alaska 223, Dezember 1998
Bernd Hüttner
Irgendwie hängt mensch mental noch tief in den 80er Jahren. Nicht nur die anderen, auch man selbst. Da war alles viel besser, oder zumindest vieles: es gab die relativ übersichtlichen Blöcke samt ihrer Konfrontation, auch wenn der Osten schon etwas schwächelte. Es gab eine Unzahl von 3.Welt-, interntionalistischen und antiimperialistischen Gruppen. Der KB, von dem heute nur noch die Zeitschrift "ak" übrig ist und linke Grüne bildeten das politisch-strategische Scharnier zwischen ChristInnen, Gewerkschaften und anderen "ReformistInnen" einer-, und Autonomen, AntiimperialistInnen und anderen "RevolutionärInnen" andererseits. Den Begriff NGO gab es noch nicht, oder man bezeichnete damit transnationale Konzerne oder die Weltbank.
Es gab zwar eine Unmenge an Bündnisverhandlungen und Streit, z.B. um die Gewaltfrage, aber mensch war in einem Bündnis und immerhin ist Streit immer noch besser als gar keine Auseinandersetzung.
Heute sind die 90er, wie mensch in Norddeutschland sagt, auch schon durch, also vorbei und die politischen Geschehnisse und Konstellationen der 80er (und die der 90er??) sind fast nur noch Geschichte, die in diversen Archiven öffentlich zugänglich ist und in Bananenkisten in diversen Privatkellern und Dachböden, der (fragwürdigen Wieder-?)Entdeckung oder der Entsorgung im nächsten Altpapiercontainer harren.
Geschichte - im Schnelldurchlauf
Vorab zum Begriff: Die Internationalismusbewegung ist mit der Dritte-Welt-Bewegung nicht deckungsgleich. Zur Dritte-Welt-Bewegung gehören z.B. auch die kirchlichen und halbstaatlichen Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen, die sich vor allem auf Spendensammeln konzentrieren, oder z.B. in der sog. "Entwicklungshilfe" tätig sind. Im Gegensatz können antirassistische oder feministische Gruppen sehr wohl Teil der Internationalismusbewegung sein, würden sich aber nicht als 3. Welt-Bewegung verstehen.
Die Geschichte der Internationalismusbewegung ist ohne die Revolte von 1968 nicht zu denken. Der Aufbruch in den Metropolen traf auf antikoloniale Befreiungsbewegungen im Süden. Zwar hatte es auch schon vor 1967/68 in Deutschland internationalistische Arbeit gegeben, etwa zu Algerien oder zum Kongo, und auch die Vietnambewegung begann schon ab ungefähr 1965, eine breitere Öffentlichkeit erreichte sie aber erst ab 1968/69. Die Internationalismusbewegung der 70er Jahre war eine der klassischen Ländersolidarität. Zwar verstand mensch, zumindest der linke Flügel, seine Tätigkeit schon in einem weiter gespannten Rahmen, aber vieles war doch auf ein Land, eine Region oder ein Thema zugeschnitten. 1974 begann die Nelkenrevolution in Portugal, 1978 die Soli-Arbeit zu Nicaragua, in diesem Jahr gab es auch eine Kampagne zu Argentinien, und ab 1980 zu El Salvador. Große Bedeutung hatte in den 80er Jahren auch die Arbeit zu Südafrika, und es gab, heute kaum noch vorstellbar, Solidarität mit Libyen. Einen eigenen Stellenwert nimmt die Arbeit zu Palästina ein, weil sie aus heutiger Warte besonders peinlich war. In den 90er Jahren fand die klassische Länderarbeit vor allem zu Mexiko (Chiapas) und Kurdistan statt.
Selbstverständnis, ...
Die Aktionen und die Arbeit der Internationalismusbewegung ist, natürlich je nach politischen Spektrum und Zeitpunkt in der Selbstdefinition und der Außensicht in verschiedene politische Strömungen unterteilbar. Die beiden größeren waren zum einen die christlich-humanistische und die traditionell-linke Strömung. Der ersten geht es um die Beseitigung von Ungerechtigkeit in der Welt. Sie geht, wenn auch in unterschiedlichem Maße karitativ an die Dinge heran, hatte aber auch eine größere Offenheit als andere für Veränderungen im eigenen Handeln im Norden. So entstanden viele Welt-Läden aus diesem Spektrum und auch das Personal des BUKO war in den 80ern von diesem Spektrum geprägt.
Die traditionell-linke Strömung, dazu zählte die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), samt ihrer Vielzahl an befreundeten Organisationen, ging es zwar um eine sozialistische Transformation, aber mindestens genauso wichtig, um die Unterstützung der (Außen-) Politik der sozialistischen (Bruder-) Staaten im Ostblock und der sogenannten Dritten Welt. Bündnispolitisch stand dieses Spektrum noch stärker als das christliche für eine sehr breite Herangehensweise gegenüber Sozialdemokratie, Gewerkschaften und Kirchen ("Unser Bündnis ist so breit, wie unsere Plattform platt ist").
Als dritte Strömung ist die undogmatische Linke zu zählen, die teilweise aus "über- und fortgelaufenen" aus den bisher genannten Strömungen bestand. Es verband die Kritik an den internationalen Verhältnissen mit einer starken Kritik an den Verhältnissen im Norden, es verfügte über eine halbwegs konsistente und sich auf der Höhe der (damaligen) Verhältnisse bewegenden Kapitalismusanalayse und -kritik. Auch diese Strömung propagierte kollektive kulturrevolutionäre Veränderungen.
Eine kleinere Strömung war die sozialrevolutionäre. Sie verfolgte unter dem Motto "Eine Mordmaschine kann man nicht reformieren" die radikale Kritik der bestehenden Weltwirtschaft und bezog sich auf die Menschen der internationalen Massenarmut und ihre Aufstände ("riots"). Diese Strömung legte beeindruckende Texte vor, etwa in den Zeitschriften AUTONOMIE. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft (1985 eingestellt), wildcat und der Buchreihe "Materialien für einen neuen Antiimperialismus". Aus diesem Spektrum kam schon früh die Aufforderung an die Linke, sich mit Rassismus, Migration und Asylpolitik zu befassen. Ein Höhepunkt an Aktionsfähigkeit und theoriepolitischem Einfluß dieser Strömung war die Kampagne gegen den 1988 in Berlin tagenden IWF-Kongreß. SozialrevolutionärInnen kritisierten ebenfalls schon sehr früh die Orientierung der Internationalismusbewegung an nationalen Befreiungsbewegungen und an einem irgendwie gearteten Sozialismus.
Im Vergleich kann festgehalten werden, daß heute die traditionelle Linke fast völlig verschwunden ist. Dies mag mensch in Hinsicht auf ihre doch eher drögen politischen Inhalte nicht bedauern, im Sinne einer heute fehlenden flächendeckenden linken Präsenz ist es ein Rückschritt. Geschwächt ist das undogmatisch-linke und das sozialrevolutionäre Lager. Beide stürzten sich zwar in eine Debatte um theoretische Erneuerung, praktische Wirkung konnten sie aber nur vereinzelt entfalten, die sozialrevolutionäre Strömung etwa in der Flüchtlingspolitik.
... Neuer Internationalismus und ...
Die sozialrevolutionäre und die undogmatisch-linke Strömung propagierten die Herausbildung eines sog. "neuen Internationalismus", der sich sowohl von der karitativen Ländersolidarität und vom proletarischen Internationalismus absetzte. Danach beinhaltete Internationalismus eine kritische Überprüfung der eigenen Bilder vom Süden, die Reflektion der eigenen Verwobenheit in das Weltsystem und der daraus auch für die (männlich geprägte) Linke resultierenden Privilegien und vor allem der Bezug zur Situation und den Kämpfen im Norden. Der neue Internationalismus äußerte sich nach der Anti-IWF-Kampagne z.B. in den Aktionen gegen den Energiekonzern Shell, oder auch in der Beschäftigung mit people of colour in den USA (Stichwort: Mumia Abu Jamal) oder in Deutschland (letzteres aber mehr durch Feministinnen).
Grundsätzlich gab es nahezu strömungübergreifend in den 80er Jahren eine gewisse Abwendung von der am Land oder einer Region orientierten internationalistischen Arbeiten hin zu allgemeineren Fragen. Zum einen die Fragen von politischer Organisierung, Strategie und Hegemonie, zum anderen inhaltliche Punkte, die "über" den einzelnen Ländern lagen, wie etwa Weltwirtschaft und -handel, Kritik von Entwicklungspolitik, Feminisierung der Arbeit und der Armut oder auch Militarisierung.
Zur Selbstkritik der End-80er Jahre gehört auch "Drei zu Eins", bzw. die Debatte zu triple oppression. Was wie ein Fußballspielergebnis klingt, ist ein Text, der 1990 erschien und dann für viel Diskussionsstoff sorgte. Er versucht, das Verhältnis der drei Herrschaftsformen und die Gesellschaft strukturierenden Prinzipien Kapitalismus, Sexismus und Rassismus zu thematisieren. Die These vom Haupt- und Nebenwiderspruch wird abgelehnt, vielmehr seien die verschiedenen Unterdrückungsverhältnisse ineinander verschränkt. Diese Diskussion kam aus dem feministischen und antirassistischen Spektrum, also eher von den Rändern der Linken, und führte zu einer Kritik bisheriger Auffassung von Politik, Organisierung und Revolution.
... Aktionsformen
Die Aktionsformen der Internationalismusbewegung waren zunächst einmal die klassischen: Aufklärung durch Öffentlichkeitsarbeit, Information und Aktion. Es wurde über die Ereignisse anderswo berichtet, die Verbindungen zu Deutschland gezogen und Delegationen entsandt, die wiederum hier berichteten. Wie auch später wurden Spenden in Geldform oder auch als Sachen gesammelt. Bald gehörten auch Demonstrationen zum Repertoire und bewaffnet kämpfende Gruppen wie etwa die Rote Armee Fraktion, die Revolutionären Zellen oder die militanten Frauengruppe Rote Zora gaben ihren Anschlägen einen internationalistischen Begründungszusammenhang. In den 80er Jahren war das Aktionsspektrum am weitesten ausdifferenziert: Nun gehörten auch Formen des zivilen Ungehorsams, wie etwa eine Umzingelung genannte Belagerung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn, zu den praktizierten Aktionsformen. Gleichzeitig waren alltagskulturelle Verhaltensweisen, die zwar auch Konsum, aber eben nicht vorrangig waren, weit verbreitet: Einkauf von 3.Welt-Waren, vor allem Kaffee, Tragen von PLO-Tüchern etc.
Der Bruch von 1990/92
Die Diagnosen nach der Untersuchung des in Koma liegenden Patienten "Internationalismusbewegung" fallen unterschiedlich aus. Als drei große Einschnitte lassen sich nach meiner Einschätzung drei Ereignisse festmachen: Die (verlorenen) Wahlen in Nicaragua 1990, der sog. Golfkrieg 1991 und die Pogromwelle in Hoyerswerda etc. 1992 in Deutschland.
Die Abwahl der aus der Revolution entstandenen Regierung in Nicaragua zeigte der Internationalismusbewegung Grenzen auf. Dieses Ereignis war für die Mittelamerika-Solidarität, die die gesamten 80er Jahre eines der Themen der Bewegung war, ein herber (Rück-)Schlag.
1991 wurden im Golfkrieg kritische und undogmatische Positionen zwischen den kriegsbefürwortenden Linken und der deutschtümelnden Massenhysteriebewegung (sog. "Kein Blut für Öl"-Bewegung) eingeklemmt. Waren die einen antiamerikanisch und taten so, als würden die (amerikanischen) Bomben auf Bagdad auf deutsche (!) Städte fallen, propagierten andere den Militäreinsatz und spielten so Antifaschismus gegen Antimilitarismus aus. Die Internationalismusbewegung machte in dieser Auseinandersetzung keinen guten Eindruck.
Dieses Bild setzte sich in den - ausbleibenden - Reaktionen auf die rassistische Pogromwelle in Deutschland 1992 fort. Neben einigen Lichterketten, in denen doch der Tenor war, daß mensch ganz entsetzlich darunter leide, in einem Land leben zu müssen, in dem Ausländer nicht als Arbeitskraft anerkannt seien, sondern unter klatschendem Beifall schon mal verbrannt oder erschlagen werden würden, war wenig zu sehen. Die Dritte-Welt-Bewegung versagte, ebenso wie Kirchen oder Gewerkschaften, vor der rassistischen Eskalation, die Internationalismusbewegung war schon viel zu geschwächt, um hier noch politisch gegensteuern zu können.
In Folge kam es zu einem stetigen Utopieverlust, zum wachsenden Wunsch nach Mitgestaltung - 1992 fand die berühmte "Rio-Konferenz" zu Umwelt und Entwicklung statt, in deren Folge viele Dritte Weltgruppen vollends auf nachhaltige Mitgestaltung und Lobbypolitik umstellten. So gesehen war die Kampagne "500 Jahre Conquista" die letzte klassische Kampagne der alten Internationalismusbewegung. Danach brachen die Spektren vollends zusammen, bzw. entfernten sich soweit voneinander, daß eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich war. Auch radikalere Kräfte sahen sich einem Zerfallsprozeß ausgesetzt: Vormals illegal (und bewaffnet) agierende Gruppen erklärten nach und nach ihre Selbstauflösung, meist verbunden mit herber Selbstkritik.
Wo bleibt das Positive?
Die Antwort auf die MAOAM-Frage ("Was wollt ihr dann") wird auch dieses Mal nicht gegeben werden. Natürlich ist mensch heute schlauer als früher. Hinterher ist man immer schlauer. Zumindest sollte mensch das sein. Es führt aber oft nicht weiter, wenn heutige Erkenntnisse und Debatten auf vergangene politische Bewegungen angewandt werden. Es gilt sich zu vergegenwärtigen, daß das was heute Stand ist, oder zumindest sein sollte, bei seiner Einführung auf Widerstände stieß, wie auch großes positives Erstaunen und Lernbegierigkeit auslöste.
Fraglich ist, ob eine größere Radikalität zu mehr Erfolg geführt hätte. In der Anti-IWF-Kampagne war es zum Beispiel so, daß linksradikale Gruppen zum Gipfelsturm mobilisierten, gleichzeitig aber ein Riesenpolizeiaufgebot an die Wand malten. Dieses war dann auch am Platz, und agiert auch gemäß seiner Aufgaben gar nicht gewaltfrei, den öffentlich wahrnehmbaren Protest machten aber nicht Linksradikale, sondern eher gemäßigte Menschen, die die BankerInnen und andere mit ihren Aktionen nervten.
Internationalismus unterlag immer schon geographischen und kulturellen Beschränkungen und Vorlieben. Interessant war immer die gerade stattfindende Revolution und die Reihenfolge auf der Beliebtheitsskala an Kontinenten, zu denen gearbeitet wurde, ist immer noch die gleiche: Auf Platz 1 liegt Süd- und Mittelamerika, dann folgt Afrika, dann Asien, dann der Rest.
Internationalismus ist heute kulturell unattraktiv. Früher war Internationalismus Pop. Politische Figuren (und Ideen) mit denen sich mensch identifizieren konnte (Che, Ho-Tschi-Minh, etc. pp.), gibt es heute nicht (mehr). Nicht zufällig konnte Sub Marcos in seinem Outfit eine so große Aufmerksamkeit erringen. Nun geht es nicht darum, daß Menschen sich mit anderen identifizieren, sondern das Fehlen solcher populärer Ideen und Motive verschlechtert die Bedingungen des Kampfes um eine linke Hegemonie. Die Orientierung am Alltag, die einmal von undogmatischen und feministischen Gruppen gegen das linke Politikmodell gefordert wurde, ist heute in eine Konsumorientierung verwandelt.
Die Aussichten sind also trübe. Potentiale für eine theoretische Erneuerung einer linken und feministischen Internationalismusbewegung sind nicht/kaum zu sehen oder verfügen über zu wenig Power. Dies scheint mir neben anderen, wie etwa der Überalterung auch des linken Internationalismus, eines der Probleme der heutigen Reste der Bewegung zu sein: Während verbürokratisierte Gruppen und Institutionen (und dazu gehören auch linke) und reformistische NGOs mit viel Know-How und Geld Themen und Aktionsformen setzen, können sich "unprofessionelle" neue Gruppen kaum artikulieren, geschweige denn durchsetzen. Dies führt, und in dieser Situation befinden wir uns schon, daß neue, linke Gruppen marginalisiert werden, ohne Kenntnis der älteren Debatten und Ereignisse sind, während die alteingessenen ihr Ding durchziehen.
Literatur:
Werner Balsen/Karl Rössel, Hoch die internationale Solidarität. Zur Geschichte der Dritte Welt-Bewegung in der Bundesrepublik, Köln 1986 (Das Keksbuch ist das Standardwerk, Restexemplare für nur 10 DM bei Buchvertrieb Anares fax 05132/93833)
Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Heft 3/1994, Solidaritätsbewegungen. Zwischen Hoffnung und Resignation (Darin ein sehr typischer historischer Aufsatz von Ex-BUKO Geschäftsführer R. Bräuer und von Malte Letz zur "ostdeutschen" Soli-Bewegung)
Gruppe Feministischer Internationalisms (Hg.), Zwischen Staatshaushalt und Haushaltskasse, Bremen 1989
Marion Kraft u.a. (Hg.), Schwarze Frauen der Welt, Berlin 1994 (zur neueren Debatte zum feministischen Selbstverständnis)
PIZZA (Hg.), ODRANOEL. Die Linke - zwischen den Welten, Hamburg 1992 (Das Pizza-Buch als guten Überblick über die damalige Debatte des linken Internationalismus)
Autor:
Bernd Hüttner nahm 1985 an der Demonstration gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Bonn teil und erlebte dort seine erste und bislang letzte polizeiliche Festnahme.
Quelle:
alaska 223, Dezember 1998