Sechs Schlaglichter zu den Gipfelprotesten in Kopenhagen
Die Bilanz der klimapolitischen Proteste in Kopenhagen fällt notwendigerweise zwiespältig aus: Einerseits ist es anlässlich des UN-Klimagipfels zu völlig neuartigen Kooperationen und Bündnissen gekommen – nicht zuletzt zwischen südlichen und nördlichen Akteuren. Andererseits waren in politischer, zahlenmäßiger und aktionistischer Hinsicht gravierende Schwächen nicht zu übersehen. Beides ist zu berücksichtigen, allerdings sollten die Schwächen ins Zentrum einer ersten Bestandsaufnahme gerückt werden – auch als Voraussetzung dafür, die in Kopenhagen entfachte Bewegungsdynamik für „system change not climate change“ in Schwung halten zu können.
Schlaglicht I: Bei aller Stärke nach innen, in ihrer Außenwirkung waren die Proteste eher bescheiden: Zu keinem Zeitpunkt konnte in Kopenhagen eine wirklich wahrnehmbare, insbesondere die Perspektive südlicher Basisbewegungen artikulierende Gegenöffentlichkeit etabliert werden. So ist es zum Beispiel nicht gelungen, den heuchlerischen Irrwitz zu skandalisieren, wonach der CO2-Gesamtausstoß eines Landes und nicht der jeweilige CO2-Austoß pro Kopf als zentrale Rechengröße innerhalb der offiziellen Verhandlungen fungiert hat – mit der Konsequenz, dass China in nahezu sämtlichen Mainstream-Medien immer wieder als „größter Klimasünder“ an den Pranger gestellt wurde. Genausowenig haben es die Proteste geschafft, in einer breiteren Öffentlichkeit Debatten über die von bewegungspolitischer Seite favorisierten Lösungen anzuzetteln. Etwa darüber, was CO2-arme Formen der Verkehrsorganisation, der Herstellung von Nahrungsmitteln oder der Energiegewinnung bedeuten, was wir also konkret im Auge haben, wenn wir von der Notwendigkeit eines sofortigen Endes der kapitalistischen Überproduktion und -konsumtion sprechen.
Schlaglicht II: Jenes inhaltliche Scheitern muss in erster Linie als Ausdruck einer fehlgeschlagenen Mobilisierung betrachtet werden: War die Auftaktdemonstration mit 100.000 Menschen noch erfreulich gut besucht, sind in der anschließenden Aktionswoche gerade mal 3.000 AktivistInnen vor Ort gewesen – nebst ca. 2000 BesucherInnen des Gegengipfels („Klimaforum09“). Gewiss, Zahlen sind nicht alles, umgekehrt sollte aber auch nicht durch vorauseilenden Pragmatismus der Sinn für die sehr wohl mobilisierungsträchtige Ausgangslage vernebelt werden: Der Klimawandel ist kein Spartenthema, bereits jetzt sind viele Millionen Menschen von seinen Auswirkungen negativ betroffen; Kopenhagen ist per Bahn, Bus oder Auto gut erreichbar, insbesondere für AktivistInnen aus Nord- und Westeuropa; zudem stand seit Monaten fest, dass der Gipfel im Zentrum der (medialen) Weltöffentlichkeit stehen und somit eine geeignete Kulisse für entschlossene Klimaproteste abgeben würde. In diesem Sinne hätten in Kopenhagen mindestens 15.000 bis 20.000 Menschen durchgehend die Straße bevölkern sollen. Das hätte nicht nur dem Ernst der Lage besser entsprochen, es hätte auch die politische Temperatur rund um den offiziellen Gipfelzirkus spürbar steigen lassen.
Schlaglicht III: Die dürftige Kopenhagen-Mobilisierung ist keineswegs zufällig, sie ist vielmehr Ausdruck davon, dass sich große Teile der (west-)europäischen Linken bis heute den metropolitanen Luxus klimapolitischer Enthaltsamkeit gönnen. Die diesbezüglichen Hintergründe sind vielfältig, zweierlei sei angedeutet: Erstens die internationalistische Leerstelle, also der Umstand, dass es zwischen südlichen und nördlichen Basisbewegungen kaum gemeinsame Kampagnen und (Organisierungs-)Projekte gibt – was es für (west-)europäische AktivistInnen ungleich einfacher macht, die sozialen Folgen des Klimawandels immer wieder auszublenden. Zweitens das sowohl persönliche als auch politische Unbehagen darüber, dass „globale Klimagerechtigkeit“ zwangsläufig mit einer massiven Senkung des materiellen Lebensstandards in den reichen Industrieländern einhergehen wird. Insofern ist es auch kaum verwunderlich, dass die Kritik falscher bzw. marktbasierter Lösungen eine derart prominente Rolle in den Protesten gespielt hat. War sie doch – bei aller Berechtigung – so etwas wie ein kleinster gemeinsamer Nenner, auch für die AktivistInnen (und das dürften nicht wenige gewesen sein), welche sich noch nicht mit dem Gedanken angefreundet haben, dass rein rechnerisch jedem Menschen gerade mal 2 Tonnen C02-Ausstoß pro Jahr ‘zustehen’ und nicht 10-20 Tonnen, wie das im globalen Norden gemein üblich ist.
Schlaglicht IV: Gerade vor diesem Hintergrund war es politisch hochgradig bedeutsam, dass in Kopenhagen zahlreiche AktivistInnen südlicher Basisbewegungen mit von der Partie gewesen sind – ob auf dem Klimaforum09, bei den Demonstrationen (hervorgehoben sei insbesondere der landwirtschaftspolitische Aktionstag) oder bei „Reclaim Power“, der leider gescheiterten Besetzung des Konferenzgeländes – Stichwort: ziviler Ungehorsam. Denn hierdurch konnte die eben erwähnte internationalistische Leerstelle zumindest temporär geschlossen werden, ja viele dürften erstmalig eine Ahnung davon bekommen haben, worin sowohl die Herausforderung als auch die Chance transnationaler bzw. interkontinentaler Kooperationen besteht.
Schlachtlicht V: Etliche Aktionen in Kopenhagen waren allenfalls rudimentär vorbereitet, was selbstredend nicht denjenigen anzulasten ist, die überhaupt Verantwortung im Vorfeld übernommen haben. Ärgerlich war vielmehr der Umgang damit: Anstatt sich offen und ehrlich über die Situation zu verständigen (worin ja auch die Chance gelegen hätte, Nachbesserungen bzw. Last-Minute-Planungen vorzunehmen), wurden in etlichen Plena offenkundige Widersprüche bzw. Leerstellen beschwiegen, in Kleingruppen delegiert oder mit autosuggestivem Kampfgeheul weggeklatscht. Letzteres im Übrigen auch deshalb, weil einige ModeratorInnen ihre Rolle mit propagandistischem Infotainment verwechselt haben, in einem Falle sogar vermischt mit manipulativem, eigene Interessen ventilierendem Gestus. Prominentestes Beispiel dürfte Reclaim Power gewesen sein: Bereits 36 Stunden vor der Aktion hatte sich klar abgezeichnet, dass die Durchführung einer Vollversammlung der sozialen Bewegungen („People’s Assembly“) auf dem offiziellen Konferenzgelände nicht klappen würde – einerseits, weil wir zu wenige waren, andererseits, weil derartige Aktionen in taktischer und logistischer Hinsicht einer ungleich präziseren Vorbereitung bedürfen. Allein: Geschehen ist hiermit so gut wie nichts, es wurde noch nicht einmal eine prophylaktische Anmeldung der People’s Assembly in die Wege geleitet – für den ja nicht unwahrscheinlichen Fall, dass wir die Zäune nicht überwinden würden. Konsequenz war, dass Reclaim Power von der abermals hochgradig repressiv agierenden Polizei seiner öffentlichen Wirksamkeit weitgehend beraubt wurde. Denn auch wenn die People’s Assembly in rudimentärer Form stattgefunden hat, es sollte nicht aus dem Blick geraten, dass dies (da der Lautsprecherwagen konfisziert war) unter faktischer Nicht-Beteiligung der medialen Weltöffentlichkeit erfolgt ist.
Schlaglicht VI: Kopenhagen hat beides sichtbar werden lassen: Die relative Durchsetzungsschwäche linker Klimapolitik, inklusive des Umstands, dass CO2-Minderungsbestrebungen gegenüber den Imperativen globaler Standortkonkurrenz grundsätzlich das Nachsehen haben; aber auch ihr enormes Potential, vor allem wenn berücksichtigt wird, dass soziale Basisbewegungen aus dem Süden bei den Protesten logischerweise stark unterrepräsentiert waren. In diesem Sinne scheint nunmehr (mindestens) dreierlei auf der Tagesordnung zu stehen: Erstens eine Vertiefung lokaler, an der Durchsetzung konkreter Ziele orientierter Klima-Auseinandersetzungen; zweitens die Vernetzung klimapolitischer und anderer Kämpfe – insbesondere entlang der Süd-Nord-Achse; drittens eine Debatte darüber, ob und wie die nach Kopenhagen weiterlaufenden Verhandlungen zu einem Kyoto-Folgeabkommen durch entschlossene Proteste begleitet werden sollen – sei es beim Zwischentreffen der UmweltministerInnen in Bonn (Juni 2010) oder beim nächsten UN-Klimagipfel in Mexico-Stadt (Dezember 2010).
Olaf Bernau/NoLager Bremen
P.S. Die nahezu komplett gescheiterten Never trust a cop-Aktionen bei der Auftaktdemonstration sind im Rahmen der Gesamtproteste eher eine Marginalie geblieben, dennoch haben sie für zahlreiche deutschsprachige AktivistInnen eine durchaus wichtige Rolle gespielt. In diesem Sinne sei abschließend noch kurz darauf eingegangen:
Im Zusammenhang mit kritikwürdigen Aktionsabläufen darf auch die Auftaktdemonstration nicht unter den Tisch fallen. Diesbezüglich hatte ja das aus dem anarchistisch-autonomen Flügel der Kopenhagen-Mobilisierung hervorgegangene Netzwerk „Never trust a Cop“ dazu aufgerufen, nicht die gesamte Demostrecke mitzulaufen, sondern in der Innenstadt zu bleiben und dort die eine oder andere (militante) Duftnote zu hinterlassen. Ob politisch sinnvoll oder nicht, sei dahingestellt. Fakt ist allerdings, dass das Konzept hinten und vorne nicht aufgegangen ist. Zum Ausdruck ist dies unter anderem darin gekommen, dass gleich zu Beginn der Demo mehrere hundert never trust a cop-AktivistInnen in Ketten und mit beachtlichem Tempo durch das hintere Drittel der Demo gehastet sind, während zeitgleich Steine und Böller auf die Börse sowie herumstehende Cops geworfen wurden. Die Situation ist zwar denkbar harmlos verlaufen, hat sich aber dennoch für sämtliche Beteiligte als eine mehr oder weniger frustrierende Erfahrung erwiesen: Einerseits sahen sich Leute urplötzlich in eine Dynamik reingezogen, auf die sie weder mental noch ausrüstungsmäßig vorbereitet waren (und die sie sich politisch nicht ausgesucht hatten), andererseits ist dies innerhalb der Demo mit einer zum Teil feindselig anmutenden Stimmung gegenüber (mutmaßlichen) Never trust a cop-Gruppen einhergegangen. Die Auftaktdemonstration hat mit anderen Worten einmal mehr in Erinnerung gerufen, wie schwer es ist, unterschiedliche Aktionskonzepte so aufeinander abzustimmen, dass sie einen produktiven und von wechselseitigem Respekt geprägten Gesamteffekt erzeugen.
Eine gekürzte Version des Textes erscheint in der ak 546 (Januar 2010)
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