Die Entwicklung der Protestbewegung gegen die Gipfeltreffen, ihre Stärken und Schwächen, und die Wichtigkeit des Aufbaus langfristiger Strukturen.
Seattle als Beginn
Die Geschichte der G8-Gipfel-Treffen ist auch eine Geschichte des Widerstands gegen ihn. Schon früh sah die internationale Linke in der mediengerechten Inszenierung imperialistischer Herrschaft eine Möglichkeit öffentlichkeitswirksam Widerspruch zu artikulieren, gegen globale Ungerechtigkeit und für eine solidarische Welt auf die Straße zu gehen. Die Vielfältigkeit des Widerstands spiegelt sich in der Breite seiner inhaltlichen Ausrichtung und Aktionsformen wider.
Während in den achtziger Jahren die Themen des Widerstands hauptsächlich die Solidarität mit den Kämpfen im Süden und die Nato-Politik waren, verlagerten sich die Schwerpunkte in den neunziger Jahren. Einhergehend mit der Entwicklung der G8-Gipfel zum Motor und Sprachrohr neoliberaler Globalisierung und der Auswirkungen des Klassenkampfs von oben auch in den Gesellschaften der Metropolen, wurden die Proteste Kulminationspunkte der „Anti-Globalisierungsbewegung“. Diese neue Phase des Widerstands leitete im November 1999 der „Battle of Seattle“ anlässlich des WTO-Gipfels ein. Nach fast 20 Jahren der Defensive und zehn Jahren der imperialistischen Selbstbeweihräucherung konnte die Linke in den Metropolen die Initiative wieder ansatzweise zurückerobern. Die Kombination von Massenmobilisierung und Militanz trug wesentlich zum Abbruch des Treffens bei und ermöglichte es, den Schwerpunkt der medialen Aufmerksamkeit vom Konferenzsaal auf die Straße zu verlagern.
Die Gipfeltreffen sind ein sichtbarer und realer Angriffspunkt der ansonsten schwer greifbaren globalen Herrschaftsverhältnisse. Diese Angriffsmöglichkeiten trugen mit zur Entstehung der „Bewegung der Bewegungen“ bei. Sie ist ein Schnittpunkt von AktivistInnen sozialer Kämpfe in den Metropolen und im Trikont, des politischen Widerstands, der traditionellen und der radikalen, autonomen und revolutionären Linken – zwar inhaltlich diffus aber zumindest einig in der Ablehnung der aktuellen Entwicklungen des globalen Kapitalismus und in der Suche nach einer solidarischen Gesellschaftsordnung. In ihrer Form sind die Proteste durch ihren massenhaften Charakter gekennzeichnet, von 50 000 TeilnehmerInnen in Seattle bis zu 250 000 in Genua brachten die Gipfeltreffen so viele Menschen auf die Straße wie lange nicht. Auch die Akzeptanz offensiver und militanter Aktionsformen war ein wesentlicher Teil der Mobilisierungen. So konnte sich durch den koordinierten Einsatz von Massenmilitanz bei den Protesten gegen das IWF- und Weltbank-Treffen in Prag 2000 dem Kongressgebäude bis auf (Stein-)Wurfweite genähert werden.
Genua als Höhepunkt
Die Proteste zum G8-Gipfel in Genua 2001 stellen in der Geschichte des Widerstands einen qualitativen Höhepunkt dar. In Italien bildete sich gerade eine Protestbewegung gegen die reaktionäre Regierung Berlusconi, die Aktionsorientierten Gewerkschaften standen in den Startlöchern, ein breites Bündnis sorgte in Genua selber dafür, dass der G8 in der lokalen Bevölkerung nicht willkommen war und sich die meisten Menschen mit den Protesten solidarisierten und nicht zuletzt führte die positive Erfahrung aus vorherigen Protesten zu einer breiten Mobilisierung in ganz Europa. Mit dem erklärten Ziel „Sturm der roten Zone“ gingen bis zu 250 000 Menschen auf die Straße. In der Folge entwickelten sich aus Blockaden, Massenmilitanz und anderen Aktionen massive Ausschreitungen mit bürgerkriegsähnlichen Zügen. Auch wenn die Polizeistrategie ihren Teil zur Eskalation beitrug, muss festgestellt werden, dass innerhalb der radikalen Linken in Genua die Bereitschaft, die Initiative auch militant zu übernehmen, groß war. Letztlich stellte die Bewegung durch den Kampf um die Vorherrschaft auf der Straße konfrontativ die Machtfrage. Genau so muss dann auch die Reaktion des italienischen Staatsapparats interpretiert werden, mit der Ermordung von Carlo Guiliani, dem Sturm der Diaz-Schule und den unzähligen Misshandlungen wurde der Protest vor allem militärisch niedergeschlagen. Mit dieser neuen Stufe der Konfrontation war auch der bewussteste und militanteste Teil der Bewegung sichtlich überfordert. Die Abnahme militanter Auseinandersetzungen in den folgenden Jahren sollte also nicht nur auf die Flucht der Gipfeltreffen in besser zu kontrollierendes Gebiet zurückgeführt werden, sondern auch auf den bewussten Verzicht großer Teile der Bewegung – wie zum Beispiel der italienischen Tute Bianche – eine Konfrontation zu suchen, die beim derzeitigen Kräfteverhältnis kaum gewonnen werden kann. Die Aufgabe jeglicher direkter Konfrontation bedeutet aber auch ein wesentliches Gebiet zu räumen, auf dem wir die Initiative ergreifen und politischen Widerstand praktisch werden lassen können. Mehr zu politischer Militanz im Interview auf Seite 32.
Die militanten Auseinandersetzungen rund um die Austragungsorte imperialistischer Koordinierungstreffen machen sicherlich einen großen Teil der Mobilisierungsstärke aus. Sie können zeigen, dass das Kapital, wenn auch nur symbolisch, angreifbar ist. Man kann wenigstens für kurze Zeit den reibungslosen Ablauf der globalen Ausbeutungsmaschinerie stören. Außerdem wird den kapitalistischen Eliten die mediale Inszenierung ihres Alleinvertretungsanspruchs gründlich verhagelt, wenn sie sich hinter Stacheldraht und Zehntausenden Polizisten verbarrikadieren müssen, während rund um die Gipfel das Volk seiner Wut freien Lauf lässt. Die „Anti-Globalisierungsbewegung“ konnte so nach einem Jahrzehnt kapitalistischer Siegestrunkenheit die Frage nach einer Alternative zu Krieg und weltweiter Ausbeutung wieder ins Zentrum des Widerstands rücken. Vor dem Hintergrund steigender Kriegsgefahr und wachsender globaler Probleme führten die immer selbstbewusster vorgetragenen Forderungen des Widerstands die undemokratischen Institutionen der neoliberalen Globalisierung in eine echte Legitimationskrise. Die falschen Verheißungen nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus, als vom Ende von Armut und Krieg sowie von Freiheit und Wohlstand für alle die Rede war, werden jetzt auf ihre Verkünder zurückgeworfen. Und so verändert sich die Wortwahl und der Tonfall der imperialistischen Institutionen in ihrer Kommunikation nach außen.
Die „Anliegen der KritikerInnen werden ernst genommen“ und die schlimmsten „Auswüchse der Globalisierung“ sollen bekämpft werden. Im Verlaufe des Gipfeltreffens in Heiligendamm werden mehrere große Diskussionsveranstaltungen organisiert, um den Widerspruch in ungefährliche Bahnen zu lenken. In Einheit mit dem rigorosen Vorgehen gegen entschlossenen Protest auf der Straße sehen wir hier den klassischen Reflex bürgerlicher Machtapparate gegen ernstzunehmenden Widerstand. Entlang der Gewaltfrage wird zwischen legitimer politischer Meinungsäußerung und „Chaoten“ unterschieden. Diese Spaltung wird in die Bewegung getragen: Den einen wird Mitbestimmung in Aussicht gestellt, die anderen aber werden quasi als TerroristInnen behandelt.
Organisierung versus Eventhopping
Spätestens hier wird deutlich, dass der Aufbau von Organisations-, Kommunikations- und Aktionsstrukturen eine dringende Notwendigkeit einer Bewegung ist.
Die Proteste gegen die „Globalisierungsgipfel“ zeigten schon immer starke Züge des Eventhoppings. Im Grunde liegt das in der Natur ihres Anliegens, die Gipfel sind temporäre und lokalgebundene Ereignisse mit internationaler Wirkung und Protestpotential. Umso wichtiger sind die ersten Ansätze internationaler Vernetzung, gilt es doch der Globalisierung des Kapitals und der Repression eine Globalisierung des Widerstands und der Solidarität entgegenzusetzen. Die Treffen des Weltsozialforums beziehungsweise des Europäischen Sozialforums werden seit Jahren von Hunderttausenden besucht. Obwohl sie dominiert sind von den großen lediglich nach Reformen strebenden NGOs und Parteien, bieten sie doch die Möglichkeit über Grenzen hinweg zu diskutieren, sich zu vernetzen und neue Impulse zu setzen. Um dem Informationsmonopol der Bourgeoisie etwas entgegenzusetzen sind überall auf der Welt neue mediale Netzwerke entstanden. Das bekannteste – Indymedia – ist eine globale Nachrichten-Plattform für Berichterstattung von unten, die sich vor allem durch die internationale Widerstandsbewegung entwickelt hat. Vernetzungen gibt es auch auf revolutionärer Ebene und gegen Repression, doch gehören sie sicherlich auch in der Zukunft zu den wichtigsten Entwicklungspunkten.
Im Hinblick auf den G8-Gipfel in Heiligendamm können die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und insbesondere die Erfahrung der letzten Jahre dazu genutzt werden, dem Widerstand eine erfolgreiche und kontinuierliche Form zu geben.
So wie die Imperialisten die Treffen nutzen, um die globale Ausbeutung zu organisieren, müssen wir die Möglichkeit nutzen, nicht nur den Protest als Kampagne zu organisieren. Wir müssen uns auf lokaler, bundesweiter und internationaler Ebene treffen, um zu diskutieren und kontinuierlich arbeitende Strukturen aufzubauen, die eine Entwicklung über den Event hinaus ermöglichen. Die voranschreitende Organisierung linker Strukturen muss einhergehen mit der Einbeziehung der Bevölkerung in den jeweiligen Städten und Regionen im Umland der Gipfeltreffen. Es ist wichtig, den Zusammenhang von G8, globalem Kapitalismus und Alltag der Menschen zu vermitteln. Nur so wird sich die ansässige Bevölkerung mit den Protesten identifizieren, solidarisieren und in diese einbezogen werden können. Für uns gilt es deshalb in der Mobilisierung insbesondere den Klassenkampf von oben, die so genannten Reformen und ihre Auswirkungen aber auch den Widerstand dagegen zu thematisieren.
Gemeinsam Kämpfen
Revolutionärer Widerstand erfordert bestimmte Grundsätze. Militante Aktionen müssen klare Ziele haben und sollten ebenso klar vermittelt werden können. Dafür sind schon die großen Vorbereitungstreffen wie Dissent und die Aktionskonferenzen zu nutzen. Nur so kann es uns auch gelingen, einer Spaltung entgegenzuwirken beziehungsweise vorzubeugen. Kann es uns zwar nicht um eine Einheit um jeden Preis gehen, so ist eine Spaltung zum Beispiel entlang der Gewaltfrage doch immer ein Sieg der Bourgeoisie und hat meistens eine Schwächung des Widerstands zur Folge. Vielmehr sollten sich die Aktionsformen in ihrer Vielfältigkeit ergänzen und aufeinander beziehen. Wir brauchen große Massendemos, um zu zeigen, dass wir viele sind. Wir brauchen kreative Aktionen um zu zeigen, dass wir auch in schwierigen Situationen die Initiative behalten können und nicht berechenbar sind, wir brauchen militante Aktionen, die zeigen, dass wir wütend und entschlossen und sie verwundbar sind. Wenn die Widerstandsformen nicht in Konkurrenz zueinander stehen, gibt uns diese Vielfältigkeit Stärke nach außen und nach innen. Sie bietet außerdem den TeilnehmerInnen mit unterschiedlichster Erfahrung die Möglichkeit, zu partizipieren und sich weiterzuentwickeln.
Der Widerstand gegen die imperialistischen Gipfeltreffen hat immer zweierlei widergespiegelt: die objektive Situation, also den Zustand des Kapitalismus im nationalen und globalen Rahmen, als auch die subjektive Seite: die Stärke der Linken und revolutionären Linken.
Was die objektive Lage angeht sind die destruktiven Auswirkungen des herrschenden Wirtschaftssystems unübersehbar. Krieg, Umweltzerstörung und verstärkter Klassenkampf von oben sind hier exemplarisch zu nennen. Was die subjektive Seite angeht, so liegt es an uns, den Widerstand zu organisieren, eine revolutionäre Perspektive zu entwickeln und aufzubauen.
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Source: g8-broschuere