschaft sollte symbolisch gestört werden. Nicht mehr und nicht weniger. Das Spannungsverhältnis zwischen dem sogenannten Gipfelhopping auf der einen und kontinuierlicher Arbeit vor Ort auf der anderen Seite wurde breit diskutiert – wenn auch ohne Ergebnis.
Gipfelprotesten und lokaler Praxis ist eines gemeinsam: Die Mobilisierung radikalen Protests gelingt vor allem dann, wenn der Widerstand einen einfachen und symbolischen Ausdruck findet und zugleich an subkulturelle Bewegungen anknüpft. So war es zum Beispiel in Hamburg bei den Protesten gegen die Räumung des Bauwagenplatzes Bambule und in Berlin bei den Demonstrationen gegen das neoliberale Stadtprojekt Mediaspree. Organisierte Formen für eine subversive und widerständige Praxis zu finden, die an den eigenen und den Lebensbedingungen anderer Milieus ansetzt, gelingt hingegen bisher nicht. Linksradikale Politik ist vorwiegend Freizeit(vergnügen), und manchmal nimmt man sich eben eine Woche Urlaub dafür, schließlich geht es nach Italien oder an den Ostseestrand. Die Politisierung des Alltags steht dagegen noch aus.

Wie wird es weiter gehen? Ein neues linkes Projekt, dessen Symbolwert an die Gipfelproteste heranreicht, existiert bisher nicht. Das verstärkt die Gefahr einer “passiven Revolution” (Gramsci), also die herrschaftsförmige Einbindung widerständiger und subalterner Kräfte. Diese Funktion könnte ein Green New Deal mit seinem symbolischen Repräsentanten Barack Obama bekommen. Hier laufen diejenigen Kräfte Gefahr eingebunden zu werden, die sich im anti-neoliberalen Konsens der globalisierungskritischen Bewegung wiederfanden, aber keine antikapitalistische Perspektive formulieren möchten. Große Teile der NGO-Szene, entwicklungspolitische Gruppen, aber auch Teile von attac hoffen nun darauf, das Kleingedruckte des neuen gesellschaftlichen Konsenses mitdiskutieren zu können.
Sicherlich wird es weiter nötig und möglich sein, den symbolisch inszenierten Konsens der Herrschenden zu stören. Sei es bei WTO-Verhandlungen, G8- oder G20-Treffen. Die Kritik an den internationalen Herrschaftsverhältnissen wird gleichwohl schwieriger werden. Mitten in der Krise, der gewissermaßen gewaltsamen Lösung der Widersprüche, geht ein fixierbarer Ort für Protest, wie der G8-Gipfel als ein “Knotenpunkt im Netzwerk der Hegemonie”, verloren.
Die Krise und ihre Folgen bilden die neuen gemeinsamen Erfahrungen, entlang derer sich in Zukunft der gegenhegemoniale Block global vernetzen wird. Dass wird nicht ohne Friktionen und Brüche, zum Teil innerhalb der Organisationen, vonstatten gehen, die den anti-neoliberalen Block des letzten Jahrzehnts gebildet haben. Denn in der linken Variante eines Green New Deal schein ein solches Projekt auch ehemalige BündnispartnerInnen aus der globalisierungskritischen Bewegung attraktiv. Angesichts der zu erwartenden verschärften Verteilungskämpfe steht die Arbeit an, Formen linker Politik zu finden, die Solidarität im Alltag organisieren können. Der zu erwartende verstärkte Ausschluss der “Überflüssigen” und neue sozialen Grenzziehungen der Mittelschichten nach unten werden dabei zu berücksichtigen sein. Wer BündnispartenerIn der Linken in einem solchen Projekt sein könnte, ist angesichts der oben beschriebenen Entwicklung offen.

Risse im neuen Putz aufsuchen

Andererseits wird es neue symbolische Protestereignisse brauchen, an denen die Widersprüche zum entstehenden neuen Herrschaftsprojekt sichtbar gemacht werden können. Die Suche nach den Punkten, an denen die Erfahrung der kapitalistischen Krise ihren Ausdruck findet, geht gerade erst los.

ak-Redaktion

Source: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 541 / 21.8.2009