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2005-12-31

Aneignung, Migration und Prekarisierung

- eine 3-D-Kampagne in Hanau

I. Aneignung bezeichnet Alltagspraxen, die die Kommerzialisierung aller gesellschaftlichen Bereiche stören, unterlaufen oder gar in Frage stellen. Alle Facetten des Lebens sind diesem Verwertungsangriff ausgesetzt. Und auch die Aneignungsprozesse spielen sich daher auf unterschiedlichsten Ebenen und in den vielfältigsten Formen ab.

II. Migration ist immer auch eine (Wieder)Aneignungsbewegung: eine Sozialbewegung des globalen Südens, die mit aller Berechtigung nach besseren Einkommen und Perspektiven in den Metropolen des Nordens sucht, die ja großteils für die Verwüstungen und Verarmung in den Herkunftsländern der MigrantInnen verantwortlich sind. Ihre unkontrollierten, "illegalen" Netzwerke, ihre Bleiberechtskämpfe wie auch die Rücküberweisungen in die Herkunftsländer sind Ausdruck dieser Autonomien der Migration.

III. Prekarisierung bleibt nicht allein auf die Entgarantierung von Arbeitsverhältnissen beschränkt. Prekärer werden die gesamten Lebensbedingungen. Doch dieser Prozess ist keine einfache Erfindung von oben. Er ist auch Reaktion auf die "Flexibilisierung von unten", auf die vielfachen Verweigerungen gegenüber dem alten Fabriksystem und gegenüber den Geschlechterrollen, auf die Aneignungen in Lohn- und sozialen Kämpfen. MigrantInnen erfahren Prekarisierung, die Entwertungen und Entrechtungen in allen Aspekten des Lebens, in exemplarischer Weise. Doch in ihrer Mobilität, in ihren Aneignungsformen stecken gleichzeitig Potentiale, die konstruierten Grenzen und zugeschriebenen Identitäten zu überwinden und damit neue Dynamiken gegen die Ausbeutungsoffensive in Gang zu bringen.

Aneignung, Migration und Prekarisierung sind keine parallel zu definierenden Begrifflichkeiten, vielmehr stehen sie, wie in den drei Eingangsthesen aufgerissen, in komplexen Querverbindungen zueinander. 3D - drei Dimensionen also, die sich mit diesen Begrifflichkeiten auftun, ein (magisches) Dreieck, in dem sich unserer Meinung nach die zentralen aktuellen, gesellschaftlichen Fragestellungen und Konflikte wiederspiegeln. 3D steht insofern für den Versuch, verschiedene Debatten und praktische Ansätze in einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu bringen und aus den jeweiligen Blickwinkeln eine gegenseitige Befruchtung, Ergänzung oder auch Hinterfragung zu ermöglichen.

Im Folgenden sollen zunächst die "drei Dimensionen" nochmals ausführlicher und an konkreteren Beispielen erläutert werden, um dann in einem zweiten Teil zu beschreiben, mit welchen internationalen Bezugspunkten wir begonnen haben, für die kommenden Wochen eine vielgestaltige praktische Kampagne vor unserer Haustür, also in Hanau, vorzubereiten - global-local, glocal eben.

Aneignung

Ladendiebstahl, Herunterladen von Musik aus dem Internet, Versicherungsbetrug, Schwarzfahren, Stromklau, - sind nur einige Bespiele alltäglicher und meist individueller Aneignung. "All diese Praxen stellen - zumindest vordergründig - weder die Ware noch das Privateigentum in Frage. Erst recht stellen sie die kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsbedingungen nicht in Frage. Und in irgendeiner Weise revolutionär sind sie schon gar nicht. Sie sind vielmehr konkrete Umgangsweisen mit diesen Bedingungen. Manchmal sind sie Überlebensstrategie, manchmal Ausdruck von Konsumismus, manchmal einfach nur Lust am Abenteuer oder Ausdruck sportlichen Ehrgeizes."
Trotzdem: in all diesen alltäglichen Verweigerungs- und Aneignungspraxen findet sich sozialer Konfliktstoff - zumindest mal Rebellion gegen Konsumverzicht und allgegenwärtigen Sparzwang. Und sicherlich kann selbst das individualisierte Unterlaufen oder Umschiffen von Preisen und Grenzen, wenn es tausendfach passiert die gesamte Maschinerie zumindest zum Knirschen bringen. Individualisierte und auchkollektivere Aneignungskämpfe sind längst Teil der widersprüchlichen Realität. Gehst du mit offenen Augen durch die Städte der Welt, kannst du sie fast an jeder Ecke entdecken.

Dabei ist der Begriff der Aneignung durchaus selbst widersprüchlich belegt. So ist immer wieder auch von Aneignung die Rede, wenn kapitalistische Angriffe gemeint sind. "Aneignen - enteignen" beschreibt als Begriffspaar dieses Spannungsfeld.

Aneignung steht an dieser Stelle als Brücke und beschreibt, was über "traditionelle" soziale Forderungen - mehr Lohn, Verringerung der Arbeitszeit - hinausgeht. Aneignung drückt einen Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Kämpfen aus, um die Momente zu beschreiben in denen Menschen autonom und selbstbestimmt Grenzen (im umfassenden Sinne) unterlaufen, sich nehmen, was ihnen zugleich immer wieder "enteignet" werden soll...

Aneignung kann als Praxis der Autonomie gelesen werden und ist dabei sicher ein eher nüchterner Begriff mit weniger utopischem Potential. Aneignung spricht insofern von dem was ist und setzt auf einen Prozess, ohne von vornherein einen emanzipatorischen Ansatz zu unterstellen. All diese Aneignungspraktiken im Alltag stellen sicherlich eine nicht zu verachtende Herausforderung an das System dar. Ob sie ohne jegliches kollektives Moment praktiziert, tatsächlich schon subversiven Wert haben, daran scheiden sich die Geister. Jedenfalls ist ein Schwerpunkt von hanau3d der Frage gewidmet, wie sie sich politisieren und popularisieren lassen.

Von den kleinen und größeren Bescheißereien gegenüber Sozial- und Arbeitsämtern als individuelle Alltagspraxis, über die "wilde" Besetzung der Fabriktore ob in Bochum oder in Ozarow bei Warschau, bis hin zu denen, die sich auf diversen Märkten nicht nur in Osteuropa ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Raubkopien und Plagiaten aller Art sichern, durchziehen Momente der Aneignung auch die prekäre Arbeits- und Alltagswelt.

Aneignung findet (wie schon in den Eingangsthesen benannt) in den migrantischen Netzwerken statt, die sich gegenseitig Erfahrungen mit Jobs ohne Papiere vermitteln oder das Umschiffen der Grenzen ermöglichen. Schutzehen oder medizinische Versorgung derer, die aus dem Krankenversicherungssystem fallen sind weitere Ausschnitte der Aneignungspalette rund um Migration: sich Rechte zu nehmen, die staatlicherseits verweigert werden.

Migration

In den vergangenen Jahren drehten sich die Schwerpunkte antirassistischer Arbeit vor allem um Abschiebung und Abschottung bzw. um die zunehmend in und über Europa hinaus agierenden Grenz-und Lagerregimes. Flüchtlinge und MigrantInnen wurden dabei in der Regel in einer Opferrolle festgeschrieben. Es besteht kein Zweifel, dass Flucht und auch Migration häufig mit Krieg, mit direkter Vertreibung und Verfolgung verbunden ist. Die weltweit dominanten Migrationsgründe sind allerdings brutale "Sparprogramme" des IWF oder mangelnde Einkommensmöglichkeiten. Sie vermischen sich mit der Suche nach besseren Existenzbedingungen und mit der Sehnsucht, das Leben stärker gemäß eigener Hoffnungen und Wünsche gestalten zu wollen.
Diesen aktiven bzw. aneignenden Teil betont der Diskurs von der "Autonomie der Migration", nimmt also Bezug auf die Eigendynamiken, auf die unkontrollierbaren Momente und Subjektivitäten, die verlorengehen, wenn immer nur die Macht der Herrschaftsverhältnisse im Vordergrund steht. "Migration unter dem Gesichtspunkt ihrer Autonomie zu betrachten, bedeutet, die sozialen und subjektiven Dimensionen derMigrationsbewegungen zu betonen." Migration ist demnach zunächst ein individuelles Vorhaben, getragen von dem Wunsch Abhängigkeiten und Ausbeutung zu entkommen. Um ans Ziel zu gelangen, wird aber ein dichtes Netz aus Familie und sozialem Umfeld genutzt: vom Aufbringen des Startgeldes und Zugang zu Fluchthelferstrukturen bis zum oftmals "illegalen" Aufenthalt und der Jobsuche in den migrantischen Communities der Zielländer. Grenzen werden so tagtäglich tausendfach unterlaufen, im Phänomen der sog. Kettenmigration spiegeln sich transnationale Netzwerke wieder, die nicht nur Schutz vor polizeilicher Verfolgung bieten, sondern wiederum über die Remisen, die massenhaften Geldrücküberweisungen der MigrantInnen, die Verbindung zum Herkunftsland halten.
Es existiert und entwickelt sich in der Migration also eine soziale Bewegung, die das durch Grenzen konstruierte Ausbeutungsgefälle angreift und herausfordert. Auch diese Aneignungsbewegung ist nicht gleich emanzipativ oder revolutionär (was immer das sein mag), sondern durchaus von eigenen Hierarchien und Ausbeutungen durchzogen. In ihr steckt und transportiert sich aber kollektives Wissen und sie folgt eigenen Regeln. Und angesichts der transnationalen Struktur können MigrantInnen gar als Pioniere einer "Globalisierung von unten" bezeichnet werden.

Gerade weil MigrantInnen heute einerseits in allen Aspekten des Lebens prekarisiert werden, und gerade weil andererseits in der Mobilität ihre Antwort auf die konstruierten Grenzen und zugeschriebenen Identitäten liegt, zeigen ihre Bedingungen auf, was aktuelle gesellschaftliche Dynamiken insgesamt kennzeichnet. Oder mit anderen Worten: von Prekarisierung lässt sich nicht sprechen, ohne migrantische Erfahrungen mitzudenken. In der Position der MigrantInnen liegt insofern die soziale Vorwegnahme sowie die politische Möglichkeit, gegen die genannten Entwicklungstendenzen der Ausbeutung anzukämpfen, die auf die gesamte Gesellschaft und auf das ganze Leben der Einzelnen ausgedehnt werden sollen.

Prekär, Prekarisierung...

Prekär bedeutet im wortwörtlichen Sinne "unsicher, mißlich, schwierig, bedenklich...". Als politischer Begriff sind damit vor allem entgarantierte Lebens- und Arbeitsverhältnisse gemeint. Zum Beispiel ein prekärer Aufenthaltsstatus von MigrantInnen und Flüchtlingen. Ein prekärer Alltag als allein erziehende Mutter. Bekannter wurde der Begriff in den frühen 80er Jahren in der Arbeitswelt. Prekäre Arbeit bezieht sich dementsprechend auf alle möglichen Formen unsicherer, entgarantierter, flexibilisierter Ausbeutung: von illegalisierter, saisonaler oder temporärer Beschäftigung, über Heim-, Zeit- oder Leiharbeit bis zu scheinselbständigen Subunternehmen oder Ich-Ag's...

Prekarisierung in der Arbeitswelt meint eine beschleunigte Umwandlung bisher garantierter dauerhafter Beschäftigungsverhältnisse in zumeist schlechter bezahlte, unsichere Jobs. Im historischen wie im globalen Maßstab stellt prekäre Arbeit allerdings keine Ausnahme dar. Vielmehr war die Vorstellung einer Verallgemeinerung so genannter garantierter "Normalarbeitsverhältnisse" der Mythos einer kurzen Epoche des sog. Wohlfahrtsstaats. In den südlichen Kontinenten, in Osteuropa sowie für den großen Teil der Frauen und MigrantInnen im "Norden" - als den weitaus größten Teil der Weltbevölkerung - waren und sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse die Regel. Prekarisierung beschreibt darüber hinaus die Krise der herkömmlichen Einrichtungen, die (falsche) Sicherheiten im Leben verkörperten. Ein analytischer Begriff für einen Prozess, der auf eine neue Qualität der gesellschaftlichen Arbeit verweist. Arbeit und soziales Leben, Produktion und Reproduktion sind untrennbar verwoben, das alles begründet eine umfassendere Definition von Prekarisierung: die Verunsicherung der gesamten Lebensverhältnisse in ihren materiellen wie immateriellen Bedingungen. Zum Beispiel: Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen sind mit geschlechtlichen und ethnischen Rollenzuweisungen verbunden, der Aufenthaltsstatus bestimmt die Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt oder zu medizinischer Versorgung. Das gesamte Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse ist in Bewegung geraten.

Prekarisierung als komplexer und umkämpfter Prozess kann einen Bezugsrahmen bieten, -um unterschiedliche Subjektivitäten auf sozialer wie politischer Ebene verstärkt in einen Austausch zu bringen, -um gegenseitig Widersprüche oder gar Konkurrenzen in den verschiedenen Realitäten zu vermitteln; -und um davon ausgehend übergreifende Fragestellungen zu thematisieren. Ein Prozess also, der auf der Autonomie der unterschiedlichen Kämpfe basiert, der die Kommunikation dieser Kämpfe befördert, neue Formen der Kooperation ermöglicht und weitere Terrains aller Art eröffnet.

global - local - glocal!

GLObal bilden verschiedene transnationale Mobilisierungen den Bezugsrahmen, der uns inspiriert hat, zeitnah lokale Ansätze damit zu verknüpfen. Wie auch schon an anderer Stelle formuliert (siehe z.B. nhz Nr.....), ist dieser Rahmen zum einen Impulsgeber und Verstärker. Und angesichts immer globalisierterer Ausbeutungsketten halten wir diesen Bezugsrahmen zugleich für unumgänglich. Lokale oder regionale Kämpfe, die heute nicht auch globale Bezüge suchen, verlieren sich leicht im Standortdenken oder der eigenen Nabelschau. Mit der Bezugnahme auf die jeweiligen internationalen Mobilisierungen verbindet sich also die Hoffnung auf gegenseitige Inspiration, auf Verstärkung der öffentlichen Wahrnehmung und auch auf dieser Ebene auf eine Erweiterung des Blickes für die verschiedenen (zumindest europäischen) Realitäten in ähnlichen Kämpfen.

loCAL zielt hanau3d auf die Intensivierung des Suchprozesses im Alltäglichen. Es geht zum einen darum, die verschiedenen Debatten tatsächlich konkret auf die lokale Ebene runterzubuchstabieren. 3D will dabei kein "autonomes Ghetto", sondern versucht an individuellen oder kollektiven Alltagswiderständigkeiten anzuknüpfen. Die Entscheidung für die temporäre Verdichtung auf lokaler Ebene dieses Frühjahr soll in den verschiedenen thematischen Bereichen neue Möglichkeiten eröffnen. Eben lokal, weil sich hier einfacher ansetzen läßt an einer ähnlichen Alltagsrealität und die Bedingungen besser sind, sich an einzelnen Punkten evtl. auch an kontinuierlichere Prozesse heranzuwagen. Auf dieser Ebene werden wir uns experimentierend bewegen zwischen punktueller Intervention, dem Aufspüren der aneignenden Momente im Alltag, dem Erleben und Produzieren kollektiverer Momente und der Suche nach Kontinuität.

Die transnationalen Mobilisierungen:

1.)chain-refl-action
Während der Konferenz des PGA-Netzwerkes4 im Juli 2004 in Belgrad wurde eine Aktionskette zu Aneignung im weitesten Sinne beschlossen. Mit dem weiten Begriff der "Aneignung" soll es möglich sein, sich auf unterschiedliche Prozesse zu beziehen: von Haus-, Land- und Fabrikbesetzungen reichte die Assoziationskette bis zu Ladendiebstahl und Schwarzfahren. "Chain-refl-action" als Aktionskette inklusive gemeinsamer Reflektion auf einer dazugehörigen Webseite, um sich im besten Falle gegenseitig zu neuen Aktionsformen zu inspirieren. Momentan steht die reale Umsetzung noch immer in den Sternen - aber auch ohne Garantie ist es sicher möglich, diverse Erfahrungen, über die in Belgrad ein Austausch stattfand, mitzudenken und sich darauf zu beziehen.

2.) 2nd day of action
Im Januar 2004 fand ein erster, migrationsbezogener europäischer Aktionstag statt: gegen Abschiebelager und für Legalisierung! In über 40 Städten kam es zu unterschiedlichsten Aktionen. Beim europäischen Sozialforum in London im Oktober 2004 wurde nun ein zweiter Aktionstag beschlossen. Unter dem Slogan "Für volle Freizügigkeit (Freedom of Movement) und Aufenthaltsrechte (Right to stay)" wird für den 2.April 2005 zu neuen Aktionen aufgerufen. (Der Aufruf ist zu finden unter www.noborder.org)

3.) Euromayday
Seit einigen Jahren wird in Italien der traditionelle Arbeiterkampftag 1. Mai mit neuen Formen und Inhalten gefüllt. Besonders die gegenwärtige Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse wird als inhaltliche Klammer der "Mayday"-Feierlichkeiten gesehen, die sich mit bunten, lauten und kreativen Formen von den traditionellen 1.Mai-Demonstrationen absetzen. Bisher fanden Euromaydays in Mailand und Barcelona statt (www.euromayday.org). Beeindruckend war in Barcelona die Demonstrationsspitze mit 800 sans papiers unter den 15.000 DemonstrantInnen, während in Mailand durch die Kooperation von autonomen und migrantischen Netzwerken mit Basiskomitees und Gewerkschaften ca. 80.000 Personen demonstrierten. "Sprechen wir davon, dass heute in Europa Stimmen und Bewegungen auftauchen, die ein Recht auf Rechte unabhängig von der Staatsbürgerschaft und der Arbeit fordern. Reden wir davon, dass es Ideen und Alternativen gibt für Arbeit und Leben. Erzählen und lernen wir von den Kämpfen und Geschichten, die sich aus dieser neuen Melange von Lebens- und Arbeitsverhältnissen in Europa bereits ergeben und vielleicht auf neue Formen von gewerkschaftlichen, sozialen und politischen Organisierungsprozessen verweisen.", so wird zur Organisierung eines Euromayday in Hamburg eingeladen. Und so soll auch der dreidimensionale Frühling seinen erstmal abschließenden Höhepunkt in einer "Klassenfahrt" nach Hamburg finden (siehe Kalender).

Vor der Haustür:

Lokale Ansatzpunkte für den weitläufigen Bereich der Aneignung sucht hanau3d an zwei verschiedenen Polen:
Die ganz alltäglichen individualisierten Aneignungsmomente gilt es auf die Bühne zu holen. Im öffentlichen Raum sollen verschiedene Praktiken theatralisch auf den Laufsteg gebracht werden. Ein ganzer Bauchladen von Möglichkeiten des individuellen Weges zu etwas Luxus sowie der nötigen Werkzeuge soll hierbei einem hoffentlich geneigten Publikum präsentiert werden. "Tipps und Tricks für einen kostenlosen Alltag" verspricht eine Einladung, auf der sich über die individuellen Umgangsweisen, Werkzeuge und Erfahrungen ausgetauscht werden kann. Laßt euch überraschen - als festen Ort verraten wir bis jetzt nur die "Tupperparty" am 19. März im übrigens durchaus geschichtsträchtigen Aneignungsambiente des besetzten Hauses in der Metzgerstrasse.
Den zweiten Pol bildet dann auch die Frage der Räume, allerdings in etwas anderer Art. Seit zwei Jahren existiert nun die "Initiative soziale Belebung im Stadtteil" kurz isbis. Wie der Name schon sagt, ist ihr Hintergrund der Versuch, im Stadtteil Räume der sozialen Belebung zu schaffen. Versuche in dieser Richtung waren die zeitweise jeden Freitag (inzwischen nur noch einmal im Monat) stattfindenden Feuer auf dem Altstädter Markt, sowie zwei Nachbarschaftsfeste unter dem Motto "Die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Strasse gehen.". Und seit einiger Zeit spukt in diesem Kreis die Idee eines Nachbarschaftshauses in der ehemaligen Schlossplatzschule umher. Die Schule steht seit Sommer letzten Jahres leer, irgendwann soll sie möglicherweise einem Hotelneubau mit Nobelrestaurant weichen. In ersten kleinen Gesprächen und Interviews mit Leuten aus dem Viertel stellte sich dann schnell raus (wer hätte das gedacht?): "Ein Hotel bringt uns doch nichts." Und ein paar zarte erste Wünsche, was sich alles so machen ließe in den Räumen, bahnen sich vorsichtig ihren Weg ans Tageslicht. Bei einer Veranstaltung der Schlossplatz-BI Anfang Februar stellte sich zudem heraus: auch andere denken in eine ähnliche Richtung. So wurde dort mehrfach die Forderung nach einem Bürgerzentrum laut. Baudezernent Müller darf dann einen Rundschau-Artikel zu besagter Veranstaltung mit der kategorischen Aussage abschließen: "Das kann ich mir nicht vorstellen." - Andere können aber! Und die nächsten Monate werden zeigen, ob sich eine solche Idee tatsächlich breiter im Stadtteil verankern läßt und am Ende ein größerer Kreis die Vorstellungskraft nicht nur von Herrn Müller weit überflügeln könnte...

Im migrationsbezogenen Teil des 3-D-Programmes wird auf lokaler Ebene zum einen zu einer internationalen Versammlung eingeladen. Angesprochen sind zunächst Menschen mit den verschiedensten Migrationsgeschichten, denen eines gemeinsam ist: ihr Weg hat irgendwann eines der Beratungscafés in der Metzgerstrasse gekreuzt. Die Versammlung soll eine nette Gelegenheit (mit Essen, Filmen und Musik) bieten, sich wiederzutreffen, aber auch ein Abend werden, in dem es um einen neuen Ansatz einer kontinuierlicheren Initiative gehen soll. Während sich die Kontakte im Café bislang in erster Linie um Aufenthalts- und vor allem Asylfragen drehten, sollen an diesem Abend auch die Erfahrungen mit der Ausbeutung in prekarisierten Arbeitsverhältnissen zum Thema gemacht werden.
Parallel dazu haben Füchtlingscafé und Diakonische Flüchtlingshilfe den europäischen Aktionstag am 2.April zum Anlass genommen, die Frage der Lager und Abschiebegefängnisse ins Hanauer Bewußtsein zu holen: mit einer Ausstellung zum Offenbacher Abschiebeknast sowie einer Veranstaltung zum europäisierten Lagerregime.

Der Prekarisierung theoretischer auf den Grund zu gehen, dient zunächst eine Veranstaltung, zu der wir Mag Wompel vom Labournet-Projekt eingeladen haben. Und die konkreten Orte der Prekarisierung im Alltag zu markieren, dürfte zur Zeit an keinem Ort der Bundesrepublik besonders schwer fallen. Der Nebeneffekt von Hartz IV ist, dass immer mehr Leute sich bewußt sind, wo vor ihrer Haustür die Orte sind, an denen sie zu Zwangsarbeit genötigt werden und wo sich die Behörden befinden, auf denen sie schikaniert werden. Der neue kreiseigene AQA-Dschungel bietet sicher diverse Möglichkeiten der Intervention. Leih- und Zeitarbeitsfirmen finden sich über das komplette Stadtgebiet verteilt. Größere Firmen, die sich nicht ein gewisses Kontingent an Arbeitnehmern mit befristetem Vertrag halten, gibt es sowieso kaum noch. Bei sämtlichen Wohlfahrtsverbänden ließe sich mit der Thematisierung der 1-€-Jobs vielleicht noch immer in ein Wespennest stechen. Doch es geht um mehr als jammern: Wir könnten zum Beispiel die langweilige Zeit in den "Zwangskursen für Bewerbungen schreiben und Krawatten binden" stehlen und mit anderen ins Gespräch kommen. Es gilt herauszufinden, wie sich Leute ihren Weg durch die Behördenschikanen bahnen. Oder in welchen vielfältigen Lebensentwürfen Normen und Gesetze unterwandert werden, um der Eintönigkeit zu entfliehen. Es gibt Unmengen an Geschichten zu erzählen und Erfahrungen weiterzugeben. Ein Leben ist vorstellbar ohne die Arbeit als Maß aller Dinge.

In allen drei Bereichen geht es jedenfalls um einen offenen Suchprozess. Vor der Haustür sollen Momente der Begegnung geschaffen werden, in denen subversive Alltagspraktiken bestärkt und aus der individualisierten Heimlichkeit offen herausgehoben werden. Ob und wie es notwendig und möglich ist darin zumindest Momente kollektiverer Praxis zu schaffen, wird sich vielleicht nach diesen praktischen Experimenten besser beantworten lassen.

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