Home » militant reflection » militant reflection deutsch » Ueber Gipfelprotest  

 Recent

Watch also...



print
2007-05-28

Gesellschaftsanalytisch und utopisch zugleich:

Bericht über das Tagesseminar “Globale Soziale Rechte – Perspektiven
einer anderen Globalisierung” in Frankfurt/M. am 27. Februar 2007

Von Frank Winter, attac Basel

Vorbemerkung

Dieser Bericht ist in erster Linie für die attac-Gruppen in der Schweiz
geschrieben, weswegen ich an einigen Stellen Erläuterungen einfüge, die
für LeserInnen in Deutschland möglicherweise redundant sind. Dafür werde
ich am Ende in meinem eigenen Kommentar für die nordischen LeserInnen
kurz auf einige helvetische Spezifika eingehen. Auf dass dieser Bericht
zur transnationalen Verständigung und Inspiration der
globalisierungskritischen Bewegung beitrage!

Neue Bündnispolitik

Zu dem von etwa 130 TeilnehmerInnen besuchten Frankfurter Tagesseminar
im Vorfeld des G8-Gipfels lud eine bemerkenswerte politische Koalition.
(Einladungstext und flyer finden sich unter dem Portal:
www.linksnavigator.de)

VeranstalterInnen:

  • attac
  • medico international e.V. (setzt sich ein für Recht auf bestmöglichen
    Zugang zu Gesundheit für alle Menschen weltweit)
  • kein mensch ist illegal (deutschlandweites Netzwerk gegen Abschiebung
    und Ausgrenzung von Flüchtlingen, insbesondere Sans-Papiers)
  • FIAN (internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu
    ernähren)
  • Industriegewerkschaft Metall (IGM), Fachbereich
    Gesellschaftspolitik/Grundsatzfragen/Strategische Planung (die IGM hat
    zurzeit etwa 2,4 Millionen Mitglieder)
  • Friedens- und Zukunftswerkstatt (Frankfurter friedens- und
    sozialpolitische Gruppe)

UnterstützerInnen:

  • Brot für die Welt (grosse entwicklungspolitische Organisation der
    evangelischen Kirchen in Deutschland)
  • wfd. Weltfriedensdienst e.V. (Berliner entwicklungspolitische
    Organisation)
  • rlf Hessen (Rosa-Luxemburg-Forum Hessen, regionaler Partner der
    bundesweiten Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linkspartei.PDS nahesteht)
  • act:onaid international (entwicklungspolitische Organisation zur
    weltweiten Armutsbekämpfung)
  • Forum Umwelt und Entwicklung (Arbeitsplattform, zu der sich 35
    deutsche NGOs zusammengeschlossen haben)
  • INKOTA netzwerk e.V. (ökumenisches Netzwerk entwicklungspolitischer
    Basisgruppen, 1971 in der DDR gegründet)
  • Förderverein Pro Asyl e.V. (deutsche Menschenrechtsorganisation mit
    ca. 13.000 Mitgliedern, die politisch für Flüchtlinge und das Asylrecht
    kämpft und Flüchtlinge individuell berät und unterstützt)

Einführung

Thomas Seibert (medico international)

Das Anliegen, soziale Rechte zu globalisieren, eint, so Thomas Seibert –
bei allen sonstigen Unterschiedlichkeiten – sämtliche Veranstalter und
Unterstützer des Seminars. Ziel des Tages sei, Erfahrungen
auszutauschen, Kontakte herzustellen zwischen bisher unverbundenen
Themen und Akteuren und dabei Unterschiede und Widersprüche in den Blick
zu nehmen. Die Frankfurter Veranstaltung sei mit Blick auf die Demo und
den Alternativgipfel in Rostock konzipiert worden. Insbesondere solle es
bei dem Frankfurter Seminar ums Anfangen, ums Beginnen, ums genaue
Ausbuchstabieren gehen: Was sind Globale Soziale Rechte in spezifischen
Handlungsfeldern? Seibert vermutet, dass durch die verschiedenen
Einzelinteressen, die sich auf den jeweiligen politischen Feldern
artikulieren, hindurch Gemeinsames erscheine und entstehe: ein
alternatives weltgesellschaftliches Projekt.

Panel I: “Fome Zero” – und mehr als nur “Null Hunger”. Grundsicherung
als Globales Soziales Recht

Rolf Künnemann (FIAN international, Heidelberg)

Rolf Künnemann beschäftigt sich seit etwa zwanzig Jahren mit dem
Verhältnis von Globalen Sozialen Rechten zu Menschenrechten. Globale
Soziale Rechte seien Menschenrechte, genauer: ein Aneignungsprozess von
Menschenrechten. Seit dem 17. Jahrhundert, seit dem Beginn ihrer
historischen Genese, seien Menschenrechte immer auch soziale,
kulturelle und wirtschaftliche Rechte gewesen, nie nur
bürgerlich-politische. Künnemann betonte die Unteilbarkeit all dieser
verschiedenen Dimensionen der Menschenrechte. Seit Mitte der 1990er
werde diese umfassende Auffassung von Menschenrechten bei
entwicklungspolitischen Organisationen wiederentdeckt, man nenne diese
neue Ausrichtung: Menschenrechtsansatz.

Das Recht auf Nahrung sieht Künnemann als fundamentales Menschenrecht,
alle anderen Rechte fussten darauf. Dieses Recht auf Nahrung bedeute
allerdings mehr als den blossen Zugang zu Nahrungsmitteln, sondern
darüber hinaus auch den Zugang zu Ressourcen, wobei er vor allem Wasser
und entlohnte Arbeit nannte. Grundsätzlich seien Menschenrechte
international – als Messlatte für ihre tatsächliche prinzipielle
Geltungskraft machte Künnemann den individuellen Rechtsanspruch und da
mit die Einklagbarkeit aus.

Eine solche individuelle Einklagbarkeit müsse auch für das zu
erkämpfende Recht auf Grundeinkommen als Menschenrecht geschaffen
werden. Hierfür seien entsprechende ökonomische wie juristische
Gewährleistungssysteme der Gesellschaft zu errichten, so z.B.
Mindesteinkommensprogramme. Allein mit derartigen Programmen könne der
Hunger der Welt in wenigen Jahren beseitigt werden.

Clóvis Zimmermann (FIAN Brasilien, Universität Belo Horizonte)

Clóvis Zimmermann stellte sich bei seinem Beitrag die Frage, wie das,
was Rolf Künnemann konzeptuell-normativ entwickelt habe, praktisch
umzusetzen wäre? In Lateinamerika gebe es bislang nur wenig Verständnis
für soziale Rechte. Die jüngste Entwicklung sei aber durchaus
hoffnungsvoller, wie Zimmermann am Beispiel Brasiliens mit seinen 182
Millionen EinwohnerInnen zeigen zu können hoffe.

Seit dem Amtsantritt der Regierung Lula im Jahr 2003 habe sich im
sozialen Bereich einiges getan. Die Lula-Regierung habe sogleich ein
Programm namens “Bolsa Família” (übersetzt: Familienstipendium)
aufgelegt, das im Jahre 2006 über elf Millionen Familien erreicht habe.
Anstelle durch Wirtschaftswachstumsideologie, wie von der
Vorgängerregierung, würde nun durch Einkommenstransfer versucht, die
Armut zu bekämpfen. Ein solches Familienstipendium betrage 70
brasilianische Real (umgerechnet ca. 20 Euro) im Monat, ein vernünftiger
Warenkorb koste 150 Real/Monat, der Mindestlohn liege bei 350 Real. Das
“Bolsa Família” werde nach Bedürftigkeitsprüfung gewährt und sei an
Bedingungen geknüpft, so bestehe eine Verpflichtung zur Teilnahme an
Impfungen und ärztliche Untersuchungen sowie an Kursen im Falle von
Analphabetismus. Die Kinder müssten zur Schule geschickt werden.
Allerdings sei das Familienstipendium nicht beitragspflichtig, es gebe
keine Höchstdauer, bei Bedarf werde es das ganze Leben lang gewährt.
Erstmals in der Geschichte Brasiliens gebe es nun ein soziales
Sicherheitsnetz. Insgesamt seien im Staatshaushalt dieses Jahres 8
Milliarden Real, das entspreche 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts,
für diesen Sozialtransfer vorgesehen. Zimmermann stellte diesen
Haushaltsposten in den Kontext anderer staatlicher Ausgaben – so
schlügen im laufenden Staatsetat allein die Zinsen für die
Auslandsschulden zurzeit mit 160 Milliarden Real zu Buche.

Das vorrangige Ziel des “Bolsa Família”, die Ernährung der Armen zu
verbessern un den Hunger zu lindern, werde tatsächlich erreicht: die
absolute Armut sei deutlich gesunken. Nachdem die Zahl der absolut Armen
unter der vorigen neoliberalen Cardoso-Regierung über die Jahre von 1995
(33%) bis 2002 (34%) nahezu gleich hoch geblieben sei, sinke sie seit
und nicht zuletzt infolge der Einführung des Familienstipendiums
kontinuierlich auf zuletzt knapp 23% im Jahre 2005. Bei
Gegenüberstellung der neu entstandenen Jobs ergebe sich ein analoges
Bild. Unter Cardoso seien es derer im Zeitraum von 1995 bis 2002
jährlich unter 90.000 gewesen, in toto 700.000. Seit der Wahl Lulas,
also seit 2003, habe es mehr als eine Million neuer Jobs pro Jahr
gegeben, insgesamt sechs Millionen, davon zwei Drittel reguläre
Beschäftigungsverhältnisse und ein Drittel informelle. Zimmermann
erklärte das nicht zuletzt mit der Belebung der lokalen Wirtschaft durch
den Einkommenstransfer – so seien viele kleine Geschäfte zur Versorgung
der Bevölkerung in Gegenden entstanden, wo vorher durch die gravierende
Quartiersarmut keine ausreichende Kaufkraft für solche Läden vorhanden
gewesen sei.

Positiv am Familienstipendium bewertete Zimmermann, dass die Autonomie
der Einzelnen und der Familien der unteren Klassen gegenüber den immer
noch mächtigen Grossgrundbesitzern, gegenüber Betrieben und wohlhabenden
privaten Haushalten gestärkt werde. Trotz eines gesetzlichen Mindest
lohnes von 350 Real zahlten Grossgrundbesitzer häufig nur 90 Real pro
Monat; Hausmädchen erhielten für ihre Arbeit, die oft sieben Tage die
Woche morgens von 6 bis nachts um 24 Uhr dauere, mitunter gerade einmal
70 oder 80 Real. Das “Bolsa Família” erleichtere es ihnen, solche
Arbeitsverhältnisse aufzukündigen oder gar nicht erst einzugehen.
Kritisch, so Zimmermann, sei aber anzumerken, dass das “Bolsa Família”
an Bedingungen geknüpft sei und nicht bedingungslos gewährt werde. Das
Auswahlverfahren sei wenig transparent, es gebe keinen Rechtsanspruch
und damit keine Einklagbarkeit. Der Wert betrage gerade einmal die
Hälfte eines vernünftigen Warenkorbs. Allerdings sei politisch ein
Paradigmenwechsel auszumachen, im Jahre 2004 habe Lula ein Gesetz zum
bedingungslosen Grundeinkommen unterzeichnet. Bei diesem machte
Zimmermann das Problem aus, dass AusländerInnen mehr als fünf Jahre im
Land lebten müssten, um einen Anspruch geltend machen zu können.

Katja Maurer (medico international)

Katja Maurer sprach über Gesundheit als Globales Soziales Recht. Medico
international habe im Laufe ihrer Arbeit mit anderen vormals ebenfalls
klassischen entwicklungspolitischen Organisationen eine Alternative zu
traditioneller Hilfspolitik – Bereitstellung von Medikamenten und Ärzten entwickelt, weil man immer wieder festgestellt habe, dass damit nur
Symptome behandelt, aber keine Ursachen bekämpft würden. Heute sei
medico zugleich eine Hilfsorganisation und eine gesellschaftspolitisch
agierende Menschenrechtsorganisation, die dafür kämpfe, dass alle
Menschen in der ganzen Welt nachhaltig eine gute Gesundheitsversorgung
erhielten. Von diesem Ziel seien im Jahre 1978 auch die TeilnehmerInnen
der internationalen Konferenz nationaler Gesundheitsminister in Alma-Ata
(heute: Almaty; damals Hauptstadt der ehemaligen Sowjetrepublik
Kasachstan) eingenommen gewesen, die gemeinsam ein Konzept mit dem Titel
“Gesundheit für alle im Jahr 2000” verabschiedet hätten. Dieses
programmatische Konzept sei dann jedoch bald vergessen worden.
Allerdings werde es seit dem Jahr 2000 wiederbelebt vom People’s Health
Movement, das Gesundheit als Globales Soziales Recht einfordere – mit
Wirkungen bis in die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen
hinein. (World Health Organization, WHO, Sitz: Genf)

Die Forderung nach Gesundheit als Globales Soziales Recht verklammere,
so Maurer, drei grundlegende Ziele: erstens das nach Partizipation der
Bevölkerung an der Definition von Gesundheitsproblemen und an der Suche
nach Lösungswegen, zweitens das nach Entmonopolisierung des
medizinischen Wissens und drittens das nach Umstrukturierung des
Gesundheitswesen von der Spitze zur Basis. Als Beispiel für den
praktischen Erfolg eines solchen Gesundheitskonzepts nannte Maurer:
Bangladesh. Über Jahre habe dieses eigentlich arme Land seine
Arzneimittelproduktion in öffentlichen Fabriken betrieben und die Preise
staatlich stark reguliert – und alle BürgerInnen hätten sich alle
Arzneien problemlos leisten können. Bis die Weltbank interveniert und
die Preisregulation aufgehoben habe. Derartige Umsetzungen des Konzepts
“Gesundheit für alle” möchte medico beispielhaft weltweit fördern, denn
die privatwirtschaftlich organisierte Pharmaindustrie versage komplett
bei der Sicherstellung der Produktion lebensnotwendiger Medikamente.
Dies habe auch die Weltgesundheitsorganisation erkannt, die sich z.T.
für öffentliche Produktion und Preisregulation einsetze.

Panel II: Im Spannungsfeld von Standortlogik und transnationalem Handeln

Stefan Hölzer (Vertrauensmann der IG-Metall-Vertrauensleute im Werk
Braunschweig des Automobilkonzerns Volkswagen)
Kai Burmeister (Grundsatzkommission IG Metall)

In welche Widersprüche geraten konkrete betriebliche
Gewerkschaftsstrategien heutzutage mit globalpolitischen linken Zielen?
Dieses Problem fokussierten die Beiträge von Stefan Hölzer und Kai Bur
meister. Stefan Hölzer stellte die Situation in der europäischen
Automobilbranche dar, insbesondere bei Volkswagen (VW). Das grösste Werk
in Wolfsburg (Niedersachsen) habe aktuell 50.000 Beschäftigte; im Werk
Braunschweig (Niedersachsen) arbeiteten zurzeit 6.500, von denen 6.400
in der IG Metall organisiert seien. Insgesamt betrage der
gewerkschaftliche Organisationsgrad bei VW über 95 Prozent. Eine
Besonderheit des Volkswagenkonzerns ist das VW-Gesetz, in dem festgelegt
ist, dass kein Aktionär mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben
kann, egal wie gross sein Kapitalanteil am Unternehmen ist. Ebenfalls
ist in diesem Gesetz den Gewerkschaften und dem Bundesland Niedersachen
eine Mitsprache bei Standortverlagerungen und Standortschliessungen
eingeräumt.

Jüngst, so Hölzer, habe die IG Metall mit ihrem im VW-Gesetz
abgesicherten Einfluss die vollständige Schliessung des VW-Werks in
Brüssel verhindert. Allerdings gebe es von den ehemals 5.200 Stellen
heute nur noch 2.200. Mit den 3.000 Entlassenen seien Aufhebungsverträge
geschlossen worden oder sie seien in die Frühverrentung mit 50 gegangen.
Zu dem Arbeitsplatzabbau im Werk selber komme noch ein Folgeabbau: etwa
8.000 Arbeitsplätze seien bei Zulieferern des Brüsseler Werks verloren
gegangen und noch einmal 4.000 im weiteren Umfeld. Den Widerspruch,
durch den seine konkrete Gewerkschaftsarbeit im Betrieb geprägt sei,
umriss Hölzer wie folgt: Autofirmen produzierten in weltweiter
Konkurrenz – wenn die IG Metall die Arbeitsplätze in den existierenden
VW-Werken erhalten wolle, müsse sie froh sein, wenn VW international
konkurrenzfähig sei und viele Aufträge erhalte. Jeder Auftrag mehr z.B.
für VW Braunschweig bedeute aber, dass ein anderer Autobauer diesen
Auftrag nicht erhalte und damit die dortigen ArbeiterInnen keine Arbeit.
Zudem sei die internationale Konkurrenzfähigkeit nur durch beständige
Rationalisierungen zu erhalten. Im Werk Braunschweig habe die
Produktivitätssteigerung allein im vergangenen Jahr 15 Prozent betragen.
Auf diese Weise könnten beständig mehr Autos mit weniger ArbeiterInnen
hergestellt werden. Der absehbare umfangreiche Arbeitsplatzabbau in der
europäischen Autobranche mit ihren 10 bis 15 Millionen direkt oder
indirekt Beschäftigten könne, so Hölzer, nur durch massive und
kollektive Arbeitszeitverkürzung abgewendet werden.

Kai Burmeister wies darauf hin, dass 50 Prozent der Produktion in der
deutschen Metallbranche in den Export gehe. Die Hälfte der 3,4 Millionen
Arbeitsplätze dieses Wirtschaftssektors in Deutschland seien von diesem
Export abhängig. Für die letzten Jahre lasse sich feststellen, dass die
Gewinne aus der Produktion zusehends privatisiert und die Kosten der
Produktion zusehends sozialisiert würden (so durch Einfordern von
Subventionen der öffentlichen Hand für Betriebsgründungen oder zum Er
halt von Arbeitsplätzen). Drohungen von Unternehmensführungen, den
Standort zu verlagern, blieben meist Drohungen, beabsichtigt und erzielt
würden damit vor allem die Senkung von Standards. Deswegen sei es
wichtig, dass die Gewerkschaften ihre Kämpfe nicht nur betrieblich
führten, sondern gesellschaftspolitisch. Sie müssten sich hierfür
europäisieren und internationalisieren, und zwar in jedem Betrieb.
Schwierig dabei gestalte sich die Ausweitung eines Internationalismus
der Resolutionen auf die praktische Solidarität.

Die Diskussion nach diesen beiden Panelbeiträgen war kontrovers.
Kritisiert wurde, dass in den Panelbeiträgen mit keinem Wort die
ökologischen Probleme der Autos – insbesondere der CO²-Ausstoss –
angesprochen wurden. Werner Rätz von attac Deutschland plädierte dafür,
in der politischen Auseinandersetzung um die industrielle Produktion
die Fragen anders zu stellen. Erstens müsse geklärt werden, was wir
überhaupt produzieren möchten. Dann gehe es darum zu überlegen, unter
welchen Bedingungen wir produzieren wollten. Erst an dritter Stelle sei
dann zu klären, wer produzieren solle. Ein Vertreter von ver.di
(Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft, etwa 2,3 Millionen Mitglieder)
gab zu bedenken, ob Gewerkschaften nicht auch deshalb zusehends an Boden
verlören, weil von ihnen die Kopplung von Wohlstand an Lohnarbeit nicht
diskutiert und infragegestellt würde? (Die IG Metall z.B. hat heute
circa eine Million Mitglieder weniger als Anfang der 1990er.)

Panel III: Globale Bewegungsfreiheit: migrationspolitische Kernforderung
- sozialpolitische Herausforderung

Kirsten Huckenbeck (Redaktion Express, Zeitung für sozialistische
Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit)
Hagen Kopp (kein mensch ist illegal)

Valery Alzaga (SEIU, Service Employess International Union,
amerikanische Dienstleistungsgewerkschaft mit einem Frauenanteil von
über 50 Prozent und einem hohen Anteil migrantischer Beschäftigte)
Jonas Berhe (Kanak Attak, antirassistischer Zusammenschluss von Leuten
über national zugeschriebene Identitäten hinweg)
Agnes ______ (Vertreterin des Europäischen Verbandes der Wanderarbeiter,
2005 gegründet, zurzeit etwa 1.000 Mitglieder, erste europäische
Gewerkschaft mit transnationaler Direktmitgliedschaft)

Kirsten Huckenbeck betonte, dass Prekarisierung dem Kapitalismus und der
Lohnarbeit inhärent sei und deswegen immer wieder Thema und Problem
sozialer Bewegungen. So als allgemeinpolitisches Problem verstanden,
rückten die gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsbedingungen
in den Blick. Derzeit sei zu fragen, ob nicht die bisherige
Unterscheidung von Normalarbeitsverhältnissen und prekären
Arbeitsverhältnissen ins Rutschen gerate? Zu beobachten sei eine
Zunahme von Konkurrenz und eine Abnahme von lohnabhängiger
Interessensvertretung in allen Arbeitsbereichen. Zu fragen sei des
Weiteren, ob sich dieser Prozess durch die Öffnung von Grenzen für
Kapitel und Lohnabhängige verschärfe – wobei die Öffnung für letztere
restringierter als für das Kapital geschehe.

Gewerkschaften, so Huckenbeck, hätten sich sehr spät auf
migrationspolitisches Terrain begeben: in der Auseinandersetzung um die
Bolkestein-Richtlinie der EU. Zuvor sei ver.di bei den Verhandlungen um
die EU-Ost-Erweiterung rein national orientiert für lange
Übergangszeiten bei der Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts für
Lohnabhängige aus den neuen Mitgliedsländern eingetreten. Huckenbeck
machte die bislang avancierteste Gewerkschaftsposition auf dem Feld der
Migrationspolitik aus in der Forderung nach gleichen Rechten und
gleichem Lohn für gleiche Arbeit für alle.

Hagen Kopp sieht die Frage von Migration als eine internationale,
transnationale Frage: die Ertrinkenden im Mittelmeer, die schwimmend
oder in kleinen Booten nach Europa zu gelangen versuchten, führten das
mehr als deutlich vor Augen. Das politische Feld sei spannungsgeladen:
Verteidigung erkämpfter heimischer Standards versus ein Migrieren gegen
das weltweite Ausbeutungsgefälle, gegen den Zustand globaler Apartheid,
gegen ein immer rigider werdendes Grenzregime. Wie sei, fragt Kopp,
Kommunikation und Überbrückung dieser unterschiedlichen Interessen und
Erfahrungen möglich? Wichtig sei, diese Widersprüche und Spannungen
nicht kleinzureden, sondern auszutragen. Als zentral stufte er die
Forderung nach Bewegungsfreiheit ein, wie sie sich in den
Bleiberechtskämpfen artikuliere, die vor zehn Jahren ihren Ausgang in
Frankreich genommen und sich nun auf ganz Europa ausgeweitet hätten.

Valery Alzaga erklärte, nicht Migrierende, sondern Gewerkschaften seien
verantwortlich für Senkungen von Löhnen und anderen bisherigen
Standards. Unternehmer hätten dadurch Lohndumping betrieben, indem sie
die Differenz des bürgerrechtlichen Status mit Papieren/ohne Papiere als
Hebel genutzt hätten. Staatliche Migrationspolitik verfolge keine
komplette Abschottungsstrategie, sondern arbeite mit porösen Grenzen.
Ihre Gewerkschaft, die in den vergangenen Jahren 260.000
Reinigungskräfte organisiert habe, kämpfe gegen Prekarisierung, indem
sie Verträge und Absicherungen für die Lohnabhängigen erfechte, das sei
ihre Art des “Protektionismus”. Indem sie MigrantInnen auf diese Weise
in ihren Zielländern hälfen, sei zudem zugleich ihren Herkunftsländern
geholfen. Vielerorts seien die Transferzahlungen der Emigrierten an ihre
am Herkunftsort gebliebenen Angehörigen das wichtigste Einkommen der
Auswanderungsländer, so auf den Philippinen und in Marokko.

Als entscheidend für den Emanzipationsprozess der MigrantInnen ohne
gültige Identitätspapiere sieht Alzaga ihre Legalisierung: diese statte
sie mit Rechten aus, und nur wer Rechte habe, könne sich effektiv
organisieren und wehren. In den USA betreffe das Problem der fehlenden
us-amerikanischen Identitätspapiere derzeit circa 7 Millionen Menschen.
Allerdings mache dieser Kampf um Legalisierung nur Sinn, wenn man ihn
verbinde mit dem Kampf um bessere Arbeits- und Organisationsrechte – und
umgekehrt. Alzaga plädierte vehement dafür, dass sich Gewerkschaften
nicht allein als Gewerkschaften sähen, sondern als Teil einer sozialen
Bewegung. Nur so hätten sie eine Chance, im neoliberalen Kapitalismus
wieder Terrain zu gewinnen.

Jonas Berhe sah die Grenzen Europas offen, es gebe keine Festung Europa,
die MigrantInnen fänden Wege auf den Kontinent. Selbst nach
konservativen Schätzungen lebten circa eine Million Sans-Papiers in
Deutschland. Die entscheidende Frage sei diejenige nach dem nicht nur
finanziellen Preis, den Migrierende für ihre Einwanderung zahlten. Berhe
führte aus, dass die Illegalisierung, der viele Migrierende unterworfen
werden, keine totale sei, die Betroffenen seien immer in bestimmter
Hinsicht illegal, in anderer nicht, was ihnen fehle, sei ein
hunderprozentig legaler Status. In den Blick gerückt hat er das
politische Erfahrungswissen von MigrantInnen in Deutschland: Sie
verfügten mittlerweile über jahrzehntelange politische und
gewerkschaftliche Kampferfahrungen, so hätten sie sich z.B. in den
1970ern aktiv und initiativ bei wilden Streiks und in den Häuserkämpfen
im Frankfurter Westend engagiert. Welche Rolle, fragte Berhe, könnten
gesellschaftliche Akteure wie Gewerkschaften in den Kämpfen der
MigrantInnen einnehmen? Nicht zuletzt hätte der Prekaritätsstatus von
einer Million Menschen, die illegalisiert sind, massive Auswirkungen auf
relativ gesicherte Lohnabhängige, auf die Gesellschaft insgesamt. Er
forderte, dass sich die traditionell organisierten nicht-migrantischen
Gewerkschaftsleute auf politische Kulturen, Alltagskulturen und
Lebenswelten der MigrantInnen einlassen.

Agnes _____ berichtete von ihren Erfahrungen als Aktivistin der
Gewerkschaft der Wanderarbeiter, in der Lohnabhängige der Sektoren Bau,
Gastronomie, Landwirtschaft und Haushalt organisiert seien. Die vier
hauptamtlichen GewerkschafterInnen suchten die temporären Unterkünfte
von migrierenden Bau- und LandwirtsschaftsarbeiterInnen auf und
versuchten, sie für gewerkschaftliche Organisierung zu gewinnen. Dabei
klärten sie auch über das Problem der Illegalisierung auf, denn oft
wüssten die Leute nicht, dass sie illegalisiert seien. In
Auseinandersetzung mit Unternehmern hätten sie seit ihrer Gründung im
Herbst 2005 bereits 750.000 Euro vorenthaltene Löhne erkämpft. Agnes
_____ forderte, dass das Arbeitsrecht statuslos definiert wird.
Ausserdem müssten gegen den freien Fall der Entlohnungen Mindestlöhne
in allen Branchen durchgesetzt werden.

Abendveranstaltung: Globale Soziale Rechte – Perspektiven einer anderen
Globalisierung

Hauptreferat: Hans-Jürgen Urban (Leiter des Bereichs
Gesellschaftspolitik und Grundsatzfragen beim Vorstand der IG Metall),
“Gewerkschaften und soziale Rechte”

Das Thema “Gewerkschaften und soziale Rechte” sei, eröffnete Urban
seinen Gedankengang, ein nationalstaatliches, denn obwohl
Gewerkschaften programmatisch immer auf Internationalismus ausgerichtet
gewesen seien, hätten sie bislang politisch im Rahmen des Nationalstaats
agiert. Die wesentlichen Errungschaften ihrer in diesem Rahmen
ausgefochtenen Kämpfe seien Tarifverträge, individuelle und kollektive
Rechte wie z.B. die Sozialversicherungen sowie Rechte auf Angebote des
Sozialstaats, so den Zugang zu Bildungseinrichtungen. Dieses sei der
Klassenkompromiss zwischen Kapital und Arbeit gewesen, orientiert daran,
soziale Rechte an Lohnarbeit zu koppeln.

Seit zwei Jahrzehnten befinde sich der Wohlfahrtsstaat in der Krise. In
vier Thesen umriss Urban die seiner Meinung nach ausschlaggebenden
Gründe hierfür. Der ersten These zufolge werde das Normal
arbeitsverhältnis zusehends zurückgedrängt. Unsicherheit erfasse auch
den Kern der relativ gesicherten Arbeitnehmerschaft und die ganze
Gesellschaft. Zweitens werde der Klassenkompromiss von Kapitalseite
aufgekündigt. Sozialrechte seien nur noch soviel wert wie die
Mobilisierungskraft ihrer Verteidiger. Drittens habe sich der Staat
radikal verändert, und zwar vom Sozial- zum Wettbewerbsstaat. Ein neuer
Prozess der Kapitalakkumulation vollziehe sich durch Enteignung von
sozialen Rechten und sozialen Institutionen. Dieser gesellschaftliche
Rollback geschehe auf Grundlage eines mobiler gewordenen Kapitals.
Viertens falle es den Gewerkschaften nicht leicht, diese Prozesse zu
begreifen, insbesondere die Erosion von Sicherheitsgarantien durch
Lohnarbeit. Zu lenken wäre der Blick auf die europäische Ebene, auf die
Lissabonstrategie, die darauf abziele, Europa zur wettbewerbsfähigsten
Region der Welt zu machen. Dabei würden Sozialstaat und Sozialpolitik
als Wettbewerbspolitik instrumentalisiert, indem man soziale
Sicherungssysteme umfunktionalisiere und für Kapitalmarktakteure
privatisiere. Das sei kein pures neoliberales Konzept, wogegen sich die
Gewerkschaften schwer täten.

Die Antwort der IG Metall ziele auf ein neues Sozialmodell auf
europäischer Ebene, das sich vom Sozialstaat alter Prägung
unterscheide. Es gehe darum, die transnationalen Kapitalmärkte zu
regulieren, Mindeststandards zu etablieren (Unternehmenssteuern,
sozialer Schutz), die sozialen Sicherungssysteme insgesamt umzubauen
und dabei eine neue Priorität für öffentliche Güter durchzusetzen. Es
habe sich deutlich die Grenze der bisherigen Strategie gezeigt, soziale
Gerechtigkeit durch Einkommensumverteilung zu schaffen. Demgegenüber
sei möglicherweise die Bereitstellung öffentlicher Güter in den Sektoren
Bildung, Gesundheit etc. der effektivere Weg. Urban plädierte für eine
neue Rolle Europas in der Welt, er skizzierte ein Europa, das die
Aussensicht auf sich einbeziehe, seine Grenzen öffne und zum Akteur der
sozialen Regulierung gegen die Lissabonstrategie werde.

Gewerkschaften sollten in ihrem Denken und Agieren den
nationalstaatlichen Kontext überschreiten, sich an Europa als Kernidee
orientieren und zugleich den Blick darüber hinaus lenken. Nationalstaa
ten müssten allerdings in neue Handlungskonzepte miteinbezogen werden,
indem man deren Regierungen unter Druck setze, denn die seien nach wie
vor entscheidungsmächtige politische Akteure. Als drängendes Kernproblem
sah Urban die Wiederaneignung sozialer Rechte gegen die massive Informa
lisierung von Arbeit. Ihre Reformalisierung müsse ganz oben auf der
Agenda stehen, beispielsweise gebe es in Indien gerade einmal sieben
Prozent formelle industrielle Produktion, der Reist werde informell
betrieben. Wichtig sei, alle gewerkschaftspolitischen Einzelkonzepte in
eine weitergehende Alternativperspektive zu integrieren,
gewerkschaftlich wieder als umfassende soziale Bewegung zu agieren.

In der anschliessenden Diskussion wandte sich auch Valery Alzaga gegen
das Dienstleistungsmodell von Gewerkschaft, die man wie einen Arzt oder
Rechtsanwalt konsultiere, wenn es ein Problem gebe. Der Schlamassel, den
Gewerkschaften angehen müssten, bestehe in den ArbeiterInnen, die ihre
Situation nicht verstehen, die nicht fähig sind, aktiv zu werden, sich
selbst zu organisieren, gemeinsam zu handeln, denn diese ArbeiterInnen
seien hilflos und schwach. Handlungsbereite ArbeiterInnen – “militant
workers” – hingegen wüssten, warum sie unterdrückt seien und worin die
Bedingungen ihrer Unterdrückung beständen. Sie selber habe als
Gewerkschaftsaktivistin vor allem gelernt, Probleme, gerade auch
innergewerkschaftliche, nicht zu verstecken, sondern offen anzugehen.
Das verlange einen starken politischen Willen und die Bereitschaft, sich
Visionen eines Zieles zu geben, Vorstellungen davon zu entwickeln, wohin
die Reise gehen soll. Von dieser Zukunft gelte es, zurückzudenken auf
die gegenwärtige Realität, und von dieser aus Kampf um Kampf mit dem
Willen zu führen, zum eigens gesetzten Ziel zu gelangen. In diesen
Kämpfen könnten die Engagierten einander helfen.

Hans-Jürgen Urban räumte ein, dass die Gewerkschaften das Thema
MigrantInnen/Illegalisierte bislang nicht sehr weit oben auf ihrer
Agenda stehen gehabt hätten. Allerdings sei es von allergrösster
Wichtigkeit, dass sie sich fragten, wie sie zu denen ständen, die fern
oder sehr fern von den regulierten Arbeitsmärkten sich befinden, z.B.
Illegalisierte. Er sprach sich aus für eine Legalisierung des
Aufenthaltsrechts aller in Deutschland Lebenden. Allerdings sei das
Problem damit noch nicht gelöst. In der Bevölkerung gebe es
Bedrohungsängste, die in sozialer Existenzangst gründeten. Dagegen helfe
nur die Rückgewinnung von sozialer Sicherheit für diejenigen, die sich
fürchteten, aus dem sozialen Netz herauszufallen oder die gerade
herausgefallen seien. Weil aber die Gewerkschaften mit dem Thema nicht
warten könnten, bis dieses Ziel erreicht sei, hätte die IG Metall das
Sujet Migrationspolitik auf die Tagesordnung eines Kongresses Ende März
gesetzt. Allerdings gebe es zur Frage der politischen Forderungen in
Bezug auf die Illegalisierten noch keinen Vorstandsbeschluss.

Kommentar

Mir hat das Frankfurter Seminar ausgesprochen gut gefallen; ich denke,
die von Thomas Seibert in seinen einführenden Worten formulierten Ziele
für die Veranstaltung wurden erreicht: einen Erfahrungsaustausch und
Diskussionsprozess zwischen unterschiedlichen politischen Akteuren zu
beginnen, bislang unverbundene Themen in Beziehung zueinander zu setzen
unter der Perspektive Globaler Sozialer Rechte. Dass in Frankfurt
AkteurInnen der deutschen Nach-68er-Linken mit deutschen Ge
werkschaftern und deutsche Gewerkschafter mit Nach-68er-Linken sich
austauschten und fair diskutierten, kann meiner Ansicht nach nicht hoch
genug bewertet und geschätzt werden. Auch über vierzig Jahre nach dem
Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD-Führung gegen Mitglieder und
Sympathisanten des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) im
Jahre 1961 und den Unvereinbarkeitsbeschlüssen von IG Metall und
anderen Gewerkschaften Anfang der 1970er gegen Mitglieder verschiedener
Gruppierungen der Neuen Linken, sind die politischen und kulturellen
Gräben in Deutschland zwischen partei- und DGB-gewerkschaftsorientierten
Linken und Nach-68er-Linken riesig. Eine neue Bündnispolitik, wie sie in
Frankfurt erfolgreich versucht wurde, auch in Deutschland zu
verstetigen, das wäre, denke ich, eine ganz wichtige politische
Handlungsstrategie nicht nur mit Blick auf die Mobilisierungen gegen G8
und den Rostocker Alternativgipfel. Warum nicht versuchen, mit starkem
politischen Willen die vorhandenen inhaltlichen und kulturellen
Differenzen auszutragen und produktiv voneinander zu lernen? Es ist an
der Zeit, eine neue linke politische Handlungspraxis sowie beständige
kritische philosophische Reflexion dieser Praxis zu entwickeln! Ein
neues weltgesellschaftliches Projekt auf den Weg zu bringen, das den
Kapitalismus und seine ausbeuterischen, verdinglichenden und
entfremdenden Produktions- und Reproduktionsbedingungen Geschichte
werden lässt!

In der Schweiz, so mein Eindruck nach einem Jahr in diesem Land und
einem dreiviertel Jahr bei attac Basel, gibt es solch tiefe Gräben in
der Linken nicht. Die Schweiz ist in der Ausgestaltung ihrer Beziehungen
zwischen Kapital und Arbeit stark anglo-amerikanisch geprägt und hat
eine deutlich niedrigere Staatsquote als z.B. Deutschland oder
Frankreich, was nicht zuletzt bewirkt, dass die “linke Hand” des Staates wie der 2002 verstorbene französische Soziologe Pierre Bourdieu die
sozialen Institutionen wie Arbeitslosenversicherung, öffentliches
Gesundheitssystem etc. auf den Begriff brachte – viel kleiner ist als
bei seinem nördlichen oder seinem westlichen Nachbarn. Auch hat in der
Schweiz nie ein relevanter Kündigungsschutz existiert. Linke haben
hierzulande auch in den vergangenen Jahrzehnten einen sehr schweren
Stand gehabt, schwerer als die Linken seit 1968ff in Deutschland.
Vielleicht bringt der grössere Druck, der auf ihnen lastet, die
schweizer Linken dazu, über ihre inneren Differenzen hinweg kluge
Bündnisse untereinander einzugehen. Ich jedenfalls habe in dieser
Hinsicht viel von schweizer attacies und GewerkschafterInnen gelernt!