Faustrecht des Zeitgeists
Es gibt keine größere Schmach, als wenn sich die Feinde der Insignien bemächtigen und damit triumphierend ihre Runden drehen. Das war bei den mittelalterlichen Ritterspielen schon so, bei den Indianerstämmen Amerikas. Und in Mexiko haben die Ringkämpfer des Lucha Libre die Tradition der Erniedrigung sogar ins Sportfernsehen gebracht - verloren hat, wem der Gegner Kopfschmuck und Maske entreißt. So empfinden es auch die Subkulturen, wenn wieder einmal der ewige Kreislauf beginnt, der sie zunächst aus den Randbereichen der Gesellschaft in den Pop befördert, um ihre Errungenschaften dann schon bald zum Produkt zu degradieren. Jüngster Fall: ausgerechnet der Megakonzern Sony veröffentlichte ein Videospiel, das die Protestler der antikapitalistischen Globalbewegung aus Seattle, Göteburg und Genua zu prügelgeilen Hip-Hop-Vandalen reduziert.
“State of Emergency" heißt das Spiel, das den Volksaufstand mit satten 128 Bit und flottem Big-Beat-Soundtrack in die Spielzimmer der Welt transportiert. Da gibt es nicht viel herumzudeuten - Protagonisten des Spiels sind Untergrundrebellen die das machthungrige Konzerngebilde The Corporation mit Knüppeln, Steinen und Molotow-Cocktails bekämpfen. Die Truppen der Gegner tragen die gleichen schwarzen Ninjarüstungen wie die Einsatzpolizei in Seattle. “Zwei komplett unterschiedliche Strategien", bietet die Einleitung an. “Versuche den Konzern zu stürzen oder verursache ganz einfach komplettes Chaos und Zerstörung".
In der ersten Version des Spieles hieß der Feind sogar noch “American Trade Organization", und ein Sprecher der Spieldesignfirma Rockstar gab gegenüber der Nachrichtenagentur AP zu, dass die Ähnlichkeit zu den Aufständen gegen die World Trade Organization in Seattle kein Zufall gewesen sei. Nun hat man ein wenig eingelenkt, denn der Protest gegen die plumpe Vereinnahmung regte sich schon Monate bevor “State of Emergency" überhaupt auf dem Markt war. Mary Lou Dickerson, Kongreßabgeordnete der Demokraten, die selbst an den Demonstrationen in Seattle teilgenommen hatte, nannte das Spiel zum Beispiel “eine Ohrfeige für alle, die für Ideale auf die Straße gegangen sind." Und die Lieblingsautorin der jungen Protestgeneration Naomi Klein hatte in einem Artikel für die Wochenzeitung The Nation geschrieben: “Als ich die ersten Bilder des Spiels sah, war ich vor allem erstaunt, mit welcher Geschwindigkeit die Konzerne die Essenz der Bewegung für ihre Zwecke in Beschlag genommen haben."
Immerhin ist es noch keine drei Jahre her, dass sich eine Allianz aus Umweltschützern, Menschen- und Bürgerrechtlern, Gewerkschaftlern, Solidaritätsgruppen und Anarchisten mit zivilem Widerstand und gezielter Sachbeschädigung bei den Protesten gegen eine Konferenz der World Trade Organisation in Seattle als Stellvertreter des globalen Volkszorns auf die exklusiven Zirkel der Weltwirtschaft etablierte. Bald schon verklärten sich die Straßenschlachten von Seattle zu einem Mythos, der die Dimensionen einer modernen Boston Tea Party annahm. Und in der Weltpresse wandelte sich der junge Rebell mit erhobener Faust vom Chaoten zur Ikone des rechtschaffenen Volksaufstandes. Doch gerade die Ikonisierung machte die Protestbewegung anfällig für die feindliche Übernahme durch genau jene Kräfte, die sie bekämpfen will.
“State of Emergency" ist nicht das einzige Beispiel für die schamlose Adaption der Protestkultur. Der Onlinedienst Earthlink benutzte das Foto einer zornigen Demonstrantin in Seattle als Vorlage für das Logo einer Werbekampagne. Die Bekleidungskette Gap, deren Fensterscheiben in Seattle als eine der ersten zu Bruch ging, verzierte im letzten Sommer die Schaufenster seiner über 4000 Filialen mit vorgefertigten Schablonen von Slogans wie “Freedom", “Independence" und “We The People" im Stil hastig hingesprühter Graffiti. Der Turnschuhgigant Nike inszenierte in Australien Protestmärsche mit bezahlten Statisten, die so taten, als würden sie gegen die technische Überlegenheit von Nike-Schuhen protestieren. Sony veranstaltete für seine Playstation einen ähnlichen Marsch in Neuseeland. IBM ließ in amerikanischen Großstädten Graffiti mit den Worten Peace, Love und dem Pinguinsymbol für das Betriebssytem Linux auf die Bürgersteige sprühen, und mußte dafür wie richtige Demonstranten sogar Strafe wegen Beschädigung öffentlichen Eigentums bezahlen. Auf MTV spielt die Rockgruppe Rage Against The Machine in ihren Videos eine Art Minstrelshow der Protestbewegung.
Wie frech, wie zynisch. Schließlich weiß doch jeder - Onlinedienste haben das demokratische Medium Internet zum digitalen Einkaufszentrum degradiert. Gap und Nike lassen ihre Drittweltknechte immer noch für 11 Cents die Stunde schuften. IBM will die Welt monopolisieren. MTV war nie mehr als ein Werbesender für die Popindustrie. Und Video Games? Sind die ultimative Form des geistlosen Eskapismus. Was kann das Spiel mit den Protestsymbolen also anderes sein, als die böswillige Entwertung sozial relevanter Inhalte?
Doch wer hier an eine Verschwörung glaubt, der überschätzt die Kräfte der Globalwirtschaft. Das Kapital kennt keine Ethik, sondern funktioniert nach Regeln, die so simpel sind wie physikalische Gesetze. Prinzipiell geht es darum, mit geringstem Aufwand das meiste Geld zu machen. Es steckt kein böser Wille dahinter, wenn Textilkonzerne Billigarbeiter in Lateinamerika und Asien beschäftigen. Nicht einmal wenn Ölfirmen mit Todesschwadronen in Kolumbien und Nigeria zusammenarbeiten. Das Kapital sucht sich ganz einfach den Weg des geringsten Widerstandes und Aufwandes. Genauso wie man der Industrie keinen guten Willen anrechnen kann, wenn sie sich um die Umwelt, um soziale Belange oder das Wohlergehen ihrer Arbeiter kümmern. Das sind lediglich Reaktionen darauf, dass sich der Druck von außen in den Jahresbilanzen niedergeschlagen hat. Und wenn sich der Protest verkauft, dann wird er auch verpackt.
In der modernen Werbung geht es in erster Linie darum, potentielle Kunden dazu zu bringen, sich mit dem Produkt zu identifizieren. Also muß der Zeitgeist erforscht, verstanden und verarbeitet werden. Eine leicht rebellische Grundhaltung gehört nun schon seit den 60er Jahren zum gesellschaftlichen Status Quo. Seither spielt die Werbewirtschaft mit Motiven des Antikonformismus, des kritischen Bewußtseins und radikalen Individualismus, die bis heute ganz ähnlich geblieben sind. In seinem Buch “The Conquest of Cool - Business Culture, Counterculture and the Rise of Hip Consumerism " beschreibt der Chefredakteur der kulturkritischen Vierteljahresschrift “The Baffler " Thomas Frank, wie Schnaps und Autofirmen Mitte der 60er Jahre begannen die Auswirkungen der Bürgerrechts- und Emanzipationsbewegungen zu verarbeiten. Chrysler rief 1965 die “Dodge Rebellion" aus, die nichts anderes bedeutete, als PS-starke Muscle Cars zu kaufen. Booth's Gin und Camel Filters verkauften sich als unverzichtbare Requisiten des Individualismus. Selbst die Medien- und Werbeskepsis, die fast 30 Jahre später zum Charakteristikum der Generation X werden sollte, wurde vorweggenommen. In Zeitschriftenanzeigen erklärte die Elektronikfirma Fisher schon 1967, wie alle anderen Anzeigen für Stereoanlagen Augenwischerei betreiben. Die Werbung reagierte damit ganz einfach auf die Konsum-, Gesellschafts- und Medienkritik, die in der Gesellschaft nach der Ära der Bürgerrechtskämpfe nun plötzlich ganz selbstverständlich waren.
Auch die durchschnittlich 19- bis 35-jährigen Mitglieder der globalen Protestbewegung von heute sind für die Wirtschaft keine Generation, sondern eine Zielgruppe. Und genau das bringt die Protestbewegung in eine fatale Zwickmühle. Pop, Werbung und Industrie werden die Inhalte jeder sozial relevanten Bewegung auf Dauer banalisieren und entwerten, bis schließlich nur eine hohle Phrase übrig bleibt. Gleichzeitig liefern sie jedoch den Beweis, dass die Bewegung an ihr Ziel gelangt ist, denn nur was die Mehrheit der Bevölkerung angenommen hat, werden Pop, Werbung und Industrie auch kommerziell ausschlachten. Das Ziel jeder missionarischen Subkultur ist also auch gleichzeitig ihr Ende. Wenn IBM vorführt, dass gezielte Sachbeschädigung eine gesellschaftlich akzeptable Form der Kommunikation geworden ist, wenn Sony den Volksaufstand als wertfreies Actiongenre akzeptiert und die Faust in der Luft zum Werbelogo wird, dann bedeute das deswegen, dass sich die Protestbewegung von Seattle, Göteburg und Genua aus dem Untergrund weltweit ins Bewußtsein der breiten Bevölkerung vorgekämpft hat. Das kritische Bewußtsein wird dann noch etwas kritischer. Und dann kann der Ausverkauf beginnen.
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