PE Bundesvorstand Rote Hilfe e.V.
Göttingen, den 29.07.2009
Mit einem Freispruch auf ganzer Linie endete heute in Colmar der Berufungsprozess gegen einen 23-jährigen NATO-Gegner aus Dresden, der Anfang April von einem französischen Gericht zu sechs Monaten Haft verurteilt worden war.
Bei den Protesten gegen den NATO-Gipfel, der Anfang April in Strasbourg und Kehl stattfand, war die Polizei insbesondere auf der französischen Seite mit brutaler Härte gegen die DemonstrantInnen vorgegangen. Durch massive Tränengas- und Knüppeleinsätze wurden Hunderte von NATO-GegnerInnen verletzt, über Hundert Menschen wurden festgenommen. In mehreren Schnellverfahren, die eine sinnvolle Verteidigung praktisch unmöglich machen und sämtliche rechtsstaatlichen Grundsätze komplett über Bord werfen, wurden Haft- und Bewährungsstrafen verhängt, darunter auch gegen mehrere aus Deutschland stammende Aktivisten: Fünf Kriegsgegner wurden zu jeweils sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, wogegen sie Berufung einlegten. Diese Verhandlungen wurden von den Gerichten über so viele Monate verschleppt, dass die Betroffenen inzwischen den Großteil ihrer Strafe im französischen Gefängnis abgesessen haben.
Am heutigen Mittwoch fand am Colmarer Berufungsgericht („Cour d’appel de Colmar“) in der Nähe des Hauptbahnhofs um 9.00 Uhr der Erste Berufungstermin im Falle des am 02.04.2009 in Strasbourg festgenommenen Dresdners Jan statt, der im Schnellverfahren drei Tage darauf mit den Vorwürfen der Bewaffnung („port prohibé d’arme de 6ème catégorie“) und der Teilnahme an einer Menschenansammlung mit einer „potenziellen Waffe“ („participation avec arme à un attroupement“) zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung in Verbindung mit einem dreijährigen Einreiseverbot belegt worden war. Bei der vermeintlichen „Waffe“ handelte es sich um ein Metallrohr, das der Student auf dem nahe gelegenen Camp als Zeltstange verwenden wollte.
Nachdem der Vorsitzende Richter kurz nach Verhandlungseröffnung die Anklage gegen Jan verlesen hatte, folgten die Plädoyers des Staatsanwalts und der beiden VerteidigerInnen Jans. Auffallend war, dass der Staatsanwalt den inhaltlichen Schwerpunkt seiner langen Rede weniger auf konkrete oder konstruierte Tatvorwürfe legte als vielmehr den ausschweifenden Versuch unternahm, über die anscheinend deutlich erkennbare „Gesinnung“ des Angeklagten einen logisch-konsequenten Automatismus herzustellen: Wer - wie Jan am Tag seiner Festnahme in Strasbourg - ein der „anarchistischen, also staatsfeindlichen Szene“ zuzuordnendes T-Shirt mit den Aufschriften „Anarchist Black Block“ und „Resist - Revolt - Rebel“ im Gepäck hat, ist demnach automatisch ein politisch motivierter Gewalttäter, der sich an Widerstandsaktionen jedweder Couleur beteiligt – auch wenn ihm das im Einzelfall mit rechtstaatlichen Mitteln nicht immer nachgewiesen werden kann.
Diese hanebüchene Argumentationskette konnten die beiden VerteidigerInnen Jans sodann überzeugend widerlegen, um dann das Schlusswort vor der richterlichen Beratungspause an Jan zu übergeben. Dieser stellte dann ganz allgemein nochmals klar, dass er sich als antifaschistisch sozialisierter Mensch immer und zu jeder Zeit dafür einsetzen werde, dass sich die nationalsozialistische Barbarei nicht wiederhole.
Der mehr als eine Stunde später erfolgende Richterspruch fiel dann erwartungsgemäß deutlich aus: Freispruch - mit der Möglichkeit für den 23-Jährigen, Haftentschädigung für fast vier Monate Knast einzuklagen, die er nun insgesamt abgesessen hat.
Bereits einige Stunden später konnte der Dresdner Aktivist an der völlig überbelegten, hygienisch desolaten und medizinisch unterversorgten Justizvollzugsanstalt von Strasbourg („Maison d’arret de Strasbourg“), wo er noch seine Sachen abholen durfte, von mehreren glücklichen GenossInnen und Angehörigen in Empfang genommen werden.
Für die kommenden Wochen stehen noch zwei weitere Berufungsverhandlungen an. Am 5. und am 19. August 2009 gehen die Verfahren gegen zwei Berliner Aktivisten in die nächste Runde, die mit dem Vorwurf der Beteiligung an gewalttätigen Ausschreitungen sowie Widerstand bei der Festnahme ebenfalls zu sechs Monaten Haft verurteilt worden waren. Bei diesen Terminen können wir den gleichen Urteilsspruch wie bei Jan erhoffen. Wir rufen die Presse dazu auf, die Prozesse gegen die NATO-Gegner aufmerksam zu verfolgen und die anstehenden Berufungsverhandlungen am 5. August und am 19. August zu besuchen. Beide Termine finden jeweils um 9.00 Uhr im Tribunal Colmar statt.
Die Rote Hilfe fordert die sofortige Freilassung der übrigen noch inhaftierten Anti-Kriegs-Aktivisten!
Mathias Krause für den Bundesvorstand
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